30.08.2018 •

    2. Arbeitstagung der Marineoffiziere im ­Sanitätsdienst der Bundeswehr

    Vom 18. bis zum 20. April 2018 lud der Admiralarzt der Marine zur „2. Arbeitstagung der Marineoffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr“ nach Wilhelmshaven ein. Admiralarzt Dr. Stephan Apel begrüßte die Teilnehmer und eröffnete die Tagung, die diesmal als Thema die Auswirkungen der Neuausrichtung der Bundeswehr im Rahmen der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung auf den Marinesanitätsdienst hatte. Das Motto der Tagung lautete daher auch „Marinesanitätsdienst zwischen Individual- und Kollektivmedizin“. 

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    Der Chef des Stabes des Marinekommandos, Konteradmiral Thorsten Kähler, eröffnete den Reigen der Vorträge mit einer Standortbestimmung der Marine. Ausführlich zeigte er den momentanen sicherheitspolitischen Rahmen sowie die Bedeutung für die Marine auf und ging anschließend auf die aktuellen Entwicklungen bei Material und Personal in der Marine ein. Zusammenfassend ordnete Konteradmiral Kähler den Marinesanitätsdienst in die Aufgaben der Marine im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung ein.

    Flottenarzt d.  R. Prof. Dr. Hans Anton Adams, ehemaliger Schiffsarzt, Leiter einer Marinesanitätsstaffel, Leitender Sanitätsoffizier der ehemaligen Zerstörerflottille und bis zu seinem Ruhestand Leiter der Stabsstelle für Interdisziplinäre Notfall- und Katastrophenmedizin (INKM) der Medizinischen Hochschule Hannover, nutzte seine vielfältigen persönlichen Erfahrungen und den historischen Kontext, um die aktuellen Aufgaben und Herausforderungen des Marinesanitätsdienstes zwischen Individual- und Kollektivmedizin aus einem ethischen Blickwinkel heraus zu beleuchten. Mit seinen reichen Erfahrungen in der Notfallmedizin zeigte er eindrücklich die entstehende Problematik für den einzelnen Marinesanitätssoldaten auf und bot Lösungswege an.

    Colonel Paul Reynolds, Abteilungsleiter JMed im NATO Allied Joint Force Command Brunssum, referierte zum Thema „Challenges and dimensions of medical support in a modern collective defense szenario“. In der NATO lag der Fokus in den letzten Jahrzehnten auf Krisenintervention und -management. Die Leistungsfähigkeit und die Kapazität der medizinischen Versorgung der Sanitätsdienste der Nationen wurden daran angepasst und in der Folge insbesondere im Hinblick auf die Anzahl einsetzbarer Sanitätseinrichtungen erheblich reduziert. Anhand der Übung TRIDENT JAVELIN 2017 zeigte er die heute bestehenden Defizite in der medizinischen Versorgung im Fall der Bündnisverteidigung auf. So fehlen u. a. die nationalen Infrastrukturen und medizinischen Kapazitäten, um die in der Übung angenommenen 19.000 Verwundeten in der erforderlichen Zeit zu evakuieren und zu versorgen.

    Flottillenarzt Dr. Beste, Referent Planung I 4 im BMVg, trug unter dem Thema: „Ärztliche Versorgung an Bord in Krise und Krieg – Stimmt unser Mindset noch?“ vor. Er zeigte die Divergenz zwischen den aktuellen, auf Individualmedizin optimierten medizinischen Versorgungsmöglichkeiten an Bord von maximal 2 schwer verletzten Patienten zum erwarteten Massenanfall von Verwundeten mit Knochenbrüchen, Verbrennungen und Unterkühlungen bei Treffereinwirkung auf eine Einheit auf. Flottillenarzt Dr. Beste regte mit seinen Ausführungen dazu an, die Einstellung zur zukünftigen medizinischen Versorgung an Bord zu überdenken und neben der individualmedizinischen Versorgung auch eine gedankliche Vorbereitung auf die Kriegsmedizin zuzulassen.

    Der Donnerstag begann mit einer Ökumenischen Andacht. Im Anschluss gab Kapitän zur See Klüver, Referatsleiter Einsatzgrundsatz im Marinekommando, einen Überblick über die aktuellen Einsätze und die damit verbundenen Herausforderungen für den Marinesanitätsdienst.

    Fregattenkapitän Schneider, Gruppenleiter der Gruppe Zukunftsentwicklung im Marinekommando, stellte unter dem Thema „Marine 2030 - Quo vadis?“ die Schwerpunkte und Vorgaben für die Marine in der nächsten Dekade vor. Anschließend führte er aus, welche Bedeutung diese Entwicklungen aus seiner Sicht für den Marinesanitätsdienst haben werden.

    Für das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr stellte Flottillenarzt Mock die personelle und berufspolitische Entwicklung der Sanitätsoffiziere vor. Dabei ging er auf die Umsetzung des Verwendungsaufbaukonzeptes für Sanitätsoffiziere der Marine, mögliche Werdegangsmodelle in der Marine und die aktuelle Regenerationsplanung für die Sanitätsstabsoffiziere (Arzt) ein.

    Der medizinisch-fachliche Teil der Arbeitstagung wurde durch Oberstarzt Dr. André Lieber, den Sektionsleiter Thoraxchirurgie aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin, eingeleitet. Unter dem Thema „Möglichkeiten und Grenzen der Damage Control Surgery (DCS) an Bord“ grenzte Oberstarzt Dr. Lieber die Besonderheiten der DCS im zivilen Umfeld und im Einsatz an Land vom Einsatz an Bord ab. Durch begrenzte chirurgische Maßnahmen zur Stabilisierung und Herstellung der Transportfähigkeit lässt sich eine Verlängerung der Überlebenszeit für den einzelnen Patienten erreichen und die erhöhte Mortalität und Morbidität aufgrund der ungünstigen Raum-Zeit-Faktoren des maritimen Umfeldes kompensieren. Voraussetzung hierfür ist allerdings die konsequente postoperative Überwachung und chirurgische Folgeintervention in zeitlich eng definiertem Zusammenhang.

    In einem zweiten Vortrag stellte Oberstarzt Dr. Lieber die Möglichkeiten des Schiffsarztes dar, akute, lebensbedrohliche Blutungen an Bord chirurgisch zu behandeln. Da eine effektive Blutstillung essentiell für den Weitertransport und die Überlebenschancen des Patienten ist, stellte er die an Bord bestehenden Möglichkeiten wie Kompression der Blutung, den Einsatz von Tranexamsäure vor einer Transfusion und die Transfusion von Blut und Blutersatzprodukten ausführlich dar. Im Speziellen sprach er die Warmblutspende als eine Möglichkeit, Vollblut zu transfundieren, an. Weiterhin zeigte er den möglichen Einsatz von REBOA (Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta) zum vorübergehenden Verschluss der Aorta auf.

    Oberstarzt Dr. Duwe, Facharzt für Neurologie aus dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, stellte Formen, Ursachen und Differentialdiagnosen von Bewusstseinsstörungen sowie die auch an Bord mögliche Akutbehandlung vor.

    Flottillenarzt Dolu aus der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg berichtete über Schockzustände an Bord, Volumenersatz, hämostasiologische Möglichkeiten sowie ebenfalls über die Warmblutspende.

    Eine praxisnahe Darstellung der Atemwegssicherung sowohl unter den Bedingungen der Individualmedizin als auch der Kollektivmedizin präsentierte Flottillenarzt Albertsen aus der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin des Bundeswehrkrankenhauses Westerstede.

    Oberfeldarzt Dr. Gräntzdörffer aus der Abteilung Innere Medizin des Bundeswehrkrankenhauses Westerstede zeigte die Therapieoptionen bei Stoffwechselentgleisungen an Bord auf.

    Den dritten Tag der Arbeitstagung eröffnete Flottillenarzt Dr. Beinkofer, Leiterin der gynäkologischen Abteilung im Bundeswehrkrankenhaus Westerstede. Mit Hilfe von anschaulichen Fallbeispielen stellte sie gynäkologische Notfallsituationen vor und ging auf die möglichen Maßnahmen des Schiffsarztes anhand der jeweiligen Leitsymptome ein. Abschließend beschrieb sie die Vorgehensweise und Gefahren bei einer Geburt an Bord sowie die Versorgung von Neugeborenen.

    Die Leiterin Forschung und Entwicklung des Instituts für Sicherheitstechnik / Schiffssicherheit e. V. Warnemünde, Dr. Meißner, gab einen Einblick in Trends und Prognosen zur maritimen Sicherheit der Zukunft. Mit der Perspektive des Lebens auf und mit dem Meer zeigte Dr. Meißner ein umfassendes Spektrum verschiedener Aspekte der zukünftigen maritimen Entwicklungen auf. Sie ging auf neue Kraftstoffarten und Antriebskonzepte, Nahrungsmittelproduktion und Rohstoffgewinnung genauso ein wie auf den Klimawandel und die Digitalisierung. Dabei gab sie zahlreiche Denkanstöße, so z. B. zu den Fragestellungen nach der Überforderung des Menschen durch die Digitalisierung, dem Umgang mit zivilem Unterwasserverkehr oder dem Rückbau bzw. der Entsorgung „abgelaufener“ Offshore-Anlagen.

    Der Abschluss der Tagung war der Telemedizin gewidmet. Flottillenarzt Ring referierte zum Sachstand und zur Weiterentwicklung der Telemedizin in der Marine. Daran anschließend wurde ein tauchmedizinisches Fallbeispiel der Telemedizin in einer Liveschaltung zu einer in See stehenden Einheit demonstriert. Abschließend demonstrierte Flottillenarzt Kellermann, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, mittels eines radiologischen Fallbeispiels die Nutzung der Teleradiologie als Teil der Telemedizin.

    Admiralarzt Dr. Apel fasste die Ergebnisse der Tagung zusammen. Er warb um die zahlreiche Teilnahme auch junger Kollegen, um so den Austausch zwischen den Generationen zu ermöglichen. Abschließend verabschiedete der Admiralarzt der Marine die Teilnehmer der 2. Arbeitstagung der Marineoffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr.

    Auch im nächsten Jahr findet die Arbeitstagung wieder im GORCH-FOCK-Haus in Wilhelmshaven statt, voraussichtlich in der vorletzten Märzwoche (20. – 22.03.2019). Interessierte Marineuniformträger können sich bereits jetzt zur Aufnahme in die Einladungsliste an das Tagungsbüro der Abteilung Marinesanitätsdienst im Marinekommando wenden. 

    Oberstabsarzt Marika Jonas
    Marinekommando
    Abteilung Marinesanitätsdienst
    Zukunftsentwicklung/Einsatzgrundsatz/Auswertung
    Kopernikusstraße 1
    18057 Rostock
    E-Mail: MarikaJonas@bundeswehr.org


    Datum: 30.08.2018

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