02.11.2021 •

Als Notfallsanitäter der Bundeswehr im größten ­Krankenhaus Afrikas

C. Buchholtz

Der Freitag begann für den Start in das Wochenende ruhig. Doch wie es in Johannesburg üblich ist, kann die Ruhe plötzlich unterbrochen werden. Ein Patient, etwa 30 Jahre alt, wurde mit multi­plen Schussverletzungen eingeliefert. Für die Traumaunit des Schockraumes kein ungewohntes Bild. Auf dem LODOX (low-dose-x-ray) war ein bilateraler massiver Hämatothorax zu sehen. Die Entscheidung zur beidseitigen Thoraxdrainage fiel schnell, wobei ich eine der beiden legen sollte. Nachdem ich die Pleura parietal auf der linken Seite durchtrennt hatte, trat auffällig viel Blut aus, ein Hinweis auf massive innere Blutungen. In kürzester Zeit war beidseits um die 800 ml Blut in den Drainagen und der Blutdruck fiel weiter ab, sodass eine Thorakotomie notwendig wurde. Dabei sollte ich die Position am Kopf übernehmen, um den Atemweg zu sichern. Während der Intubation wurde der Thorax im Schockraum nach der Clamshell-Methode geöffnet.

Damit soll die Aorta temporär komprimiert, die Blutungsquelle lokalisiert und eine Herzdruckmassage am offenen Herzen durchgeführt werden. Die einseitige Lungenbewegung am offenen Thorax zu sehen während man selbst beatmet, ist ein Bild, das nicht jeder Notfallsanitäter zu Gesicht bekommt. Diese intensive Erfahrung war nur eine von vielen, die ich in diesem Programm machen konnte.

Mein Name ist Hauptfeldwebel Christoph Buchholtz. Ich bin seit 2014 Rettungsassistent und seit 2018 Notfallsanitäter. Trotz der noch geringen Berufserfahrung ist es mir ermöglicht worden, an dem Trauma Fellowship Program in Johannesburg teilzunehmen.

Clamshell-Thorakotomie
Clamshell-Thorakotomie
Quelle: C. Buchholtz

Das Trauma Fellowship Program

Das Trauma Fellowship Program im Chris Hani Baragwanath Hospital wurde 2009 für die Einsatzchirurgen der Bundeswehr ins Leben gerufen. Sechs Jahre später eröffnete man für Rettungsmediziner sowie für nichtärztliches Personal die Möglichkeit für zehn Wochen an diesem Programm teilzunehmen. Insgesamt stehen etwa vier bis fünf Rotationen pro Jahr zur Verfügung. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, die Präklinik in Johannesburg kennenzulernen. Durch eine Kooperation mit der Firma NetCare können die Teilnehmer tagsüber im zwölfstündigen Schichtsystem auf dem Response Car und dem Rettungshubschrauber arbeiten.

Das Ausbildungsziel des Trauma Fellowship Programs im Bereich der Notfallmedizin ist es, nach internationalem Standard strukturiert und prioritätenorientiert viele Traumapatienten zu versorgen. Da der Ausbildungsstandard gerade im Bereich des nichtärztlichen Personals sehr unterschiedlich ist, kann die Versorgung unter Anleitung von Ärzten bis hin zu eigenverantwortlicher Stabilisierung von vital bedrohten Patienten erfolgen. Das hauptsächliche Einsatzgebiet für medizinisches Assistenzpersonal ist die chirurgische Notaufnahme, die in chirurgische Ambulanz (Surgical Pit) und Schockraum (Resuscitation Room) mit 14 Betten und sechs Beatmungsplätzen aufgeteilt ist. Der Schwerpunkt meines Aufenthaltes lag im Resuscitation Room.

Aufgrund der personellen Besetzung des Rettungsdienstes werden kritisch verletzte Patienten oft minimal behandelt in der Notaufnahme übergeben. Dieser oft niedrige Standard der Erstversorgung verlangt es, nicht invasive wie erweiterte invasive Erstmaßnahmen anzuwenden. Durch das hohe Aufkommen von Schuss- und Stichverletzungen, Verkehrsunfällen und stumpfen Körperverletzungen ist das Spektrum der Traumapatienten groß. Nicht selten werden gerade in der Nacht mehrere Schwerstverletzte in den Schockraum eingeliefert. Bei einem plötzlich hohen Aufkommen von vital bedrohten Patienten ist in enger Zusammenarbeit mit dem diensthabenden Arzt auch das nahezu eigenverantwortliche Stabilisieren des Patienten erforderlich.

Vorbereitungen

Um für die Arbeit in einem der größten Schockräume der Welt gewappnet zu sein, standen einige Vorbereitungen an, eine Vorlaufzeit von sechs Monaten war notwendig. Dokumente, die für die Gesundheitsorganisation in Südafrika erforderlich waren, mussten beantragt und übersetzt werden.

Außerdem besuchte ich gängige Lehrgänge wie PHTLS und AMLS, um internationale Arbeitsabläufe zu verinnerlichen und auf die Arbeit im Schockraum vorbereitet zu sein. Das Stillen von massiven Blutungen, Anlegen von Druckverbänden, Blutungskontrolle an schwierigen Körperstellen wie Leisten und Halsbereich sowie das Legen von Thoraxdrainagen an lebensechten Modellen waren dabei wichtige Bausteine. Sogar Verfahren wie die eFAST-Sonographie und das Üben von verschiedenen Nahttechniken gehörten zur Ausbildung. Alle diese Maßnahmen erleichterten mir den Einstieg in die Arbeit im Schockraum.

Röntgenbilder Thorax
Röntgenbilder Thorax
Quelle: C. Buchholtz

Die Geschichte von Romeo

Das folgende Ereignis ist einer meiner wesentlichsten medizinischen Erfahrungen, die ich während meines Aufenthalts in Südafrika miterleben konnte.

Normalerweise werden Patienten für den Resuscitation Room vom Rettungsdienst eingeliefert. Romeo wurde von seinem Freund geschultert zum Krankenhaus gebracht und uns übergeben. Der übliche Ablauf vor einer Aufnahme im „Resus“ ist, dass der zuständige Arzt die Patienten triagiert, um die Schwere der Verletzung und die Behandlungspriorität einzuschätzen. Für den Schockraum sind meist mindestens zwei in der Notfallmedizin erfahrene Ärzte eingeteilt. Zu diesem Zeitpunkt war nur einer vor Ort, der bei einem anderen vital bedrohten Patienten gebunden war.

Da Romeo somnolent war und eine sichtbare Schussverletzung im Gesicht und Hals hatte, wurde er direkt in den Schockraum eingeliefert. Der Schusskanal verlief von links nach rechts, durch das Kinn und den Hals, über die rechte Schulter in den Thorax. Dabei hatte das Projektil die rechte Clavicula durchschlagen, die 1.–4. Rippe frakturiert und die Pleura penetriert. Der Atemweg war frei. Der Patient wies ein spürbares Emphysem am rechten Thorax auf. Das führte auch mit Blick auf den Mechanismus der Verletzung zu der frühen Entscheidung für die Thoraxdrainage. Da der Patient starke Schmerzen hatte, wurde er mit Ketanest und Midazolam analgosediert. Obwohl ich vorher schon unter Anleitung von Ärzten einige Drainagen gelegt und Übung in der Analgesie hatte, war es eine wichtige Erfahrung, diese Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen und diese bei der Übergabe an den Arzt zu vertreten und überprüfen zu lassen. Auch wenn es klinisch eindeutig war, musste ich mich das erste Mal für einen lebensrettenden minimalen chirurgischen Eingriff entscheiden.

Die nächste Herausforderung war es, die Blutung am Hals zu kontrollieren. Obwohl keine großen Gefäße verletzt waren, konnte sie im Schusskanal nicht lokalisiert werden. Für eine geeignete Kompression der Verletzung musste ein Druckverband angelegt werden. Durch die Wundhöhle und dem breiten Schusskanal war es aber schwierig, damit allein die Blutung zu kontrollieren.

Durch das Training in meiner Einheit wusste ich, dass man einen Foley-Blasenkatheter alternativ im Off-Label-Use für schwierige Stellen wie den Hals als Tamponade nutzen kann. Durch den hohen Erfahrungswert mit Schussverletzungen im „Bara“ Hospital wurde der Blasenkatheter in Wundhöhlen oft angewendet. Aus dem Training zu Hause wurde jetzt eine reale Behandlung. Der Vorteil dabei ist, dass der Katheter durch den Schusskanal bis in das Areal der Blutung vorgeschoben werden kann. Nach aktivieren des Ballons am Ende des Katheters entstand lokal ein hoher Druck, wodurch im Zusammenwirken mit dem Druckverband am Hals die Blutung stoppte.

Trotz der Verletzungen waren die Vitalzeichen konstant stabil, so dass der Patient am selben Tag ohne eine Notoperation auf ein Überwachungsbett verlegt wurde.

Da das Projektil mit geringem Risiko für Spätfolgen im M. Latisimus dorsi steckte, entschied man sich gegen eine operative Entfernung und ließ es im Körper. Beeindruckend zu sehen war, wie schnell die Genesung des Patienten voranschritt. Nach einer Woche stellte er sich ohne größere Beschwerden für eine Nachuntersuchung in der ambulanten Notaufnahme vor. Es war eine wichtige Erfahrung, in die eigenen Fertigkeiten und das Training in der Einheit zu vertrauen.

„You are now a part of our family“

Der Aufbau des Programms beschränkte sich nicht nur auf die Arbeit im Krankenhaus.

Johannesburg zählt zu den kriminellsten Städten der Welt. Auch wenn die meisten Vorfälle in den Townships gezählt werden, muss man einige Sicherheitsbestimmungen beachten. Durch das Einhalten der Regeln und dem Bewegen in sicheren Bereichen entsteht zu keinem Zeitpunkt der Eindruck von Unsicherheit, sodass man seinen Alltag ohne Sorgen leben kann. Die Gastfamilie nahm die Teilnehmer mit der Begrüßung „You are now a part of our family“ auf. Sie hat das Bestreben, jeden in die Kultur Südafrikas einzuführen und damit ein Angebot abseits des Arbeitsalltags zu bieten. Diese Offenheit schafft eine Basis, um den Tag nach der Arbeit verarbeiten zu können.

Die Unterschiede zu den Standards in Deutschland sorgten gelegentlich für Herausforderungen bei abweichenden Abläufen im Krankenhaus. Zeitweise mangelnde Ressourcen von Medizinprodukten oder üblichen Notfallmedikamenten sowie der hohe Anspruch an Eigenständigkeit beim Arbeiten am Patienten verzögerten den Arbeitsablauf. Durch die ausgewogene Organisation des Programms hat man durchgängig Ansprechpartner und Möglich­keiten, diese Abweichungen von gewohnten Standards zu ­be­sprechen. Eine große Anzahl von Schwerstverletzten unter ungewohnten Bedingungen zu behandeln war eine Herausforderung und eine Erfahrung, die eine enorme Bereicherung war.

Ich habe Sicherheit und Vertrauen in die Fähigkeiten, die ich von der Einheit und in den Fortbildungen lernen durfte, gewonnen. Sie werden nachhaltig für meine Zukunft in der präklinischen und militärischen Notfallmedizin relevant sein. Durch eine gute Zusammenarbeit und Dank des Vertrauens der Ärzte konnte ich eigenverantwortlich Entscheidungen für Behandlungen treffen, die mir ein höheres Maß an Eigensicherheit gegeben haben. Ich bin sehr dankbar, als Notfallsanitäter Teilnehmer des Programmes gewesen zu sein.


 

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