30.06.2008 •

Zur Versorgungsforschung in der ZahnMedizin der Bundeswehr

Die Gesundheitsversorgung selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen zu machen, ist in Deutschland relativ neu. Im angelsächsischen Bereich hingegen hat die medizinische Versorgungsforschung neben der Biomedizin und der klinischen Medizin bereits eine lange Tradition. Mit der neuen Approbationsordnung für Zahnärzte wird die ZahnMedizin wieder deutlicher als bisher zu einem Teilgebiet der Medizin. Insofern wird auch die ZahnMedizin zukünftig wesentlich stärker von Aspekten der Versorgungsforschung, der Evidenzbasierung, der Qualitätsförderung sowie von strukturellen Veränderungen der Versorgungslandschaft beeinflusst als dies bislang der Fall war.

Neben den Erfolgen der Prävention zeigt die Deutsche Mundgesundheitsstudie IV (DMS IV), dass die ZahnMedizin sowohl fachlich als auch versorgungspolitisch vor neuen Herausforderungen steht. Mehr erhaltene Zähne und die demographische Entwicklung bedeuten, dass künftig verstärkt Krankheitsbilder wie etwa Wurzelkaries und Parodontalerkrankungen zu erwarten sind. Hinzu kommen strukturelle Systemanforderungen, die Aspekte wie das Arzt-Patienten-Verhältnis, Praxis- und Versorgungsstrukturen, soziodemographische Hintergründe bis hin zu Systemfragen im Gesundheitswesen berühren. So wird einerseits der Risikofaktorenmedizin und andererseits der Versorgungsforschung mit ihren Teildisziplinen eine wachsende Bedeutung zukommen. Erforderlich ist deshalb eine Etablierung der Versorgungsforschung in der ZahnMedizin, Hierzu erscheinen notwendig: eine enge Kooperation zwischen Berufspolitik und Wissenschaft, auch mit anderen medizinischen und nicht-medizinischen Fachgebieten, sowie eine ausreichende Forschungsförderung, um interprofessionell die künftigen Anforderungen an die zahnmedizinische Versorgung zu bewältigen. Mögliche Lösungsansätze müssen also den medizinisch-technischen Fortschritt sowie die gesellschaftlichen, sozialpolitischen und demographischen Entwicklungen berücksichtigen. Hier findet sich auch die ZahnMedizin in der Bundeswehr als integraler Bestandteil der zahnmedizinischen Versorgung in Deutschland wieder. Zusätzlich zu den Fragestellungen für den Grundbetrieb in Deutschland kommen für die Streitkräfte einsatzbedingte Aspekte, u.a. im Bereich der Epidemiologie, hinzu.

Definition

Der Arbeitskreis „Versorgungsforschung“ des wissenschaftlichen Beirats der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat Versorgungsforschung im Jahre 2005 definiert „als wissenschaftliche Untersuchung der Versorgung von Einzelnen und der Bevölkerung mit gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen unter Alltagsbedingungen“. Die Versorgungsforschung muss Antworten geben auf den Ausgleich zwischen medizinischen und versorgungsrechtlichen Aspekten auf der einen und gesundheitsökonomischen Aspekten auf der anderen Seite. Für den Bereich der Bundeswehr sind insbesondere Ableitungen in struktureller und organisatorischer Hinsicht zu treffen (Personal- und Materialausstattung, Infrastruktur, Arbeitsabläufe, Formular- und Meldewesen).

Einflussfaktoren

Folgende Einflussfaktoren prägen die komplexen Zusammenhänge, in denen sich die ZahnMedizin innerhalb der Gesundheitsversorgung bewegt: Politische Rahmenbedingungen, Normen und Werte, evidenzbasierte Zahnheilkunde, Aus-, Fort-, Weiterbildung, medizinisch-technischer Fortschritt, Finanzierung des Systems, demographischer Umbau, Gesundheitsdeterminanten, Lifestyle, Patientenerwartungen, Gesundheitsverhalten, Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Dienstleistungen sowie soziodemographische Veränderungen. Die ZahnMedizin in der Bundeswehr als integraler Bestandteil der zahnärztlichen Versorgung in Deutschland und mit ihren Besonderheiten in den Einsatzgebieten kann durch Kooperation in der Versorgungsforschung mit dem zivilen Bereich sowohl wichtige Impulse geben, als auch wichtige Erkenntnisse für die weitere interne Optimierung erhalten. Beispielhaft sei die DMS IV-Studie erwähnt, die auf der einen Seite Prävalenzen von Zahn- und Munderkrankungen, zum Versorgungsgrad, zum Mundhygieneverhalten, zur Soziodemographie, zum Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Dienstleistungen und zur mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität generiert, auf der anderen Seite jedoch keine Aussagen über das Altersband der 15-24jährigen enthält. Diese Altersgruppe ist in der genannten Studie nicht berücksichtigt worden, spielt jedoch innerhalb der Streitkräfte, aber auch im gesamtgesellschaftlichen System, eine große Rolle. Insbesondere Grundausbildungseinheiten der Bundeswehr könnten sich hier als Probandenquelle eignen.
Eine weitere Kategorie der zahnmedizinischen Versorgungsforschung orientiert sich an den Ergebnissen der zahnärztlichen Behandlung und setzt diese mit einer mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität in Beziehung. Die subjektive Seite des Gesundheitszustandes ergänzt die klinischen Indikatoren bei der Beurteilung des Behandlungsergebnisses und der Wirksamkeit einer medizinischen Intervention. Beispielhaft seien Feldstudien zu Zahnbehandlungsangst und Lebensqualität sowie zur Patientenorientierung und -zentrierung im Versorgungssystem genannt. Hingewiesen sei hier auch auf Oral Health Impact Profile (OHIP) - einen Fragebogen zur Messung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Er wird in Studien zur Ermittlung des Behandlungserfolges eingesetzt, da festgestellt wurde, dass klinische Ergebnisse, die vom Zahnarzt als erfolgreich eingestuft worden sind, nicht immer mit dem subjektiven Empfinden einer guten mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität von Patienten korrelieren und in der Konsequenz nicht von einem Behandlungserfolg im Sinne des Patienten gesprochen werden kann.
Auch die Definition von Gesundheitszielen spielt in der gesundheitswissenschaftlichen Diskussion eine bedeutende Rolle. Auf Grundlage des international empfohlenen Rahmenwerkes der Federation Dentaire Internationale (FDI) wurden von zahnmedizinischer Wissenschaft und Berufsstand gemeinsam die für Deutschland relevanten sowohl krankheitsbezogenen als auch gesundheitsförderlichen Mundgesundheitszielbereiche definiert.

Handlungsfelder

Aus der aktuellen Situation der ZahnMedizin in Deutschland ist im Zusammenhang mit der Versorgungsforschung insbesondere zu fordern, dass sie wissenschaftlich attraktiv ist und im Verhältnis zu klinischer und Grundlagenforschung nicht unterbewertet wird. Sie muss sich weiterhin an der Versorgungsrealität orientieren und auf zahnärztliches, patientenorientiertes Handeln konzentrieren. Im Sinne der Optimierung von Ressourcen sind Forschungskooperationen anzustreben. Ergebnisse und entsprechende Schlußfolgerungen von zahnmedizinischen Versorgungsforschungsprojekten müssen entsprechend publiziert werden, um den Stellenwert der zahnmedizinischen Forschung in der Öffentlichkeit zu kommunizieren und zu verdeutlichen.
Zur Beurteilung des Versorgungssystems können folgende Merkmale im Sinne der Anwendungsorientierung herangezogen werden: Bedarf, Qualität, Leistungsvolumen, Lebensqualität, Gesundheits-Krankheitsindikatoren, Finanzierung des Systems, Zugang zur Versorgung, Kosten, Arbeitszufriedenheit und Evaluation von Leistungen. Weiterhin sind Parameter wie das Inanspruchnahmeverhalten, die Zufriedenheit des Patienten sowie die Patientensicherheit (z.B. Behandlungsfehlerdokumentation) und die sog. Physicians Factors (z.B. Einstellungen zu Therapieentscheidungen des Zahnarztes, Work/Life-Balance) zu untersuchen.

Zusammenfassung

Die Versorgungsforschung befindet sich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Versorgungspraxis. Sie schlägt Brücken zwischen medizinischen und nicht-medizinischen Fächern und darüber hinaus wirkt sie in den politischen Raum. Die wissenschaftliche Durchdringung dieser Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis kann zu einer weiteren Optimierung der ZahnMedizin auch in der Bundeswehr beitragen.

Datum: 30.06.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

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