Im vergangenen Jahr feierte das Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“ (Kdo SES) in Leer sein 20-jähriges Bestehen. Aber neben dem Jubiläum war das Jahr 2023 im Wesentlichen geprägt durch einen humanitären Hilfseinsatz in der Türkei (HumHi TUR) sowie zwei Militärische Evakuierungsoperationen (MilEvakOp). Dies zeigte auch im Jubiläumsjahr den Normalzustand des Verbandes in Bezug auf die hohe Einsatzbereitschaft und somit die Fähigkeit, ohne Vorwarnung kurzfristig reagieren zu können.
Das Kdo SES stellt eine schnelle, flexible und qualitativ hochwertige sanitätsdienstliche Versorgung im Einsatz im nationalen und im multinationalen Rahmen sicher. Darüber hinaus führt es als Aufstellungstruppenteil die Sanitätsverbände im Einsatz und betreibt luftverlegbare sanitätsdienstliche Einrichtungen mit hochgradig spezialisiertem medizinischem Fachpersonal. Weiterhin arbeitet das Kdo SES sehr eng mit den spezialisierten Kräften und Spezialkräften der Bundeswehr zusammen. Dabei ist das Kdo SES das spezialisierte Kommando des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZSanDstBw) für die Beteiligung sanitätsdienstlicher Einsatzkräfte an MilEvakOp und Geiselbefreiung im Ausland. Es stellt die sanitätsdienstliche Versorgung der Behandlungsebene „Erste Chirurgische Versorgung (Rolle 2)“ der spezialisierten Kräfte und der Spezialkräfte von Heer und Marine weltweit sicher. Zusätzlich wird der Verband immer wieder zu humanitären Hilfsoperationen oder anderen kurzfristigen Operationen herangezogen.
Diese besondere Qualität des Verbandes charakterisiert sein Wahlspruch mit zwei einfachen Worten: „Jederzeit – Weltweit“! Das Motto des Verbandes manifestiert sich in einer hohen Einsatzbereitschaft von Personal und Material, schnell verlegbaren sanitätsdienstlichen Einrichtungen, hochgradig spezialisierten und trainierten medizinischen Fachpersonals und eine hohe Motivation sowie Identifikation aller Angehörigen des Verbandes mit dem Auftrag.
Die beiden strukturbestimmenden Merkmale des Kdo SES sind die Sicherstellung des Anteils des Sanitätsdienstes am Kräftedispositiv MilEvakOp sowie am Kräftedispositiv für Geiselbefreiungen (HRO=Hostage Release Operations) im Rahmen der Nationalen Krisenvorsorge und die sanitätsdienstliche Unterstützung der Division Schnelle Kräfte (DSK) in der Behandlungsebene Rolle 2 im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV). Dem nachgeordnet, aber nicht minder wichtig, sind die lehrgangsgebundene Ausbildung am Ausbildungs- und Simulationszentrum des Kdo SES, die Betreuung, Ausbildung, Weiterbildung und Führung der Beauftragten Sanitätsstabsoffiziere Zivil-Militärische Zusammenarbeit (BeaSanStOffzZMZ) für alle Kreis- und Bezirksverbindungskommandos (KVK/BVK) der Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen sowie die Ausbildung und Inübunghaltung von Reservisten des ZSanDstBw als „gelebte Reserve“ in der 5. Kompanie des Kdo SES (der sogenannten Reservekompanie).
Nationale Krisenvorsorge
Das Kdo SES ist der Leitverband des ZSanDstBw für MilEvakOp. Dabei werden mehrere Behandlungseinrichtungen unterschiedlicher Größe und Spezifikation mit außergewöhnlich kurzer Reaktionsfähigkeit bereitgehalten, um im Falle einer robusten militärischen Evakuierung Soldaten und zu evakuierende Personen zu versorgen. Dieses bedeutet einen Spagat in der medizinischen Versorgung, der breite fachliche Kompetenz und ausgewogenes Material erfordert. Die Versorgung eingesetzter Kräfte in einer robusten MilEvacOp ist primär chirurgisch ausgerichtet, um auf unterschiedlich schwere Verwundungen adäquat reagieren zu können. Die Behandlung der zu evakuierenden Personen erfordert eine Bandbreite von Allgemeinmedizin über Pädiatrie bis hin zur Geriatrie. Hier geht es im Schwerpunkt darum, die zu Evakuierenden bis zur Übergabe an das Auswärtige Amt entsprechend zu betreuen. Dabei erstrecken sich die Behandlungen von Notfällen, ausgelöst durch die besondere Lage, bis zur klassischen Hausarztmedizin.
Das Special Operations Surgical Team (SOST) stellt im Verbund mit den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs)ein hoch spezialisiertes Element dar, um bei HRO-Missionen durch das Kommando Spezialkräfte, Kommando Spezialkräfte der Marine oder bei Bedarf die GSG 9 der Bundespolizei die erste chirurgische Versorgung unter den besonderen Bedingungen des Einsatzes von Spezialkräften durchführen zu können. Dies erfordert besonders ausgebildetes ärztliches und nichtärztliches Personal, das, neben der hohen fachlichen Qualifikation, über Fähigkeiten verfügen muss, um im Verbund mit den Spezialkräften aus Heer, Marine und Bundespolizei wirken zu können. Das bedingt ständiges fachliches und militärspezifisches Training (Taktik, Schießtraining, usw.), sowie eine überdurchschnittliche körperliche Fitness. Die Einsätze unterliegen, analog der Einsätze von Spezialkräften, einer hohen Geheimhaltungsstufe.
Landes- und Bündnisverteidigung
Die Unterstützung der DSK in der LV/BV stellt die zweite wesentliche strukturbestimmende Handlungslinie des Kdo SES dar. Im Kern geht es um die Unterstützung von Kräften der DSK in deren unterschiedlichen Operationsarten. Darüber hinaus wird, gemäß dem New Force Model der NATO, die Unterstützung eines Special Operations Component Command (SOCC) und den zugeordneten Special Operations Land oder Maritime Task Groups (SOLTG und SOMTG) mit Kräften der Behandlungsebene Rolle 1 (truppenärztlich und notfallmedizinische Versorgung) und Rolle 2 (erste chirurgische Versorgung) sichergestellt. Um diesen Aufgaben im Rahmen der Nationalen Krisenvorsorge und LV/BV auch materiell gerecht werden zu können, werden dazu 2024 und 2025 insgesamt drei neue Luftlanderettungszentren leicht (LLRZ, le) und drei Luftlanderettungszentren Spezialeinsatz an das Kdo SES übergeben. Dies unterstreicht die Wertigkeit des Beitrags des Kdo SES in der Unterstützung von spezialisierten Kräften und Spezialkräften in Heer und Marine.
Humanitäre Einsätze und kurzfristige Operationen
Die bisher größten humanitären Einsätze des Kdo SES, im Jahre 2005 nach dem Tsunami in Indonesien und 2023 nach dem Erdbeben in der Türkei, haben gezeigt, dass das Kdo SES bereitsteht, um kurzfristig komplexe Einsätze zu realisieren. Dabei ist es trotz allem auf Unterstützung aus anderen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen, z. B. Feldjäger oder ABC-Abwehrtruppe für die Trinkwasseraufbereitung, angewiesen. Dies betrifft aber auch zeitkritische Einsätze außerhalb von humanitären Einsätzen, in denen eine kurzfristige und hochqualifizierte sanitätsdienstliche Unterstützung gefordert ist. Diese Aufgaben können nur im Verbund mit den BwKrhs erfüllt werden, da diese im Schwerpunkt das ärztliche Fachpersonal stellen.
Herausforderungen der Zukunft
In den kommenden Jahren steht das Kdo SES, wie alle Verbände im ZSanDstBw, vor großen Herausforderungen. Hier gilt es Aufgaben, die sich aus der Zeitwende ergeben umzusetzen, sowie neuzulaufendes Material zu integrieren und den Verband dabei kontinuierlich weiterzuentwickeln. Beispielhaft stehen hierfür die Weiterentwicklung der Rettungskette bei MilEvakOp, die Herausforderungen in der LV /BV sowie die ansteigende Reservistenarbeit.
Rettungskette 2.0
MilEvakOp sind weiter der klare Auftrag und strukturbestimmend für das Kdo SES. Dazu haben die Erfahrungen der vergangenen MilEvakOp in Kabul und im Sudan sowie die Vorbereitungen für entsprechende Maßnahmen in Israel sowie dem Libanon gezeigt, dass die Einsatzfähigkeit weiter optimiert werden muss. Im Dezember 2023 wurde das erste neue LLRZ, le an das Kdo SES ausgeliefert. Diese moderne sanitätsdienstliche Einrichtung bildet den Kern der überarbeiteten Rettungskette 2.0 bei MilEvakOp, die Anfang 2024 mit den Konsiliargruppen und Vertretern der DSK im Kdo SES entwickelt wurde. Hier ist es gelungen, dass der MilEvakOp-Umfang deutlich an Gewicht und Personal reduziert wurde, ohne dass dabei die geforderten Fähigkeiten und Standards der sanitätsdienstlichen Versorgung eingeschränkt wurden. Damit steht eine wesentlich effizientere und kompaktere Struktur zur Unterstützung von MilEvakOp zu Verfügung.
LV/BV
In den vergangenen Jahren rückten die Verpflichtungen der LV/BV mehr und mehr in den Vordergrund. Dabei lag der Schwerpunkt in den rotierenden Verpflichtungen des Kdo SES im Rahmen der NATO Response Force und der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF).
So stellte das Kdo SES im vergangenen Jahr für die VJTF ein Kräftedispositiv, mit einer Einrichtung „Rolle 2 Basis“, sowie ein SOST. Hinzu kam die truppenärztliche sowie notfallmedizinische Versorgung (Ebene 1) des dazugehörigen Stabes (SOCC).
Darüber hinaus wird nun das Couleurverhältnis in Zusammenarbeit mit der DSK weiterentwickelt. Ein Schwerpunkt ist hier die gemeinsame Teilnahme an Übungen, die in diesem Jahr die Übung SWIFT RESPONCE 2024, im Rahmen der QUADRIGA-Übungsserie beinhaltet. Übungsziel für das Kdo SES ist die Verlegung der eigenen medizinischen Behandlungseinrichtungen und die Einbindung dieser in den Führungsprozess der DSK. Das beinhaltet im Kern die Führungsmittel und die Entsendung von Personal des Kdo SES zur Unterstützung der Gefechtsstände auf der Brigade- und Divisionsebene.
Für das Kdo SES bedeutet das, den eigenen Übungsschwerpunkt deutlicher auf das Systemtraining unter LV/BV-Bedingungen verlagern zu müssen, um kriegstüchtig zu werden. Das bedeutet, dass Truppenübungsplatzaufenthalte, zusammen mit dem Personal aus den BwKrhs, geplant werden müssen. Übungsinhalt wird hier der Betrieb und die Verlegung von Behandlungseinrichtungen unter Gefechtsbedingungen sein. Hinzu kommt das Trainieren der individuellen militärischen Fähigkeiten, wie Schießen, Leben im Felde, usw. auf dem Truppenübungsplatz zum Aufbau einer individuelle Kriegstüchtigkeit.
Zusätzlich zu dem gemeinsamen Wirken mit der DSK im Rahmen LV/BV, soll im Kdo SES die Fähigkeit zur Unterstützung von weiteren SOLTG und SOLMG, inklusive der Behandlungsebene 1, für ein SOCC aufgebaut werden. Das beinhaltet enge Absprachen und Koordination mit Heer und Marine für gemeinsame Trainings und Übungen.
Reservistenarbeit
„Ohne wird´s nicht gehen!“. So formulierte es der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal, in der Funktion des Beauftragten für Reservistenangelegenheiten mit Hinblick auf die Reserve. Das betrifft auch die Reservisten im Kdo SES. In den kommenden Jahren muss es gelingen, hoch qualifizierte Reservisten aus dem ärztlichen- und nichtärztlichen Bereich zu gewinnen, um die Einsatzfähigkeit des Kommandos gerade für die LV/BV sicherzustellen.
Der Schwerpunkt liegt hier auf der 5. Kompanie des Kdo SES. Mit ihr erfolgt, dieses Jahr beginnend, eine intensive Integration in die Übungen des Kdo SES.
Daneben bleiben die BeaSanStOffzZMZ in den KVK und BVK die zweite zentrale Säule in der Reservistenarbeit. Sie bilden die sanitätsdienstliche Beratungskompetenz im Bereich der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) ab. Im sogenannten Operationsplan Deutschland des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr ist die zivil-militärische Interaktion Kernelement der gegenseiteigen gesamtstaatlichen Unterstützung. Diese Rolle gilt es in naher Zukunft für die BeaSanStOffzZMZ neu zu definieren. Das erfordert im Rahmen des jährlichen Fähigkeitstrainings eine deutliche Erweiterung des Spektrums, das bisher stark von der Unterstützung im Katastrophenfall geprägt war.
Zusammenfassung
Das Kdo SES ist der spezialisierte Einsatzverband des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, der im Schwerpunkt zur Unterstützung von MilEvakOp und HRO im Rahmen der Nationalen Krisenvorsorge bereitsteht.
Nicht erst seit der Zeitenwende tritt die sanitätsdienstliche Unterstützung der DSK im Rahmen von LV/BV zunehmend in den Vordergrund. Hier liegt die Herausforderung den Verbund aus Kdo SES und dem Fachpersonal aus den BwKrhs als kriegstüchtiges System zu entwickeln, um dieser herausfordernden Unterstützungsaufgabe gerecht zu werden. Integraler Baustein darin sind die Reservisten des Kdo SES, die sowohl als Ergänzung für die Aufgaben im Kontext von LV/BV, als auch im Bereich der ZMZ unverzichtbar für die Auftragserfüllung des Kdo SES sind.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2024
Oberstarzt Dr. M. Beste
Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst
Evenburg-Kaserne
Papenburger Str. 82
26789 Leer/Ostfriesland
E-Mail: MatthiasBeste@bundeswehr.org