Symposium über den Sanitätsdienst im Ersten Weltkrieg in Portugal
V. Hartmann
Der Erste Weltkrieg spielt in der Erinnerungskultur der ehemaligen westlichen Siegermächte eine besondere Rolle. Im kollektiven Gedächtnis von Briten, Franzosen, Australiern, Neuseeländern, Kanadiern und sogar von Portugiesen lebte und lebt der Erste Weltkrieg unangefochten als der einzige „Große Krieg“, wenn nicht gar als das prägende Ereignis der Nationalgeschichte fort. So auch für die portugiesische Armee, die anlässlich des Kriegsendes vor 100 Jahren eine Reihe mehrerer offizieller Gedenkveranstaltungen durchgeführt hat.
In diesem Rahmen organisierte auch der portugiesische Heeressanitätsdienst am 3. und 4. Oktober 2018 in der Militärakademie Amadora in Lissabon ein internationales Symposium, das sich unter dem Motto: “A Saúde Militar na I Guerra Mundial” mit vielschichtigen sanitätsdienstlichen Fragestellungen im Ersten Weltkrieg befasste. Auch wenn der Fokus der Veranstaltung auf der medizinischen Versorgung der portugiesischen Soldaten an der Front in Flandern und in den afrikanischen Kolonien lag, zeigten die ca. 150 Teilnehmer großes Interesse auch an der Erfahrungswelt anderer Nationen. Referenten aus Griechenland, England und Deutschland beteiligten sich daher mit entsprechenden Vorträgen.
Der portugiesische Sanitätschef Brigadegeneral Canas Mendes, der zu Beginn des Symposiums den Generalstabschef des portugiesischen Heeres für ein Grußwort gewinnen konnte, erinnerte in seiner Einführung an die Soldaten seines Landes im Krieg, die unter schwierigsten Umständen an verschiedenen Fronten kämpften. Er wies zudem auf die besondere Bedeutung eines suffizienten Sanitätsdienstes für die Streitkräfte hin, die damals auf portugiesischer Seite nur in Ansätzen vorhanden gewesen ist.
Der wissenschaftliche Teil der Veranstaltung begann mit einem Überblick von Dr. David Martelo über die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges mit seinen Bündnissystemen, politischen Abhängigkeiten, aber auch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Portugal, dessen Regierung mit den Staaten der Entente sympathisierte, konnte sich bis zum Sommer 1916 – abgesehen von einigen Scharmützeln mit deutschen Truppen in den afrikanischen Kolonien – aus dem Krieg heraushalten, bevor es nach der Beschlagnahmung deutscher Schiffe in portugiesischen Häfen die Kriegserklärung durch Deutschland erhielt. Zwei portugiesische Divisionen wurden daraufhin an die Front nach Flandern verlegt. Das vorgesehene Sanitätspersonal, seine Ausrüstung und die Infrastruktur der Rettungskette sollten sich an britischen und französischen Vorbildern orientieren. Allerdings waren die portugiesischen Soldaten und auch ihre Sanitätstruppe nicht im Geringsten auf die Erfordernisse im Stellungskrieg vorbereitet, wie Major Joaquim Clemente in seinem Vortrag über die Organisation des portugiesischen Sanitätsdienstes ausführte. Hohe blutige Verluste bis hin zur Vernichtung ganzer Bataillone resultierten, zahlreiche Infektionskrankheiten schwächten die an das milde Klima in Portugal gewöhnten und nun im nasskalten Lehmboden des französischen Nordostens eingesetzten iberischen Kämpfer. In einem weiteren Vortrag stellte Frau Prof. Isabel Amaral von der Universität Lissabon die medizinischen Umstände des Einsatzes eines portugiesischen Expeditionskorps an der Südgrenze Angolas und in Mozambique vor. Auch hier dominierte die Insuffizienz: schlechtes Equipment, rudimentäre hygienische Bedingungen, verdorbenes Trinkwasser und resultierend eine Vielzahl von Infektionen, vornehmlich gefürchtete Tropenkrankheiten, die den Soldaten das Leben schwermachten und zu Tausenden Opfern führten. Größere militärische Erfolge waren somit auch auf diesem Kriegsschauplatz für die portugiesische Seite nicht zu tätigen. Ein eigener Vortrag von Oberstleutnant Dr. Rui André hatte den Einsatz von Kampfgasen im Ersten Weltkrieg zum Thema, bei dem nicht nur die verschiedenen zur Anwendung gekommenen Giftgase und ihre verhängnisvolle Wirkung auf Körper und Psyche vorgestellt, sondern auch die Entwicklungslinien von Gegenmaßnahmen wie Maskensystemen erläutert wurden. Weitere Spezial-Vorträge befassten sich mit dem vergleichsweise günstigen verfügbaren Archivgut zum Sanitätsdienst der portugiesischen Armee im Ersten Weltkrieg in der Heeresbibliothek Lissabon, der Rolle des portugiesischen Roten Kreuzes und dem Einsatz von Frauen, v. a. in der Krankenpflege in rückwärtigen Lazaretten. Außerdem wurde das System der Pharmazie, das medizinische Beschaffungswesen bzw. die Entwicklung des Laborwesens in der portugiesischen Armee ebenso wie der Einsatz von Röntgengeräten in Einzelvorträgen nahegebracht. Dr. Jose Luis Doria aus der Lissaboner Universitätsklinik befasste sich in seiner Präsentation mit dem Auftreten der gefürchteten „Spanischen Grippe“ gegen Ende des Ersten Weltkrieges, diskutierte die verschiedenen Hypothesen der Genese der Erkrankung, erläuterte die hohen Morbiditäts- und Mortalitätsraten auch in der portugiesischen Armee und stellte die damaligen therapeutischen Optionen vor. Am zweiten Tag des Kolloquiums widmete sich ein eigener Themenblock dem Veterinärwesen in der portugiesischen Armee. Unter Leitung von Prof. Rui Caldeira von der Fakultät für Veterinärmedizin der Technischen Universität Lissabon wurde der Einsatz von Pferden und deren Behandlung von Verwundungen und Erkrankungen durch das portugiesische Veterinärwesen in Europa und Afrika thematisiert. Ein besonderes Interesse fand im Plenum auch die ausländische Perspektive, so wurde der Einsatz britischer Militärärzte sowie die Änderungen im kriegschirurgischen Regime durch die Herausforderungen des Grabenkrieges mit einem Massenanfall von Verwundeten durch den britischen Historiker Pete Starling MA thematisiert. Die Besonderheiten des Sanitätsdienstes des ehemaligen Kriegsgegners Deutschland präsentierte Flottenarzt Dr. Volker Hartmann (SanAkBw München) mit zwei Vorträgen, darunter einer Präsentation, die sich mit den Erfahrungen des deutschen Sanitätsdienstes in der mörderischen Schlacht um Verdun 1916 befasste. Zusammenfassend imponierte der hohe Stellenwert, den der heutige portugiesische Sanitätsdienst durch die Organisation eines solchen Symposiums der Erinnerung an die Soldaten und andere involvierte Männer und Frauen im Ersten Weltkrieg zumisst und auch die selbstkritische Perzeption der damaligen Ereignisse durch die Vortragenden.Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
SanAkBw München
Datum: 08.04.2019
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018