VERLETZUNGEN IM GESICHTSSCHÄDELBEREICH
Die Häufigkeit von Verletzungen im Kopf-Hals-Bereich nimmt, insbesondere in militärischen Konflikten, zu. Daraus ergibt sich für den Sanitätsdienst der Bundeswehr ein steigender Bedarf an Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen.
Die genannten Verletzungen erfordern mitunter vor der definitiven Versorgung eine unverzügliche Sicherung der Atemwege, die in Einzelfällen auch chirurgisch erfolgen muss. Vital bedrohliche Blutungen gilt es unverzüglich zu beherrschen. Da Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen derzeit in Rettungszentren und Einsatzlazaretten (Ebene Role 2/Role 3) nicht vorgehalten werden, übernehmen aktuell Kollegen anderer Fachrichtungen die provisorische Erstversorgung.Nach der Stabilisierung des Patienten bedürfen Gesichtsschädelfrakturen einer Fixierung der Fragmente in der regelrechten Position unter Berücksichtigung humanmedizinischer und zahnmedizinischer Gesichtspunkte. Moderne Behandlungsverfahren ermöglichen dem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen die Rekonstruktion der anatomisch äußerst komplex aufgebauten Regionen im Kopf-Bereich.
Die Häufigkeit von Verletzungen des Gesichtsschädels nimmt sowohl bei Unfällen als auch bei militärischen Einsätzen weltweit zu. Der verbesserte Schutz von Thorax und Abdomen in kriegerischen Auseinandersetzungen führt zu einem prozentualen Anstieg der genannten Verletzungen im Vergleich zu Schädigungen des Rumpfes.
Verletzungen im mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Fachgebiet beinhalten Frakturen des Mittelgesichtes einschließlich der Orbita- und Nasennebenhöhlenwände sowie Unterkieferfrakturen. Diese Gesichtsschädelverletzungen beeinträchtigen häufig die Okklusion (Zusammenpassen der Ober- und Unterkieferzähne) und werden mitunter von ausgedehnten Weichteilschäden einschließlich Bulbustraumata, Gefäßzerreißungen und Nervenläsionen begleitet. Im ungünstigsten Fall resultieren kombinierte Knochen-Weichteil- Defekte. Ferner sind Fremdkörperinokulationen und Bissverletzungen zu erwähnen. Als mund-, kiefer-, gesichtschirurgische Notfälle sind Atemwegsverlegungen, kreislaufwirksame Blutungen im Kopf-Hals-Bereich, der drohende Visusverlust (z.B. infolge eines retrobulbären Hämatoms) sowie Sensibilitätsdefizite und Schädigungen des N. facialis aufzuführen.
Das geschilderte Vorgehen besitzt erhebliche Einsatzrelevanz. Die Erstversorgung der Frakturen (Blutstillung, provisorische Schienenverbände) übernehmen während eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr Kollegen anderer Fachrichtungen. Die endgültige Reposition und Osteosynthese erfolgt nach der Repatriierung in der mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Abteilung eines Bundeswehrkrankenhauses.
Das unbedeckte Gesicht lässt den Betrachter Asymmetrien und Narben sofort erkennen. Damit ergibt sich eine große Herausforderung für den behandelnden Arzt bei der Rekonstruktion nach Verletzungen im Kopf-Hals- Bereich. Ausgedehnte Gewebsdefekte sowie dislozierte oder in Fehlstellung verheilte Frakturen erfordern eine exakte Behandlungsplanung, chirurgische Erfahrung und manuelles Geschick. Nur so können anspruchsvolle funktionelle und ästhetische Zielstellungen erreicht werden.
Die Einführung der Plattenosteosynthese revolutionierte weite Bereiche der kraniomaxillofazialen Chirurgie. Sie erlaubt im Vergleich zur Drahtosteosynthese eine dreidimensionale Rekonstruktion des Schädel- und Gesichtsskeletts sowie eine stabile Fixation der Knochensegmente (Abb. 3: Miniplattenosteosynthese am linken Kieferwinkel, rechts paramedian sowie am rechten Collum über transorale Zugänge. Die Einstellung der habituellen Okklusion ist zwingendes Anliegen. Dabei sind Schuchardt-Schienungen, die eine mandibulomaxilläre Fixation ermöglichen, behilflich.). Die Grundlagen für die Miniplattenosteosynthese wurden Ende der 60er Jahre und in den 70er Jahren von Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen gelegt. Vor allem die Arbeiten von Luhr und Champy trugen zur Etablierung der modernen Osteosyntheseverfahren im Gesichtsschädelbereich bei. Unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie werden die zahlreichen, heute erhältlichen Osteosynthesesysteme kontinuierlich weiterentwickelt (Abb. 3).
In den vergangenen Jahren erhielten auch interessierte Hals-, Nasen-, Ohrenärzte Einblicke in die Behandlung von Gesichtsschädelfrakturen, so dass ein Teil der Versorgung dieser Verletzungen in hals-, nasen-, ohrenärztlichen Einrichtungen erfolgt. Die Behandlung von Verletzungen, welche die Lagebeziehung von Mittelgesicht und Unterkiefer und damit die Okklusion betreffen (z.B. Le Fort I-, II- und III-Frakturen) sowie anspruchsvolle Revisionsoperationen von in Fehlstellung verheilten Frakturen sollten jedoch weiterhin erfahrenen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen vorbehalten bleiben.
Literatur bei der Verfasserin
Datum: 11.03.2010
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/2