PENETRIERENDE DUODENALVERLETZUNGEN

Penetrating injuries of the duodenum



Aus der Klinik für Prokto-Chirurgie (Chefarzt: Priv.-Doz. Dr. D. Doll) des St. Marienhospitals Vechta¹ (Geschäftsführer: Dipl. Kfm. U. Pelster), der Klinik und Poliklinik für Chirurgie (Chefarzt: Prof. Dr. J. Kleeff) des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München² (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. R. Gradinger), der Abteilung für Unfallchirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Ludwigshafen³ (Abteilungsleiter und Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. P. A. Grützner) und dem Vechtaer Institut für Forschungsförderung VIFF e. V.⁴ (Geschäftsführer: Priv.-Doz. Dr. D. Doll)



Dietrich Doll¹,⁴, Mario Perl², Matthias Maak², Arne Macher², Christoph Woelfl³ und Edouard Matevossian²



WMM, 57. Jahrgang (Ausgabe 11/2013: S. 289-291)

Zusammenfassung



Penetrierende Verletzungen des Duodenums sind seltene Verletzungen, die meist im Zusammenhang mit komplexen Traumata des Oberbauches auftreten. Nicht selten versterben die Patienten im präklinischen Bereich oder sind bei Eintreffen kreislaufinstabil. Diagnostische und therapeutische Überlegungen werden im Beitrag dargestellt und eine Herangehensweise an den Patienten skizziert.

Schlagworte: Duodenum, komplexe Traumata, Letalität, Diagnostik, Therapie, Stichverletzung, Schussverletzung.

Summary
Penetrating injuries to the duodenum are quite rare, as they are part of a complex and potently deadly abdominal injury. As most of these patients exsanguinate before reaching hospital, swift steps in diagnostics and therapy need to be embarked on immediately. Clinical aspects touching diagnostic and therapeutic dilemmas are addressed, and an approach to this severely compromised patients is discussed.
Keywords: Duodenum, complex traumata, mortality, diagnostic, therapy, stab, gunshot trauma.

Einleitung
Das Duodenum liegt paravertebral in den Tiefen des Retroperitoneums. Es wird nur partiell von dorsal durch die knöchernen Strukturen von Wirbelsäule und Rippen geschützt. Aufgrund seiner festen, bindegewebigen Fixierung kann es bei Stichen von dorsal oder Quetschungen (zum Beispiel bei Verkehrsunfällen oder durch Tritte von ventral) nicht wie der restliche Dünndarm ausweichen. Auch wenn Duodenumverletzungen mit 1 – 4 % selten sind, sind sie in der Notaufnahme von geschäftigen Krankenhäusern nicht unbekannt [1]. In der Regel ist es das penetrierende Trauma, das mit 78 % den Löwenanteil der Duodenalverletzungen darstellt.
Das Duodenum ist von vitalen Strukturen wie Stammgefäßen, Leberhilus und Nierengefäßen umgeben. Duodenalverletzungen werden deshalb in der Regel von vier weiteren, nicht-duodenalen Verletzungen begleitet. Dabei sind Gefäßverletzungen und assoziierte Verletzungen des Dünndarms am häufigsten, seltener gefolgt von Verletzungen der Leber, des Pankreas und des Colon transversum. 75 bis 80 % aller Duodenalverletzungen können durch einfache seitliche Naht, gegebenenfalls kombiniert mit Aufnaht eines Omentum-Patches („Thal´s patch“) versorgt werden [2]. Eine Eskalation bietet die Aufnaht einer hochgezogenen Dünndarmschlinge auf ein verletztes Duodenumsegment mit Wanddefekt. Schwere Verletzungen des duodenalen Colons erfordern komplexe Prozeduren, die jedoch so einfach wie möglich gehalten werden sollten. Hier kommen vornehmlich sogenannte Damage Control Surgery Procedures in Kombination mit Drainagen zum Einsatz, die detailliert von Ivatury et al. (8) erörtert wurden.  Die Morbidität und Letalität von Duodenalverletzungen sind hoch, denn trotz des kleinen Durchmessers und der geringen Länge des Duodenums kann es hier zu Verletzungen mit tödlichem Ausgang kommen. Die Letalität dieser Verletzung liegt zwischen 5,3 % und 39 % (im Mittel 17 %) [3]. Eine Morbidität zwischen 38 % und 100 % (im Mittel 64 %) ist zu erwarten. Blutung und Sepsis sind die „Scylla und Charybdis“ dieser Verletzung.

Diagnostik
Die Diagnose von Duodenalverletzungen erfordert ein hohes Maß an Wachsamkeit, da Duodenal- wie auch Pankreasverletzungen der klinischen Untersuchung nahezu nicht zugänglich sind. Es mag deshalb nicht erstaunen, dass trotz einer ausgefeilten Diagnostik die meisten penetrierenden Verletzungen des Duodenums erst intraoperativ nachgewiesen werden.
Das Oberbauch-CT bietet einen ersten Anhalt bei Duodenalverletzungen, aber eben nur mit relativer Sicherheit. Der Einsatz von i. v.- plus oralem Kontrastmittel kann die diagnostische Sicherheit erhöhen, ist aber nicht bei jedem Traumapatienten möglich. Fehlen Begleitverletzungen anderer Organe oder der Austritt von Flüssigkeit in das Retroperitoneum oder in die retrogastrale Bursa omentalis, kann der radiologische Nachweis einer Verletzung des Duodenums im CT ohne Kontrastmittel schwer bis unmöglich zu führen sein. Dieses gilt ebenso, wenn kein Duodenalwandhämatom nachzuweisen ist.

Herausforderungen
Die Herausforderungen in der operativen Verletzung von Pankreasverletzungen liegen in der engen anatomischen Nähe zum Pankreas und zum Retroperitoneum mit seinen großen Stammgefäßen. Erstens ist eine direkte Visualisierung der Verletzungen schwierig, sodass die Mobilisierung mit Kocher-Manöver und Spaltung des Treitz`schen Ligamentes notwendig werden können. Wenn Duodenalverletzungen in der oberen Pars descendens des Duodenums zu finden sind, kann eine vollständige Mobilisierung schwierig werden. Dieses gilt besonders, wenn sie papillennah liegen. Hier kann ein Eingehen durch die Vorderseite des Duodenums (Duodenotomia anterior) notwendig werden, um die posteriore Verletzung zu visualisieren und zu versorgen.
Da in diesem Falle meist komplexere Duodenalverletzungen vorliegen, ist es sinnvoll, das Duodenum vor weiterem Nahrungszufluss zu schützen. Hierzu bietet sich der sogenannte Pylorus-Bypass an. Er wird wie folgt angelegt: Über eine kleine pylorusnahe Gastrotomie wird der Pylorus mit einer resorbierbaren Naht innen zirkulär vernäht und damit die Nahrungsmittelpassage durch das Duodenum verhindert. Nun wird eine Gas­troenterostomie mittels einer hochgezogenen Dünndarmschlinge angelegt. Die Pylorusnaht eröffnet sich von selbst nach 6 bis 8 Wochen. Bis dahin ist das Duodenum temporär von der Passage des Nahrungsbreis ausgenommen.
Die problematischsten duodenalen Wunden liegen in der Konkavität des duodenalen Colons in Pankreasnähe. Hier sind zugleich Verletzungen des Pankreas und/oder tiefer liegender Strukturen die Regel. In unübersichtlichen Situationen und im Zusammenhang mit Mehrfachverletzungen sollte auf jeden Fall eine Drainage der Verletzung erfolgen. Ist eine Damage-Control-Surgery-Versorgung notwendig, kann das Duodenum blind verschlossen und drainiert werden. Nach Stabilisierung des Patienten auf der Intensivstation wird der Chirurg innerhalb von 12 – 48 Stunden zu dieser Verletzung zurückzukehren wollen, wenn der Patient bis dahin überlebt hat.
Namhafte Traumachirurgen empfehlen, jede Versorgung einer duodenalen Verletzung mit einem pylorischen Bypass zu schützen. Dies ist besonders ratsam bei längeren Nahtreihen, verzögert angelegten Nahtreihen oder multiplen Versorgungen der Duodenumzirkumferenz sowie Grad III-Verletzungen. Dieser pylorische Bypass reduziert die Leckage-Rate bei letztgenannten Verletzungen auf rund ein Viertel [4]. Die primäre Nahtversorgung des Duodenums mit zeitgleicher Pankreasfistelung besitzt eine hohe Leckage-Rate. Dennoch kann es sinnvoll sein, hierbei primär zu versorgen und das Pankreas zeitgleich mit mindestens zwei Drains zu drainieren. Ein Débridement am Duodenum sollte auf ein Minimum begrenzt werden. Kleinere Wandhämatome sind jedoch stets zu eröffnen, da sich darunter Defekte (Lazerationen) der Muskulatur verbergen können, die sich dann zweizeitig demarkieren und eröffnen würden. Hier wäre die Deckung mit einer Jejunum-Schlinge oder eine Seit-zu-Seit-Duodenojejunostomie denkbar, wenn eine Mono-Verletzung vorliegt.

Komplikationen

Photo

Die Versorgung pankreatischer Verletzungen bringt eine oben genannte Komplikationsrate von 64 % mit sich, die letztlich in einer Letalität von 17 % resultieren kann.
Für die Klassifizierung der Schwere des Pankreastraumas gibt es Untersuchungen von Snyder, Weigelt und Watkins (1980) [5], wonach Stichverletzungen mit weniger als 75 % Zirkumferenzbeteiligung eine gute Prognose besitzen. Des Weiteren sind Verletzungen im 3. und 4. Teil des Duodenums mit einer besseren Prognose verknüpft, genauso eine frühe chirurgische Versorgung innerhalb von 24 Stunden nach einem Trauma. Stumpfe oder Schussverletzungen haben im Gegensatz dazu eine schlechtere Prognose, ebenso wie die Lokalisation der Verletzung im 1. und 2. Segment des Duodenums. Eine späte Versorgung von 24 Stunden und mehr nach dem Trauma führt ebenso zu einer höheren Letalität wie eine zeitgleiche Verletzung des Ductus choledochus.
Ebenfalls gebräuchlich ist neuerdings die Klassifikation nach Moore, Cogbill, Malangomi et al. (1990), die von der American Association for the Surgery of Trauma übernommen wurde (Tab. 1). Diese unterscheidet Duodenalverletzungen mit weniger als 50 % der Zirkumferenz (II); Zerstörungen von 50 bis 100 % der Zirkumferenz (III und IV) sowie mit massiver Zerstörung des pankreatoduodenalen Komplexes (V). Die operative Versorgung von penetrierenden Verletzungen des Duodenums beziehungsweise des pankreatoduodenalen Komplexes ist die Regel. Pankreatoduodenale Kombinationsverletzungen werden nicht selten von einem Organversagen gefolgt (Lungenversagen, Nierenversagen). Frühe postoperative Blutungen und Fisteln mit einem Durchsatz von > 700 ml/Tag sowie Abszessbildungen können eine sofortige Revision erzwingen.
Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass ein selektives nicht-operatives Management bei Verletzungen des Duodenums und angrenzender Strukturen keine Rolle spielen darf [7].

Schlussfolgerungen
Die enge anatomische Beziehung von Duodenum und Pankreas führt dazu, dass Begleitverletzungen die Regel und nicht die Ausnahme sind. Eine frühe Wachsamkeit bei Oberbauchtraumata im Hinblick auf Duodenalverletzungen ist von überragender Bedeutung, damit es nicht erst verzögert zu einer operativen Versorgung einer bereits angedauten Region kommt. Radiologische Normalbefunde schließen eine Duodenalverletzung nicht aus. Das operative Vorgehen richtet sich im Wesentlichen nach Anzahl und Schwere der Verletzungen. Wann immer eine einfache chirurgische Möglichkeit adäquat einsetzbar scheint, sollte diese auch gewählt werden [8, 9]. Diese Verletzungen profitieren alle von einer ausgiebigen Drainierung. Eine zweizeitige Versorgung nach den Prinzipien der Damage Control Surgery ist in einer komplexen Traumasituation keine Schande, sondern kann das Zeichen ausgesprochener chirurgischer Weisheit sein [10].

Literatur

  1. Wilkinson AE: Injuries of the duodenum. S Afr J Surg 1989; 27: 64–65.
  2. MC Kenney M G, Nir I, Levi DM, Martin L: Evaluation of minor penetrating duodenal injuries. Am Surg 1996; 62: 952–955.
  3. Adkins RB, JR Keyser JE, III: Recent experiences with duodenal trauma. Am Surg 1985; 51: 121–131.
  4. Degiannis E, Krawczykowski D, Velmahos GC, Levy RD, Souter I, Saadia R: Pyloric exclusion in severe penetrating injuries of the duodenum. World J Surg 1993; 17: 751–754.
  5. Snyder WH III et al.: The surgical management of duodenal trauma. Precepts based on a review of 247 cases. Arch Surg 1980, 115 (4): 422–429.
  6. Moore EE et al.: Organ injury scaling, II: Pancreas, duodenum, small bowel, colon, and rectum. J Trauma 1990, 30 (11): 1427–1429.
  7. Lewis G, Knottenbelt JD, Krige JE: Conservative surgery for trauma to the pancreatic head: is it safe? Injury 1991; 22: 372–374.
  8. Ivatury RR, Gaudino J, Ascer E, et al.: Treatment of penetrating duodenal injuries: primary repair vs. repair with decompressive enterostomy/serosal patch. J Trauma 1985; 25: 337–341.
  9. Ivatury RR, Nallathambi M, Gaudino J, Rohman M, Stahl WM: Penetrating duodenal injuries. Analysis of 100 consecutive cases. Ann Surg 1985; 202: 153.
  10. Velmahos G, Degiannis E, Doll D (Eds) Penetrating Trauma. A Practical Guide on Operative Technique and Peri-Operative Management. Springer Berlin Heidelberg London New York 2012.

Datum: 03.12.2013

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2013/11

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