Akute Maßnahmen beim Limb Salvage Procedere
Debridement, Lavagetechniken und Antiinfektiöse Strategien
Aus der Abteilung Unfallchirurgie und Orthopädie, Septisch-Rekonstruktive Chirurgie (Ltd. Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. C. Willy) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter)
Im Rahmen einer schweren Extremitätenverletzung ist der Akutmaßnahmen-Schritt „Debridement“ entscheidend. Die individuelle Erfahrung des Chirurgen bestimmt diesen Schritt jedoch wie keinen anderen des limb salvage procedure. Gleichzeitig ist die Qualität gerade dieser Primärversorgung und des in der Anfangsphase erstellten Behandlungskonzeptes wegweisend für den zeitlichen Ablauf der sich anschließenden operativen Schritte und den Gesamterfolg der Behandlung. In diesem Artikel werden vor diesem Hintergrund nun die wesentlichen Schritte erörtert, die nach der zuerst durchzuführenden Sicherung der nutritiven Perfusion unternommen werden sollten:
1. Ausmaß und Zeitpunkt des primären Debridements
2. Spülung der debridierten Wunde (Irrigation, Jet-Lavage)
3. Zusätzliche Antiinfektstrategien (Antibiotikagabe, Antiseptika)
4. Wundverschlussmaßnahmen
Zu jedem dieser Aspekte wurde eine Literaturanalyse durchgeführt, die sich auf das Ergebnis einer computergestützten MEDLINE-Suche konzentrierte, um neben der oben angesprochenen Erfahrung / Intuition und Subjektivität ggf. objektive Studienergebnisse anfügen zu können. Gegenstand der Literatursuche waren unabhängig von der Evidence der jeweiligen Arbeiten (aller Sprachen) randomisierte klinische und experimentelle Studien, systematische und nicht-systematische Übersichtsarbeiten, Metaanalysen, Expertenmeinungen und Fallberichte (Stand 31.10.2015). Um die für eine erfolgreiche Behandlung notwendige Berücksichtigung der Mikrobiologie zu unterstreichen, wurde der Aspekt der antiinfektiösen Strategien in den Beitrag integriert.
1. Ausmaß und Zeitpunkt des primären Debridements bei der schweren Extremitätenverletzung
Notwendigkeit, Zeitpunkt und Umfang des Debridements richten sich nach dem Grad des Gewebeschadens, der Kontamination und der Pathophysiologie der Verletzung. Insbesondere Wunden mit einem hohen Energieeintrag beim Trauma (wie Schuss- und Explosionsverletzungen) stellen als „developing wounds“ und häufig zerstörter anatomischer Grenzen eine besondere Herausforderung dar1. Die Klassifikation offener Extremitätenverletzungen erfolgt nach Gustilo-Anderson (GA, Infobox). Vor dem Hintergrund der nach wie vor hohen posttraumatischen Infektrate von bis zu 60 % (!) kommen der Qualität des Debridements und der Qualität der Behandlungsschritte bis zum Wundverschluss eine übergeordnete Bedeutung zu2, 3.
Das initiale Debridement darf nicht der Beginn eines für den Operateur unbekannten Behandlungsprozesses sein, sondern muss bei schwerem Extremitätentrauma als erster Schritt eines Behandlungs-Gesamtkonzeptes angesehen werden. Bereits jetzt muss an die nachfolgenden rekonstruktiven Schritte (Weichteil- und Knochendefekttherapie) gedacht werden. Die definitive Versorgung muss von Anfang an antizipiert werden. Aufgrund der Komplexität der Situation müssen erfahrene Kollegen die intraoperative Verantwortung tragen. Der initial operativ Verantwortliche muss für die mit Sicherheit folgenden Eingriffe (second look+) bei der möglicherweise bestehenden Dynamik der Situation die Supervision behalten („intraoperatives Wissen ist kein Staffelstab“).
Zeitpunkt
Eine der kontroversesten Diskussionen ist die um die Dringlichkeit des Debridements schwerer offener Frakturen. In der Gesamtsicht einer hier nicht näher dargestellten Literaturanalyse sollte das Debridement zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen, an dem ein erfahrener Traumachirurg bestenfalls im Schulterschluss mit einem plastischen Chirurgen verfügbar ist. Die historische 6-Stunden-Regel (Zeit bis zur ersten Wundexzision, zum primären Debridement) basiert nicht auf strenger Evidenz4,5, ist allerdings vor dem Hintergrund der Tier-Experimente von Friedrich (1898) auch heute noch nachzuvollziehen. So stellte er fest, dass die eher „darbenden Luftkeime“ innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Trauma sich kaum vermehren (können) und daher eine frühzeitige Dekontamination mit geringerer Ausdehnung erfolgreich sein könnte, dies aber nach diesem Intervall, nach Beginn einer rasanten Bakterienvermehrung unter optimalen Wundbedingungen, erheblich aufwendiger wird und mit einer höheren Infektrate einhergeht 6. Im Spiegel der heute sich darstellenden Diskussion zeigen sich extreme Positionen. So formulierten Autoren für ihr gesamtes Patientenkollektiv keinen engen Zusammenhang zwischen Infektrate und Zeitpunkt des ersten Debridements (Demetriades et al./USA/JAMA, 2015, n = 315, ca. 50 %-Anteil GA III) solange keine Verzögerungen von über 24h auftraten7. Verwunderlich erscheint allerdings in dieser Arbeit die damit erlaubte „Großzügigkeit“ bei GA IIIC, die definitionsgemäß einen Gefäßrepair benötigen. Andere Autoren (Hull et al./UK/ J Bone Joint Surg (Br), 2014, n = 459) zeigten für GA II und III-Frakturen eine ansteigende Infektrate von +3 % pro Stunde Verzug des Debridements8. Und Smears et al. zeigten in einer retrospektiven USA-Nation-wide Studie (Plast Reconstr Surg/USA/2012, n = 7560 Patienten) bei schwerergradigen offenen Frakturen durch eine Verzögerung des Debridements um mehr als 24h eine nahezu vierfach höhere Amputationsrate9.
Debridementausmaß
Ziel des Debridements muss es sein, den Kontaminationsgrad der akuten offenen Wunde beim ersten Debridement maximal zu reduzieren, um das Risiko für einen konsekutiven Infekt zu minimieren und damit die Kontaminations-Infektions-Sequenz zu stoppen. Ebenso muss zerstörtes, eindeutig avitales, nutritiv nicht perfundiertes Gewebe komplett entfernt werden. Hierbei müssen für die Vitalität und Funktion der Extremität bedeutende Strukturen jedoch geschont werden. Das Debridement-Trauma darf die Vitalität/Biologie von Knochen (Deperiostierung, Herauslösen aus Weichgewebe) und Weichteilen nicht zusätzlich gefährden. Aus diesem Grund darf z. B. nicht jeder einzelne Fremdkörper entfernt werden10,11. Auch ausgedehnte segmentale Resektionen sind initial meist nicht erforderlich12. Bei einer Gewebekontusion wird während des initialen Debridements die spätere Demarkationslinie und das Ende des dynamischen Vorganges einer Abgrenzung von vitalem zu avitalem Gewebe nicht immer offensichtlich sein13. Vermeintlich geschädigter Muskel kann sich zu einem späteren Zeitpunkt vital zeigen, so dass das Gewebe unter Umständen voreilig entfernt wird (und vice versa). Beim Debridement ist zu berücksichtigen, dass verbleibende Bakterien sich rasant vermehren werden, dass Weichgewebe (Muskel, subkutanes Gewebe) infolge eines schweren Traumas anschwellen wird (bedingt durch Gesamtkörper-Resuscitation, Ischämie-Reperfusionstrauma, capillary leackage) und daher bei nachfolgenden Debridements die Anatomie der Wunde unübersichtlicher wird. Ebenso werden im Verlauf der nachfolgenden Tage häufig die lokale Gewebeperfusion und auch die lokale Immun-Abwehrlage, wie auch die System-Immunkompetenz des Patienten nach Trauma zunächst eine unbekannte Größe sein.
Totraummanagement
Zum initialen Totraummanagement zählen lokale antiseptische Maßnahmen und eine Totraumreduktion durch den Einsatz von Spacern mit lokaler antibiotischer Therapie14,15. Unzweifelhaft ist ein biologischer Spacer in Form einer Muskelplombe die sicherste Art der Infektprophylaxe. Diese Art der Knochendefekt-Auffüllung stellt jedoch als Primärmaßnahme in der Akutphase die Ausnahme dar. Andererseits ist die plastische Weichteildeckung früh ins Kalkül zu ziehen und eines der wichtigsten Momente auf Seiten der Infektprävention. Zementummantelte Drähte, Platten oder Nägel werden heute zunehmend in der primären Stabilisierung als Alternative zum Fixateur externe angewendet14,16,17. So ergeben sich interessante „composites“, die zum einen effektiv den Totraum füllen, dabei eine gezielte lokale antibiotische Therapie zulassen und auf der anderen Seite Übungsstabilität gewährleisten. Generell sollte der Materialeintrag auf Seiten einer temporären Osteosynthese oder Stabilisierung bei erhöhtem posttraumatischem Infektionsrisiko so gering wie möglich ausfallen. Aus diesem Grund ist die Akutphase bei kritischer Wunde eine Domäne des Fixateur externe in einer einfachen und effektiven Montage, um weitere Eingriffe nicht zu erschweren. Auch äußere Schienen (Gips-/Cast-/Vakuum-/Luftkammerschienen) stellen im Zweifel eine Alternative dar. Im Falle von segmentalen Knochendefekten ist darüber hinaus eine temporäre Verkürzung oder gezielte Fehlstellung des Knochens zu erwägen, wenn sich dadurch ein Weichteilverschluss erzielen und Kompartmentdruck mindern lässt. Eine übermäßige Verkürzung darf nur unter Kontrolle der Perfusion erfolgen. Andererseits kann eine temporäre Verkürzung auch eine erforderliche Gefäßrekonstruktion erübrigen bzw. vereinfachen.
2. Spülung der debridierten Wunde (Irrigation, Jet-Lavage)
Die derzeit jüngste und wohl auch seit vielen Jahren umfassendste Studie (multizentrisch, 41 Kliniken, international, n = 2447 eingeschlossene Patienten, primärer Endpunkt: Reoperationsrate innerhalb von 1 Jahr wegen Wund- oder Knochenheilungsstörung oder Infekt) zeigte, dass für die initiale Wundspülung komplexer Frakturen ein sehr niedriger Spüldruck (50 - 100 mmHg bzw. 70 - 140 hPa) ein gleich gutes Ergebnis erzeugt wie ein sehr hoher Druck (1034 mmHg bzw. 1380 hPa)18. Leider zeigt auch diese Studie Schwächen, da z. B. GA IIIB Frakturen nur in 8 % des Patientengutes und IIIC Frakturen gar nicht vorkamen.
Analysiert man die Literatur zu diesem Thema (1915 - 2015, 195 Artikel, key words (title) „instillation wound“, „irrigation wound“, „jet lavage“, „pulse lavage“, Stand 31.10.15) und inkludiert gesammelte Erfahrungen, darf Folgendes formuliert werden:
• Viele Chirurgen kennen den Druck ihrer Spüllösungs-Applikatoren nicht19. Beispiele sind Zimmer® Pulsavac® Plus Wound Debridement Family (Druckwerte sind dem Hersteller nicht bekannt), Powerpulse Lavage System - Smith&Nephew (arbeitet mit Druckluft von 5,5 bis 6,9 bar, exakter Auslassdruck nicht bekannt), Surgical Cleaning and Suction System- Fa. Eurosets (hat Druckminderer, Auslassdruck bis max. 2,3 bar), Merete ® Jet Lavage (Spüldruck 1 bar), Jet Lavage 2500 Z AC Type-Orthomedicor (Spüldruck 1 bar), Interpulse Jet Lavage - Stryker® (0,2 - 3,8 bar in Abhängigkeit von den gewählten Aufsätzen).
• Selbst geringe Wundspüldrucke führen unmittelbar zu einem Gewebeödem20.
• Gepulste Lavage kann Luft intramuskulär eintragen21. Eine spülungsbedingte Volumenzunahme des Gewebes muss verhindert werden, da ödembedingt die Oxygenationsstrecke zunimmt und konsekutiv die nutritive Perfusion vermindert wird. Berichtet wird wiederholt darüber, dass bei schwer kontaminierten Wunden und zerstörten anatomischen Grenzflächen infolge des hohen Spüldruckes Bakterien in tiefe Gewebespalten gespült werden. Hohe Drucke führen zudem zu einer Aerolisierung von Wundspüllösung, Blut und bakterienhaltigem Wundsekret und gefährden hierdurch das OP-Team20.
• Im Tierversuch kann die Hochdrucklavage die bakterielle Last um einen höheren Betrag reduzieren als die manuelle Spritzenanwendung22, die Reduktionsdifferenz wird aber nach wenigen Zellteilungen wieder kompensiert sein. Hoher Druck (980 mmHg bzw.1 310 hPa) führte sogar 48h nach dem Debridement&Lavage-OP-Schritt zu einer höheren bakteriellen Wundbelastung als zum Zeitpunkt der Lavage und damit zu einem höheren „rebound“ als die Spülung der Wunde mittels manueller Anwendung23.
• Biofilm kann mit gepulster Hochdrucklavage nicht ausreichend eliminiert werden24.
In der Gesamtsicht bestehen keine Argumente für die weitere Verwendung von Hochdrucklavagesystemen zur Wundspülung im Anschluss an das mechanische Debridement mit Schere und Skalpell komplexer Extremitätenfrakturen im Rahmen einer limb salvage Maßnahme25. Sie scheinen ihren Platz lediglich noch zur Knochenlagervorbereitung zu haben, um in der Endoprothetik die Zementpenetration in den Knochen hinein zu verbessern26, 27. Somit scheint die in den 70er Jahren mehr und mehr propagierte „Jet-Lavage“ in der Weich- und Knochengewebespülung direkt nach Trauma im Bereich schwerstverletzter Extremitäten obsolet zu sein.
3. Zusätzliche Antiinfektstrategien (Antibiotika, Antiseptika)
Selbst unter idealen Rettungsbedingungen wie z. B. einer optimal frühen Oxygenierung, frühen Gabe potenter Antibiotika, bei Einsatz moderner OP-Verfahren und Implantaten sowie ausgereifter intensivmedizinischer Betreuung besteht auch heute noch ein sehr hohes Risiko für tiefe Infektionen beim hochgradigen Extremitätentrauma. Die aktuelle Analyse zeigt Infektionsraten von bis zu 60 % (siehe Tabelle 1). So ist es naheliegend zu fordern, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Infektionsrate zu reduzieren.
Zusatzaspekte bei antiinfektiösen Maßnahmen
• Nichtbeurteilbarkeit des lokalen Traumaausmaßes: Beim ersten Debridement der komplexen offenen Extremitätenverletzung werden die für die nachfolgende Komplikationsrate bestimmenden Faktoren nicht exakt fassbar sein: Nutritive Perfusion des Gewebes (abh. von no-reflow phenomenon nach Ischämie-Reperfusion, Zerstörung der Gefäßarchitektur durch Trauma und Debridement, Ausmaß Hypoperfusion der Extremität (=Schockorgan)), Ausmaß der restverbleibenden bakteriellen Kontamination, Zeitpunkt und Lokalisation einer etwaigen Biofilmbildung, tatsächlich im traumatisierten Gewebe wirkende Antibiotikakonzentration und die Immunkompetenz des Organismus in den ersten Stunden und Tagen nach Trauma.
• Bedeutung der Grenzflächen: Grenzwertig niedrig nutritiv perfundiertes und avitales Gewebe, denudierter Knochen, Fremdkörper und Toträume durch Gewebedefekte nach Debridement sowie traumabedingte Hohlräume sind Prädilektionsstellen (locus minoris resistentiae) für ein Bakterienwachstum. An diesen Grenzflächen kann sich selbst nach dem initialen Debridement durch restverbleibende Bakterien eine Kolonisation (und dann Infektion) entwickeln.
• Bakterienwachstum: Staphylokokken, z. B., haben eine Generationszeit (bei 37 °C) von knapp 30 min (https://www.spektrum.de/lexika/showpopup.php?lexikon_id=9&art_id= 27237&nummer=9501). Dies bedeutet, dass die Kolonie sich alle 80 - 100 min um eine LOG-Stufe vermehrt. So werden aus einer Mikrokolonie mit 103 Erregern innerhalb von nur neun Stunden 106 Erreger. Eine Erregerreduktion um 90 %, wie sie z. B. bei der Jet-Lavage auf Membranen beobachtet wurde, ist daher irrelevant, da das Minus knapp zwei Stunden später wieder „aufgeholt“ wurde (vom beobachteten rebound Effekt abgesehen).
• Lokale Immunabwehr: Die hohe Geschwindigkeit der Ausbildung von gegenüber Antibiotika und körpereigenen Immun-Effektorzellen resistenten Bakterienansammlungen (Biofilme) zwingt auch nach dem Debridement zu Anstrengungen gegen eine Biofilmbildung 29. Lokal wird es u. a. durch die Abnahme der T-Helfer-Zellen, (TH1)-Lymphozyten, zu einem lokalen Immundefekt kommen 30.
Bedeutung Biofilm
• Die für posttraumatische Wundinfektionen relevanten Erreger können ausnahmslos Biofilme bilden (Biofilm = Kollektion von Erregern, in der Regel polymikrobiell, häufig gleichzeitig aerobe und anaerobe Bakterien eingebettet in eine extrazelluläre-polymere Polysaccharid-Matrix, interzelluläre komplexe Kommunikation ® „quorum sensing“, bis zu 1 000-fach erhöhte Antibiotikaresistenz, horizontaler Gen-Transfer von Antibiotika-Resistenz und Virulenz-Faktoren). In ca. 30 % akuter offener Frakturen konnte die Biofilm-Entstehung nachgewiesen werden31. Innerhalb weniger Minuten heften sich die planktonischen Erreger (Staphylococci, Streptococci, Pseudomonas und Escherichia coli) an Kollagen-Molekülen oder Implantate an. In Abhängigkeit ihrer Anzahl, der Anfangskondition (zunächst reduzierter Stoffwechsel bei Umgebungserregern, sofortig aktive Virulenz bei nosokomialer Tröpfchen- und Schmierinfektion), der speziesabhängigen Anheftungsneigung an Grenzflächen (Kollagen, Metall) und den lokalen Wachstumsbedingungen werden sich innerhalb von zwei bis drei Stunden fest anhaftende Mikrokolonien und innerhalb von sechs bis zwölf Stunden reife Biofilme entwickeln, aus denen dann nach zwei bis vier Tagen planktonisch lebende Bakterien freigesetzt werden, die wiederum nach 24 Stunden Biofilme erzeugen29,31-35 (meist Überlegungen anhand experimenteller Studien an akuten Wunden).
• Gentamycin (als meist gewählter antibakterieller Zusatz für PMMA-Ketten oder Zementspacer) wird gegen Biofilm vor allem gramnegativer Bakterien ineffektiv sein36. Antibiotika-haltige Spacer werden somit nach dem Debridement nur gegen planktonische Erreger erfolgreich sein können.
• Die beste Therapie des Biofilms ist die Vermeidung desselben!
Antibiotikagabe
Ein wichtiger Schritt ist hierbei die frühzeitige systemische antimikrobielle Prophylaxe 37. Die Studienlage präsentiert zu den Analysen der relevanten Erreger divergierende Ergebnisse aus unterschiedlich validen Untersuchungen. Die Aussagenspannweite reicht von „... untere Extremitätenverletzungen zeigen hohe Kontaminationsrate mit Umweltkeimen, die nicht mit Infektionen assoziiert sind“38 über „ ... Kontaminationsrate weniger als 10 % ...“39 bis hin zu „... gefechtsassoziierte Typ III-Tibiafrakturen sind vor allem mit Gramnegativ-Infektionen assoziiert ...“40 (siehe auch Tabelle 2). Daraus resultieren uneinheitliche Ergebnisse zu Art und Dauer des Einsatzes antimikrobieller Substanzen. Auch die Empfehlungen von Fachgesellschaften, insbesondere die EAST Practice Management Guidelines for Prophylactic Antibiotic Use in Open Fractures aus dem Jahr 2000, aktualisiert und kommentiert 2011, werden kontrovers diskutiert41. Folgende Empfehlungen hinsichtlich der mikrobiologischen Diagnostik und des Einsatzes antimikrobieller Substanzen haben sich nach Auffassung der Autoren jedoch bewährt:
• Der Einsatz antimikrobieller Substanzen, auch im Rahmen einer perioperativen Prophylaxe, sollte im Sinne der Antibiotic Stewardship-Strategie im interdisziplinären Austausch (Unfallchirurg, ggf. Plastischer Chirurg, Klinischer Pharmazeut, Klinischer Mikrobiologe) unter streng rationalen Gesichtspunkten festgelegt werden42, 43.
• Der möglichst frühzeitige Einsatz von Antibiotika bei offenen Frakturen scheint hinsichtlich der Vermeidung schwerer Infektionen vorteilhaft zu sein.44-46
• Bei offenen Frakturen mit Hautläsion und geringem Infektionsrisiko (Gustilo-Anderson-Typ I und II) zielt die antimikrobielle Keimreduzierung auf grampositive Erreger ab.45 Nach Auffassung der Autoren sollte eine perioperative antimikrobielle Prophylaxe mit einem „älteren“ Cephalosporin der Gruppen 1 und 2, z. B. Cefuroxim, als Einmal-i.v.-gabe erfolgen. Bei offenen Frakturen, die länger als zwölf Stunden unbehandelt waren, sollte die Gabe im Sinne einer verlängerten perioperativen Prophylaxe über 24 Stunden durchgeführt werden47.
• Bei Verdacht auf eine Anaerobier-Beteiligung bei Weichgewebeschädigung ist das ausgewählte Cephalosporin mit Metronidazol zu kombinieren.
• Bei offenen Frakturen mit ausgedehnten Weichgewebeschäden, vor allem bei solchen, bei denen der Knochen deperiostiert ist, eine Gefäßverletzung oder eine starke Kontamination vorliegen (GA-Typ IIIb/IIIc), ist mit erheblich höheren Infektionsraten, auch durch gramnegative Erreger und Anaerobier, zu rechnen. Die in diesen Fällen durchzuführende antimikrobielle Behandlung wird in der Literatur sowohl hinsichtlich Substanzauswahl als auch Anwendungsdauer uneinheitlich beurteilt41. Die Empfehlungen zur Dauer der Infektionsprophylaxe erstrecken sich von 24 Stunden (GA I/II) bis zu fünf Tagen (GA-Typ IIIb/IIIc)44,45,48. Die variierenden Empfehlungen hinsichtlich der Prophylaxedauer sind sicherlich auch in den hohen Infektionsraten dieser Verletzungsmuster (siehe Tabelle 1) mit einem Risiko für die Entwicklung von Osteomyelitiden begründet, die dann einer sehr lang dauernden antimikrobiellen Therapie zugeführt werden müssten (vier bis acht Wochen). Als antimikrobielle Substanzen für die Prophylaxe eignen sich Cefuroxim in Kombination mit Metronidazol oder Ampicillin/Sulbactam47,49. Bei klinischen Hinweisen auf eine Infektion sollte frühzeitig auf eine kalkulierte antimikrobielle Therapie, z. B. mit Ceftriaxon in Kombination mit Flucloxacillin oder Clindamycin gewechselt werden oder auf eine gezielte Therapie nach mikrobiologischem Befund50.
• Bei Vorliegen einer Besiedlung des Patienten mit multiresistenten Erregern (MRE; dazu zählen Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-, Vancomycin-resistente Enterokokken- sowie multiresistente gramnegative Bakterien-Stämme) sind die eingesetzten antimikrobiellen Substanzen entsprechend anzupassen42,47. In Abhängigkeit vom nachgewiesenen oder aufgrund der epidemiologischen Situation vermuteten Erreger kommen Reservemedikamente wie z. B. Vancomycin, ein Carbapenem oder im Ausnahmefall auch Colistin, in Betracht.
• Ein präoperatives Screening auf multiresistente Erreger (MRE) wird für Patienten aus Risikokollektiven (z. B. zuverlegte Patienten aus MRE-Hochprävalenzgebieten) entsprechend den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts empfohlen, um die perioperative Antibiotikaprophylaxe und ggf. auch die kalkulierte Initialtherapie zu adaptieren42.
Einsatz von Wundspüllösungen und antiseptischer Flüssigkeiten
In der Gesamtsicht muss berücksichtigt werden, dass bei traumabedingt zerstörter vaskulärer und bindegewebiger (Mikro-) Architektur und daher verminderter nutritiver Perfusion bakterizide Wirkstoffkonzentrationen von Antibiotika im geschädigten Gewebe evtl. nicht erreicht werden. Ebenfalls muss bedacht werden, dass – vor allem bei Vorbehandlungen – zunehmend auch Infektionen und Kontaminationen mit multiresistenten Erregern vorliegen, die teilweise nur noch mit wenigen und nur eingeschränkt einsetzbaren Reserve-Antibiotika (z. B. Colistin bei Vorliegen eines panresistenten gramnegativen Infektionserregers) behandelt werden können. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, weitere antiinfektiöse Strategien zu nutzen. Zielführend sind hier zur initialen Erregerlastreduktion Wundspüllösungen und die topische Anwendung antiseptischer Flüssigkeiten.
Die Studienlage zum Thema Nutzen und Risiko der Antiseptika-Anwendung ist für den pragmatisch agierenden Anwender – den Unfallchirurgen – leider nicht befriedigend transparent51,52. In vitro-Untersuchungen geben eine umfassende Information zur Biokompatibilität, Cytotoxizität und antibakteriellen Effektivität der Antiseptika, so dass zumindest auf dieser Grundlage eine vergleichende Bewertung möglich wird31. Dabei ist im Gesamtvergleich der heute zahlreich verfügbaren Antiseptika der Biokompatibilitätsindex nur für NaOCl, Octenidin und Polihexanid > 1 (d. h. die mikrobizide Wirksamkeit überwiegt die Zytotoxizität)53. Für Natriumhypochlorid (NaOCl, in Lösung: superoxidiertes Wasser) und Polihexanid konnte zudem der Nachweis erbracht werden, dass in der bakteriell infizierten Zellkultur die Bakterien abgetötet werden, ohne dass die Zellproliferation gehemmt wird54,55.
Ergänzend zu den in vitro Untersuchungen wurden, wenn man die Literatur der letzten zwei Dekaden analysiert, in klinischen Anwendungen im Rahmen randomisiert kontrollierter Studien die prophylaktische Wirkung von antiseptisch wirkenden Wundspüllösungen untersucht. In der Gesamtsicht lassen die vorliegenden Untersuchungen in ihrer Gesamtheit keinen Zweifel daran, dass antiseptische Wundspüllösungen die Infektionsrate im Vergleich zu Spülung mit Ringer- oder Kochsalzlösung reduzieren können56-64 (siehe Tabelle 3). Dabei ist sowohl für Polihexanid als auch für superoxidiertes Wasser keine Wundheilungshemmung zu befürchten. So können die teilweise bestehenden Empfehlungen vor allem US-amerikanischer Kollegen65,66, nur mit Kochsalzlösungen (und wenn nicht vorhanden: mit Leitungswasser) zu spülen und keine Antiseptika aufgrund ihrer gewebetoxischen Nebenwirkung zu verwenden, nicht übernommen werden. Vor dem Hintergrund des heutigen Erkenntnisstandes bestehen folgende prophylaktische Anwendungsmöglichkeiten für antibakteriell wirkende Spülflüssigkeiten bei schweren und kontaminierten Extremitäten-verletzungen67-69:
• Super-oxidiertes Wasser (NaOCl/HOCl) als Wundspülung (erforderliche Einwirkzeitzeit: ca. eine Minute, hohe mikrobizide Wirkung gegen Gram-negative und Gram-positive Erreger einschließlich Bakteriensporen und Viren, sehr geringe Gewebezytoxizität, Biofilmreduktion, keine nachhaltige Wirkung, kein Nachspülen mit Kochsalzlösung erforderlich, geeignet für initiale Wundspülung und Vakuumversiegelungstherapie in Kombination mit der Instillation (NPWTi) bei komplexen Weichgewebeschäden),
• Octenidin-haltige Wundspüllösungen (erforderliche Einwirkzeitzeit: ca. eine Minute, nachhaltige Wirkung, hohe mikrobizide Wirkung gegen Gram-negative und Gram-positive Erreger, geringe Gewebezytoxizität wenn Nachspülen, Biofilmreduktion, Nachspülen mit Kochsalzlösung bei zerklüfteten oder unterminierten tiefen Wunden erforderlich, geeignet für die initiale Wundspülung und NPWTi-Anwendung bei oberfächlichen glatten Wunden ohne Flüssigkeitsstau in der Wunde),
• Polihexanid-haltige Wundspüllösungen (erforderliche Einwirkzeitzeit: ca. 20 Minuten, nachhaltige Wirkung, hohe mikrobizide Wirkung gegen Gram-negative und Gram-positive Erreger, sehr geringe Gewebezytoxizität, Biofilmreduktion, kein Nachspülen mit Kochsalzlösung erforderlich, geeignet für initiale Wundspülung (!Zeitaufwand) und für NPWTi bei komplexen Weichgewebeschäden).
Gewebeprobenentnahme für die mikrobiologische Untersuchung
Es ist davon auszugehen, dass weniger als 20 % der Erreger des später auftretenden Infektes in den initialen Gewebeproben nachweisbar sind70,71. Allerdings korrelieren mikrobiologisch nachgewiesene Bakterien aus Proben zum Zeitpunkt des Wundverschlusses in einzelnen Studien mit den später ätiologisch relevanten Infektionserregern. Infektionen zu einem späteren Zeitpunkt werden häufig durch Bakterien verursacht, die nicht mehr sensibel gegenüber den initial gegebenen Antibiotika und zudem oft nosokomial erworben sind. Andere Arbeiten zeigen, dass allein der Nachweis von Mikroorganismen in Gewebeproben mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für die spätere Wundinfektion korreliert, unabhängig vom letztlich ätiologisch relevanten Erreger72.
In der Gesamtsicht der Analysen ergibt sich, dass pre-debridement Gewebeproben nicht durchgeführt werden müssen, jedoch post-debridement Gewebeproben eine diagnostische Hilfe darstellen41. Die Gewinnung von Untersuchungsmaterial für die kulturelle mikrobiologische Diagnostik (Gewebeproben aus der Tiefe des Wundgebietes, keine Abstriche) nach dem oder während des Wunddebridements sollte aber auf jeden Fall durchgeführt werden, wenn die Wundversorgung verzögert erfolgt oder die Wundverhältnisse auf eine Infektion hindeuten.
4. Wundverschlussmaßnahmen (definitiv versus temporär, Vakuumversiegelungstherapie)
Der optimale Zeitpunkt für den primären Wundverschluss offener Frakturen, bei denen ein lokaler oder freier Lappen nicht erforderlich ist (GA I, II und IIIa), wird sehr kritisch diskutiert 34,74. Einigkeit besteht dahingehend, dass ein Weichgewebeverschluss möglichst frühzeitig angestrebt werden muss, GA IIIb und IIIc Verletzungen frühzeitig nach dem ersten Debridement von Spezialisten mit entsprechender Expertise in der Knochendefekt- und Weichteilrekonstruktion behandelt werden sollen, und eine erhebliche Kontamination vor allem durch organisches Material ein wiederholtes Debridement erfordert. Eine frühe plastische Defektdeckung wirkt sich positiv auf die Infekt- und Pseudarthrosenrate aus. Die Begriffe „frühzeitig“ und „früh“ werden jedoch in vielen Literaturstellen nicht eindeutig definiert, die GA-Klassifikation wird unterschiedlich genutzt und selbst die als frühzeitiger Verschluss definierte Situation erlaubt in einzelnen Publikationen nochmals einen second look mit nachfolgendem Wiederverschluss. Selten werden das Ausmaß der Kontamination und der Energieeintrag während des Traumas exakt beschrieben. Die Literaturanalyse zeigt, dass neben der Gustilo-Anderson-Klassifikation und der Hannover-Fraktur-Skala der Ganga Hospital Open Injury Score anhand vieler relevanter Parameter (Haut-, Faszien, Muskel-Situation, Weichteilsituation zur Fraktur-Lokalisation, Knochendefektausmaß, Frakturtyp, Ausmaß Muskel- und Sehnenschaden, Zeit zwischen Unfall und Debridement, Ausmaß der Kontamination, Schwere des Gesamttraumas, Kreislaufsituation, Alter des Patienten und Komorbiditäten), in einem Score zusammengetragen, eine Entscheidungshilfe für oder gegen den Wundverschluss bietet73.
Temporärer Verschluss mittels der Vakuumversiegelungstherapie (negative pressure wound therapy, NPWT) ggf. auch kombiniert mit der Instillationsanwendung (NPWTi)
Als temporäre Wundverschlusstechnik hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Vakuumversiegelungstechnik durchgesetzt. Sie erlaubt den schnell durchzuführenden Wundverschluss, einfaches Sekretmanagement, kontinuierliches Absaugen von klein-volumigem Debris, die hygienische Versiegelung der Wunde und ein einfaches „Wiedereröffnen“ beim second look. Die Versiegelung bedingt zudem eine feuchte Wundbehandlung und verhindert somit ein Austrocknen.75 Bei der Anwendung der NPWT muss bedacht werden, dass gerade beim schweren Weichgewebe-(Extremitäten)trauma ein zu hoher Vakuumsog (>100 mmHg) vollkommen unnötig druckbedingt eine zusätzliche Einschränkung der nutritiven Perfusion (Hypoxie) erzeugt. Bei schwerer Weichgewebeschädigung (auch nach Fasziotomie) sollte ein kontinuierlicher und niedriger Sog von 75 mmHg gewählt werden. Mittels NPWT wird die Retraktion der Wundränder verhindert und der leichte Anpressdruck des Schwammes bedingt eine Minderung des interstitiellen Ödems, damit eine Verkürzung der Sauerstofftransportstrecke und daher eine verbesserte nutritive Perfusion. Der Schwamm muss nicht „angetackert“ werden. Eine Alternative zum temporären Wundverschluss besteht in einem genau auf die Defektgröße angepassten Hautanalogon (z. B. Polyurethan (Epigard®)). Die Technik stößt jedoch an ihre Grenzen bei stark sezernierenden oder massiv infizierten Wunden. Ebenfalls bewirkt sie keine Ödemreduktion, verhindert keine Kontamination und beugt der Wundrandretraktion nur sehr bedingt entgegen. In der häufigen Situation des nicht möglichen Sekundärverschlusses ist das korrekte timing der ggf. aufwendigeren Weichgeweberekonstruktion (z. B. freier Lappen) von Bedeutung für den weiteren Behandlungserfolg, vor allem bei exponierten Metallimplantaten und vorbestehender Wundinfektion76. Das zeitliche Ziel der endgültigen Deckung innerhalb von 3 - 7 Tagen kann jedoch aufgrund der physiologischen Bedingung des Schwerstverletzten und teilweise aus organisatorischen Gründen (Nichtverfügbarkeit des plastischen Chirurgen) nicht immer gewährleistet werden76,77. Die Verwendung der temporären Verschlusstechnik mittels NPWT erlaubt hier jedoch einen Aufschub um länger als eine Woche ohne negative Folgen für den letztlichen Behandlungsverlauf. Einzelne Erfahrungen überblicken tolerierte Zeitintervalle bis zum definitiven Wundverschluss von bis zu vier Wochen77,78. Bedacht werden muss, dass bei Anwendung der NPWT die Kombination mit der Instillationstechnik (NPWTi) zur Applikation von Kochsalzlösungen, Wundspülflüssigkeiten oder weitern antibakteriell wirksamen Spülflüssigkeiten eine erfolgversprechende Therapiemodifikation darstellt79-81.
Fazit für die Praxis
In der Gesamtsicht können die folgenden Empfehlungen formuliert werden. Berücksichtigt werden muss, dass diese Empfehlungen nicht alle denkbaren Situation abdecken kann und in diesem Rahmen das Thema auch nicht erschöpfend dargestellt werden kann.
• Debridement bei schwerem Extremitätentrauma mit ausgeprägter Kontamination zum frühestmöglichen Zeitpunkt im OP durch einen erfahrenen Chirurgen (nach Sicherung peripherer Perfusion und Stabilisierung des Patienten).
• Reduktion des zeitlichen Debridement-Umfangs bei schwerem Trauma (Vorrang: Lebensrettende Maßnahmen und Stabilisierung des Patienten). Hier nur grobes Debridement (eindeutig avitales Gewebe, grober Schmutz) mit second look.nach 48h
• Ein Tourniquet kann die Blutung beim Debridement mindern, allerdings die Beurteilung der Gewebedurchblutung unmöglich machen (daher nur temporärer Einsatz?, cave: Extremitäten sind „Schockorgane“, daher kann das Ausmaß der Durchblutung nach Stabilisierung des Patienten erheblich zunehmen).
• Kein prophylaktisches Ausschneiden von Hauträndern, wenn makroskopisch intakt.
• Kein zu großzügiges Ausschneiden von Fettgewebe, Faszie und Muskelgewebe.
• Traumatisiertes, aber möglicherweise überlebendes Gewebe muss bei einem second look reevaluiert werden. Bei hohem Energieeintrag und schwerer Kontamination (z. B. Explosionswunden) müssen die einzelnen Muskelbäuche evtl. einzeln bewertet werden und kontaminiertes Faszien- und Epimysiumgewebe entfernt werden.
• Schwer kontaminierte Knochenfragmente mit nur dünnem oder fehlendem Weichgewebekontakt sollen entfernt werden, denudierter Röhrenknochen verbleibt jedoch. Anliegendes Periost muss geschont werden.
• Neurovaskuläre Strukturen sollten nicht nur zur Beurteilung isoliert werden.
• Keine primäre Rekonstruktion von Sehnen und Nerven oder Muskellappen beim ersten Debridement.
• Spülung der Wunde nur mit leichtem manuellem Druck z. B. mittels Blasenspritze oder portioniertem Ausgießen aus Nierenschale (keine Jet-Lavage).
• Als Spülflüssigkeit Kochsalzlösung, Ringer-Lactat (Leitungswasser ist besser als keine Spülung), bei bakterieller Kontamination Spülung auch mit Polyhexanid, Octenidin oder Microdacyn.
• Spülflüssigkeitsmenge (keine Evidenz): Explosionstrauma neun Liter, Hochenergietrauma und high-velocity ballistisches Trauma sechs Liter, Niedrig-Energietrauma und low-velocity ballistisches Trauma, oberflächliche Wunden drei Liter. Bei zeitlich länger dauernder Spülung soll die Flüssigkeit angewärmt sein.
• Fotodokumentation nach Debridement ist für gemeinsame Überlegungen zum weiteren Vorgehen mit Plastiker zusammen sinnvoll.
• Wundverschluss bei sicherer „Dekontamination“ und Sicherheit über die Vitalität der verletzten Strukturen (meist GA I und II).
• Temporärer Verschluss mit Einlage feuchter Gaze oder Vakuumversiegelung (Vorteil: hygienischer Wundverschluss, Sekretableitung, durch leichten Druck auf das Gewebe antiödematöser Effekt). Bei einem Verdacht auf restverbleibende Kontamination: Vakuuminstillation mit einer kontinuierlichen Wundspüllösung.
• Ein second look sollte ggf. nach 48 Stunden durchgeführt werden; er muss im Sinne eines seriellen Debridements bei schwerster primärer und nicht ausreichender Dekontamination durchgeführt werden.
• Endgültiger Wundverschluss innerhalb einer Woche ggf. in Zusammenarbeit mit plastischer Chirurgie (interne Evaluierung jeder weiteren Verzögerung, mögliche Überbrückung mittels Vakuumversiegelungstherapie). z
Literatur beim Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Oberstabsarzt Dr. Dennis Vogt
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Abteilung Unfallchirurgie und Orthopädie,
Septisch-Rekonstruktive Chirurgie
Scharnhorststraße 13
10115 Berlin
E-Mail: dennis1vogt@bundeswehr.org
Oberstabsarzt Dr. med. Dennis Vogt
geb. 1975
Dienstlicher Werdegang:
- 1993: Eintritt in die Bundeswehr als Wehrpflichtiger
- 1994: Übernahme SaZ als SanOA
- 1995 - 2001: Studium der Humanmedizin, Med. Fakultät der Universität Magdeburg
- 2001 - 2003: AiP Orthopädie und Chirurgie, BwK Berlin
- 2004 - 2006: Truppenarzt Stallberg
- 2006 - 2011: Assistenzarzt Orthopädie und Unfallchirurgie, BwK Berlin
- 2011: Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
Derzeitige Verwendung:
Oberarzt, Abteilung für Unfallchirurgie, Orthopädie, Septisch-Rekonstruktive Chirurgie, BwKrhs Berlin
Auslandseinsätze:
EUFOR, KFOR, ISAF
Datum: 19.07.2016
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/2