22.02.2015 •

    ALTERSTRAUMATOLOGIE - RELEVANZ FÜR DIE EINSATZCHIRURGIE

    Trauma in Elderly Patients– Relevance for Military Surgery



    André Gutcke, Benedikt Friemert, Matthias Johann, Erwin Kollig, Christian Willy



    WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 12/2014; S. 413-416)

    Zusammenfassung:



    Die Alterstraumatologie nimmt aufgrund des demographischen Wandels an Bedeutung und Umfang zu. Auswertungen des statistischen Bundesamtes und der Gesundheitsberichterstattung des Bundes sowie nationale und internationale Studienergebnisse verdeutlichen die Tragweite dieser Entwicklung. Die Alterstraumatologie bestimmt zunehmend den Alltag in unfallchirurgischen Kliniken.

    Die Bundeswehrkrankenhäuser müssen dieser Entwicklung ebenso wie zivile Kliniken Rechnung tragen.  Die qualitativ hochwertige Versorgung auch geriatrischer Patienten mit ihren Herausforderungen durch komplexe Verletzungs- und Krankheitsbilder, die ebenso „komplexes Denken“ erfordern,  muss damit zur Gewährleistung der Aus- und Weiterbildung zum Einsatzchirurgen und des ihren festen Platz im traumatologischen Spektrum der Bundeswehrkrankenhäuser haben.
    Schlüsselwörter: Alterstraumatologie, geriatrische Patienten, Trauma, Fraktur, Bevölkerungsentwicklung

    Summary

    The relevance of geriatric trauma is increasing due to demographic changes. Recent data from the federal office of statistics, the annual governmental reports on healthcare, as well as national and international study results indicate the severity of this observation. Moreover, geriatric trauma is more and more present in the everyday care of our emergency and traumatology departments. The German military hospitals are now challenged to stay abreast of these changes, especially if compared to civil healthcare providers. It is the trauma departments’ responsibility to provide high quality care for these challenging patients, regarding the high complexity of geriatric trauma cases, which requires “complex thinking” for optimal treatment. So therapy of those patients is highly relevant for improving and sustaining expertise in military surgery.
    Keywords: trauma in the elderly, geriatric patients, traumatology, fracture, population development

    Hintergrund

    Der Anteil älterer Menschen nimmt entsprechend dem demographischen Wandel in Deutschland seit Jahren ständig zu. Dabei sinkt vor allem die Alterssterblichkeit [1]. Insbesondere der sogenannte „Baby Boom“ in den Folgejahren des 2. Weltkrieges – ca. 75 Millionen Menschen wurden alleine zwischen 1946 und 1964 geboren – erreicht nun eine dies bezüglich relevante Alterspanne von 50 Jahren und aufwärts (Abbildung 1). Die Alterspyramiden von 1950 bis 2060 zeigen nahezu eine Umkehr der Verhältnisse zwischen Alt und Jung [2] (Abbildung 2). Nach Schätzung des statistischen Bundesamtes wird im Jahre 2060 in Deutschland der Bevölkerungsanteil von über 60 Jahre alten Menschen von zur Zeit 26 % auf 42 % anwachsen. Dagegen wird der Anteil der 20 - 60 Jahre alten Menschen von zur Zeit 55 % bis 2060 auf 43 % sinken (Abbildung 3) [3]. Es wird dann nahezu jeder zweite Erwachsene über 60 Jahre alt sein.
    Hinzu kommt der Umstand, dass diese Population geprägt ist von einem zunehmend hohen Grad an Aktivität und Vitalität durch kontinuierliche Verbesserung der medizinischen Versorgung (Downaging). Diese Konstellation erhöht das Risiko eines Traumas im Alter signifikant [4].

    Aktuelle Entwicklung in der Traumatologie

    Entsprechend der demographischen Entwicklung steigen auch die Frakturverletzungen geriatrischer Patienten an. Die Abbildungen 4, 5, 6 und 7 veranschaulichen die Häufigkeitsentwicklung der Knochenbrüche für die obere und untere Extremität sowie Wirbelsäule und Becken im Zeitraum 2000 bis 2012 [5]. In 2012 erlitten in Deutschland rund 350.000 Patienten im Alter von über 60 Jahren Frakturen der Lendenwirbelsäule, des Beckens, des proximalen Femur, des proximalen Humerus und des distalen Radius (Abbildung 8). Bemerkenswert ist hier die fast dreifache Häufigkeit bei proximalen Femurfrakturen von etwa 120.000 im Jahr 2012 im Vergleich zu den übrigen Lokalisationen [5]. Diese mit Osteoporose und Sturz assoziierten Frakturlokalisationen sind typisch für den älteren Menschen. Eine besondere Entität stellen die zunehmenden periprothetischen Frakturen dar [6]. Hier verursacht die einwirkende Energie durch eine Implantat-bedingt veränderte Biomechanik ganz eigene Frakturverläufe, welche in hochkomplexe Osteosynthesen oder Prothesenwechseloperationen münden (Abbildung 9).
    Laut aktuellem Jahresbericht des TraumaRegisters DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie betrug das Durchschnittsalter der erfassten Patienten im Jahr 2012 47,6 Jahre (SD: 22,2) und liegt damit 1,7 Jahre über dem 10-Jahresdurchschnitt [7]. Werden diese zunächst nicht sonderlich beeindruckenden Zahlen in der Tiefe analysiert, so ergeben sich deutlichere epidemiologische Hinweise auf die hohe Relevanz des geriatrischen Traumas. So hat eine Studie von Fisahn und Kollegen mit 41 444 im DGU-Traumaregister registrierten Patienten mit einem Injury Severity Score > 9 ergeben, dass der Anteil der über 60-Jährigen bei nahezu 30 % lag. Ab 65 Jahren stellt der Sturz aus Höhen unter 3 Metern die Hauptursache für die Einlieferung in ein Traumazentrum und intensivmedizinische Behandlung dar. Insgesamt steigt der Anteil von geriatrischen und hochbetagten Patienten bei Polytrauma stetig an und liegt mittlerweile bei 58,7 % bei den über 90-jährigen [8].
    Aufgrund der sehr häufig in höherem Lebensalter bestehenden Begleiterkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels sind selbst bei einem Monotrauma die Behandlungswege kompliziert und von einer hohen Morbidität und Mortalität begleitet. Dieses schult das „komplexe Denken“, welches gerade auch in der Einsatzsituation in besonderer Weise gefordert ist. Alleine bei proximalen Femurfrakturen geriatrischer Patienten ist eine Ein-Jahres-Mortalität von etwa 25 % zu verzeichnen [9]. Etwa ein Drittel dieser Patienten ereilt binnen eines Jahres der Verlust der Selbstständigkeit [10].
    Europaweit wird dieser Entwicklung mit wissenschaftlichen Studien begegnet, die ein verbessertes Outcome durch einen interdisziplinären geriatrischen Behandlungsansatz nachzuweisen suchen [6]. Seit Juli 2014 werden Kliniken durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie zum AltersTraumaZentrum DGU® zertifiziert, welche auf die geriatrische Frakturversorgung durch individuell abgestimmte altersspezifische Behandlungsprozesse besonders ausgerichtet sind.

    Konsequenzen für die Unfallchirurgie

    Für die Unfallchirurgie sind die Auseinandersetzung mit dem und die strategische Ausrichtung auf das Alterstrauma evident, um auch künftig eine hohe Versorgungsqualität der Patienten gewährleisten zu können. Weit mehr als bereits heute prägt das Alterstrauma den unfallchirurgischen Alltag der Zukunft. Das Belegungsbild einer Traumastation folgt der demographischen Entwicklung. Der Anteil an geriatrischen Patienten mit Frakturverletzung wird wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten auf deutlich mehr als 50% anwachsen.
    Die einsatzmedizinische Relevanz der Alterstraumatologie liegt damit auf der Hand. Die Aus- und Weiterbildung im Fachgebiet der Chirurgie, und insbesondere der Unfallchirurgie, sind bereits heute durch einen relevanten und zunehmenden Anteil geriatrischer Patienten geprägt. Die Prinzipien der Frakturbehandlung gelten grundsätzlich unabhängig vom Alter des Patienten und zielen auf eine biomechanische Wiederherstellung der Funktion des Achsenskelettes. Zwar adressieren bestimmte Operationsverfahren speziell den Knochenbruch des alten Menschen (dieser ist in der Regel aufgrund der reduzierten Knochenqualität in der Versorgung technisch deutlich anspruchsvoller), doch kann aus dem komplexen Fall eines geriatrischen Traumapatienten die Versorgung eines jüngeren Patienten stets einfacher abgeleitet werden als umgekehrt. Des Weiteren ist bei den geriatrischen Patienten aufgrund der sehr hohen Rate an Komorbiditäten ein umfangreiches „komplexes Denken“ erforderlich, um eine Genesung dieser Patientengruppe zu erreichen - denkt man allein nur an die zum Teil komplexen Dauermedikationen – oft mit Einschluss von heute üblichen Gerinnungshemmern - bei diesen Patienten. Diese Notwendigkeit des „Um-drei-Ecken-Denken“, einen „Plan A-B-C“ zu haben, ist eine ausgesprochen gute Schulung für die Einsatzsituation, in der ähnliche komplexe Denkstrukturen gefordert sind. Die Behandlung von Patienten mit komplexen Krankheitsbildern schult „komplexes Denken“.

    Schlussfolgerungen für die Wehrmedizin

    Die Bundeswehrkrankenhäuser werden sich, wie alle zivilen Kliniken, in ihren Versorgungsstrategien dem demographischer Wandel anpassen müssen – je eher und nachhaltiger, desto sicherer bleibt die fortgesetzt hohe Einbindung in die regionale und überregionale Versorgung von Traumapatienten bestehen. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung, um das erforderliche Ausbildungsvolumen zum Einsatzchirurgen in Breite und Tiefe zu sichern bzw. auszubauen. Ob eine Zertifizierung zum „Alterstraumazentrum“, wie es die DGU bisher auf freiwilliger Basis möglich macht, analog zu den zertifizierten Traumanetzwerken in Zukunft zur Pflicht wird, muss abgewartet werden. Hieraus könnte sich dann allerdings die Notwendigkeit zu einer Anpassung der Krankenhausstruktur ergeben.

    Literatur

    1. Tivig T, Waldenberger F.: Deutschland im Demografischen Wandel. Rostock 2011.
    2. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitheft zur Pressekonferenz am 18.09.2009, Berlin
    3. Statistisches Bundesamt: www.destatis.de
    4. Yelon JA: Specific Challenges in Trauma – The Geriatric Patient.  in Mattox KL, Moore EE, Feliciano DV. Trauma, 7th edition, McGraw Hill, New York. 2013.
    5. GBE Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Diagnosedaten der Krankenhäuser ab 2000; www.gbe-bund.de
    6. Buecking B, Timmesfeld N, Riem S, et al.: Early orthogeriatric treatment of trauma in the elderly—a systematic review and metaanalysis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(15): 255−62
    7. DGU Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie Sektion Intensiv- & Notfallmedizin, Schwerverletztenversorgung (NIS) und AUC - Akademie der Unfallchirurgie GmbH: TraumaRegister DGU® Jahresbericht 2013 für den Zeitraum bis Ende 2012
    8. Fisahn CA, Himmerich M, Lefering R, Schildhauer T, Swol J: Trauma im Alter. Auswertung aus dem Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Deutsche Gesellschaft für Chirurgie. 131. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Berlin, 25.-28.03.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014
    9. Hu F, Jiang C, Shen J, et al.: Preoperative predictors for mortality following hip fracture surgery: A systematic review and meta-analysis. Injury 2012; 43: 676–85
    10. Becker C, Gebhard F, Fleischer S, et al.: Prediction of mortality, mobility and admission to long-term care after hip fractures. Unfallchirurg 2003; 106: 32–8

    Datum: 22.02.2015

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/12

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