01.10.2010 •

KARRIERE IN DER BUNDESWEHR?

Der 18-monatige Wehrdienst war 1967 - zum Zeitpunkt meiner Musterung - für jeden jungen Mann etwas Selbstverständliches, wenn auch damals für die meisten schon unbequem. Auch als „Freiwilliger“ zur Bundeswehr oder zum Bundesgrenzschutz zu gehen, war für viele meiner Freunde und ehemaligen Klassenkameraden nichts Besonderes. Immerhin war während unserer Schulzeit die Berliner Mauer gebaut worden und die Erinnerung an die Kuba-Krise noch frisch. Die Erkenntnis, dass der Warschauer Pakt bereit war, seine Machtinteressen mit Waffengewalt durchzusetzen, sollte ich im August 1968 dann als junger Matrose beim Einmarsch der Truppen in die ČSSR miterleben. Es fiel mir also nicht schwer, eine Verpflichtungszeit von 6 Jahren einzugehen und mit Überzeugung den Eid abzulegen „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.

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Zu diesem Zeitpunkt war der Sanitätsdienst das, was auch heute noch in den Köpfen vieler Wehrpflichtiger (und leider auch einiger Zeit-und Berufssoldaten) in der Truppe über den „Sani“ herumgeistert. Die Truppenärzte waren zum übergroßen Teil wehrpflichtige, frisch approbierte Kollegen. Sie hatten meistens weder von den militärischen Aufgaben ihres Verbandes und/oder von den dienstlichen Anforderungen ihrer Patienten noch von den medizinisch notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes und zur Gesundung Ihrer Patienten ausreichende Kenntnis. So durfte auch ich auf der Marineunteroffiziersschule die Erfahrung machen, das eine 14-tägige Behandlung mit Kohletabletten und Paspertin zwar meine regelmäßige Anwesenheit bei der morgendlichen Musterung sicherstellte, die meinen Organismus plagende Hepatitis A aber nicht ausheilen ließ. Mit dem anschließenden fast 3-monatigen Aufenthalt im Bundeswehrlazarett Detmold war meine Karriereplanung in der Unteroffizierslaufbahn dahin.

Unter Verteidigungsminister Dr. Helmut Schmidt wurde 1972 die Offiziersausbildung reformiert. Es wurden Bundeswehruniversitäten gegründet und die Stipendiaten der Bundeswehr im Bereich Medizin durch die Laufbahn der SanOA ersetzt.

Als überzeugter Soldat, frischer Absolvent des Abendgymnasiums und gewillt dem beruflichen und militärischen Werdegang eine neue Richtung zu geben (das Helfersyndrom hatte ich schon hinter mir) bewarb ich mich als SanOA. Mit der Übernahme in die neue Laufbahn begann die Beurlaubung zum Studium der Humanmedizin in Kiel, das ich 1981 in Lübeck beendete. Schon früh im Studium war mir klar, dass meine Tätigkeit als Arzt in der Bundeswehr am Patienten stattfinden sollte. Nachdenklich stimmte mich deshalb mein erstes Personalgespräch bei P V 6 (Vorgänger des Personalamts der Bundeswehr). Nach der Begrüßung fragte mein Personalreferent mich: „Wollen Sie Admiralarzt werden?“ Über den tieferen Sinn dieser Frage war ich mir zum damaligen Zeitpunkt nicht im Klaren, doch in der unbewussten Entscheidung der Laufbahn „OrgFü“ nicht den Vorrang zu geben und die klinische Spezialisierung in der HNO anzustreben habe ich bis heute nicht bereut. Einige Zweifel an dieser Entscheidung wurden noch einmal während meiner Truppenarzttätigkeit in Neustadt/Holstein geweckt. Der direkte Kontakt zu den Arbeitsbereichen und Aufgabenfeldern der Kameraden bei der Schiffssicherung, zu den auszubildenden Schiffsbesatzungen, den Tauchern am Tieftauchtopf und auf den Taucherdienstbooten hätte mich fast umgestimmt und ich war geneigt, das Angebot zur Facharztausbildung vorzeitig an die HNO–Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg versetzt zu werden, abzulehnen. Diese Zweifel wurden noch verstärkt durch die fachlichen Bedingungen, die ich am BwK vorfand. Die ärztliche Besetzung der HNO-Abteilung bestand aus dem Abteilungsleiter als Facharzt, einem „Alt“assistenten im 2. Weiterbildungsjahr sowie gelegentliches Auftauchen von „anzubrütenden“ Kollegen im sogenannten Einweisungsjahr, das für die soeben approbierten Kollegen (SanOA) jeweils einen Ausbildungsabschnitt in den Fächern Chirurgie, Innere Medizin und in einem Wahlfach vor der Truppenarztzeit umfasste.

Die zu operierenden Patienten waren junge Soldaten (eigentlich ganz gesund) die zur Tonsillektomie, Septumkorrektur oder im Extremfall zur Kieferhöhlenausräumung aufgenommen wurden. Die meisten dieser Patienten nutzten die Wehrpflicht, um schon lange anstehende gesundheitliche Probleme zu lösen und durch einen Krankenhausaufenthalt mit anschließendem KzH ihre Zeit in der Truppe zu verkürzen. Der Anteil der konservativ zu behandelnden Patienten wurde künstlich hochgehalten, da mit nur einem Facharzt für Hintergrunddienste und OP-Beaufsichtigung die Durchhaltefähigkeit nicht gegeben war.

Zivilpatienten mit höherwertigen Operationen oder Diagnosen waren aufgrund des Zivilpatientenerlasses, der die Zahl dieser Patienten auf 15% der Bettenkapazität begrenzte, nicht oder nur als vereinzelte Privatpatienten des Abteilungsleiters vorhanden. Bei allen offensichtlichen Mängeln, die sich für einen jungen Assistenten auftaten, darf man die Vorteile für ein Greenhorn nicht außer Acht lassen. Da waren zunächst die vielen Anfängeroperationen, die man nach kurzer Anlernphase auf seinem OP-Katalog verbuchen konnte. Zusätzlich gab es genügend Spielraum um eigene oder externe Fortbildung zu betreiben. Hospitationen wurden wie auch Lehrgänge damals noch ohne überladenden Schriftverkehr genehmigt. Retrospektiv ist jedoch ein besonderer Lernschritt hervorzuheben: Je mehr man auf sich selbst gestellt arbeiten musste, umso eher lernte man, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren, zu delegieren und zu führen.

Der Personalabteilung waren die Defizite in der Weiterbildung bekannt und so wurde mir neben den genehmigten 2 Jahren ziviler Weiterbildung ein zusätzliches Weiterbildungsjahr am Allgemeinen Krankenhaus Barmbek bewilligt.

In den Schoß des Dienstherrn zurückgekehrt, konnte nun das in der zivilen Klinik Erlernte umgesetzt werden. Spezielle Instrumentarien für neue Operationstechniken wurden (schon damals) mit Tricks, bitten und betteln beschafft. Besondere Untersuchungsverfahren, die nicht am Haus erbracht werden konnten, waren im Verbund mit zivilen Einrichtungen problemlos möglich. Bei allen Schwierigkeiten, oft stundenlangen Telefonaten, Akten füllenden Schreiben und Nächten mit quälenden Planspielen hat letztlich, mit der Unterstützung der Vorgesetzten (bis zum damaligen Amtschef), des örtlichen Stabes mit seinen Führungsgrundgebieten, die Früchte des SanOA-Ausbildungskonzeptes mit nachrückenden jungen Fachärzten und die zunehmende Zahl an lernwilligen und begeisterungsfähigen Assistenten, den Aufbau einer schlagkräftigen und mit breitem Spektrum aufgestellten HNO-Abteilung möglich gemacht, die den Vergleich mit den zivilen Kliniken im Hamburger Umfeld nicht zu scheuen braucht.

Im folgenden Jahr nach meiner Übernahme der Abteilungsleiterfunktion wurde Deutschland wiedervereinigt und der größte Umbau der Bundeswehr in ihrer Geschichte brachte die Neuausrichtung von einer Verteidigungsarmee zur Einsatzarmee mit sich. Erste Erfahrungen konnte der Sanitätsdienst als Vorreiter im VN-Einsatz in Kambodscha machen. Auch HNO-Ärzte wurden dort eingesetzt. Die HNO-Abteilung in Hamburg war aufgrund der oben geschilderten Aufbauphase nicht in der Lage, einen Facharzt abzustellen. Aber die Erkenntnis der Kollegen aus diesem Einsatz war, dass eine gute und breite Ausbildung Voraussetzung ist, um im Ernstfall zu bestehen. Unter den Berufssoldaten schlug die Diskussion über die Neuausrichtung des Auftrages der Bundeswehr ohne ihnen einen neuen Verpflichtungsvertrag vorzulegen, hohe Wellen. Letztlich war es jedoch für mich eine Selbstverständlichkeit, dem Primat der Politik zu folgen und bei dem ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr, der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Bundestag genehmigt wurde, dabei zu sein. So zog ich am 6. Dezember 1995 als Flottenarzt im Auftrag der UNO nach Trogir, um nach dem Abkommen von Dayton ab dem 14. Dezember als Nato-Soldat und HNO-Arzt meinen ersten Auslandseinsatz zu absolvieren. Gleiches habe ich auch von anderen Berufssanitätsoffizieren verlangt und von den Zeitsoldaten, die ihren Dienst nach der politischen Entscheidung, die Landesverteidigung nicht als alleiniges Auftragsziel gelten zu lassen, angetreten haben. Die Aufforderung an die unterstellten Mitarbeiter, sich für den Einsatz in Krisengebieten zu melden fällt umso schwerer, je gefährlicher der Einsatzort ist und je mehr soziale Verpflichtungen der Benannte hat. Berücksichtigt man jedoch alle vorgetragenen Hinderungsgründe kommt es schnell zur Einsatzungerechtigkeit oder sogar zur Handlungsunfähigkeit. Neben seiner Vorbildfunktion - u.a. bei Auslandseinsätzen als Erster zu gehen und um beurteilen zu können, was man seinen Mitarbeitern zumutet - ist es gleichsam Pflicht eines Vorgesetzten, innerhalb seiner Untergebenen die Belastungen gerecht und so weit möglich gleich zu verteilen. Das Gerechtigkeitsgefühl eines Untergebenen - egal welcher Dienstgradgruppe - wird umso geschärfter, je mehr kleine, nicht beeinflussbare, meist als anonym wahrgenommene Einschränkungen oder Nachteile ihn betreffen. Dies ist für die Sanitätsoffiziere seit der Wiedervereinigung nicht nur mit den allgemein wirksamen Kürzungen der Pensionen oder der Sonderzuwendungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld) geschehen. Für die Berufssanitätsoffiziere kam schon sehr früh eine Heraufsetzung des Pensionsalters hinzu. Eng gefasste und komplizierte Regelungen im Zivilpatienten- und Nebentätigkeitsbereich mit disziplinaren Drohungen und Maßregelungen waren und sind an der Tagesordnung.

Für die jungen Sanitätsoffiziere nach dem Studium gab es zunächst eine Verkürzung der klinischen Einweisung über das 18-monatige AiP hinaus, dann eine Verlängerung der Truppenarztzeit und erst kürzlich die Regelung, dass die 600 € Zulage an fachliche Voraussetzungen und nicht z.B. an Auslandseinsätze, mit denen man in seiner Truppenarztzeit reichlich gesegnet ist, gebunden ist.

Für die SanOA wurde die Verpflichtungszeit Schritt für Schritt von 15 auf 17 Jahre erhöht ohne zusätzlich anrechenbare Facharzt- Weiterbildungszeiten.

Unter diesen Bedingungen wird es in Zeiten, in denen der zivile Markt täglich lukrative Stellenangebote kreiert, immer schwieriger werden, Ärzte für den Beruf des Sanitätsoffiziers zu begeistern. Hinzu kommt der schwierige und an der Basis wenig zu überschauende politisch motivierte Sparprozess, der Unsicherheit um den örtlichen Arbeitsplatz und die Zukunft mit sich bringt. Hier wird nicht die Bundeswehr verkleinert, um mit dem festgeschriebenen Etat auszukommen, sondern weil der Etat gekürzt werden soll, wird die Armee kleiner gemacht. Dies führt zwangsläufig dazu, dass dann mit weniger Geld eine kleinere Bundeswehr wieder mit Mangel verwaltet wird.

All das führt dazu, dass die heutigen Schulabgänger sich genau überlegen, ob sie als San- OA noch eine Karriere in der Bundeswehr planen können und so der strebsame Nachwuchs immer geringer werden wird. Von geeignetem und motiviertem ärztlichem Nachwuchs hängt nicht nur die Qualität und die Zukunft der einzelnen Fachabteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser sondern auch die Funktion einer ganzen Einsatzarmee ab.

Datum: 01.10.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/3

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