Wir lassen keinen hängen!
Die Ausbildung am Ausbildungszentrum für Arbeiten und Retten an hoch- und tiefgelegenen Arbeitsplätzen in Lagerlechfeld / Bayern
Aus der Schule für Informationstechnik der Bundeswehr (Kommandeur: Brigadegeneral F. Schlösser)
Die Ausbildung ist dabei streng nach den Normen, Vorschriften und Verfahren der Industriekletterausbildung ausgerichtet. Die Lehrgangsteilnehmer/-innen setzten sich dabei aus allen Bereichen der Streitkräfte sowie zivilen Mitarbeitern des Bundes und der BwDLZ zusammen.
Sie erlernen dabei nicht nur das Anlegen der verschiedenen Gurtsysteme sowie das sichere Verhalten in Höhen, sondern auch den Umgang mit Rettungsgeräten verschiedener Hersteller bei aktiven und passiven Rettungen. Weiter sind sie in der Lage, die dabei eingesetzten Materialien sachkundig zu prüfen und zu bewerten.Die Praxisausbildung wird dabei in einem umgebauten Wasserturm durchgeführt, der mit sämtlichen in der Bundeswehr verwendeten Steigleitersystemen sowie Dach- und Plattformsystemen, Gerüsten und verschiedenen Schacht- und Tiefenzugängen ausgestattet ist.
Ein weiteres Ausbildungsfeld ist das Erlernen der Rettungstechniken von nicht hängenden verunfallten Personen aus Höhen und Tiefen mittels Rettungstragen sowie deren anschließende lagerichtige Verbringung in einen Rettungshubschrauber.
Gefährdungen beim Arbeiten an hoch- und tiefgelegenen Arbeitsplätzen
Eine der Hauptgefährdung beim Arbeiten an hoch- und tiefgelegenen Arbeitsplätzen liegt bei Unfällen mit anschließendem Hängen an Steigleitern oder frei im Seil. Dieses lange bewegungslose Hängen kann dabei zum Hängetrauma (oder orthostatischer Schock) führen. Mögliche Ursachen für ein regungsloses Verharren können beispielsweise neben einem Unfall mit Absturz auch Erschöpfung, Unterzuckerung, Unterkühlung, technische oder psychische Probleme sein.
Einer der schwersten Unfälle mit anschließenden freien Hängen im Seil ereignete sich im Oktober 2007 durch den Zusammenbruch einer Stahlkonstruktion beim RWE Kraftwerksbau in Grevenbroich.
Entstehung des Hängetraumas
Beim freien Hängen in einem Gurtsystem ist einerseits im Falle einer Überforderung (Dekompensation) der orthostatischen Gegenregulationsmechanismen (Auftreten einer orthostatischen Synkope) eine Änderung der aufrechten Körperposition und damit eine Rückbildung der schwerkraftbedingten Veränderungen in aller Regel nicht möglich und andererseits fehlt dabei auch ein „Gegendruck“ auf die Füße, um den venösen Rückfluss durch eine Anregung der Muskelpumpe zu verbessern und damit das Herzschlagvolumen zu erhöhen. Im weiteren Verlauf „versackt“ das Blut zunehmend in den herabhängenden Körperteilen, wodurch längstens binnen einer halben Stunde ein lebensbedrohlicher (orthostatischer) Schock und eine anhaltende Sauerstoffminderversorgung des Gehirns eintreten. Erschwerend können schwerkraftbedingte Einschnürungen der Extremitäten durch das Gurtsystem im Sinne eines unblutigen Aderlasses oder gar eines Tourniquet-Syndroms und eine Varikosis hinzukommen. Letztlich entwickelt sich also eine Umverteilung des Blutes, die anfänglich zwar lediglich zu einer Überforderung der orthostatischen Gegenregulationsmechanismen des Körpers führt, in deren weiterem Verlauf jedoch ein so relevanter funktioneller Volumenmangel entsteht, dass sich ein Schockzustand in lebensbedrohlichem Ausmaß entwickelt.Aus diesem Grund muss nach internationalem Standard jederzeit sichergestellt werden, eine in ihrem Gurtsystem hängende Person innerhalb von 20 Minuten aus der hängenden Position zu retten.
Bei der Bundeswehr erfolgt diese Rettung aus einsatztaktischen Erwägungen immer auf den Boden, um so den medizinischen Einsatzkräften eine schnellstmöglichste Versorgung des Patienten zu ermöglichen.
Verfasser:
Oberstabsfeldwebel Ralph Schmid
Fachbereichsleiter Wartung & Instandsetzung und Höhenrettung
Schule für Informationstechnik der Bundeswehr
VI. Inspektion
Landsberger Straße 3
86836 Lagerlechfeld
E-Mail: RalphSchmid@bundeswehr.org
Herkunft der Abbildungen:
OSF Schmid, ITSBw (1 - 6)
Unfall Grevenbroich – Mittelbayerische.de (7)
Datum: 01.11.2018
Quelle:
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2018
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2018