Team Respect - Die Invictus Games und ihre Bedeutung für die Rehabilitation
Aus dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (Leiter: Oberstarzt Dr. A. Lison) und der Sportschule der Bundeswehr (Kommandeur: Oberst M. Maul)
Die Rehabilitation von Soldatinnen und Soldaten mit bleibenden Beeinträchtigungen, die eine besondere berufliche Problemlage verursachen, bedarf eines multimodalen integrativen Therapiekonzeptes. In enger Kooperation mit der Sportschule der Bundeswehr (SportSBw) führt das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) für Soldatinnen und Soldaten mit schweren muskuloskelettalen Beeinträchtigungen, die im Einsatz sowie in und außer Dienst entstanden sind, und für einsatzbedingt PTBS-Erkrankte mit körperlichen Begleitsymptomen im Rahmen freier Kapazitäten nach Empfehlung durch fachärztliche Untersuchungsstellen für Psychiatrie der Bundeswehr Maßnahmen zur medizinisch beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) durch. Ziel ist die Stärkung personeller Ressourcen in funktionaler und sozialer Hinsicht, um diese auf das berufliche und private Umfeld der Betroffenen zu transferieren.
Ein langer Weg
Es ist später Vormittag, als wir zusammen mit der französischen Mannschaft in einem Airbus der Armée de l`air vom militärischen Teil des Flughafens Köln-Wahn starten. Wir, das sind der Kommandeur der Sportschule der Bundeswehr als Chief of Mission, der Leiter des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr als Teamarzt, ein Team der Gruppe Sporttherapie der Sportschule und 20 Soldatinnen und Soldaten mit bis zu zwei von ihnen selbst ausgewählten nahestehenden Menschen. Unser Reiseziel: Toronto, Kanada; unser Auftrag: Repräsentation Deutschlands bei den Invictus Games 2017.
Als wir acht Stunden später auf dem Pearson International Airport landen, haben unsere Athletinnen und Athleten, ebenso wie deren Familien und Freunde, mehr als den 6000 km langen Weg über den Atlantik hinter sich. Ihr Weg begann, als sie durch eine einsatzbedingte körperliche oder seelische Schädigung, schwere Verletzung in oder außer Dienst oder Erkrankung mit bleibenden Beeinträchtigungen aus ihrem bisherigen Leben gerissen wurden. Es waren die Schmerzen an Seele und Körper, die Ängste, Verzweiflung, Verbitterung, das Erkennen müssen, dass sich alles geändert hat, die ihren bisherigen Lebensweg völlig veränderten. Und es waren Wege voller Tiefen und Höhen, die ihnen und den Menschen, die ihnen etwas bedeuteten, alle Kraft abverlangten. So unterschiedlich diese Wege auch waren, diese Menschen vereint ihr Wille, nicht stehen zu bleiben, immer wieder aufzustehen und zurück in ein neues Leben kehren zu wollen. Die Spiele geben dieser Haltung einen Leitgedanken: „I am the Master of my Fate, I am the Captain of my Soul”.
Die Invictus Games
Toronto ist der 3. Austragungsort für die Invictus Games. Inspiriert von den Erlebnissen seines Afghanistan-Einsatzes und den Warrior Games 2013 in den USA hatte Prinz Harry 2014 als Schirmherr die paralympische Sportveranstaltung für Kriegsversehrte ins Leben gerufen. Der große Erfolg der Spiele, an denen im Londoner Olympic Park bei der von der BBC übertragenen Abschlusszeremonie mehr als 25.000 Zuschauer den über 400 Soldatinnen und Soldaten aus 13 Nationen zujubelten, führte zur Gründung der Invictus Foundation. Ihre Aufgabe ist die Organisation der Veranstaltung und die Verbreitung der Games, um, wie Prinz Harry bereits 2014 in einem Interview formulierte, die Bedeutung des Sports bei der Gesundung zu demonstrieren, die Rehabilitation zu unterstützen und das Leben jenseits von Behinderung zu zeigen. Ausdrücklich fallen unter die sog. „Wounded Warriors“ auch Soldatinnen und Soldaten mit Beeinträchtigungen, die nicht einsatzbedingt sind. Bei den Wettkämpfen können Medaillen errungen werden, aber um das Miteinander der Nationen zu betonen, ist ein Medaillenspiegel nicht vorgesehen. Als besonderes Zeichen der Wertschätzung und des Respekts für das Erlittene und Erreichte waren bereits bei der Erstveranstaltung auch Familienmitglieder und enge Freunde der Betroffenen als „families and friends“ eingeladen. An den Invictus Games 2016 in Orlando (Florida) nahmen bereits 14 Nationen mit 485 Sportlerinnen und Sportlern teil.
Toronto erwartet uns
Für die Spiele 2017 hatte sich Kanada bereit erklärt, die Veranstaltung in Toronto und der nahen Umgebung auszurichten. Als zentrale Unterkunft für die nunmehr fast 550 Teilnehmer aus 17 Nationen und deren Families and Friends dient das 43stöckige Sheraton Center. Als wir das Hotel betreten, werden wir augenblicklich vom Geist der Invictus Games angesteckt. In der Lobby heißen Menschen in gelben T-Shirts mit dem Invictus-Logo darauf unsere Mannschaft jubelnd willkommen. Und in ihren Gesichtern sehen wir, dass es von Herzen kommt. Es sind Volunteers, freiwillige Helfer, die ehrenamtlich und z.T. unter Einsatz von Urlaubstagen die Spiele unterstützen – mehr als 1500 sind es, die manchmal von weit her gekommen sind. Im Gegensatz zu Deutschland genießen die Spiele besonders in Großbritannien, den USA und Kanada einen hohen Bekanntheitsgrad und großes Ansehen.
Das Sheraton Center steht ganz im Zeichen der Invictus Games. Die bereits angereisten Teilnehmer bevölkern die Eingangshalle, die Stimmung ist ausgelassen. Die ersten verewigen sich per Unterschrift auf den gelben, dreidimensionalen Buchstaben des Invictus Logos: I AM. Vimy, das Maskottchen der Toronto Games in Gestalt eines übergroßen freundlichen Hundes, tanzt, schüttelt Hände und sorgt für Selfies, während ein DJ Musik auflegt, so dass selbst ein paar Rollstuhlfahrer anfangen, sich im Rhythmus zu bewegen. Wir sind müde und können erst nach langem Anstehen zur Akkreditierung tief in der Nacht unsere Zimmer beziehen – Athleten und Angehörige streng voneinander getrennt, versteht sich. Es geht schließlich um Sport und nicht um Erholung, dieser Veranstaltung muss man körperlich und mental gewachsen sein. Hiernach wurden die deutschen Teilnehmer im Vorfeld der Veranstaltung in Warendorf von den Medizinern und Sportwissenschaftlern sorgfältig ausgewählt und vorbereitet. Keiner ist hier, weil er ein Opfer ist, sondern weil er über die Kompetenzen verfügt, Deutschland als Soldatin oder Soldat würdig zu repräsentieren. Das Erringen einer Medaille ist nicht das Hauptziel, „dabei sein ist alles“ hingegen nicht adäquat. Eine gute körperliche Leistungsfähigkeit, die durch sportwissenschaftlich und sportmedizinisch begleitetes selbstständiges Training und vorbereitende Trainingslager in Warendorf bewiesen werden muss, ist grundlegend für die Teilnahme, jedoch bei weitem nicht ausreichend. Alle, auch unsere Kameradinnen und Kameraden, die an PTBS leiden, müssen bewiesen haben, dass sie räumliche Enge, Lärm, Menschenmassen, helles Licht und häufig wechselnde Umgebung ertragen. Für das gesamte Team gelten Disziplin, Ernsthaftigkeit und gebührendes Auftreten, untereinander, aber auch und vor allem im Umgang mit Fremden, gleich welcher Nation.„Thank you for your service!“
Welchen Stellenwert Respekt und Wertschätzung bei den Invictus Games einnehmen, erfahren wir hier jeden Tag. Die Opening Ceremony im fast 20.000 Zuschauer fassenden, einer Arena gleichenden Air Canada Center berührt einen jeden von uns schon beim Verlassen unseres Mannschaftsbusses. Begrüßt und gefeiert wie Popstars bahnen wir uns winkend und händeschüttelnd den Weg zum Eingang in den Back Stage-Bereich. Und neben vielen guten Wünschen rufen die Menschen immer wieder den Satz, der uns bis zum letzten Tag begleiten wird: „Thank you for your service!“ Wieder haben wir keinen Zweifel daran, dass dies aufrichtig gemeint ist, auf eine ganz menschliche, teilnehmende Art. Die persönliche Begrüßung durch den kanadischen Premierminister Justin Trudeau, geprägt von natürlicher Herzlichkeit und Respekt gegen über den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, aber auch den Families und Friends, verleiht dem Festakt einen besonderen Stellenwert. Wir sind wie die anderen Nationen unter den Klängen der Royal 22nd Regiment Band einmarschiert, erstmals in einem speziell für die Toronto-Games von der Bundeswehr zur Verfügung gestellten, einheitlichen Anzug. Wir sind dankbar dafür, denn jede Nation trägt einen solchen. Er gibt uns die äußerliche Würde, die dem Stellenwert Deutschlands im Reigen der Nationen entspricht und eint uns als Invictus Team Deutschland. Doch der Einmarsch der Nationen ist für uns als Chief of Mission und als Sanitätsoffizier mehr, als die uns gewohnten Zeremonien der CISM-Veranstaltungen in Warendorf. Denn jede und jeder Einzelne, die hier an uns vorbei gehen, humpeln oder rollen, haben Schlimmes durchgemacht. Wir sehen die Lähmungen, Amputationen und äußeren Narben und wissen um die seelischen Narben, die diese Frauen und Männer in sich tragen. Und dann steht er vor uns, der Mann, der den Invictus Gedanken trägt wie kein anderer: Prinz Harry. Er macht deutlich, worum es bei Invictus wirklich geht. Eben nicht nur darum, dass Veteranen von ihren körperlichen und mentalen Wunden genesen, sondern auch darum, mit deren Beispiel von Stärke und Optimismus andere Menschen zu inspirieren, diesem in ihrem eigenen Leben zu folgen. Uns wird erstmals die Tragweite des Invictus Gedankens klar. Jeder, der sich auf diesen Weg machen musste, jeder, der ihn beginnt und nicht nur die, die hier sind, sind Teil einer Idee, symbolisiert durch die Invictus Family. Es gibt Kritiker, die hinter den Zeremonien, den Botschaften, dem Auftreten hoher und höchster Generalität und Politikern eine Verharmlosung erlittener Behinderungen, eine Heroisierung und übermäßigen Patriotismus vermuten, so in einem TV-Bericht des WDR, der diese Frage aufwirft und während der Spiele gesendet wird. All dies mag für Außenstehende so anmuten, besonders für uns Deutsche, die in historischer Verantwortung leben sollten. Aber wer hier gewesen ist, wer die Menschen vor Ort erlebt hat, seien es die Teilnehmer, deren Familien und Freunde, seien es die Volunteers, die Zuschauer, die Schulkinder, die klassenweise bei den Veranstaltungen dabei sind, die Polizisten, die unsere Busse auf Motorrädern auf der Fahrt zu den Sportstätten eskortieren, selbst die Menschen in den Straßen Torontos, der versteht. Welcher andere Event, welche andere Idee könnte über alle nationalen Bezüge hinweg besser als eine paralympische Sportveranstaltung für Soldatinnen und Soldaten das alle einende Schicksal von Menschen mit Handicap verdeutlichen und zeigen, was Miteinander, Respekt und Wertschätzung für diese Menschen und deren Familien und Freunde bedeuten? Hier wird Rehabilitation gelebt, das wieder Teilhaben im besten Sinne „invictus“ (= unbezwungen) zu sein.
Gewinner und Sieger
Respekt und Wertschätzung
So haben auch unsere Männer und Frauen, aber auch deren Angehörige, ihre persönlichen Siege errungen. Einigen war Edelmetall vergönnt, aber mehr wert sind die besonderen Momente, die in Erinnerung bleiben, das Erleben von Selbstwirksamkeit, Anerkennung, das über sich selbst Hinauswachsen können, der entgegengebrachte Respekt und die Wertschätzung. So liegt für uns der größte Erfolg unserer Mannschaft nicht in den erzielten Einzelleistungen, sondern in ihrem Verhalten im Miteinander mit den anderen Nationen. Das Anfeuern der eigenen Athleten von den Rängen, der faire Applaus für alle anderen, das stets freundschaftliche, respektvolle Auftreten verhilft uns zu großem Ansehen in der Invictus Familiy. Ausdruck dieser gelebten Haltung im Sinne der Spiele ist die Bildung einer deutsch-irakischen Sitzvolleyball-Mannschaft. Nach dem gesundheitsbedingten Ausfall von zwei unserer Spieler ist die Teilnahme des deutschen Teams nicht möglich. Die Invictus Organisation schlägt darauf vor, drei amputationsverletzte Iraki mit in die Mannschaft zu nehmen. Für unsere an PTBS Erkrankten ist dies ein denkbar schwerer Schritt, erinnert doch das Aussehen der irakischen Soldaten an vergangene Situationen. Aber die Wahrnehmung des schweren Schicksals dieser Menschen ist stärker, als die Angst vor dem Trigger. Wir setzen ein Zeichen und nennen die neue Mannschaft Team Respect. In den Gesichtern der schwerstbehinderten irakischen Soldaten sehen wir, was das auch mit ihnen macht.
Eine Idee, die trägt
Es ist dieser Gedanke, der die Bewerbung, Vorbereitung und Teilnahme an den Invictus Games zu einem wichtigen Instrument der Rehabilitation macht. Es sind diese Erfahrungen, die unsere Kameradinnen und Kameraden und deren Angehörige über die Games hinaus im Sinne eines Transfers stärken, ihren Weg weiter zu gehen und dabei anderen, die ihnen nachfolgen wollen, diesen Weg zu weisen. Wieder ist es Prinz Harry, der bei der Closing Ceremony für alle einen Auftrag formuliert: „Ich will von Euch, dass ihr euch ein neues Invictus Ziel setzt. Macht einen Plan, wie ihr die Erfahrung dieser Woche nutzt, um allen anderen, um euch aufzuhelfen. (…) Diese Spiele sind nicht nur für die, die schon entschlossen sind, diese Spiele sind für die, die sie am nötigsten brauchen. Bitte helft uns, sie zu finden“.
Anschrift für die Verf.:
Oberstarzt Dr. Andreas Lison
Leiter
Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr
Dr.-Rau-Allee 32, 48231 Warendorf
E-Mail: AndreasLison@bundeswehr.org
Datum: 28.06.2018
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2018