Nach der Auflösung des Warschauer Paktes wandelte sich die Bundeswehr ab Mitte der 1990er Jahre in eine moderne Einsatzarmee, der Sanitätsdienst war immer und überall mit dabei. Im Jahr 1991 kam die erste große Herausforderung mit einem Hilfseinsatz in Kambodscha – Somalia und Afghanistan folgten. Die Versorgung der eigenen Kräfte und die vor Ort erbrachte humanitäre Hilfe erforderten tropenmedizinische Kenntnisse, die anfänglich federführend durch das Schifffahrtsmedizinische Institut der Marine erbracht und weiterentwickelt wurden. Die militärische Führung erkannte bald, dass es notwendig wurde, über den Marinesanitätsdienst hinaus, infektiologisch-tropenmedizinische Expertise im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr aufzubauen. Zwei Möglichkeiten standen zur Auswahl: Der langwierige Aufbau einer eigenen tropenmedizinischen Einrichtung oder eine Zivil-Militärische Kooperation mit einer auf dem Gebiet der Tropen- und Infektionsmedizin führenden zivilen Einrichtung. Ereignisse, wie die notfallmäßige Verlegung des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst nach Indonesien im Rahmen eines humanitären Hilfseinsatzes bei der Tsunamikatastrophe, beschleunigten die Entscheidung. Im August 2005 wurde ein Kooperationsvertrag zwischen dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr und der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen und im Jahr 2006 der Fachbereich Tropenmedizin des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg am Bernhard-Nocht-Institut (FbTropMedInf) in Dienst gestellt. Das Universitätsklinikum HamburgEppendorf (UKE), das im Weiteren die stationäre und ambulante Versorgung der Patienten des Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) übernahm, wurde ebenfalls zum Kooperationspartner.
Mit der Ausdehnung der Einsatzgebiete auf den afrikanischen Kontinent benötigte die Truppe eine adäquate Versorgung, bestehend aus qualifizierter Vorbereitung, Begleitung und fachgerechter Nachsorge. Heute erweitert sich das Spektrum der Versorgung über die klassischen Tropenkrankheiten, wie Malaria, hinaus, auf das klinische Management von Infektionskrankheiten aus allen Klimazonen.
Der Kooperationsvertrag als Türöffner
Am BNITM findet der FbTropMedInf nicht nur eine erstklassige Liegenschaft vor, sondern hat durch die Kooperation auch Zugang zu einer der größten tropenmedizinischen Ambulanzen in Deutschland. Dies eröffnet die einzigartige Möglichkeit, Erfahrungen mit tropenmedizinischen Fragestellungen im Inland zu sammeln. In der eigenen Ambulanz erfolgt die Versorgung von militärischen Rückkehrenden aus dem Ausland sowie tropendermatologische, präventivmedizinische oder infektiologische Betreuung.
In der Zusammenarbeit mit den Forschungsgruppen des BNITM erhält der FbTropmedInf die Möglichkeit, mit Proben aus aller Welt tropenmikrobiologische Spezialdiagnostik zu evaluieren und weiter zu entwickeln. Surveillancedaten von Rückkehrenden aus den Tropen tragen zur epidemiologischen Lagebeurteilung bei. Die Entomologie entwickelt mit dem BNITM neue Methoden zur Überwachung und Analyse des Vektorenaufkommens und deren Erregerkompetenz.
Besondere Expertise hat der FbTropMedInf im Umgang mit „High consequence diseases“, vor allem in der Umsetzung von Isolationsmaßnahmen („Barrier Nursing“ = BN) unter den unterschiedlichsten Bedingungen. Als assoziiertes Mitglied des „Ständigen Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger“ beim Robert Koch-Institut konnte der FbTropMedInf wertvolle Erfahrungen bei der Behandlung von Lassa und Ebola sammeln.
Die Ausbildung steht am FbTropMedInf im Fokus. In zwei BN-Kursen pro Jahr wird die über zwanzig Jahre gewachsene Expertise, außer an Sanitätssoldaten, auch an Polizei und Feuerwehrkräfte und an Mitarbeiter des UKE weitergegeben. Mehrmals jährlich finden einwöchige Lehrgänge zum Thema Tropen- und Infektionsmedizin zur Vorbereitung auf Einsätze statt. Neu kommt 2023 ein von der Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit und der Ärztekammer Hamburg akkreditierter Kurs „Tropen- und Reisemedizin“ dazu. Darüber hinaus können Sanitätsoffiziere am BNITM den dreimonatigen sogenannten „Großen Tropenkurs“ absolvieren, um einen Teil der Zusatzbezeichnung Tropenmedizin zu erlangen. Weiterhin koordiniert der Fachbereich die langjährige Zusammenarbeit mit Krankenhäusern in den Tropen. Im Fokus steht hier das Kilimanjaro Christian Medical Centre, das einerseits für die tropenmedizinische Ausbildung der Sanitätsoffiziere, andererseits für intensive „refresher-Phasen“ für Angehörige der Gesundheitsfachberufe ein etablierter Partner ist. Die Möglichkeiten, in den Tropen über den Tellerrand zu schauen, werden durch die AbsolventInnen der Maßnahmen außerordentlich wertgeschätzt. Durch diese einmaligen Möglichkeiten begründet sich einer der zentralen Aufträge des BwKrhs Hamburg im Wirkverbund der BwKrhs: Die Weiterentwicklung der tropenmedizinisch-infektiologischen Diagnostik und Behandlung auf universitärem Niveau für die SoldatInnen in allen Einsatzgebieten.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2023
Oberstarzt Dr. M. Fischer
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Lesserstraße 180 22049 Hamburg
E-Mail: MarcellusFischer@bundeswehr.org