EINSATZ DES ZAHNÄRTZLICHEN DIENSTES DER BUNDESWEHR IM JAHR 2012
Missions of the Dental Service of the Bundeswehr in 2012
Aus dem Fachzahnärztlichen Zentrum (Leiter: Oberfeldarzt Dr. M. Lüpke) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Hoitz)
Michael Lüpke
WMM; 57. Jahrgang (Ausgabe 2-3/2013: S. 56-63)
Zusammenfassung
Hintergrund: Der zahnärztliche Dienst der Bundeswehr hat die zahnärztliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sicherzustellen. Dies gilt nicht nur, aber auch für die Einsatzgebiete. Gerade die zahnärztliche Versorgung im Einsatzland unterliegt oft besonderen Anforderungen und Bedingungen.
Absolute Priorität genießt dabei das Erzielen beziehungsweise der Erhalt der Einsatzbereitschaft im Sinne einer „Combat readiness“.
Methoden: Der vorliegende Artikel beruht auf der Literaturrecherche, dem Studium der statistischen Daten aus dem Einsatz und Einsatzerfahrungen des Autors.
Ergebnisse: Im Jahr 2012 stellten sich im Einsatz 4 392 deutsche Soldatinnen und Soldaten in den jeweiligen zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr vor. Der weitaus größte Anteil der Erstvorstellungen mit 35,22 % wurde erforderlich aufgrund konservierender Dysfunktionen wie zum Beispiel Füllungsverlust. Parodontologische Ursachen machten 18,65 % aus, gefolgt von entzündlichen Prozessen mit 11,57 %. Als logische Konsequenz aus diesen Zahlen ergibt sich, dass Maßnahmen der konservierenden Zahnheilkunde mit insgesamt 39,88 % den größten Anteil der zuzuordnenden Therapiemaßnahmen ausmachten. Annähernd 90 % der vorgestellten Soldatinnen und Soldaten konnten den geforderten Dental-Fitness-Klassen 1 oder 2 zugeordnet werden.
Schlussfolgerungen: Die zahnärztliche Versorgung stellt einen unverzichtbaren Anteil der sanitätsdienstlichen Betreuung im Einsatz dar.
Schlagworte: Combat Readiness, konservierende Dysfunktion, Dental-Fitness-Klassifikation.
Summary
Background: The dental services of the Bundeswehr are tasked within maintaining the dental health of military personnel both at home and during deployment. Particular problems arise in connection with ensuring that the dental health of soldiers has to be maintained while they are in the field and absolute priority must be given to the preservation or restoration of their unrestricted combat readiness.
Methods: The present article is derived from the literature review, the study of the statistical data and own deployment experiences.
Results: A total of 4392 dental visits due to dental emergencies were recorded during deployments in 2012. Restorations of damaged teeth accounted fort he majority of visits, namely for 35.22 %. Periodontal conditions were the cause of 819 visits, corresponding to 18.65 %, followed by inflammatory conditions in 11.57 % cases. As a result, treatment by placement of dental fillings or endodontic treatment accounted for the majority of treatment sessions (39.88 %). Nearly 90 % of the seen soldiers in 2012 could be assigned to the Dental Fitness Classes one or two.
Conclusions: The dental service of the Bundeswehr plays an important role in the medical support of German soldiers during deployment.
Keywords: Combat readiness, conservative dysfunction, Dental Fitness Classification.
Einleitung
Das Aufgaben- und Einsatzspektrum der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Früher eine Armee zur reinen Landesverteidigung, ist sie heute an vielen Orten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland im Einsatz. Ende Dezember 2012 (Stand 30.12.2012) beteiligten sich 5 659 Angehörige der Bundeswehr an verschiedenen Einsätzen, wobei der Schwerpunkt auf dem Einsatz im Rahmen der Mission ISAF in Afghanistan lag. Hier waren zum Ende des Jahres 2012 4 024 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, wobei das zahlenmäßig vergleichsweise kleine Kontingent in Termez/Usbekistan in dieser Zahl mit enthalten ist. Im Vergleich zum Jahre 2010, als im Dezember insgesamt 7 318 Deutsche im Auslandseinsatz befanden, hat sich diese Größe deutlich reduziert. Dies liegt in der Entscheidung der Bundesregierung begründet, über einen schrittweisen Truppenabzug den Afghanistaneinsatz im Jahr 2014 zu beenden. Mit der Truppenreduzierung wurde der Standort in Feyzabad aufgegeben, sodass hier seit dem Frühjahr 2012 auch keine zahnärztliche Behandlungseinrichtung mehr betrieben wird. Es verblieben somit noch zahnärztliche Behandlungseinrichtungen in Mazar-e-Sharif, Kunduz und Prizren sowie an Bord einer Fregatte im Rahmen der Operation „ATALANTA“ (Abb. 1).
Aus dem Einsatz fernab der heimatlichen Bedingungen ergeben sich erhöhte Anforderungen sowohl an die Zahngesundheit der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten als auch an den zahnärztlichen Dienst der Bundeswehr. Voll einsatz- und verwendungsfähig ist nur, wer gesund ist, und dies schließt gesunde orale Verhältnisse mit ein. Wer einmal Zahnschmerzen hatte, kann leicht nachvollziehen, dass eine Pulpitis oder ein Parodontalabszess zum „Ausfall“ führen kann. Eine Vielzahl von Studien vornehmlich aus den U.S.-amerikanischen Streitkräften konnte die mögliche Gefährdung der Einsatzfähigkeit durch zahnärztliche Notfälle belegen (2, 5, 10). Hinzu kommt die im Einsatz besonders erhöhte Gefahr von Verwundungen und Verletzungen – auch im Bereich der Mundhöhle, für die eine entsprechende Behandlungskapazität vor Ort im Einsatzland vorzuhalten ist. Darüber hinaus sind das zahnärztliche Personal und die zahnärztliche Behandlungseinrichtung auch im Einsatz immer ein Teil der sanitätsdienstlichen Versorgung insgesamt und in die entsprechende sanitätsdienstliche Behandlungseinrichtung integriert. Sowohl bei den frühen Einsätzen in Kambodscha oder Somalia als auch bei den aktuellen Einsätzen im Kosovo oder in Afghanistan – die Zahnmedizin ist eines der Fachgebiete der ersten Stunde und fast alle Bundeswehreinsätze wurden beziehungsweise werden von Sanitätsstabsoffizieren (SanStOffz) Zahnarzt begleitet und hier vor allem von solchen mit der Fachgebietsbezeichnung Oralchirurgie.
Dental-Fitness-Klassifikation
Selbstverständlich muss immer die komplette orale Sanierung bereits im Heimatland im Vordergrund stehen. Nicht ohne Grund wurde im zahnärztlichen Dienst der Bundeswehr im Jahre 2006 die jährliche verbindliche Bestimmung der Dental Fitness Classification (DFC) gemäß NATO-Standardisation Agreement (STANAG) 2466 Med eingeführt. Demnach muss sich jede Soldatin und jeder Soldat mindestens einmal im Jahr einer truppenzahnärztlichen Untersuchung unterziehen, nach der eine Einteilung in eine der vier Dental-Fitness-Klassen erfolgt. Mittels der Dental-Fitness-Klassifikation wird anhand des oralen Befundes eine prognostische Einschätzung bezüglich des möglichen Auftretens eines zahnärztlichen Notfalles innerhalb der nächsten 12 Monate vorgenommen. Es gilt dabei die in der Tabelle 1 vorgegebene Einteilung.
Die Dental Fitness Class 2 (DFC) wird zum Beispiel bei einem insuffizienten Kronenrand, aber auch bei einer initialen Karies vergeben. Hier ist zwar sicherlich eine zahnärztliche Behandlung erforderlich und anzustreben, ein zahnärztlicher Notfall ist in den nächsten 12 Monaten jedoch nicht zu erwarten. Eine Einteilung in die DFC 3 ist bei Befunden vorzunehmen, die einen zahnärztlichen Notfall innerhalb der nächsten 12 Monate erwarten lassen. Davon ist zum Beispiel bei einer profunden kariösen Läsion oder einer apikalen Erkrankung auszugehen. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass gerade Diagnosen aus dem Bereich der konservierenden Zahnheilkunde den Löwenanteil der zahnärztlichen Notfälle im Einsatz ausmachen und daher besondere Beachtung verdienen. Auf diesen Aspekt wird an anderer Stelle dieser Ausführungen noch einzugehen sein.
Als „einsatzverwendungsfähig“ gelten nur die DFC 1 oder 2. Die komplette orale Sanierung muss das Ziel der zahnärztlichen Behandlung im Heimatland sein. Aus verschiedenen Gründen ist dies nicht immer möglich. Unverzichtbare Forderung ist jedoch, dass durch die zahnärztliche Behandlung der DFC 3 zumindest die Einteilung in DFC 2 erzielt wird. Die Behandlung der DFC 3 muss daher absolute Priorität erfahren (1, 12). Die diesbezüglichen Anstrengungen des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr sind durchaus erfolgreich. So wiesen von den 4 392 Erstvorstellungen im Einsatz im Jahre 2012 89,91 % der erstvorgestellten Soldatinnen und Soldaten eine DFC 1 oder 2 auf. Dies ist im Vergleich zum Jahr 2010 eine substanzielle Verbesserung, wo 86,78 % der Erstvorgestellten eine DFC 1 oder 2 zeigten (Tab. 2).
Auftrag der zahnärztlichen Versorgung im Einsatzland
Die konsequente Umsetzung der genannten Maßgaben vermag die Wahrscheinlichkeit von zahnärztlichen Notfällen im Einsatz zwar deutlich zu reduzieren, aber nicht auszuschließen. In Abhängigkeit von der Art des Notfalles kann dieser die Einsatzfähigkeit der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Der vorrangige Auftrag der zahnärztlichen Versorgung im Einsatzland besteht daher in:
- Sicherstellung der zahnärztlich/oralchirurgischen Versorgung der Angehörigen der Bundeswehr und alliierter Streitkräfte.
Vorrang hat dabei immer die Erhaltung beziehungsweise die Wiederherstellung der „Combat Readiness“. Eine Repatriierung ist bei zahnärztlichen Notfällen zwar möglich, sollte aber aufgrund der daraus resultierenden Schwierigkeiten (Ausfall und Ersatz der Soldatin oder des Soldaten) immer die letzte Option darstellen. In fast allen Fällen lassen es die personellen und infrastrukturellen Möglichkeiten zu, den Notfall direkt vor Ort zu behandeln. In den Fällen von Verwundungen oder Verletzungen mit entsprechenden oralen Weich- und Hartgewebsverletzungen findet dagegen die reguläre operative Versorgung dieser Defekte immer im Heimatland in den entsprechenden Abteilungen für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Bundeswehrkrankenhäuser statt. In diesen Fällen ist das Ziel der zahnärztlich/oralchirurgischen Therapie im Einsatz die Primärversorgung und die Herstellung der Transportfähigkeit nach Deutschland. Auch für diese Erstversorgung vor Ort bedarf es entsprechender oralchirurgischer Kenntnisse und Fähigkeiten. Aus diesem Grund wird der zahnärztliche Behandlungsplatz im Feldlazarett in Mazar-e-Sharif immer mit einer Fachzahnärztin oder einem Fachzahnarzt Oralchirurgie besetzt. Im Camp Marmal in Mazar-e-Sharif sind neben der Bundeswehr auch Angehörige verschiedener alliierter Streitkräfte stationiert, die bei Bedarf auf die zahnärztliche Behandlungseinrichtung im deutschen Feldlazarett zurückgreifen. Hier findet schon seit Jahren eine sehr gute Kooperation zwischen den befreundeten Streitkräften statt, die weitgehend problemlos funktioniert.
- Sicherstellung der zahnärztlich/oralchirurgischen Versorgung der Angehörigen von Government Organisations und Non-Government Organisations
In den Einsatzgebieten ist eine Vielzahl von verschiedenen zivilen Organisationen engagiert. Deren Angehörige arbeiten im Regelfall ohne eigene medizinische Unterstützung und sind im Bedarfsfall auf die medizinischen und zahnärztlichen Kapazitäten vor Ort angewiesen. Dies können auch die sanitätsdienstlichen Einrichtungen der Bundeswehr sein. Die Behandlung der einheimischen Bevölkerung im Einsatzland gehört grundsätzlich nicht zum Behandlungsauftrag der zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen. In Abhängigkeit von vorhandenen Kapazitäten werden jedoch aus humanitären Gründen durchaus auch Behandlungsmaßnahmen bei einzelnen Personen der einheimischen Bevölkerung durchgeführt.
- Sonderaufgaben
Neben den zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen müssen die SanStOffz Zahnarzt im Einsatz in Abhängigkeit von der Lage und dem Einsatzort auch nicht zahnarzttypische Tätigkeiten durchführen. Dies können zum Beispiel die Organisation der Warmblutspende in Kunduz und die Mithilfe im Schockraum oder im Operationssaal sein. Darüber hinaus kann die zahnärztliche Expertise auch bei der Identifizierung von Opfern erforderlich sein.
Aufgrund der geschilderten vielfältigen Aufgaben sollten nur entsprechend qualifizierte und erfahrene SanStOffz Zahnarzt im Einsatz tätig sein. Diese müssen gerade hier selbstständig und eigenverantwortlich die entsprechend richtigen therapeutischen Entscheidungen treffen. Fachliche Unterstützung ist vor Ort in den wenigsten Fällen vorhanden. Aus diesem Grund bietet der zahnärztliche Dienst der Bundeswehr in Deutschland eine Reihe von Fortbildungs- beziehungsweise Qualifizierungsmaßnahmen an. Dies sind zum Beispiel Schienungskurse, die Möglichkeiten zur oralchirurgischen Qualifizierung an den Bundeswehrkrankenhäusern oder der Lehrgang „Zahnärztliche Identifizierung“ an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München.
Infrastruktur und materielle Ausstattung
Von sehr wenigen einfachen oralchirurgischen Behandlungsmaßnahmen einmal abgesehen, bedarf es für die zahnärztliche Behandlung spezieller apparativer und infrastruktureller Voraussetzungen (3). Diese haben sich im Laufe der Zeit mit zunehmender Einsatzerfahrung deutlich verbessert. Durchaus bewährt hat sich das MSE-Containersystem (Abb. 2), mit dem der Verfasser im Jahre 2005 im Einsatz im Camp Warehouse in Kabul und 2007 im Feldlazarett in Mazar-e-Sharif umfangreiche Erfahrungen sammeln konnte (8).
Das Containersystem wird zurzeit nicht genutzt, daher soll bei dieser Betrachtung der aktuellen Situation nicht weiter darauf eingegangen werden. Es bleibt jedoch eine Option für mögliche zukünftige Einsätze.
Abgesehen von der zahnärztlichen Behandlungseinrichtung an Bord von Schiffen der Deutschen Marine im Rahmen der Mission „ATALANTA“, befinden sich alle derzeitigen zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen in befestigten Unterkünften. Im Rahmen dieser Ausführungen kann nicht auf jeden einzelnen zahnärztlichen Behandlungsplatz eingegangen werden. Die größte zahnärztliche Behandlungseinrichtung befindet sich in Mazar-e-Sharif im dortigen Feldlazarett im Camp Marmal. Sie soll im Folgenden dargestellt werden.
Zahnarztgruppe Mazar-e-Sharif
In Mazar-e-Sharif liegt der größte deutsche Stützpunkt in Afghanistan. Im Jahr 2007 wurde das deutsche Einsatzlazarett in einem neu errichteten Gebäudekomplex untergebracht. Die Zahnarztgruppe findet sich im Ambulanztrakt. Mit insgesamt acht Funktionszimmern ist sie die größte Ambulanz. Alle Räumlichkeiten sind großzügig gestaltet und mit einer Klimaanlage ausgestattet. Hier gibt es zwei freundlich und modern gestaltete Behandlungszimmer, die mit jeweils einem Behandlungsstuhl, dem entsprechenden zahnärztlichen Instrumentarium und Gerätschaften komplett ausgestattet sind (Abb. 3). Die Zahnarztgruppe ist personell mit einem SanStOffz Zahnarzt und zwei Sanitätsunteroffizieren besetzt, wobei der SanStOffz Zahnarzt grundsätzlich eine abgeschlossene Weiterqualifizierung im Bereich der Oralchirurgie aufweisen muss. Aufgrund der im Lager deutlich angestiegenen Anzahl alliierter Soldaten, deren zahnärztliche Behandlung ebenfalls durch die Zahnarztgruppe des Einsatzlazaretts erfolgt, wird im Jahr 2013 ein weiterer SanStOffz Zahnarzt in der Zahnarztgruppe eingesetzt werden. Nach derzeitiger Planung soll dieser von den belgischen Streitkräften gestellt werden. Hier erweist es sich als Vorteil, dass zwei Behandlungszimmer mit dem im Einsatz benötigten oralchirurgíschen Instrumentarium zur Verfügung stehen.
Beispielhaft seien Sets für Osteosynthesen und das Chirurgiegerät für Arbeiten am Alveolarknochen genannt. Die Vorhaltung in vorbereiteten OP-Trays ermöglicht im Notfall eine schnelle Herstellung der oralchirurgischen Arbeitsbereitschaft. Die Vor- und Nachbereitung des Instrumentariums erfolgt in einem entsprechend dafür ausgestatteten Raum (Abb. 4).
Auf die Möglichkeit zur Herstellung von Röntgenaufnahmen sei in diesem Zusammenhang nochmals gesondert eingegangen. Gemäß der Forderung der deutschen Röntgenverordnung zur Minimierung der Strahlenexposition, wurde in der Zahnarztgruppe in Mazar-e-Sharif eine moderne digitale Röntgenanlage eingerichtet. Diese erlaubt die hervorragende radiologische Darstellung der oralen Strukturen bei geringer Strahlenbelastung. Praktisch ist das Vorhandensein von entsprechenden Monitoren in den Behandlungszimmern, anhand derer eine schnelle Auswertung der Bilder möglich ist. Die Anfertigung von Einzelzahnaufnahmen geschieht direkt am Behandlungsstuhl, für die Anfertigung von Panoramaschichtaufnahmen steht ein Röntgenraum zur Verfügung (Abb. 5 und 6).
Weitere Funktionsräume, zum Beispiel für die Anmeldung, komplettieren das Raumangebot. Mit der Unterbringung in einem festen und gehärteten Gebäude erhöht sich die Sicherheit des in diesem Bereich befindlichen Personals etwa bei Beschuss. Hinzu kommt, dass im Alarmierungs- oder Notfall im Lager nicht länger ungeschützte Bereiche begangen werden müssen, um von der Zahnarztgruppe in das Einsatzlazarett zu gelangen. Aufgrund der Klimatisierung der Räume können auch längere Behandlungen ohne physischen Stress durch Hitzebelastung durchgeführt werden. Dies kommt sowohl dem behandelnden Personal als auch den MSE-Patienten zugute. Bei Außentemperaturen von annähernd 50 ºC im Hochsommer ist dieser Aspekt durchaus wesentlich. Zudem ist der Umgang mit den teilweise wärmeempfindlichen zahnärztlichen Materialien weniger problematisch. Die guten infrastrukturellen Gegebenheiten verhindern ferner eine Belastung mit dem in Afghanistan gerade in den Sommermonaten allgegenwärtigen Staub. Den auch im Einsatzland geltenden Regeln der Hygieneverordnung kann damit uneingeschränkt entsprochen werden. Die gegebene räumliche Nähe zu den anderen Fachdisziplinen verbessert darüber hinaus die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Bordzahnstation
Wenn auch in der Größe unterschiedlich, so sind die in fester Infrastruktur untergebrachten Zahnarztgruppen bezüglich der vorliegenden Arbeitsbedingungen doch recht ähnlich. Anders stellt sich die Situation an Bord im Rahmen der Mission „ATALANTA“ dar. Hier erfolgt die zahnärztliche Behandlung in einer „Bordzahnstation“ auf einer der beteiligten Fregatten. Aufgrund des nur sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Raumes an Bord gibt es für die zahnärztliche Behandlung keinen eigenen Behandlungsraum. Sie wird im Schiffslazarett durchgeführt, als Behandlungsstuhl dient der OP-Tisch des Schiffarztes (Abb. 7).
Für die zahnärztliche Behandlung wird eine mobile Ausstattung vom Typ „Amadeus“ in drei großen Transportkisten mitgeführt. Bei Bedarf kann ein mobiles Behandlungselement sowohl für den SanStOffz Zahnarzt als auch für die Assistenz an dem OP-Tisch des Schiffslazaretts befestigt werden. Als Leuchte dient die OP-Leuchte, die Druckluft wird durch einen mitgeführten Kompressor erzeugt (Abb. 8).
Die zahnärztliche Behandlung an Bord unterliegt besonderen Bedingungen (9, 11). Neben den schon erwähnten deutlich beengten Platzverhältnissen, muss in diesem Zusammenhang an die Schaukelbewegungen des Schiffes bei entsprechendem Seegang und die Eigenvibrationen des Schiffes erinnert werden. Die zahnärztliche Behandlung umfasst im Regelfall die Versorgung entsprechender zahnärztlicher Notfälle und erfolgt aufgrund der geschilderten Erschwernisse – wenn möglich – bei Liegezeiten im Hafen. Bei Bedarf ist sie jedoch auch auf See möglich.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass jedes Jahr ein bis drei
SanStOffz Zahnarzt im Rahmen von Übungs-und Ausbildungsvorhaben unter den geschilderten Bedingungen als Bordzahnärzte an verschiedenen Missionen teilnehmen (Abb. 1).
Zahnärztliche Diagnosen und Therapie im Einsatz
Trotz der Forderung, dass nur oral gesunde Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz gehen sollen, treten im Einsatz zahnärztliche Notfälle in nicht unbeträchtlicher Anzahl auf. Letztere weiter zu reduzieren, muss ein wichtiges Anliegen des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr sein. Aus diesem Grund ist eine Analyse der im Einsatz aufgetretenen Notfälle und der deshalb erfolgten Behandlungsmaßnahmen von großem Interesse. Im Folgenden sollen alle im Jahre 2012 im Einsatz an Land und auf See aufgetretenen zahnärztlichen Notfälle eingehend betrachtet werden.
Im Jahre 2012 fanden im Einsatz insgesamt 4 392 Erstvorstellungen statt. Die Gründe für deren Notwendigkeit waren, wie in der Übersicht über die Diagnosen dargestellt, innerhalb der einzelnen zahnmedizinischen Fächer sehr unterschiedlich gewichtet (Abb. 9).
Den größten Anteil mit 1 547 Sitzungen (35,22 %) machte die Diagnose „konservierende Dysfunktion“ aus. Unter dieser Diagnose sind Füllungsverluste, Füllungsfrakturen oder auch kariöse Defekte subsumiert. Ebenfalls in den Bereich der konservierenden Zahnheilkunde fallen die durch endodontische Prozesse verursachten 437 Erstvorstellungen, die einen Anteil von 9,95 % ausmachten. 11,57 % (508 Sitzungen) waren entzündliche Prozesse, wie zum Beispiel eine Perikoronitis. Aus parodontologischen Gründen fanden 819 (18,65 %) Erstvorstellungen statt. Leider kann den Daten nicht entnommen werden, welche parodontologischen Gründe im Einzelnen die Erstvorstellung bedingten. Hier wäre eine genauere Differenzierung interessant, da die infrage kommenden Prozesse wie der Parodontalabszess oder die nekrotisierende ulzerierende Gingivitis das Allgemeinbefinden und damit die Einsatzbereitschaft ganz erheblich beeinträchtigen können. Weitere Diagnosen wie das Trauma, der defekte Zahnersatz oder die Cranio-Mandibuläre-Dysfunktion treten im Einsatz deutlich seltener auf. Es sei jedoch daran erinnert, dass ein durch ein Trauma bedingter Notfall, zum Beispiel eine Unterkieferfraktur, ebenfalls beträchtliche Auswirkungen für die Betroffenen haben können und eine Repatriierung notwendig werden kann. Es fällt auf, dass ein großer Anteil der Sitzungen (21,43 %) unter „Sonstiges“ geführt wird. Dabei handelt es sich um Diagnosen verschiedenster Art, zum Beispiel überempfindlicher Zahnhals, die keiner der gängigen Diagnosen zugeordnet werden konnten. Hier sollte für die Zukunft darüber nachgedacht werden, ob durch eine weitere Differenzierung dieser doch hohe Anteil nicht genauer benannt werden kann. Darüber hinaus sollten die aufgetretenen Notfälle insgesamt wissenschaftlich untersucht werden, denn trotz umfangreicher Sanierungsbemühungen im Heimatland ist die Anzahl der aufgetretenen Notfälle nicht unerheblich. Ein Grund dafür könnte unter anderem auch darin liegen, dass uns zu vielen Aspekten noch keine entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen. Gerade der Zusammenhang zwischen der Einsatzbelastung und deren Auswirkung auf die Ätiologie entzündlicher Prozesse ist bislang noch nicht hinreichend erforscht. Hier gilt es auch seitens des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr, durch entsprechende wehrmedizinisch-zahnärztliche Forschungsprojekte weitere Erkenntnisse zu erlangen.
Wie bereits ausgeführt, wird der größte Anteil der notwendigen Sitzungen durch Probleme aus dem Bereich der konservierenden Zahnheilkunde verursacht. Demzufolge machen auch therapeutische Maßnahmen auf diesem Feld den größten Anteil der Behandlungssitzungen aus (Abb. 10).
Für die Versorgung mit Füllungen waren 1 747 Behandlungssitzungen erforderlich, dies entspricht einem Anteil von 26,38 %. Ebenfalls in den Bereich der konservierenden Zahnheilkunde fällt die endodontische Therapie mit 899 (13,50 %) Behandlungssitzungen. Erfreulich ist, dass auch im Einsatz mit 17,36 % (1 156 Sitzungen) ein hoher Anteil an Prophylaxesitzungen durchgeführt werden konnte. Bezüglich deren Notwendigkeit sei daran erinnert, dass unter der Stressbelastung im Einsatz von einer reduzierten individuellen Mundhygiene der Soldaten auszugehen ist, und aufgrund weiterer bestehender Faktoren (reduzierte Immunabwehr durch physischen und psychischen Stress, Nikotinabusus) eine erhöhte Anfälligkeit von Soldaten für eine gingivale Entzündung diskutiert werden muss (4, 8). Die chirurgische Therapie macht zwar nur einen Anteil von 5,72 % (340 Sitzungen) aus, bleibt aber aufgrund der sie verursachenden, meist für die Einsatzfähigkeit schwerwiegenden Diagnose bedeutsam (6). Wie schon bei den Befunden fällt auch bei der Therapie auf, dass der größte Anteil der Behandlungssitzungen keinem Fachgebiet eindeutig zugeordnet werden kann. Unter der Palliativversorgung mit 35,83 % (entsprechend 2 386 Behandlungssitzungen) sind viele nicht eindeutig zuzuordnende Maßnahmen subsumiert. Hier gilt es für die Zukunft, eine weitere eindeutige Differenzierung vorzunehmen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Als Teil der sanitätsdienstlichen Betreuung ist die zahnärztliche Versorgung weltweit an verschiedenen Einsätzen beteiligt. Ein wesentlicher Grundpfeiler für die Versorgung im Einsatzland ist die vollständige orale Sanierung im Heimatland.
Nur oral gesunde Soldaten sollten in den Einsatz gehen. Dennoch sind zahnärztliche Notfälle im Einsatz unvermeidlich, die durch die personellen und infrastrukturell-apparativen Voraussetzungen vor Ort adäquat versorgt werden können. Das Behandlungsspektrum im Einsatz konzentriert sich vorrangig auf Maßnahmen der konservierenden Zahnheilkunde. Zur Vermeidung zukünftiger Notfälle ist ein weiterer Erkenntnisgewinn durch wehrmedizinisch-zahnärztliche Forschungsprojekte anzustreben.
Literatur
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- Thierbach R: Dental Fitness – Quo Vadis? Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2007; 2: 32 – 35.
Bildquellen:
Foto 1, 9 und 10: Unterabteilung III/Zahnmedizin, Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr Koblenz
Foto 2-6: Oberfeldarzt Dr. Michael Lüke, Ulm
Foto 7 und 8: Flottillenarzt Dr. Jan Ströker, Kiel
Datum: 20.03.2013
Quelle:
Wehrmedizinische Monatsschrift 2013/2-3
Wehrmedizinische Monatsschrift 2013/2-3