Die NATO Response Force (NRF) 2022–2024 ist aufgestellt und steht in diesem Jahr in der Stand By Phase der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) bereit. Die zugehörigen Anteile des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (SanDstBw) wurden zertifiziert und erfüllen ihren Auftrag – die sanitätsdienstliche Unterstützung der VJTF 2023 – mit einer Einsatzbereitschaftszeit von zwei bis sieben Tagen. Das Dispositiv des SanDstBw ist mit rund 2 100 SoldatInnen wesentlicher Bestandteil der VJTF und leistet seinen Beitrag zur Auftragserfüllung und wirksamen Abschreckung gegen Bedrohungen der NATO im 360 Grad Ansatz.
Aufgrund des erheblichen Umfangs des Kräftedispositivs war die Einsatzvorbereitung unter Pandemiebedingungen eine enorme Herausforderung für alle Bereiche des SanDstBw, da diese neben der Pandemiebekämpfung auch zeitgleich in der Gesundheitsversorgung der SoldatInnen im Inland, der Realversorgung der Truppe bei ihren Übungen und Ausbildungsvorhaben sowie in den aktiven Auslandseinsätzen gebunden waren.
Die Rettungskette – unter größtmöglichem Schutz bis zur Behandlungseinrichtung
Die sanitätsdienstliche Unterstützung (sandstl Ustg) wird prima vista oft mit den Rettungsmitteln und Behandlungseinrichtungen der Behandlungsebene 1 in Verbindung gebracht. Die Qualität des Rettungsmittels, also der Patiententransportfahrzeuge und ihrer Besatzungen mit Notärzten und Notfallsanitätern, ist ein entscheidender Faktor für die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patienten.
Hierbei bedarf es für den SanDstBw der Verfügbarkeit von Fahrzeugen, die auf der einen Seite über das gleiche Schutzniveau und die gleiche Beweglichkeit verfügen wie die zu unterstützende Truppe und auf der anderen Seite über die vergleichbare medizinische Ausstattung eines zivilen Notarztwagens. Diese Fahrzeuge sind jedoch noch nicht in ausreichender Stückzahl verfügbar, sodass Ersatzlösungen gefunden werden mussten. Bei der Planung der sandstl Ustg wurde also bewusst zwischen dem begrenzt verfügbaren geschützten und dem ungeschützten qualifizierten Patiententransport abgewogen. Letztlich konnte ein guter Kompromiss erarbeitet und somit eine bruchsichere und belastbare Rettungskette ausgeplant werden.
Von dem Verwundetensammelplatz über die notfallmedizinische Behandlung in einer Rettungsstation (Role 1) und den folgenden Weitertransport zu den notfallchirurgischen Einrichtungen der Behandlungsebene 2 (Role 2) erfolgt der Transport in geschützten Fahrzeugen, sodass Patienten und sanitätsdienstliches Personal in diesem Teil der Rettungskette den bestmöglichen Schutz erhalten.
Die Folgetransporte zu den höheren Behandlungseinrichtungen der Ebenen 2 und 3 bzw. zu einer strategischen Evakuierung stellen für Patienten im behandelten Zustand und begleitende Rettungskräfte im rückwärtigen Gefechtsraum grundsätzlich eine geringere Bedrohung dar.
Eine Verlegung in leicht geschützten oder ungeschützten Patiententransportfahrzeugen sowie mittels medizinischen Lufttransports ist somit, bis zu einer künftigen vollumfänglichen Verfügbarkeit der notwendigen geschützten Fahrzeuge, zur vorübergehenden Kompensation dieser Fähigkeitslücke möglich.
Sanitätsdienst – Leben retten unter allen Bedingungen
Dass die Ausstattung mitunter teils etwas in die Jahre gekommen ist, wird niemanden mehr überraschen. Der SanDstBw steht damit vor der Herausforderung, die sanitätsdienstliche Versorgung nach den aktuellen medizinischen Standards mit dem verfügbaren Gerät unter teils widrigen Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Durch den sehr guten fachlichen Standard des medizinischen Personals sowie das hohe Engagement der eingesetzten SoldatInnen wird, gepaart mit einigem Improvisationstalent, diese Leistung durch den SanDstBw erbracht. Alle Angehörigen der Bundeswehr können sich auf einen Sanitätsdienst verlassen, der das Mögliche tut um ihnen im Fall der Fälle das Leben zu retten und ihre Gesundheit zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Für den Auftrag zur Unterstützung des Dispositivs NRF 2022–2024 wurden aus dem verfügbaren Material, welches im Wesentlichen aus Containern besteht, die notwendigen Behandlungseinrichtungen zusammengestellt. Diese brauchen den Vergleich mit der Qualität eines zivilen Kreiskrankenhauses nicht zu scheuen.
Die Behandlungsleistungen können auch mit zeltbasierten Einrichtungen gewährleistet werden, die zwar eine geringere Durchhaltefähigkeit besitzen, dafür aber wesentlich flexibler verlegbar sind. Hier gilt es, den benötigten Kompromiss zwischen Mobilität und Leistungsfähigkeit zu finden, um dem beweglich geführten Gefecht folgen zu können und die Behandlungseinrichtungen so nah wie möglich an den Ort des Geschehens zu bringen.
Durch die Verkürzung der Wege wird die Patiententransportorganisation entlastet und gleichermaßen die Überlebenswahrscheinlichkeit der uns anvertrauten Patienten erhöht. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und der modernen, beweglich geführten Kriegsführung setzt der Sanitätsdienst zukünftig immer mehr auf hochmobile und geschützte Lösungen wie Behandlungseinrichtungen in Zelten oder auf Fahrzeugen im aufgesetzten Betrieb.
Zusätzlich kann der Sanitätsdienst auch auf Spezialfähigkeiten für besondere atomare, biologische und/oder chemische Bedrohungslagen zurückgreifen. Hierfür wurden separate Patientendekontaminationseinrichtungen konfiguriert, die im Bedarfsfall die Dekontamination am Patienten so schonend wie möglich und dennoch gründlich vornehmen können.
Herausforderungen in der Blutversorgung
In einer Einrichtung der Behandlungsebene 2 angekommen, bedürfen die meist operationspflichtigen Patienten dann oft der Gabe von Blutkonserven oder Blutprodukten. Diese stehen schon in Friedenszeiten kaum in dem erforderlichen Umfang zur Verfügung. Da die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) in den letzten fast 30 Jahren etwas aus dem Fokus geraten war, wurde die bundeswehreigene Blutversorgung, also der Blutspendedienst der Bundeswehr, signifikant reduziert.
Konnte vorher der Bedarf an Blutprodukten für die Auslandseinsätze der Bundeswehr unter Abstützung auf das Deutsche Rote Kreuz noch zu 100 % gedeckt werden, stehen wir heute vor einer großen Herausforderung, um in einem Szenar der LV/BV mit um Potenzen höherem Bedarf ausreichend davon zur Verfügung zu haben. Hierfür wurden in einer eigens dafür etablierten Arbeitsgruppe Lösungsoptionen untersucht, um die suffiziente Versorgung der SoldatInnen dennoch sicherzustellen. Unter anderem wurde ein Verfahren für eine mögliche Warmblutspende etabliert und das dafür erforderliche Material beschafft. So wird durch einen Mix an Handlungsoptionen, wie das Sammeln von Blutspenden durch die eigene Blutspendeorganisation, dem Zukauf von zivilen Beständen sowie der Möglichkeit von Warmblutspenden, realisiert, die erforderlichen Mengen an Blutprodukten für die NRF 2022–2024 zu generieren.
Medizinisches Fachpersonal – die Garanten der qualifizierten Versorgung
Der SanDstBw ist mit seinen fünf Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs), welche die abschließende Behandlungsebene 4 bilden, als Teilhaber in das nationale Gesundheitssystem integriert. Diese Einrichtungen müssen zugleich auch das medizinische Fachpersonal für die mobilen Behandlungseinrichtungen im Einsatz bzw. im Gefechtsgebiet bereitstellen. Durch den täglichen realen Versorgungsbetrieb der BwKrhs ist das Fachpersonal bestens auf seinen Einsatz vorbereitet. So können auch kontinuierlich die notwendigen Kompetenzen der medizinischen Fachkräfte auf höchstem Niveau gehalten werden.
Der Abzug von Personal aus den BwKrhs zum Einsatz in den mobilen Behandlungseinrichtungen bedeutet jedoch auch immer eine verringerte kapazitive Leistungsfähigkeit dieser Behandlungsebene, die dann durch zivile Einrichtungen kompensiert werden muss. Den BwKrhs kommt dann im Clusterprinzip zudem die Rolle der Patientensteuerung im Inland zu. Der aktuelle Auftrag der sanitätsdienstlichen Unterstützung der NRF 2022–2024 bindet einen sehr großen Teil des fachlichen Personals und führt somit zu einer kontinuierlich notwendigen Priorisierung in der Ressourcenplanung. Die aktuelle Verpflichtung der VJTF 2023 genießt hier eindeutig eine hohe Priorität.
Unterstützung durch zivile Strukturen
Das zivile Gesundheitssystem in Deutschland ist auf ein Kriegsszenario noch nicht in Gänze vorbereitet, obschon die organisatorischen und medizinischen Strukturen durch die COVID-19-Pandemie verbessert wurden. Zudem wurde eine grundsätzliche Befähigung zum Management von Massenanfällen an Verletzten/Verwundeten mit entsprechenden Leitstellen für Großschadensereignisse und das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) etabliert. Rettungs- und Pflegedienste, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen können im Verbund betrachtet durchaus einer Vielzahl möglicher Patienten versorgen. Die Strukturen berücksichtigen gleichwohl noch nicht in ausreichendem Maße die benötigten Unterstützungsleistungen des SanDstBw hinsichtlich Patientensteuerung, Lazarettorganisation, Dokumentation und Meldewesen.
Erste Ansatzpunkte und ressortübergreifende Gespräche wurden bereits initiiert. Mit den durch den aktuellen Ukraine-Konflikt zu erwartenden ukrainischen Patienten wurde nun, schneller als erwartet, eben diese interdisziplinäre Struktur etabliert. Der SanDstBw, im Schwerpunkt Personal zur Patientensteuerung aus dem Patient Evacuation Coordination Centre, wurde bereits Ende März 2022 in das GMLZ des Bundesamtes für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz integriert. Dadurch wurden Prozesse und Kommunikationswege in das zivile Gesundheitssystem eingerichtet und überprüft. Das bereits etablierte Kleeblatt-System markiert somit eine Methode für die Rückführung und Verteilung verwundeter SoldatInnen von den vorderen Behandlungsebenen 2 und 3 hin zur endgültigen Kuration und Nachbehandlung sowie Rehabilitation in der Ebene 4 in Deutschland.
Fazit
Die Verpflichtung Deutschlands gegenüber der NATO zur Bereitstellung einsatzbereiter Kräfte für die VJTF bedeutet auch, deren sandstl Ustg im Ernstfall von der Kampfzone bis zur Rückführung ins Heimatland vollumfänglich sicherzustellen. Die Rettungskette für die VJTF 2023 ist robust aufgestellt und belastbar. Suffiziente Strukturen zur Aufnahme von vielen Patienten im Heimatland stehen bereit und werden weiterentwickelt. Die Erfahrungen aus diesem Auftrag gilt es nun, für zukünftige Aufträge des SanDstBw zu nutzen und die Kapazitäten zur medizinischen Versorgung der SoldatInnen in den Behandlungseben 1 bis 4 durch die Gewinnung von zusätzlichem Fachpersonal sowie die Beschaffung des notwendigen Materials zu erweitern.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2023
Hauptmann D. Holzhauser
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Von-Kuhl-Straße 50
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E-Mail: DanielHolzhauser@bundeswehr.org