Zwei Milliarden U.S. Dollar für wehrmedizinische Forschung
Wehrmedizinische Forschung wird im U.S. Military Health System groß geschrieben. Groß nicht nur im Sinne des zur Verfügung stehenden jährlichen Budgets, sondern auch groß seitens der Vielfalt der Forschungsthemen und der Vielzahl an Forschungsinstituten. Wie sieht die Zukunft der wehrmedizinischen Forschung im U.S. Military Health System aus?
Forschungsziele und –schwerpunkte
Die wehrmedizinische Forschung im U.S. Military Health System (MHS) unterstützt vitale, nationale Sicherheitsinteressen, in dem sie die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte unterstützt und sicherstellt. Forschungsergebnisse wirken sich dabei auf das gesamte Spektrum der Gesundheitsversorgung von der Einsatzvorbereitung, über die sanitätsdienstliche Versorgung im Einsatz, bis hin zur Therapie und Rehabilitation aus. Neben dem Kernauftrag der sanitätsdienstlichen Versorgung der Streitkräfte leistet die Forschung des MHS aber auch einen substanziellen Beitrag zur nationalen medizinischen Grundlagenforschung und damit der Gesundheit der amerikanischen Bevölkerung.
Die umfassenden medizinischen Forschungsbemühungen teilen sich daher in die Themen auf, die im unmittelbaren Interesse des Department of Defense liegen (Department of Defense Medical Research Focus Area) und die, die im Auftrag des U.S. Kongresses verfolgt werden (Congressionally Directed Medical Research Focus Area)(1).
Die Department of Defense Medical Research Focus Area verfolgt drei wesentliche Ziele(1):
- Better Prepared: Warfighters are equipped with capabilities and knowledge to optimize their health and achieve peak performance in all mission domains.
- Better Protected: Warfighters are equipped with capabilities and knowledge to minimize exposure to and consequences of medical risks.
- Better Cared For: Warfighters are provided with health services that minimize morbidity and mortality and maximize recovery across the treatment continuum.
Diese Zielsetzung unterteilt sich in folgende Forschungsbereiche(3):
- Biomedical Informatics and Health Information Systems and Technology
- Clinical and Rehabilitative Medicine
- Combat Casualty Care
- Medical Chemical and Biological Defense
- Medical Radiological Defense
- Military Infectious Diseases
- Military Operational Medicine
Im Interesse des U.S. Kongresses werden in der Congressionally Directed Medical Research Focus Area Themen der Grundlagenforschung, als auch der Gesundheit der Streitkräfte verfolgt (u. a. Autoimmune and Genetic Disorders, Cancer, Cardiovascular and Respiratory Health, Infectious Diseases, Neurological and Psychological Health und Tissue, Organ and Orthopedic Injuries and Restorative/Rehabilitative Medicine).
Forschungsinstitute
Die Forschung im Auftrag der U.S. Streitkräfte erfolgt in großem Umfang nach externer Auftragsvergabe an zivilen Forschungseinrichtungen (‚extramural‘), oder in den Forschungsinstituten des Department of Defense (‚intramural‘). In der Vielzahl der militärischen medizinischen Forschungsinstitute spielen insbesondere das Armed Forces Radiobiology Research Institute (AFRRI; Teil der USUHS), das U.S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID; Army) sowie das U.S. Army Medical Research Institute of Chemical Defense (USAMRICD, Army) für die unmittelbare Zusammenarbeit mit den Instituten des medizinischen ABC-Schutzes im SanDstBw eine besondere Rolle. Weiterhin stechen das U.S. Army Institute of Surgical Research (USAISR, Army) in San Antonio aufgrund seiner Nähe zum Joint Trauma System und dem San Antonio Medical Center mit seiner Verbrennungsabteilung, das Walter Reed Army Institute of Research (WRAIR, Army) im Themenbereich der Infektionserkrankungen, sowie die Uniformed Services University (USUHS, unmittelbar geführt durch den ASD HA) als Forschungs- und Lehranstalt mit unmittelbarer Verzahnung mit dem Walter Reed Krankenhaus heraus. Darüber hinaus verfügen die Sanitätsdienste der Army, Navy und Air Force über eine Vielzahl an Forschungsinstituten oder forschenden Center of Excellence (z. B. in der U.S. Navy die Naval Medical Research Centers in San Diego und Silver Spring, oder die regionalen Forschungseinrichtungen in Singapur, Kairo und Lima; in der Air Force z. B. der 711th Human Performance Wing und der 59th Medical Wing).Forschungskoordination
Wenn über 20 unterschiedliche Gruppierungen innerhalb des Department of Defense ihre jeweiligen Interessen oder Mitsprache bei der wehrmedizinischen Forschung vertreten wollen, kommt der Koordination der Forschungsthemen sowie der Vermeidung von Überlappungen in der Forschungsbeauftragung eine besondere Bedeutung zu. Die Koordination ist daher teilstreitkraftübergreifend der Armed Services Biomedical Research, Evaluation and Management (ASBREM) Community of Interest (CoI) übertragen. Dieses Steuerungs-Board koordiniert z. B. die Interessen der Teilstreitkräfte, der Geographic Combatant Commands oder des Joint Staff gegenüber z. B. den Bereichen des Joint Requirements Office for Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Defense oder den Bereichen Health Affairs oder Research and Engineering im Department of Defense.Innerhalb des Department of Defense Health Affairs (DoD HA) folgt die Koordination und Steuerung der Forschungsthemen einer jährlichen ministeriellen Festlegung der Schwerpunkte(2) durch den Director Research Dr. Terry Rauch sowie der gezielten Bereitstellung von Haushaltmitteln im Defense Health Program (DHP). Darin leiten sich die aktuellen Schwerpunkte im Haushaltsjahr 2019 konsequent von der Definition einsatzorientierter streitkräftegemeinsamer Anforderungen (‚mission-driven joint requirements‘) ab(2). Die aktuellen Themen konzentrieren sich insbesondere auf Brain Health, Blast Pressure Exposure, Biodefense, Combat Casualty Care einschließlich Prolonged Field Care, Long-Distance En-Route Care und neue Ansätze die Golden Hour zu verlängern, Muscularskeletal Injuries sowie Medical Modelling & Simulation(2).
Auf dieser Grundlage koordiniert die Defense Health Agency (DHA; aufgestellt in 2014) durch ihre Abteilung J9 (Research and Development) unter Leitung von Rear Admiral Mary Riggs die Vergabe der Haushaltsmittel und die Umsetzung der Schwerpunkte. Inhaltlich koordiniert und zugleich auch überwacht werden die Forschungsprojekte und damit auch die Fortschritte dann wiederum in jährlichen Konferenzen (Reviews & Analysis – R&A) der jeweiligen Forschungsbereiche.
Budget
Die Finanzierung der wehrmedizinischen Forschung im MHS ist ebenso komplex und folgt vielfältigen Strängen mit unterschiedlichen Interessenlagen. Neben dem Defense Health Program, welches die Masse der finanziellen Mittel bereitstellt (Verteilung der Ressourcen durch DoD Health Affairs und DHA), können Projekte auch unmittelbar durch eine Teilstreitkraft finanziert werden. Der für das Jahr 2020 vorgeschlagene Haushalt (President‘s Budget Request) des Defense Health Programs beträgt z. B. 610 Millionen Dollar und finanziert die Forschungsschwerpunkte des Department of Defense Health Affairs. Dass dem MHS aber regelmäßig in den letzten Jahren jährlich ca. zwei Milliarden Dollar vom Kongress zugewiesen wurden, spiegelt das Bestreben des Kongresses wider, Themen, die von besonderem Interesse für die Streitkräfte sind (Beispiele: Gulf War Illness oder Joint Warfighter Medical), oder in denen ein besonderes Interesse an Grundlagenforschung besteht, zu finanzieren und auf die Streitkräfte zu übertragen. Darüber hinaus können Projekte, die Zukunftslösungen verfolgen, die weit in der Zukunft liegen, auch unter Federführung der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) finanziert und projektiert werden oder Themen des medizinischen ABC-Schutzes durch die Defense Threat Reduction Agency (DTRA). So initiierte zum Beispiel DARPA in 2010 das Wound Stasis System Program, aus welchem sich Lösungen zur Kontrolle von internen Blutungen durch Schaumpräparate entwickelten.
MHSRS
Das jährliche Military Health System Research Symposium (MHSRS) ist die zentrale Veranstaltung des MHS zur Präsentation aktueller wehrmedizinischer Forschungsergebnisse und zum Austausch mit nationalen und internationalen Partnern. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist in den letzten Jahren zunehmend mit Posterpräsentationen und Vorträgen vertreten. Zudem nutzt die Sanitätsakademie der Bundeswehr das Forum, um sich mit ihren amerikanischen Ansprechpartnern über die jeweiligen Forschungsschwerpunkte auszutauschen und Themen von gemeinsamem Interesse zu identifizieren.
Zukunft
Die wehrmedizinische Forschung des MHS sieht sich aktuell der Kritik ausgesetzt, dass trotz umfassenden Aufwands und umfangreicher Ressourcen nur wenige einsatzreife Produkte in den Streitkräften tatsächlich ankommen und dass die teilstreitkraftübergreifende Koordination aufwendig und teuer ist.
In Zukunft wird sich daher die Forschung noch mehr als bisher den Themen der unmittelbaren Einsatzbereitschaft der Streitkräfte widmen. Eine seit 2018 intensivierte Zusammenarbeit mit der U.S. Food and Drug Administration (FDA) verfolgt darüber hinaus das Ziel, neue Ideen und Produkte schneller bei einem besonderen Sicherheitsinteresse der Streitkräfte einführen zu können. So wurde z. B. in 2018 das French Freeze Dried Plasma im Rahmen einer ‚Emergency Use Authorization‘ für die Streitkräfte zugelassen und deckt damit eine wesentliche bisherige Lücke der U.S. Streitkräfte, die nur FDA-zugelassene Produkte im Einsatz einsetzen dürfen.
Ebenso hat der U.S. Kongress das MHS beauftragt, einen umfassenden Bericht zur strategischen Ausrichtung der Forschungsbemühungen (Department of Defense Strategic Medical Research Plan(3)) vorzulegen und mittelfristig die Forschungsinstitute der Army, Navy und Air Force der Defense Health Agency zu unterstellen.
Das Ziel, das hier verfolgt wird, ist eindeutig: Ein streitkräftegemeinsames Gesamtsystem der wehrmedizinischen Forschung aus einer Hand (‚Integrated DoD Medical R&D Enterprise‘) unter Federführung der DHA und eine effizientere und unmittelbarere Verknüpfung der Forschungsschwerpunke mit der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte.
Korrespondenzadresse des Autors:
Oberstarzt Dr. Kai Schlolaut
Kai.S.Schlolaut2.fm@mail.mil
Literatur beim Verfasser
Datum: 17.10.2019
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2019