16.01.2012 •

    "NICHT JEDE HAUTRÖTUNG ENTSPRICHT EINEM EKZEM" - FALLVORSTELLUNG EINES MORBUS PAGET

    Aus der Abteilung III Dermatologie, Venerologie und Allergologie (Ltd. Arzt: Oberstarzt Dr. M. Glitsch) des Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. T. Sohns)

    von Bernhard Sorhage

    Es wird eine 30-jährige Frau vorgestellt, die seit etwa zwei Jahren im Bereich der linken Mamille eine ekzematöse, anfangs nicht juckende, Veränderung bemerkte.

    Eine frühere außerhalb durchgeführte Gewebeprobe hätte histologisch keine malignen Zeichen erkennen lassen. Wir veranlassten zur Diagnosesicherung erneut eine histologische Untersuchung. Es konnte jetzt ein Morbus Paget mit CK7- positiven Zellen gefunden werden.

    Es soll darauf hingewiesen werden, dass sich unter dem makroskopischen Bild eines Ekzems auch Malignome verbergen können.

    Not every erythema is necessary an eczema - Case study to the Morbus Paget

    Summary

    The patient is a 30 year old woman who about two years ago noticed an eczematous change of the left area of the nipple-complex that did not cause an itch at first. An earlier histological examination of the tissue had not revealed any signs of malignancy. We performed another histological examination to confirm the diagnosis. This time, CK7-positive cells indicating Paget’s disease were found. We would like to point out that the macroscopic image of eczem a may show underlying malignant tumors.

    1. Einleitung

    Es soll ein dermatologisch es Krankheitsbild vorgestellt werden, an das bei der Diagnosestellung mög licherweise nicht gedacht wird beziehungsweise das als Ekzem fehlgedeutet wird, der Morbus Paget. Von tiefer liegenden Karzinomen der Milchdrüsenausf ührungsgänge oder den apokrinen Schweißdrüsen infiltrieren Adenokarzinomzellen die Epidermis und rufen an der Haut ekzemartige Läsionen hervor. Die Fehleinschätzung dieser Effloreszenzen führt häufig zu der Diagnose eines therapieresistenten Ekzems.

    2. Kasuistik

    2.1 Anamnese

    Es wurde in unsere dermatologische Sprechstunde eine 30-jährig e Frau mit der Diagnose „Dermatitis der Mamille“ vom Hausarzt überwiesen. Die Patientin klagte über eine seit 2 Jahren bestehende Rötung der linken Mamille. Dieses Erythem habe sich im Laufe der Zeit vergrößert. Außerdem sei später auch eine diskrete Erhabenheit aufgetreten. Juckreiz sei der Patientin anfangs nicht aufgefallen. Während einer Stillzeit hätten die ekzemartigen Veränderungen der linken Mamille zugenommen, auch wurde in dieser Zeit ein verstärkter Pruritus bemerkt. In einer ehedem veranlassten Gewebeprobe vom Bereich der linken Mamille wurden nur Entzündungszeichen festgestellt. Ein Malignom, insbesondere ein Morbus Paget, wurde ausgeschlossen. Nebenbefundlich war eine atopische Diathese mit Pollinosis erfragbar.

    Abb. 1

    2.2 Hautbefund

    Im Bereich der linken Mamille fiel eine etwa 1 Euro große Rötung auf. Der Randsaum der Hauteffloreszenz war leicht erhaben und krustig gelblich impetiginisiert. Die linke Brustwarze selbst wies nässende Entzündungszeichen auf. Der Gesamtaspekt ließ primär an ein chronisches atopisches (atopische Diathese bekannt) Ekzem mit sekundärer Impetiginisation denken. Da die Patientin durch den Hausarzt bereits mit einem externen Corticoid anbehandelt war, war auch der Juckreiz jetzt nur gering ausgeprägt. Verhärtungen im tieferen Gewebe der Brust oder Lymphknoten konnten nicht getastet werden. Die rechte Mamma war inspektorisch unauffällig.

    2.3 Auflichtmikroskopie

    In der Auflichtmikroskopie konnten inhomogene hell- und dunkelrote, teils bräunliche Verfärbungen gesehen werden. Wahrscheinlich infolge chronischen Nässens erfolgte eine sekundäre Besiedelung mit Streptokokken, die sich in der Auflichtmikroskopie als gelbliche Krusten nahezu im gesamten Mamillenbereich darstellte.

    Abb. 2

    2.4 Histologie

    Das Hautexzisat zeigte ein unterschiedlich breites, deutlich verhornendes Plattenepithel. Immer wieder wurden hochgradig atypische Epithelien mit hyperchromatischen und polymorphen Kernen gesehen, die im Epithel bis in das Stratum corneum aufsteigen. Daneben zeigten sich auch Koilozyten. Das subepitheliale Bindegewebe wies bandartig akzentuierte Infiltrate aus neutrophilen Granulozyten, Lymphozyten und Monozyten auf.

    Abb. 3

    Abb. 4

    Begutachtung: Die Befundkonstellation erweckte den dringenden Verdacht auf das Vorliegen eines Morbus Paget der linken Mamille.

    Ergänzend wurden daher immunhistochemische Untersuchungen durchgeführt.

    2.5 Immunhistochemische Untersuchung

    Die immunhistochemische Untersuchung ergab folgendes Reaktionsmuster: CK7: Tumorzellen positiv P53: Tumorzellen negativ MIB1: Proliferationsaktivität der Tumorzellen deutlich gesteigert HER2/neu:Tumorzellen stark positiv (score 3) Cyclin D1: Tumorzellen negativ.

    3. Therapie

    Die Probebiopsie aus dem Bereich der linken Mamille erfolgte ambulant. Es wurde auf eine routinemäßige Laboruntersuchung verzichtet, da die Patientin nach der histologischen und immunhistologischen Diagnosesicherung des Morbus Paget in ein heimatnahes Brustzentrum zur fachärztlichen operativen Versorgung überwiesen wurde.

    4. Diskussion

    Der Morbus Paget kommt in zwei Formen zur Darstellung: Zum einen tritt er als mammärer Morbus Paget im Allgemeinen einseitig im Bereich der Brustwarze oder des Warzenhofes auf mit einer langsamen progredienten Ausbreitung. Zum anderen findet man den Morbus Paget extramammär in Bereichen von apokrinen Schweißdrüsen, wie den Axillen, der Anogenitalregion sowie selten im Nabelbereich (2).

    Mammärer Morbus Paget

    Die Erkrankung ist bei Männern äußerst selten. Meist sind nur Frauen betroffen. Der Krankheitsgipfel liegt jenseits des 4. Lebensjahrzehnts.

    Man sieht den Morbus Paget als eine epidermotrope Invasion von Adenokarzinomzellen an, die von einem tiefer liegendem Karzinom der Milchdrüsenausführungsgänge oder wie beim extramammären Paget von den apokrinen Schweißdrüsen ausgeht (6).

    Nach dem Einwandern von Paget-Zellen in die Epidermis kommt es hier zur Ausbreitung dieser „Karzinomzellen“ und zum infiltrierenden Wachstum mit nachfolgender Metastasierung.

    Klinisch finden sich meist einseitig erythematöse teils ekzemartige schuppig krustige Hautveränderungen ausgehend von der Brustwarze und vom Brustwarzenhof. Im Gegensatz hierzu sieht man differenzialdiagnostisch das atopische Mamillenekzem häufig in der Region beider Mamillen. Der sich an der Brust ausbreitende Morbus Paget stellt sich häufig scharf begrenzt bogig ekzemähnlich dar. Er kann zu erosivem Nässen, dann auch zu Juckreiz und zusätzlich zu einem irritativen Ekzem führen.

    Bei unserer Patientin konnten nässende Erosionen besonders in der Auflichtmikroskopie gesehen werden. Aufgrund der Feuchtigkeit dürften irritativ bei der bekannten atopischen Veranlagung der Erkrankten zusätzlich zum Morbus Paget peripher Ekzeme aufgetreten sein. Es wäre erklärlich, dass bei der ehedem außerhalb veranlassten Gewebeprobe histologisch nur eine Ekzem- Morphe diagnostiziert werden konnte, sollte die Biopsie fälschlich aus der Ekzem- Region und nicht vom Tumor entnommen worden sein. Eine weitere von uns vorgenommene Hautprobe mit feingeweblicher Aufarbeitung aus der zentralen Region der Läsion konnte histologisch und besonders immunhistologisch den Morbus Paget nachweisen. Orfanos schreibt, sollte bei einem diagnostizierten Morbus Paget der Brust ein darunterliegender Tumor palpiert werden, so ist bei 2/3 der Patienten bereits mit einer Lymphknotenmetastasierung zu rechnen. Entsprechend erscheint dann die Prognose ungünstig.

    Es konnten bei unserer Patientin keine knotigen Veränderungen in der linken Brust getastet werden. Dieser Befund ist prognostisch als recht gut einzuschätzen und bei adäquater Therapie wird eine 10-Jahresüberlebensrate von 80- 90 % angegeben (6).

    Histopathologisch werden in der nicht wesentlich verbreiterten Epidermis die charakteristischen Paget-Zellen gesehen. Diese sind große klare Zellen mit blassen Kernen. Interzellularbrücken wie Desmosomen kommen nicht zur Darstellung. Tonofilamente fehlen. Atypische Mitosen finden sich im Bereich der Paget-Zellgruppen. Paget-Zellen sind PAS-positiv (Abb 4). Ein entzündliches Infiltrat aus Lymphozyten und Plasmazellen bildet sich im Corium. Die Paget- Zellen breiten sich entlang den Anhangsgebilden aus. Man findet sie daher dann in Haarfollikeln, Schweißdrüsenausführungsgängen und den Milchdrüsenausführungsgängen (2, 4).

    Als wichtigste diagnostische Untersuchung ist die immunhistochemische Aufarbeitung einer Gewebeprobe aus der Läsion eines Morbus Paget zu nennen, im Besonderen die Färbung mit Cytokeratin 7 (CK7). Hiermit lassen sich Paget-Zellen selektiv im Mamillenepithel markieren (Abb 5). Cytokeratin 7 stellt einen spezifischen Antikörper zur Charakterisierung von Paget-Zellen sowohl des mammären als auch des extramammären Morbus Paget dar. Ein ähnlich guter Marker für Paget-Zellen steht mit Her2neu (Abb 6) zur Verfügung (1, 3).

    Differenzialdiagnostisch sind Ekzeme der Brust zu nennen. Besonders das atopische Ekzem, das jedoch meistens beide Mamillen befällt, ist zu erwähnen (2). Ebenso müssen Kontaktekzeme in Betracht gezogen werden. Während der Schwangerschaft oder der Stillperiode werden von den Patientinnen verschiedene Pflegecremes angewandt, die derartige Ekzeme induzieren können. Auch muss die Skabies der Brust beziehungsweise der Mamillen in die Überlegungen mit einbezogen werden. Das bedeutet, dass eine einseitig scharf begrenzt auftretende Rötung der Brust mit möglicherweise sogar eingezogener Warze und Therapieresistenz gegenüber lokalen Corticoiden den Tumorverdacht wecken und eine Gewebebiopsie erfolgen sollte.

    Aufgrund der atopischen Diathese unserer Patientin (sie litt an einer Pollinosis) ist es sicherlich durch das Nässen des Morbus Paget der linken Brustwarze irritativ zusätzlich peripher im Bereich des Warzenhofes zu einem Ekzem gekommen. Es könnte daher die extern durchgeführte Probebiopsie fälschlich zu der Diagnose eines Mamillenekzems geführt haben. Die Folge war dann die Therapieresistenz auf lokale Corticoide.

    Therapeutisch wird die Mastektomie je nach Ausbreitung mit unterschiedlicher Radikalität vorgeschlagen (2, 6). Wir haben daher unsere Patientin in ein gynäkologisches Zentrum überwiesen.

    Extramammärer Morbus Paget (EMMP)

    Es soll zur Vervollständigung des Krank heitsbildes hier auch der sehr seltene extramammäre Morbus Paget erwähnt werden. Er tritt in Regionen mit apokrinen Schweißdrüsen auf, also in den Axillen und der Anogenitalregion. Er wird wie der mammäre Morbus Paget vermehrt bei Frauen gesehen. Der klinische Aspekt des EMMP gleicht der mammären Erkrankung. Er kann daher auch als Anal- oder Inguinalekzem beziehungsweise als Intertrigo der Achselhöhlen fehlgedeutet werden. Man sollte somit bei unsicherer Diagnose oder Therapieresistenz ebenfalls eine Gewebebiopsie veranlassen.

    Beim EMMP werden zwei Varianten unterschieden (3, 5, 7). Die eine tritt, auf die Epidermis begrenzt, als Carcinoma in situ auf. Die andere Form wird zusammen besonders mit urogenitalen oder gastrointestinalen Tumoren gesehen. Ein viszerales Karzinom findet man in 4-7 % in Zusammenhang mit einem genitalen EMMP. Der perianale Morbus Paget ist in 25-35 % mit einem Karzinom des Kolons oder Rektums vergesellschaftet (5, 7).

    Paget-Zellen des EMMP entstehen meist primär in der Epidermis im Gegensatz zum mammären Paget, bei dem sich die Karzinomzellen von den Milchdrüsengängen auf die Mamille ausdehnen (3).

    Histopathologisch werden die typischen Paget-Karzinomzellen im Bereich der apokrinen Schweißdrüsen gesehen, von wo sie in die Epidermis einwachsen können.

    Immunhistochemisch sind die Paget- Zellen auch beim EMMP mit CK7 nachweisbar. Nach Roberto Cecchi (3) lässt sich der primäre EMMP vom sekundären mittels Immunhistologie differenzieren. Während der primäre EMMP einen Phänotyp CK7+/CK20- aufweist, unterscheidet sich der sekundäre mit seiner Paget-Zell-Ausbreitung eines internen Tumors durch Expression von CK7 und CK20. Unabhängig von der Immunhistologie sollte immer eine innere Tumorerkrankung ausgeschlossen werden.

    Therapiestandard des extramammären Morbus Paget ist die Exzision mit Sicherheitsabstand. Die Prognose nach frühzeitiger Exzision in toto ist als günstig einzustufen (6).

    Alternativ zum chirurgischen Entfernen werden CO2-Laser- oder Röntgenbestrahlung genannt. In Italien wurden kürzlich Therapieversuche mit Imiquimod- Creme publiziert (3).

    5. Schlussfolgerungen

    Jedes fragliche therapieresistente „Ekzem“ der Brustwarze des Warzenhofes und im axillären oder anogenitalen Bereich sollte histologisch gesichert werden, wobei der Morbus Paget in die Überlegungen mit einbezogen werden muss.  

    Danksagung

    Ich danke Herrn Oberstarzt Dr. med. Göller (Leitender Arzt der Pathologie) für die histologischen und immunhistologischen Bilder der Patientin.

    Literatur:

    1. Blum A: Pigmentierter Morbus Paget der linken Mamille. Der Hautarzt 2010; 8: 64-68
    2. Braun-Falco O, Plewig G, Wolff HH (Hrsg.): Dermatologie und Venerologie. Springer-Verlag Heidelberg 1984; 871-872
    3. Cecchi R, Pavesi M, Bartoli L, Brunetti L: Perinealer extramammärer Morbus Paget: Ansprechen auf topisches Imiqimod. JDDG 2010; 8: 38-40
    4. Nasemann Th, Jänner M, Schütte B (Hrsg.): Histopathologie der Hautkrankheiten Springer-Verlag, Heidelberg 1982; 190-191
    5. Neuhaus IM, Grekin RC (2008): Mammary and extramammary Paget disease. In: Wolff K, Goldsmith LA, Katz SI, Gilchrest BA, Paller AS, Leffell DJ (eds.): Fitzpatrick`s Dermatology in General Medicine. 7.Edition. New York Mc-Graw-Hill 2008;1094-1098
    6. Orfanos C E, Garbe C (Hrsg.): Morbus Paget. Springer-Verlag Heidelberg. 1995; 825-827
    7. Zollo JD, Zeitouni NC: The Roswell Park Cancer Institute experience with extramammary Paget`s disease. Br J Dermatol 2000; 142: 59-65

    Datum: 16.01.2012

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/8-9

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