„Getroffen – Gerettet – Gezeichnet. Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg“
Ausstellung vom 17.10. - 30.11.18 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München
V. Hartmann
Bahnbrechende Erkenntnisse in Prävention, Diagnostik und Therapie von Krankheiten, eine Friedensmedizin auf Weltniveau, ein Netz hochleistungsfähiger Universitätskliniken und ein bis ins einzelne durchstrukturierter und personell wie materiell bestens aufgestellter Sanitätsdienst einer der stärksten Armeen der Welt: Das war die Ausgangslage. - Wir sprechen übrigens nicht vom Deutschland von heute, sondern von dem des Augusts 1914.
Die dritte Sequenz der Ausstellung beschäftigte sich mit den einzelnen Stationen des Rettungsweges vom Feld zurück in die Heimat, um die Verletzten, je nach Schwere ihrer Verwundung der für sie besten Versorgung zuzuführen. In diese Rettungskette eingebunden waren verschiedenste Helfergruppen, aber auch – und das ist kaum bekannt, Tiere wie Sanitätshunde, die Verwundete aufspüren konnten. Zudem warfen wir den Blick auf unterschiedlich gut ausgestattete Lazarettarten und variable Transportsysteme wie Tragen, Sanitätswagen oder Lazarettzüge, letztere meist privat gesponsert und voll ausgestattet mit diversen Behandlungsräumen.
Standen in den ersten Sequenzen eher die Verwundeten im Mittelpunkt des Interesses, so richtete sich der Fokus der vierten Sequenz explizit auf die Helfer, d. h. auf die verschiedenen im Sanitätswesen tätigen Personengruppen. An sechs ausgewählten Lebensbildern von Personen und Personengruppen wurde aufgezeigt, wie das Sanitätspersonal das Leiden an Körper und Seele empfand. Prinzessin Therese von Bayern, Rudolf von Heuß, Philipp Seeßle, die Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul, Maria Schniewind und der Jesuit Pater Rupert Mayer stehen dabei repräsentativ für Adelige, Ärzte, militärisches Pflegepersonal, Ordensangehörige, höhere Töchter und Geistliche, die medizinischen und pflegerischen Dienst am Nächsten leisteten. Manche Helfer wie der selige Pater Rupert Mayer, schon an der Front im Krieg eine lebende Legende, lernten gleich beide Seiten kennen: hatte er zu Kriegsbeginn noch Verwundete versorgt, wurde er an Silvester 1916 schwer verletzt, wobei er ein Bein verlor und selbst der Hilfe bedurfte. Die Ausstellung zeigte zum ersten Mal eine seiner hölzernen Beinprothesen und seine Rot-Kreuz-Armbinde.
Die fünfte und letzte Sequenz der Ausstellung schließlich stellt die dauerhaft physisch und psychisch Gezeichneten dieses Krieges in den Mittelpunkt. Für jene Männer, die ihre körperliche und geistige Unversehrtheit auf den Schlachtfeldern eingebüßt hatten, begann während, v. a. aber nach 1918 der Kampf um die Verbesserung bzw. die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, um eine Stabilisierung ihrer wirtschaftlichen Lage und um die Wiedereingliederung in die zivile Gesellschaft. Damit wies dieser Abschnitt weit in die Nachkriegszeit hinein. Aufgezeigt wurde wie militärische, staatliche und wirtschaftliche Stellen bei der körperlichen Mobilisierung der Invaliden, ihrer Ausstattung mit Hilfsmitteln wie Prothesen, aber auch bei deren beruflicher Vorbereitung auf ein Leben mit Einschränkungen zusammenwirkten. Dazu gehörten etwa Gehschulen für Blinde und Beinamputierte oder Kurse in Braille-Schrift. Vorgestellt werden daneben diverse Bemühungen, die häufig prekäre finanzielle Situation der Invaliden durch private Sammlungen wie die sog. Ludendorff-Spende oder Lotterien zu unterstützen. Doch trotz Hilfe auf breiter Ebene fühlten sich die Kriegsversehrten v. a. von der Politik im Stich gelassen. In fotografisch dokumentierten Demonstrationen verliehen sie ihrem Unmut immer wieder Ausdruck. Ab 1933 schließlich bemächtigten sich die Nationalsozialisten der Invaliden und instrumentalisierten sie, wie eine präsentierte Werbebroschüre der Partei für Arbeit und Wohlstand zeigt, für ihre Ziele.Die Sequenz und unsere Ausstellung endete bewusst mit einem Foto der Hoffnung: 1931 fand vor symbolträchtiger Kulisse, nämlich vor der von deutschem Artilleriebeschuss noch schwer beschädigten Kathedrale von Reims, ein internationales Friedenstreffen Kriegsversehrter statt. Diejenigen, die das Grauen des Krieges am eigenen Leib erfahren mussten, waren auch als erste offen für eine Versöhnung über Grenzen hinweg.
Die Kuratoren der Ausstellung hatten sich zudem nach sorgfältiger Abwägung unter Berücksichtigung ethischer Kriterien und Richtlinien entschlossen, auch Präparate aus menschlichem Gewebe zu zeigen. Diese Objekte sind vor über 100 Jahren von bayerischen Pathologen an der Front im Rahmen von Sektionen gefallener Soldaten gewonnen und konserviert worden. Sie entstammen der Wehrpathologischen Lehrsammlung der Sanitätsakademie der Bundeswehr, in der ähnlich des Medizinhistorischen Museums der Berliner Charité, der alten Virchow-Sammlung, für ein interessiertes Fachpublikum über 3 000 menschliche Organe und Gebeine vorgehalten werden. Aus diesem Fundus entstammten die Knochenpräparate, die in der Ausstellung gezeigt wurden und die die fürchterlichen Kriegswunden verdeutlichten. Sie halten uns am Deutlichsten vor Augen, was Krieg tatsächlich für Leib und Seele bedeutet und welche ungeheure Destruktivität, welches Leid mit ihm bis heute für den Einzelnen, das Individuum verbunden ist. Und dieses Individuum stand im Mittelpunkt der Ausstellung. Somit konnte die Ausstellung zum „Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg“ viele Ansatzpunkte thematisieren, diese nach heutigen Maßstäben kaum fassbaren und verheerenden Traumatisierungen oder auch Verlusterfahrungen am Objekt, am schriftlichen Zeugnis oder in den Erinnerungen ausgewählter Zeitgenossen zu studieren. Genauso wie es Ziel war, auch die Bewältigungsstrategien zur Organisation des Chaos vom ersten Moment der Verwundung (des GETROFFENseins, über die Erste Hilfe, das GERETTETsein bis hin zur langen und oft durchaus erfolgreichen Nachbehandlung, derjenigen, die GEZEICHNET waren, aufzuführen.
Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
SanAkBw München
Archivdirektorin Dr. Martina Haggenmüller, BHStA, Abt IV Kriegsarchiv
Datum: 28.03.2019
Quelle:
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018