25.01.2019 •

    „Körperlich habe ich auch keine Probleme, außer ab und zu im Kopf“ - Subjektive Krankheitskonzepte ehemaliger Bundeswehrsoldaten: Eine -qualitative Datenanalyse

    Aus der Klinik für Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Mitte¹ (Klinikdirektor Prof. Dr. Dr. A. Heinz) der Charité – -Universitätsmedizin Berlin – und dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr² (Leiter: Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. P. Zimmermann) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Kommandeur und Ärztlicher Direktor: Admiralarzt Dr. K. Reuther)

    Simone Dors¹, Gerd D. Willmund², Katrin Schuy¹, Loni Brants¹, Marie Horzetzky¹, Peter L. Zimmermann², Andreas Ströhle¹, Heinrich Rau²*, Stefan Siegel¹*

    Zusammenfassung

    Hintergrund: Subjektes Erleben von Krankheit spielt für den Verlauf, die erfolgreiche Behandlung und das Therapie-Inanspruchnahmeverhalten eine wichtige Rolle.

    Methode: 43 Probanden wurden in offenen Interviews bezüglich ihrer Erfahrungen bei der Bundeswehr und dem anschließenden Wechsel ins zivile System befragt. Die Daten wurden qualitativ ausgewertet. Besonderes Augenmerk galt der Analyse subjektiver Krankheitskonzepte der interviewten ehemaligen Soldatinnen und Soldaten.

    Ergebnisse: Krankheitskonzepte und das subjektive Erleben von Krankheit ehemaliger Bundeswehrsoldaten/-soldatinnen lassen sich in Hinblick auf die fünf Aspekte ‚Krankheitsur-sache‘, ‚Behandlungsinitiative‘, ‚Verantwortlichkeit‘, ‚Kon-trollüberzeugung‘ und ‚Behandlungserwartung‘ kategorisieren. Die unterschiedlichen Zusammenhänge dieser Aspekte führen schließlich zu zwei Prototypen der Krankheitsverarbeitung. Die beiden Prototypen sind mit unterschiedlichen Präferenzen in der angestrebten Therapieart assoziiert (somatisches Krankheitskonzept => somatisch-medikamentöse Behandlungspräferenz, psychosoziales Behandlungskonzept => psychotherapeutische Behandlung). Außerdem fand sich eine Assoziation zwischen Krankheitskonzept und angestrebter beruflicher Perspektive.

    Diskussion und Schlussfolgerungen: Die gefundenen Assoziationen zwischen subjektivem Krankheitskonzept und Therapiepräferenz machen deutlich, dass ein Wissen um die subjektiven Krankheitskonzepte wichtig für die Therapieplanung und -durchführung sein kann und bei diesen berücksichtigt werden sollten. Ein eher optimistisches Krankheitskonzept und eine aktiv-internale Einstellung wirkten sich innerhalb unserer Gruppe an Befragten positiv auf den Krankheitsverlauf aus.

    Schlüsselworte: ehemalige Bundeswehrsoldaten, Subjektive Krankheitskonzepte, Compliance, Inanspruchnahmeverhalten, Qualitative Methoden

    Summary

    Background: Subjects’ experience of illness plays an important role in the progression, successful treatment, and consumption of health care. 

    Methods: Qualitative interviews with 43 former German soldiers were conducted and their attitudes towards health, mental illness, and use of health care services were analyzed. 

    Results: The subjective experience of illness and disease concepts of former soldiers of the Bundeswehr can be categorized into five aspects: ‘Cause of disease’, ‘treatment initiative’, ‘attribution’, ‘locus of control’ and ‘treatment expectations’. The different interrelationships of these aspects ultimately lead to two prototypes of disease processing. Theses prototypical disease concepts are associated with different preferences of the desired type of therapy (somatic concept => somatic treatment preference, psychosocial treatment concept => psychological counselling or therapy) as well as different occupational aims.

    Discussion and conclusions: The results show that disease concepts are closely linked to therapy motivation and adherence and allow conclusions to be drawn about them. In addition, we found an association between the concept of illness and the aspired professional perspective. These associations stress that knowledge of subjective disease concepts can be important for therapy planning and implementation and should be taken into account. A rather optimistic disease concept and an active-internal attitude have a positive effect on the course of the disease.

    Keywords: former German soldiers, subjective illness representations, compliance, help-seeking, qualitative methods

    Einleitung

    Ob man sich im Falle einer Krankheit Hilfe holt oder nicht, hängt von verschiedensten Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören auch die individuellen, subjektiven Konzepte von Krankheit und Gesundheit. „Subjektive Krankheitskonzepte“ können definiert werden als die „Summe aller Meinungen, Deutungen, Erklärungen und Vorhersagen bezüglich Störungen des Gesundheitszustandes eines Menschen“ [1]. Subjektive Krankheitskonzepte haben eine hohe Relevanz bezüglich der Compliance [1, 2, 3], des Verlaufs und der Behandlungseffektivität [4] sowie für die Symptomwahrnehmung und Behandlungserwartung [5]. Auch haben sie direkten Einfluss auf die emotionale Reaktion einer Person, ihre Erkrankung und Coping-Mechanismen sowie ihr Inanspruchnahmeverhalten psychosozialer Dienstleistungen [6]. Krankheitskonzepte und Behandlungserwartungen stehen in einem engen Zusammenhang [7]. So erwartet ein Patient/eine Patientin, der/die sich eine Störung organisch erklärt, eher eine somatische Behandlung [8]. Ein Verständnis für das subjektive Erleben von Krankheit ist unabdingbar für einen guten therapeutischen Beziehungsaufbau [7, 9]. KIRMAYER und SATORIUS [10] postulieren, dass verschiedene kulturelle und soziale Gruppen auch ein unterschiedliches Verständnis von Krankheit, Krankheitssymptomen und daraus resultierendem Verhalten haben. Erste Untersuchungen zum Zusammenhang von subjektiven Krankheitskonzepten und der Inanspruchnahme von Hilfe im militärischen Kontext zeigen die Wichtigkeit des Verständnisses dieser Zusammenhänge und ihre Relevanz für Interventionen. So fanden SPOONT, SAYER und NELSON [11] heraus, dass ehemalige US-Soldaten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die ein psychosoziales Krankheitskonzept haben, sich beispielsweise eher für eine Psychotherapie entscheiden.

    Vor diesem Hintergrund untersuchten wir die subjektiven Krankheitskonzepte von ehemaligen deutschen[2]Bundeswehrsoldaten#, da diese bisher unserem Wissen nach nicht untersucht worden sind. Dies ist von besonderem Interesse, da viele Soldaten, welche die Kriterien einer psychischen Erkrankung erfüllen, KEINE professionelle Hilfe in Anspruch nehmen [12, 13]. Für bisher wenig erforschte Gegenstandsbereiche und die Untersuchungen von subjektiven Meinungen, Deutungen und Erklärungen eignen sich qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung in besonderem Maße [14, 15], da sie im Gegensatz zu quantitativen Verfahren, die bereits bestehende Vorannahmen überprüfen, tiefere Einblicke in die Gedankenwelt der Interviewpartner zulassen und der Exploration bisher noch unbekannter Phänomene und der Hypothesenbildung dienen.

    Methode

    Mit Unterstützung des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (BwKrhs) und durch einen Aufruf in den sozialen Medien wurden 103 potenzielle Teilnehmende identifiziert, die die Einschlusskriterien „ehemalige Angehörige der Bundeswehr“ und „Teilnahme an mindestens einem Auslandseinsatz“ erfüllten (das Vorliegen einer Erkrankung war weder ein Einschluss- noch ein Ausschlusskriterium). Von diesen waren im weiteren Verlauf 5 nicht mehr kontaktierbar. Mit den verbleibenden 98 wurden (fern-) mündliche Kurzinterviews durchgeführt. Hierbei wurden Motivation zur Teilnahme, soziodemografische Angaben sowie Verfügbarkeit für die weitere Studie erfragt und die Einschlusskriterien nochmals überprüft. Um eine möglichst breite Datenbasis zu erreichen wurden 43 Interviewpartner für Gespräche nach folgenden Prinzipien ausgewählt:

    • Aus pragmatischen Gründen und um das erste Datenmaterial zu generieren wurden zu Beginn Gespräche mit Personen geführt, die sich im BwKrhs Berlin in psychiatrischer Behandlung befanden („opportunistic samplings“ [16]).
    • Später wurden, aufbauend auf den im Rahmen der Datenanalyse erarbeiteten Überlegungen, weitere nicht mit dem BwKrhs assoziierte Interviewpartner ausgewählt („theoretical sampling“ [17] und durch Mitglieder des Projektes größtenteils in deren privatem Umfeld besucht und interviewt.
    • Bei dieser Auswahl wurde auch auf eine möglichst breite Heterogenität innerhalb der von uns untersuchten Gruppe geachtet; so wurde z. B. das Sample im Verlauf der Interviews anhand kontrastierender Merkmale vervollständigt. Es spielten dabei Faktoren wie Alter, Familienstand, Migrationshintergrund, Dienstgrad, Organisationsbereich, Einsatzerfahrung und -länder, bestehende oder nicht bestehende Traumafolgestörung, aktuelle psychosoziale bzw. Symptom-Belastung, Krankenhausaufenthalt und Therapieerfahrung eine Rolle (Tabelle 1).


    Tab. 1: Soziodemografische Daten der Interviewten (n = 43)

    Einbezogene Interviews

    - davon weiblich

    - davon männlich

    43

    4

    39

    Alter (Jahre)

    - Altersspanne

    - Altersdurchschnitt

    - Standardabweichung


    29-69

    40,4

    12,3

    Erwerbsstatus

      • erwerbstätig

      • arbeitssuchend

      • sonstiges (z. B. krank, Student)


    25

    4

    14

    Dienstgrad

    - Mannschaftsdienstgrad

    - Unteroffizier

    - Leutnant/Oberleutnant

    - Hauptmann

    - Stabsoffizier


    6

    30

    3

    3

    1

    Organisationsbereich

    - Heer

    - Marine

    - Luftwaffe

    - Streitkräftebasis (SKB)

    - Zentraler Sanitätsdienst (ZSanDst)

    - Wehrverwaltung


    23

    6

    2

    5

    5

    2

    Teilnahme an Auslandseinsätzen: 

    (Einsatztage 90-2190)

    - 90-300 Einsatztage

    - 301-600 Einsatztage

    - mehr als 600 Einsatztage



    27

    8

    8

    Gesundheitsstatus

    - Diagnose einer psychischen Erkrankung

    - Symptome einer psychischen Erkrankung ohne Diagnose

    - ohne Symptome einer psychischen Erkrankung


    24

    9

    10

    Inanspruchnahme von medizinischer/ psychotherapeutischer Hilfe

    - im Krankenhaus

    - ambulant

    - keine Inanspruchnahme



    22

    2

    19


    Nach insgesamt 43 Interviews wurde die theoretische Sättigung erreicht, d. h. durch weitere Interviews konnten keine zusätzlichen Aspekte generiert werden, sodass die Datenerhebung beendet wurde.

    Datenerhebung

    Aufbauend auf Ergebnissen von zuvor geführten Experteninterviews [18] entwickelten wir zunächst Fragen für einen Interviewleitfaden. Da der Erzählimpuls der Interviewpartner durch eine zu starke Vorstrukturierung stark gehemmt wurde, begannen wir nach fünf semistrukturierten Interviews die Gespräche mit der eher offenen, erzählimpulsstimulierenden Eingangsfrage:

    „Wir sind an Ihrer Geschichte bei der Bundeswehr interessiert. Von besonderem Interesse sind für uns beispielsweise Ihre Auslandseinsätze. Wie war es für Sie vor Ort, wie war es, wieder nach Hause zurück zu kehren? Wie haben Sie Ihr Ausscheiden aus der Bundeswehr erlebt, wie war für Sie die Umstellung ins zivile Leben?“

    Die weitere Datenerhebung erfolgte somit in Form von deutlich offener gehaltenen, persönlichen Interviews. Die stimulierende Einstiegsfrage motivierte die Interviewpartner zu narrativen Beiträgen von einer durchschnittlichen Länge von 52 Minunten. Erst nach Beendigung des ersten Erzählimpulses durch den Interviewpartner wurden bei Bedarf weitere Fragen gestellt.

    Die Gespräche wurden von zwei der Autoren gemeinsam geführt, und der gesamte Gesprächsverlauf als MP3-Datei aufgezeichnet. Die Aufzeichnungen wurden anschließend von einem Transkriptionsservice in eine verschriftlichte Form gebracht (transkribiert). Für diese Verschriftlichung wurde ein einfaches Transkriptionssystem gewählt [19].

    Jedes Interview wurde zeitnah im Rahmen einer teaminternen Forschungsintervision analysiert und interpretiert, um neue Aspekte berücksichtigen und eine theoretische Sättígung der Daten überprüfen zu können sowie das theoretische Sampling auf Basis der erhobenen Daten voranzutreiben.

    Datenanalyse

    Der methodische Auswertungsprozess war durch einen Wechsel zwischen offenem, axialem und selektivem Kodieren, induktivem und deduktivem Denken sowie von Phänomen- und Modellbeschreibung gekennzeichnet. Erst nach und nach bildeten sich vorläufige Annahmen heraus. Erst zur Erarbeitung der Ergebnisdarstellung wurden feststehende Begriffe aus Sekundärtheorien, wie z. B. die Kontrollüberzeugung aus behavioraler Sicht [20], die Attributiontheorie nach HEIDER und Erweiterungen nach WEINER und -HERKNER [21], und Krankheitskonzepte nach -LINDEN [1], der wie in der Einleitung schon erwähnt unter Krankheitskonzepten die Summe aller Meinungen, Deutungen, Erklärungen und Vorhersagen bezüglich Störungen des Gesundheitszusatndes eines Menschen versteht, benutzt. Gerade die Validierungsprozesse in der Forschungsgruppe gestalteten sich als ein sehr wichtiges Element zum bewussten, reflexiven, flexiblen und selbstkritischen Umgang mit dem Datenmaterial. Um eine analytische Distanz zu bewahren, war eine wiederkehrende Reflexion der Präkonzepte und des Erfahrungswissens der forschenden Teil des analytischen Prozesses.

    Ergebnisse

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    Abb. 1: Zum besseren Verständnis für den Leser werden hier subjektive Krankheitskonzepte ehemaliger Bundeswehrsoldaten als Fragen formuliert dargestellt.
    Die 43 interviewten ehemaligen Bundeswehrsoldaten (39 männlich, 4 weiblich) waren zwischen 29 und 69 Jahre alt, das Durchschnittsalter lag bei 40,4 Jahren. Von den Interviewten gaben 24 das Vorliegen einer psychiatrischen Diagnose an. Ein Interviewpartner ahnte, dass mit ihm „etwas nicht stimme“ und sah die Teilnahme an der Studie als ersten Schritt, seine psychischen Probleme anzugehen. Alle 18 weiteren Interviewpartner gaben selbst keine diagnostizierte psychiatrische Erkrankung an.

    Aus den Daten ergab sich eine Einteilung des subjektiven Erlebens von Krankheit in die fünf Aspekte ‚Krankheitsursache‘, ‚Behandlungsinitiative‘, ‚Verantwortlichkeit‘, ‚Kontrollüberzeugung‘ und ‚Behandlungserwartung‘. Diese fünf Aspekte werden hier zum besseren Verständnis für den Leser in Form einer Frage dargestellt. (Abbildung 1). Jeder einzelne der fünf Aspekte ist als Kontinuum zu verstehen, wobei die zwei protoytpischen Extrempositionen in Abbildung 1 dargestellt sind. Während des Analyseprozesses wurden die Aspekte bis zum Schluss erweitert und überprüft, bis eine theoretische Sättigung erreicht wurde. Während es Interviewpartner gab, die ihren Schilderungen, ihrem Erleben und unseren Beobachtungen nach konstant eher auf der linken oder rechten Seite der Abbildung zu verorten waren, also dauerhaft entweder Protoytp 1 oder Prototyp 2 entsprachen, fanden bei einigen Interviewpartnern Veränderungen, d. h. Positions-/Typenwechsel im Verlauf der Erkrankung und/oder Therapie statt: „Wenn ich ein bisschen mehr Ahnung über die Krankheit gehabt hätte, heute würde ich sagen: „Na klar! Die PTBS.“ […]“

    Obwohl die Aspekte generell unabhängig voneinander zu betrachten sind, gab es Hinweise auf spezifische Zusammenhänge zwischen einzelnen Aspekten und/oder Positionen. Im folgenden Abschnitt sollen diese erläutert werden:

    Die Erklärung der Krankheitsursache schien sich in der Gruppe unserer Interviewpartner maßgeblich auf das Hilfesuchverhalten auszuwirken. Während Interviewpartner, die ein gestörtes Befinden auf eine psychische Erkrankung zurückführten, sich aktiv psychosoziale Hilfe suchten (und diese meist auch fanden), mussten diejenigen, die keine Vorstellung von Krankheit auf psychosozialer Ebene hatten, erst durch ihr Umfeld animiert werden, sich entsprechende professionelle Unterstützung zu suchen. Teilweise bedurfte es der Drohung mit Konsequenzen, um die Hilfesuche zu initiieren. Die Betroffenen waren dabei oft sehr lange fixiert auf Maßnahmen wie die rein körperliche Abklärung der Beschwerden oder die (Selbst-) Verschreibung von Medikamenten.

    Ein anderer Zusammenhang betrifft die angenommene Krankheitsursache, die Verantwortlichkeit und die Präferenz einer Behandlung innerhalb des Systems Bundeswehr: Wenn die Verursachung der Störung einem belastendes Ereignis bei der Bundeswehr zugeschrieben wurde, erschien es den Betroffenen oftmals hilfreich, wenn der Arzt oder Therapeut über gute Kenntnisse über das militärische Umfeld verfügte. Die Behandlung im zivilen Bereich wurde dann häufiger als schwierig erwartet bzw. erlebt. Oft wurde hier geäußert, dass der zivile Gesundheitssektor überfordert sei und zivile Hilfeanbieter nicht wüssten, wie mit ehemaligen Soldaten umzugehen sei.

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    Abb. 2: Schlussfolgerungen der Teilnehmenden in Bezug auf die eigene berufliche Zukunft
    Ein weiterer Zusammenhang scheint zwischen Kontrollüberzeugung und Erwartung an die Behandlung zu bestehen. Während sich einige Interviewpartner mit den gegebenen Umständen arrangierten und ihre eigene Handlungskompetenz als heilungsfördernd erlebten, machten andere in erster Linie die äußeren und sozialen Umstände für den Krankheitsverlauf und/oder ihr Befinden verantwortlich. So zeigten sich auch teilweise negative Erwartungen an die Behandlung oder deren Erfolg wurde von äußeren Umständen (z. B. nur einem bestimmten Arzt) abhängig gemacht.

    Die Interviewpartner unterschieden sich nicht nur in Bezug auf ihr subjektives Erleben von Krankheit, sondern sie zogen auch unterschiedliche Schlussfolgerungen für ihre Zukunft (Abbildung 2). Dabei sahen die einen ihre Zukunft eher im zivilen Umfeld und bemühten sich auch eigenständig um eine berufliche Eingliederung in den zivilen Sektor. Im Gegensatz dazu sahen andere ihre Zukunft eher innerhalb der Bundeswehr und erwarteten sich auch von dieser entsprechende Unterstützung und Absicherung.

    Letztlich ergaben unsere Analysen, dass einige Interviewpartner typische Muster des subjektiven Erlebens von Krankheit zeigten. Sie befinden sich im Hinblick auf die beschriebenen Aspekte mehr oder weniger durchgehend auf der linken (Prototyp I) bzw. rechten (Prototyp II) Seite des in Abbildung 3 dargestellten Modells.

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    Abb. 3: Kernmerkmale der Prototypen I und II des Modells
    Prototyp I sucht sich selbst Hilfe, hat ein eher psycho-sozial geprägtes Krankheitsverständnis, sieht die -Ursache seiner Zustandsveränderung in einem konkreten Ereignis während des Einsatzes und sich selbst als (mit-)verantwortlich für seine Genesung. Er bereitet sich auf die Herausforderungen des Zivillebens vor, denn der Verbleib bei der Bundeswehr wird nicht angestrebt; teilweise wird dieser sogar als krankheitserhaltender Faktor empfunden.

    Der Prototyp II hingegen hat ein biologisch geprägtes Krankheitsverständnis. Er braucht eher einen Anstoß von außen, um seine Zustandsveränderung wahrzunehmen und zu akzeptieren; er gibt der Institution Bundeswehr als solches die Schuld für die Erkrankung und macht den Krankheitsverlauf in erster Linie von externen Faktoren abhängig. Trotzdem sieht er seine Zukunft bei der Bundeswehr; er kann sich nicht vorstellen, die Herausforderungen des Überganges ins Zivilleben zu bewältigen. Er gibt an, dass er mit der einsatzbedingten Erkrankung im Zivilleben keine Chance habe, da er durch diese nicht mehr über genügend Ressourcen für das zivile Leben verfüge. Nicht nur die Erkrankung selbst wird in die Ursachenzuschreibung einbezogen, auch die nicht immer unbedingt primär krankheitsbedingten Erfahrungen im Rahmen des Krankheitsverlaufs – z. B. Scheidung – werden dem externen Verursacher Bundeswehr zugeschrieben. Dies zeigte sich auch häufig in einer pessimistischeren und perspektivloseren Betrachtung der Zukunft.

    Reflexion des Erkenntnisprozesses

    Bei der wissenschaftlichen Untersuchung subjektiver Krankheitskonzepte spielen nicht nur die Meinungen und Einstellungen der untersuchten Studienteilnehmer eine Rolle. Auch die subjektiven Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit der Wissenschaftler, eigene Ursachenmodelle, eigene Erwartungen an und Erfahrungen mit Behandlung beeinflussen die Sichtweise auf das untersuchte Phänomen, besonders in einem qualitativen Forschungsansatz. Ein Ergebnis unserer Untersuchung war in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass der von uns beschriebene „Prototyp II“ negative Reaktionen im Forscherteam auslöste. Dies zeigte sich insbesondere in einem initialen Hang zur Belegung mit negativen Begriffen für diesen Typus, erkennbar in einer oft abwertenden und zu Stereotypen neigenden Sprechweise und in der Schwierigkeit, ressourcenorientiert und wertschätzend auf diesen Teil des Kontinuums zu blicken. In der Reflexion über den Prozess der Datenanalyse wurde bewusst, dass dies eventuell sehr viel mehr über die Wertungen der Forschenden als tatsächlich über den Typus aussagt, sodass wir uns für die neutrale Bezeichnung der Typen mit Nummern entschieden. Als reine Beschreibung und mit dem Hinweis auf die Gefahr der unterschiedlichen Bewertung und Haltung scheint uns die Einteilung in die beiden Typen dennoch klinisch sinnvoll zu sein.

    Diskussion

    In der vorliegenden Arbeit, wurden – unseres Wissens nach erstmalig – subjektive Krankheitskonzepte ehemaliger Bundeswehrsoldaten analysiert. Anhand der zunächst dargestellten Aspekte ließen sich unterschiedliche Interdependenzen letztlich zu zwei prototypischen Mustern aggregieren (von uns als Prototyp I und Prototyp II bezeichnet), welche eine grobe – und wie wir meinen für die tägliche klinisch-wehrpsychiatrische Arbeit nützliche – Einordnung der subjektiven Krankheitskonzepte ermöglichen.

    Es gilt jedoch, auf einige gewichtige Limitationen unserer Ergebnisse einzugehen:

    Die Repräsentativität der hier präsentierten Ergebnisse ist zunächst beschränkt auf die von uns untersuchte Gruppe. Ein qualitatives Design lässt zwar vertiefte Einblicke in die Gedankenwelt der hier untersuchten Klientel zu und bietet mit 43 Interviewpartnern eine für diese Methode ungewöhnlich breite Datenbasis, doch lässt sie keine allgemeinen Rückschlüsse auf die Gesamtpopulation zu. Das Forscherteam zeichnet sich jedoch durch eine multiprofessionelle Zusammensetzung (Ärzte und Psychologen, mit und ohne militärischen Hintergrund) und Sichtweise aus. Untersuchereinflüsse sollten hierdurch minimiert und Validierungsprozesse optimiert worden sein. Das Ergebnis unserer Studie hat, wie alle qualitativen Studien, einen explorativen und hypothesengenerierenden Charakter; es geht darum, in den Daten Muster zu erkennen und Erlebniswelten aufzuzeigen, die so noch nicht quantitativ erforscht wurden. Generalisierbarkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse können dann durch weitere Studien mit einem anderen Design erzielt werden. 

    Vor diesem Hintergrund ist der Bezug unserer Ergebnisse zu vergleichbaren Arbeiten anderer Autoren von besonderem Interesse. Unsere Ergebnisse erlauben einen Einblick in die Vorstellung und die Erwartung der ehemaligen Bundeswehrsoldaten bezüglich ihrer Erkrankung. Die Resultate sind besonders bedeutsam, da das subjektive Krankheitskonzept von Patienten, Verlauf und Erfolg der therapeutischen Interventionen und infolgedessen auch die Effektivität der psychosozialen Versorgung mitbestimmt [5]. Die Kenntnis über subjektive Krankheitskonzepte hilft dem Therapeuten, ein besseres Verständnis über die bisherigen Strategien und die Behandlungserwartung des Patienten zu entwickeln [7, 8, 9]. Diese Ergebnisse kann man als ersten Hinweis darauf verstehen, dass unterschiedliche Aspekte der subjektiven Krankheitskonzepte die Behandlungsaufnahme und die Compliance negativ oder positiv beeinflussen.

    Die beiden Prototypen unterschieden sich wenig in den beschriebenen Symptomen, hatten jedoch völlig unterschiedliche Erklärungsmuster – biologisch versus psychosozial – für diese. ZENZ [8] beschrieb Ähnliches und verband dies mit der Annahme, dass Patienten mit biologischen Erklärungsmustern auch eher eine somatische Behandlung und diejenigen mit einem psychosozialen Krankheitskonzept eher eine Behandlung mit psychologischen Mitteln erwarten. In unserer Gruppe bestätigte sich diese Annahme insofern, als die Personen mit biologischem Krankheitsverständnis starke Somatisierungstendenzen und – wenn überhaupt – eine entsprechende Behandlungsinitiative in somatischer Richtung zeigten.

    Dass die Interviewpartner, die sich ihre Symptome auch von Anfang an psychosozial erklärten, eher Behandlung oder Rat bei einem Freund/Kameraden suchten, deckt sich mit den Ergebnissen von SPOONT und SAYER [11] insofern, als dass auch US-Soldaten mit psychosozialem Krankheitskonzept sich eher für eine Behandlung entscheiden, als diejenigen mit einer eher biologischen Vorstellung von Krankheit. Die in unseren Interviews wiederholt benannte Überforderung des zivilen Gesundheitssektors deckt sich mit den Ergebnissen einer Expertenbefragung zu Barrieren der Inanspruchnahme von Psychotherapie ehemaliger Soldatinnen und Soldaten aus dem Jahr 2015; hier gaben die Experten die gleiche Problematik an, begründeten dies unter anderem mit allgemein zu wenig Therapieplätzen und zu wenig fundiert ausgebildeten Traumatherapeuten [18].

    Es ist gemäß unserer Proto-Typologie zu vermuten, dass eine passiv-externale Einstellung und ein pessimistisch geprägtes Krankheitskonzept zu einer Chronifizierung und einer schlechteren Adhärenz beitragen können, während eine aktiv-internale Einstellung und ein optimistisches Krankheitskonzept die Adhärenz positiv beeinflussen können. Dies deckt sich mit den Beobachtungen von FALLER [22] und stellt für die Therapiezielplanung eine besondere Herausforderung dar.

    Eine große Relevanz unserer Typologie sehen wir in den Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Haltungen zur beruflichen Zukunft. So sieht der Prototyp I die Bundeswehr als schädliches Agens, sich selbst eher als Zivilist als als Soldat. Diejenigen, die sich in die „passivere“ Rolle begeben, sehen sich hingegen eher als Soldat als als Zivilist, und glauben, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden und eine berufliche Perspektive nur noch von der Bundeswehr geboten zu bekommen.

    Auch die in der Reflexion erwähnte negative Reaktion auf den Prototyp II kann die bei SIEGEL et al. [18] beschriebene, im Rahmen einer Expertenbefagung geäußerte Sorge, die militärische Versorgung der (traumabedingten) psychischen Krankheit ehemaliger Soldaten schaffe falsche Anreize und führe häufig zu Systemmissbrauch durch die Betroffenen, nur teilweise erklären. Vielmehr stellen wir uns die Frage, ob ein passives und -pessimistisches Verhaltensmuster nicht auch als Folge einer (einsatzbedingten) Traumatisierung und somit Teil einer zu behandelnden Symptomatik zu verstehen ist. Unser eigener Erkenntnisprozess sensibilisierte erneut für die mögliche Bedeutung eigener unbewusster Übertragungsprozesse auf die hilfesuchenden Patienten.

    Schlussfolgerungen

    Abschließend kann festgestellt werden, dass das jeweils vorherrschende subjektive Krankheitskonzept erheblichen Einfluss auf Hilfesuche und Compliance der Betroffenen hat. Bei Befragungen zu den Vorstellungen der Patienten ergeben sich Hinweise auf therapiefördende bzw. -hinderliche Kognitionen, Einstellungen und Bewertungen, die bei Therapieaufnahme und im Therapieverlauf angesprochen und genutzt werden können. Die Exploration subjektiver Krankheitskonzepte ist für die Behandlungsplanung und möglicherweise auch im Hinblick auf den Krankheitsverlauf/die Prognose von besonderem Wert und könnte in die (wehr-)psychiatrische und (wehr-)psychologische Praxis mit einbezogen werden.

    Generierte Hypothesen

    • Das Hilfesuchverhalten scheint mitunter abhängig vom subjektiven Krankheitskonzept.
    • Die internale Kontrollüberzeugung steht in Zusammenhang mit einer positiven Behandlungserwartung.
    • Subjektive Krankheitskonzepte sind keine starren Konstrukte, sie können sich im Laufe der Therapie verändern.
    • Es zeigten sich zwei prototypische Denk- und Verhaltensmuster, die jeweils Einfluss auf die Adhärenz des Patienten haben können.
    • Eine deutliche Präferenz besteht bei der Behandlung von Einsatzfolgestörungen für das System Bundeswehr.

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    Interessenkonflikt

    Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

    Ethische und rechtliche Anforderungen und Finanzierung

    Das Projekt wird durch Zuwendungen durch das Bundesministerium der Verteidigung finanziert. (Fundingnummer: E/U2AD/FD004/FF551). Das Einverständnis der Ethikkommission liegt vor (Antragsnummer EA1/250/14).

    Zitierweise

    Dors S, Willmund GD, Schuy K, Brants L, Horetzky M, Zimmermann PL, Ströhle A, Rau H, Siegel S: „Körperlich habe ich auch keine Probleme, außer ab und zu im Kopf“ – Sub-jektive Krankheitskonzepte ehemaliger Bundeswehrsoldaten: Eine qualitative Datenanalyse. Wehrmedizinische Monatsschrift 2019; 62(3-4): XXX-YYY.

    Citation

    Dors S, Willmund GD, Schuy K, Brants L, Horetzky M, Zimmermann PL, Ströhle A, Rau H, Siegel S: „I can´t complain about any bodily issues – except now and then in the head“ – Subjective illness representation of former Bundeswehr soldiers: A qualitative data analysis. Wehrmedizinische Monatsschrift 2019; 62(3-4): XXX-YYY.


    Für die Verfasser

    Simone Dors
    Charité Universitätsmedizin Berlin
    Chariteplatz 1, 10117 Berlin
    E-Mail: simone.dors@charite.de 

    *  Die Autoren Rau und Siegel haben in geteilter Letztautorenschaft zu gleichen Teilen zu dieser Arbeit beigetragen.

    #  Der besseren Lesbarkeit halber wird im Folgenden für Soldat(en), Interviewpartner und Proband(en) nur die maskuline Form verwendet; hierbei sind beide Geschlechter eingeschlossen.



    Datum: 25.01.2019

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    Die Entwicklung des medizinischen Ultraschalls wurde nach den ersten Verwendungen in der Neurologie in den 1950er Jahren zur Darstellung von Ventrikeln mittels A-Mode in den darauffolgenden Jahren…