Körperliche Arbeit bei Hitzestress: Eine oft unterschätzte Belastung und Gefahr
Dieter Leyk¹, ²
¹Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach
²Deutsche Sporthochschule Köln
Wärmekraftmaschine Muskel
Hitzestress kann sogar bei Frost auftreten. Während mehrstündiger Skipatrouillen bei -8°C wurden beispielsweise Körperkerntemperaturen von über 38°C gemessen [26]. Körperkerntemperaturen von Skilangläufern sollen in Einzelfällen über 40°C liegen [17]. Durch körperliche Arbeit kann die Wärmeproduktion um mehr als das 10fache ansteigen. Bei intensiver sportlicher Belastung können schon nach 5 Minuten Körperkerntemperaturen von 39°C, nach 10 Minuten von 40°C erreicht werden [17].
Der rapide Anstieg der Wärmeproduktion erfolgt durch die arbeitende Muskulatur. Dabei wird der weitaus größte Teil der umgesetzten Energie als Wärme (>70 %) freigesetzt [5, 22, 25, 30]. Beim Laufen beträgt der mechanisch nutzbare Energieanteil höchstens 25 %. Der Wirkungsgrad ist bei militärischen Tätigkeiten wie z. B. Marschieren, Tragen von Lasten oder den Bewegungsarten im Gelände weitaus geringer [28, 31, 33].
Isolierende Wirkung von Bekleidung und Ausrüstung
Aufgrund ihrer isolierenden Wirkung führt Bekleidung zu einer zusätzlichen thermischen Belastung. Dies gilt besonders, wenn Bekleidung ausgeprägte Schutzanforderungen erfüllt [15]. Im Sport sind davon u. a. der Motorsport, das Fechten und der American Football betroffen. Beim American Football kommt es jährlich zu hitzestress-bedingten Todesfällen [18]. Bei Militär, Polizei und Feuerwehr führt zudem das hohe Gewicht und die Bewegungseinschränkungen durch Schutzbekleidung und Ausrüstung zur vermehrten Muskelarbeit und Steigerung der metabolischen Wärmebildung [13].
Der mit ca. 70 - 80 % wichtigste und effektivste physiologische „Entwärmungsmechanismus“ bei körperlicher Arbeit ist die Wärmeabgabe durch Schweißverdunstung, die durch die Schutzbekleidung massiv eingeschränkt wird [16]. Außerdem entfällt hier die Wärmeabgabe durch Konvektion: Diese trägt beim Laufen oder Radfahren (z. B. bei einer Luftbewegung von 4,5 m/s = 16,2 km/h) dazu bei, dass der Wärmetransferkoeffizient gegenüber Windstille um den Faktor 2 erhöht ist. Allein durch den konvektiven Wärmetransport fällt die Hauttemperatur um 5 - 6° C, so dass ein großer Wärmegradient zum Körperinneren aufgebaut bzw. erhalten werden kann [17].
Als Maß für die Isolationswirkung der Bekleidung dient die Maßeinheit „clo“ (abgeleitet von „clothing unit“ 1 clo = 0,155 m2 x K x W–1). Sportkleidung (kurze Hose, T-Shirt) hat einen clo-Wert von ca. 0,3 clo, leichte Arbeitskleidung entspricht 0,8 - 1 clo, Kleidung für nasskaltes Wetter liegt zwischen 1,5 - 2 clo, während Expeditions-/Polarkleidung mehr als 2,5 clo aufweisen [6]. Das Tragen von Splitterschutzweste, Feldjacke, Gefechtshelm und Handschuhen entspricht einer Bekleidungsisolation von etwa 1,8 clo, was im Sommer deutlich zu viel ist. Ist zudem körperliche Arbeit (=hohe metabolische Wärmebildung) zu verrichten, wird die thermoregulatorische Entwärmung massiv eingeschränkt bzw. aufgehoben.
Faktor Klima
Schon geringe klimatische Belastungen können eine durch -Bekleidung und körperliche Arbeit induzierte Thermoregu--lationseinschränkung massiv verstärken [14, 36]. Je nach -Kon-stellation der Hauptfaktoren kann es schnell zu einer erhöhten gesundheitlichen Gefährdung mit einem Anstieg der Körperkerntemperatur bis hin zum Hitzschlag kommen [8, 10, 12, 28, 32].
Wie einleitend angesprochen, ist es problematisch, Hitzebelastungen nur anhand der Umgebungstemperatur zu beurteilen. Wesentlich besser gelingt dies mit sogenannten „Klimasummenmaßen“, die die physikalischen Klimakenngrößen Lufttemperatur, Luftfeuchte, Wärmestrahlung und Windgeschwindigkeit berücksichtigen und zu einem Klimasummenwert zusammenfassen [28, 35]. Bei Kälte ist die Verwendung des „Windchill-Faktors“ (bei Lufttemperaturen unter 10° C) gebräuchlich und die Diskrepanz zwischen gemessenen und gefühlten Temperaturen (Windeinfluss) allgemein bekannt.
Klimasummenmaße sollten im Vorfeld von Ausbildungsmaßnahmen, Sportveranstaltungen u. a. zur Risikoabschätzung genutzt werden, um durch präventive Maßnahmen die Gefahr von Hitzezwischenfällen zu minimieren. In der Vergangenheit sind verschiedene Klimasummenmaße für Hitzebelastungen vorgeschlagen worden. International findet der „Wet-Bulb-Globe--Temperature-Index“ (WBGT) die größte Verbreitung [28]. Das Verfahren wurde für den militärischen Bereich entwickelt und wird in wissenschaftlichen NATO-Dokumenten als Standardverfahren genutzt [24]. Aufgrund dieser Empfehlungen hat das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr gemeinsam mit Experten aus dem Sanitätsdienst und dem Heer praxisnahe Informationen für die Truppe (u. a. „Hot-Ten-Flyer“, „Taschenkarten“) erarbeitet, die alle Soldaten über Einflussfaktoren zur Überhitzung, Symptome sowie Erste Hilfe bei Hitzeerkrankungen informieren und den Ausbildern/Einheitsführern zusätzlich Präventionsmaßnahmen empfehlen.
Individuelle Faktoren und Hitzetoleranz
Alltagsbeobachtungen zeigen, dass Hitzebelastungen unterschiedlich gut toleriert werden. Es gibt beispielsweise große individuelle Unterschiede bei der Schweißabgabe. Heranwachsende (vor Pubertätsende) reagieren bei hohen klimatischen Belastungen deutlich anfälliger als Erwachsene [2]. Trotz geschlechtsbedingter Unterschiede (Frauen mit vermehrtem Unterhautfettgewebe, späterem Einsetzen der Schweißsekretion, menstruationsbedingtem Verschieben der Körperkerntemperatur usw.) scheint hingegen die thermische Belastbarkeit von Männern und Frauen ähnlich zu sein [9, 27, 28, 29].
Das Risiko eine Hitzeerkrankung zu erleiden, kann aber auch bei ein und derselben Person erheblich variieren: Akute Infekte und Erkrankungen, Dehydrierungen, Störungen im Elek-trolythaushalt, hoher Motivationslevel wie auch unzureichende oder gar fehlende Akklimatisation begünstigen Hitzeprobleme [1, 14, 23, 32, 33, 34].
Übergewicht und geringe körperliche Leistungsfähigkeit
Zu den wichtigsten negativen Einflussfaktoren der Hitzetoleranz gehören Übergewicht und geringe körperliche Leistungsfähigkeit [3, 8, 11, 10, 14, 23, 28]. Bedno et al (2014) untersuchten das Auftreten von Hitzeerkrankungen bei über 9 000 US Army Rekruten und stellten fest, dass der Fitness- und Gewichtsstatus unabhängig voneinander mit dem Auftreten einer Hitzeerkrankung assoziiert sind. Im Vergleich zu fitten normalgewichtigen Rekruten verdoppelt sich das Risiko bei unfitten normalgewichtigen Rekruten. Übergewichtige fitte Personen hatten ein fast 4-fach, übergewichtige unfitte Rekruten ein nahezu 8-fach erhöhtes Risiko für eine Hitzeerkrankung [3].
Diese Zusammenhänge weisen auf ein wachsendes Ausbildungsproblem hin: Aufgrund unzureichender Fitness und Belastbarkeit vieler junger Erwachsener sind Rekruten immer häufiger den Anforderungen in der Grundausbildung nicht mehr gewachsen [19, 20]. Es kommt zu vermehrten Überforderungen, gesundheitlichen Gefährdungen und Ausbildungsab-brüchen, da junge Erwachsene oftmals nur unzureichende motorische Erfahrungen besitzen und als übergewichtige Nicht--Sportler zur Bundeswehr kommen. Diese Problematik wurde auf dem präventivmedizinischen Koblenzer Symposium „Gesundheit und Leistung bei Hitzestress“ (17.-18. April 2018) intensiv diskutiert. Das Heer hat in der Folge eine Pilotstudie zur Neukonzeption der Grundausbildung (Beginn am 1. Juni 2018) gestartet, bei dem das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr zur wissenschaftlichen Begleitung miteinbezogen wurde. Angesichts der weiten Verbreitung von inaktiven Alltagsgewohnheiten und Übergewicht ist zu empfehlen, nicht nur auf die Belastbarkeit und Fitness von Rekruten zu achten, sondern die Einsatzfähigkeit aller Soldatinnen und Soldaten genauer zu prüfen und sicherzustellen [21].
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Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Dieter Leyk
E-Mail: dieterleyk@bundeswehr.org
Datum: 09.11.2018