DER PARODONTALE NOTFALL IM EINSATZ
Im Jahre 2012 hatten 18,63% aller der in den Einsätzen der Deutschen Bundeswehr durchgeführten zahnärztlichen Notfallsitzungen eine parodontologische Ursache. In der Gesamtheit stellen diese 819 Sitzungen eine nicht unerhebliche Größe dar, die einer eingehenderen Betrachtung bedarf.
Bei den relevanten entzündlichen Parodontalerkrankungen handelt es sich um die Gingivitis und die Parodontitis. Diese gewöhnlich chronisch verlaufenden Parodontalerkrankungen weisen eine hohe Prävalenz auf und sind demzufolge auch unter den Soldaten der Deutschen Bundeswehr weit verbreitet. Als primär chronische Erkrankungen verlaufen sie oft unbemerkt. Bei reduzierter Immunantwort des Wirts kann es jedoch zu einer akuten Exacerbation kommen. Die daraus resultierenden Erkrankungsformen wie der Parodontalabszess oder die Nekrotisierende Ulzerierende Gingivitis können zu einer deutlichen Reduzierung des Allgemeinbefindens führen, die die Einsatzfähigkeiten von Soldaten erheblich beeinträchtigt. Es ist in der Wissenschaft allgemein anerkannte Meinung, dass die bakterielle Plaque des Biofilms den ätiologischen Hauptfaktor bei der Entstehung entzündlicher Parodontalerkrankungen darstellt. Die bakterielle Plaque setzt sich aus einer Vielzahl von Mikroorganismen zusammen, die sich auch bei parodontal gesunden Individuen als opportunistische Keime in der Mundhöhle befinden. Gewöhnlich stellt sich ein Gleichgewicht zwischen der bakteriellen Belastung der im Sulcus gingivalis befindlichen Keime und der individuellen Immunantwort des Wirts ein. Dieses Gleichgewicht kann jedoch durch eine Reduzierung der individuellen Immunantwort eine Störung erfahren. Die Soldaten der Bundeswehr erfahren im Einsatz in Abhängigkeit vom Einsatzort und Auftrag nicht selten eine sehr hohe psychische und physische Belastung, die vor allem bei andauernder Einwirkung Konsequenzen auf die individuelle Immunantwort haben kann. In den folgenden Ausführungen soll dargelegt werden, welche akut entzündlichen Parodontopathien die Einsatzfähigkeit der Soldaten gefährden können und welche ätiologischen Faktoren dabei eine Rolle spielen können.
Einleitung Gingivitis und Parodontitis stellen Erkrankungen mit hoher Prävalenz dar. In der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie aus dem Jahre 2006 konnte dies erneut belegt werden. Beispielhaft sei hier die Altersklasse der 35 bis 44-jährigen erwähnt, in der 52,7% der Probanden Taschentiefen zwischen 4 und 5mm aufwiesen und bei 20,5% der Probanden Taschentiefen von 6mm oder mehr sondiert werden konnten.
Dementsprechend sind Parodontalerkrankungen unter den Soldaten der Bundeswehr weit verbreitet. Dies geht auch aus einer Studie von Henne et al. hervor, in der 2023 Soldaten in der für die Bundeswehr relevanten, weil zahlenmäßig stark vertretenen Altersklasse zwischen 18 und 30 Jahren untersucht wurden. Bei 66,4% der Probanden konnte eine Gingivitis bzw. eine leichte bis mittelschwere Parodontitis diagnostiziert werden und 12% der Probanden wiesen eine profunde Parodontitis auf. Gewöhnlich verlaufen diese Erkrankungen chronisch, d.h. oft über einen langen Zeitraum weitgehend unbemerkt ohne eine ausgeprägte Beschwerdesymptomatik. Gleichwohl soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass am Ende der Parodontitis letztlich der Zahnverlust steht und auch systemische Auswirkungen diskutiert werden. Allerdings haben nicht alle Ausprägungsformen eine unmittelbare Auswirkung auf die Einsatzfähigkeit, daher soll der Fokus dieses Artikels auf den Parodontopathien mit einer Einsatzrelevanz liegen.
Bei der Entstehung von Gingivitis und Parodontitis spielen nach heutigem Verständnis intraorale Bakterien in der supra- und subgingivalen Plaque eine entscheidende Rolle. Sie bilden auf der Zahnoberfläche komplexe Biofilme aus. Die bakterielle Plaque setzt immunologische und entzündliche Prozesse in Gang, die bei entsprechend langer Exposition des Parodontiums zu einer klinisch manifesten Gingivitis führen können. Aus dieser kann sich eine Parodontitis mit profunden Destruktionen des Parodontiums entwickeln. Zwar ist die Bedeutung der mikrobiellen Plaque als Hauptfaktor bei der Entstehung der entzündlichen Parodontalerkrankungen unumstritten, doch gewinnt zunehmend auch die Wirtsantwort an Bedeutung. Wird das bestehende Gleichgewicht zwischen Keimen und Wirtsantwort durch eine dysregulierte Wirtsantwort gestört, ist die Entstehung, Progression oder akute Exacerbation einer entzündlichen Parodontalerkrankung möglich. In diesem Zusammenhang sind weitere Cofaktoren bedeutsam. Beispielhaft seien hier der Niktotinkonsum, systemische Erkrankungen oder psychosozialer Stress erwähnt. Einsatzbedingungen können zu einer deutlich erhöhten physischen und psychischen Belastung der Soldaten führen, die Auswirkungen auf den individuellen Immunstatus haben können. Soldaten der Bundeswehr sind weltweit im Einsatz. Dies erfordert ein hohes Maß an Zahngesundheit und daher ist die Erzielung einer entsprechenden „Dental-Fitness“ bereits im Heimatland der vorrangige Auftrag des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr. Bei der einmal im Jahr durchzuführenden Beurteilung des Gebisszustandes eines jeden Soldaten ist daher auch ein parodontales Screening unter Verwendung des „Parodontalen Screening Index“ (PSI) Teil der Untersuchung. Als Grundsatz gilt, dass nur der oral gesunde Soldat uneingeschränkt einsatzverwendungsfähig ist. Auch unter Beachtung dieser Prämisse sind zahnärztliche Notfälle dennoch unvermeidlich. Im Jahre 2012 wurden in allen Einsätzen der Deutschen Bundeswehr insgesamt 4392 Notfallsitzungen erforderlich. 819 Sitzungen oder, in Prozent ausgedrückt, 18,65% der Sitzungen hatten einen parodontologischen Hintergrund (Abb. 1).
Diese Zahl ist nicht unerheblich. Bei der Bewertung sollte zudem beachtet werden, dass akut entzündliche parodontale Erkrankungen die Einsatzfähigkeit erheblich beeinträchtigen können. Dieses gilt vor allem für die Abszesse des Parodonts und die Nekrotisierende Ulzerierende Gingivitis und Parodontitis, auf die daher im Folgenden näher eingegangen werden soll.
Akut entzündliche Parodontalerkrankungen
Im Folgenden sollen die akut entzündlichen Parodontalerkrankungen dargestellt werden, die aufgrund ihrer ernsthaften Beschwerdesymptomatik die Einsatzfähigkeit von Soldaten unmittelbar beeinträchtigen können.
Abszesse des Parodonts
In Abhängigkeit von der Lokalisation werden bei den Abszessen des Parodonts der Gingivaabzess, der Parodontalabszess und der Perikoronarabszess unterschieden.
Parodontologisch bedeutsam ist der Parodontalabszess, bei dem es sich um die lokalisierte Infektion der Gewebe des Zahnhalteapparates handelt, die zur Ligament- und Knochendestruktion führt. Der weitaus überwiegende Anteil der Abszesse entwickelt sich aus vorhandenen Zahnfleischtaschen. Es gilt die Faustregel, dass das Risiko der Ausbildung eines Parodontalabszesses mit zunehmender Taschentiefe ansteigt. Die Entstehung eines Parodontalabszesses kann verschiedene Ursachen haben. Ein wichtiger ätiologischer Faktor stellt die Behinderung des Abflusses aus einer parodontalen Tasche, z.B. durch Fremdkörperimpaktion, dar. Die daraus resultierende verminderte Clearance führt zu einer Ansammlung von Wirtzellen, Sulkusflüssigkeit, entzündlichem Exsudat und Bakterien. In einer Studie von Smith und Davies (1986) konnte nachgewiesen werden, dass 55% der Parodontalabszesse mit einer Sondiertiefe von mindestens 7mm assoziiert. Weitere ätiologische Faktoren können eine systemische antibiotische Behandlung, systemische Erkrankungen wie der Diabetes mellitus und eine Furkationsbeteiligung sein. Der überwiegende Anteil der Parodontalabszesse tritt im Molarenbereich auf. Auch eine reduzierte Immunlage kommt als ätiologischer Faktor in Betracht, der für unsere Soldaten im Einsatz bedeutsam sein kann. Einsatzbedingungen können zu einer erheblichen psychischen und physischen Belastung von Soldaten führen, in deren Folge durch die langandauernde Einwirkung z. B. von Stress, aber auch von extremen Umweltbedingungen, eine Reduktion der Immunantwort denkbar ist. Das vormals bestehende Gleichgewicht zwischen chronischer parodontaler Entzündung und Wirtsantwort wird gestört, in deren Folge es zu einer akuten Exacerbation der chronischen Entzündung kommen kann. Die mikrobiologische Flora der Parodontalabszesse stellt sich dabei als Mischinfektion verschiedener Keime dar, wobei gramnegative anerobe Stäbchen dominieren. Die Zusammensetzung der Abszessflora entspricht im Wesentlichen der mikrobiologischen Flora tiefer parodontaler Taschen. Es konnte insbesondere eine enge Assoziation von Porphyromonas gingivalis mit dem Abszessgeschehen nachgewiesen werden. In Folge der akuten Entzündung kommt es zur Ausbildung verschiedener klinischer Symptome wie Rötung, Schmerzen, Schwellung (Abb. 2) und Zahnlockerung bzw. Extrusion. Häufig zeigen sich zudem eine regionale Lymphadenitis und Fieber. Die genannten Symptome können das Allgemeinbefinden und damit die Einsatzfähigkeit der betroffenen Soldaten erheblich herabsetzen, sie müssen immer einer zahnärztlichen Notfalltherapie zugeführt werden. In einer Studie von McLeod et al. (1977) konnte belegt werden, dass der Parodontalabszess häufig den Zahnverlust zur Folge hat. In der besagten Studie gingen 45% der Zähne nach einem Parodontalabszess verloren. Die Diagnose von Parodontalabszessen stützt sich im Wesentlichen auf die Anamnese, die klinische Untersuchung, den Vitalitätstest sowie den radiologischen Befund. Besonders das Vorhandensein von tiefen parodontalen Taschen kann ein wichtiger diagnostischer Hinweis sein. Therapeutisch gilt der Grundsatz „Ubi pus, ibi evacua“, d. h. dem Exsudat in Form von Pus ist eine Möglichkeit zum Abfluss zu eröffnen. Dies kann häufig schon über die Zahnfleischtasche durch ein forciertes Sondieren derselben geschehen, sofern erforderlich kann zudem eine Inzision erfolgen. Eine Drainage zum Abfluss des Exsudats ist grundsätzlich möglich, in den allermeisten Fällen aber nicht erforderlich. Zur Therapie gehören weiterhin die Spülung der Läsion mit Chlorhexidin-digluconat sowie die Verordnung eines Analgetikums. In der akuten Phase des Parodontalabszesses ist von einem Debridement der Wurzeloberfläche abzusehen. Dieses ist zum einen nicht erforderlich, zum anderen können dadurch möglicherweise noch vitale Anteile des Parodontiums eine Schädigung erfahren. Bei hoffnungslosen Zähnen ist auch eine sofortige Extraktion eine Therapieoption. Im Regelfall reicht die Lokalbehandlung aus, sodass die Verordnung von Antibiotika nicht erforderlich ist. Ihr Einsatz sollte auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen das Abszessgeschehen eine deutliche Ausbreitungstendenz zeigt. Differentialdiagnostisch sind bei einem derartigen Abszessgeschehen periapicale Prozesse, Endo-Paro-Läsionen und Abszesse im Bereich von Wurzelfrakturen auszuschließen.
Nekrotisierende ulzerierende Parodontalerkrankungen
Bei den nekrotisierenden ulzerierenden Parodontalerkrankungen unterscheidet man die Nekrotisierende Ulzerierende Gingivitis (NUG) und die Nekrotisierende Ulzerierende Parodontitis (NUP). Bei der NUG handelt es sich um eine auf die Gingiva begrenzte Infektion, die durch gingivale Nekrosen, gingivale Blutung und Schmerz charakterisiert ist. Unbehandelt kommt es zur NUP mit klinischem Attachmentverlust, Knochenentblößung und letztlich zur Knochensequestration. Die Angaben über ihre Prävalenz schwanken je nach Autor zwischen 0,2 und 1,4 %. Bei ihrer Entstehung kommen verschiedene Faktoren in Betracht, wobei einige davon eng mit einer hohen Belastung des Individuums assoziiert sind.
Nicht ganz zufällig wurden diese akut entzündlichen Parodontalerkrankungen erstmalig in Berichten über kriegerische Ereignisse im 4. Jahrhundert vor Christus erwähnt. Einige der ätiologischen Faktoren treffen insbesondere auf im Einsatz befindliche Soldaten zu. Dieses gilt in erster Linie für den psychosozialen Stress, der als bedeutsamer ätiologischer Faktor für die Entstehung von nekrotisierenden Parodontalerkrankungen allgemein anerkannt ist. Im Einsatz ist in Abhängigkeit vom Einsatzort und Auftrag von einer erhöhten Stressbelastung auszugehen, verursacht z.B. durch die Bedrohung an eigenem Leib und Leben. Neben der durch die Stressbelastung möglicherweise ausgelösten Beeinflussung der Immunantwort, auf die später noch weiter eingegangen wird, kann die Stressbelastung zudem zu Verhaltensänderungen wie einem verstärkten Nikotinkonsum oder einer vernachlässigten individuellen Mundhygiene führen. Zudem muss beachtet werden, dass nekrotisierende Parodontalerkrankungen vorrangig in der im Einsatz stark vertretenen Personengruppe jüngeren Lebensalters auftritt. Die prädisponierenden Faktoren sind in der Tabelle 2 dargestellt.. Mikrobiologisch steht eine anaerobe Mischflora mit Treponema und Fusobacterium-Stämmen, sowie Prevotella intermedium und Porphyromonas gingivalis im Vordergrund. Die klinisch obligaten Symptome der Nekrotisierenden Ulzerierenden Gingivitis sind starke Schmerzen, Nekrosen und Ulzerationen der Interdentalpapillen und spontane gingivale Blutungen (Abb. 3). Als weitere Symptome kommen oft Fieber, ein deutlich herabgesetzter Allgemeinzustand, Foetor ex ore und eine Lymphadenitis hinzu. Ein Soldat mit einer NUG ist nicht einsatzfähig, er bedarf stets einer zahnärztlichen Notfalltherapie. Prädiktionsstellen sind die Unterkieferfront und die letzten Molaren. Therapeutisch steht zunächst die Elimination der Keime im Vordergrund. Eine professionelle Zahnreinigung ist aufgrund der Schmerzhaftigkeit im akuten Zustand oft nicht möglich, sodass zunächst die Entfernung der nekrotischen Gewebsanteile und Beläge mittels Wattepellets durchgeführt werden sollte. Zudem empfiehlt sich die Touchierung der entzündlichen gingivalen Gewebsanteile mit einer 3%-igen Wasserstoffperoxidlösung. Der dabei sich freisetzende Sauerstoff hat sich als wirksam gegenüber dem überwiegend anaerobem Keimspektrum erwiesen. Nekrotisierende Parodontalerkrankungen können zu massiven irreversiblen Gewebsdefekten führen. Eine systemische Antibiose sollte daher bei fortgeschrittenen Fällen in Erwägung gezogen werden. Aufgrund des anaeroben Keimspektrums hat sich die Gabe von 750 – 1000 mg/d Metronidazol für sieben Tage bewährt. Die Anwendung lokaler Antibiotika wird nicht empfohlen. Die Mitgabe bzw. Verordnung von Analgetika und einer Chlorhexidin- digluconat-Lösung zur häuslichen antibakteriellen Spülung runden die Therapie ab. Bis zu einer Besserung der Beschwerden und des akuten Entzündungszustandes ist eine tägliche Wiedervorstellung mit der täglichen Touchierung mit Wasserstoffperoxid (3%) sinnvoll.
Parodontitis in Zusammenhang mit endodontischen Läsionen
Bei den Paro-endodontalen Läsionen handelt es sich um pathologische Veränderungen, bei denen sowohl das Parodont als auch das Endodont betroffen sind. Gemäß ihrer Entstehung unterscheidet man
- primär endodontale Läsionen mit sekundärer parodontaler Beteiligung
- primär parodontale Beteiligung mit sekundärer endodontaler Beteiligung
- echte kombinierte Läsionen.
Differentialdiagnostisch sind die einzelnen Formen nicht immer leicht zu unterscheiden und auch die Differentialdiagnose zum Parodontalabszess fällt nicht immer leicht. Sowohl der Vitalitätsprobe als auch der radiologischen Diagnostik kommt hier eine besondere Bedeutung zu . Auch bei den Endo-Paro- Läsionen ist eine akute Exacerbation mit der Ausbildung von Abszessen möglich. Deren Akutbehandlung entspricht im Wesentlichen dem bei den Parodontalabszessen geschilderten Procedere. Darüber hinaus kann bei primär endodontalen Läsionen mit devitalen Zähnen eine Trepanation derselben erforderlich sein. Die Folgetherapie ist davon abhängig, ob eine primär endodontale oder eine primär parodontale Läsion vorliegt.
Ätiologischer Faktor Einsatz?
Wie bereits erwähnt, stellt die bakterielle Plaque den ätiologischen Hauptfaktor bei der Entstehung entzündlicher Parodontalerkrankungen dar. Die bakterielle Plaque setzt sich aus einer Vielzahl von Mikroorganismen zusammen, von denen einzelne regelmäßig in parodontalen Läsionen gefunden werden und bei denen von einer Parodontalpathogenität ausgegangen wird. Von einer besonders hohen Pathogenität geht man bei Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis und Tannerella forsythensis aus. Auch parodontal gesunde Patienten weisen diese parodontalpathogenen Keime auf, ohne dass es zur Ausbildung einer parodontalen Erkrankung kommt. Dies liegt offenbar an einem bestehenden Gleichgewicht zwischen den Mikroorganismen und der Immunantwort des Wirts. Dieses Gleichgewicht kann jedoch gestört werden. Stressbelastungen können bei langer Einwirkung zu verschiedenen physiologischen Stellwertveränderungen und Verhaltensänderungen des Betroffenen führen. Kurzzeitig als Antwort des Organismus auf eine Bedrohung geeignet, kann eine lang anhaltende Stresssituation (chronischer Stress) krank machen und zu einer Bedrohung für den Organismus werden. Die Soldaten der Bundeswehr leben im Einsatzland Afghanistan in Abhängigkeit von Einsatzort und Auftrag unter erschwerten, teilweise extremen Lebensbedingungen, die zu deutlich erhöhten psychischen und physischen Belastungen führen können. Auf die Soldaten wirkt eine Vielzahl von Belastungsfaktoren ein, die sich grob in universale und in individuelle Belastungsfaktoren unterteilen lassen. Universale Belastungsfaktoren können Schlafdefizit, Durst oder auch die teilweise extremen Temperaturen im Sommer bis an die 50 Grad Celsius sein. Individuelle Belastungsfaktoren sind beispielsweise Heimweh, Angst um die Partnerschaft, der Verlust von Kameraden oder die Bedrohung an eigenem Leib und Leben. Hier sei erwähnt, dass die drei erstgenannten Belastungsfaktoren auch für die Soldaten gelten, die im vermeintlich „sicheren“ Lager bleiben und das Lager nicht verlassen. Inwieweit die Einsatzbedingungen jedoch tatsächlich Einfluss haben auf eine akute Exacerbation ist bislang nicht geklärt, es fehlen entsprechende Studien für die lange und hoch belastete Gruppe der Soldaten im Einsatz. Gleichwohl ist eine Korrelation plausibel und anzunehmen. Dafür sprechen Publikationen von Eger und Ferchland aus dem Auslandseinsatz in Bosnien-Herzegowina aus dem Jahre 2001 und eine Studie des Autors aus dem ISAFEinsatz im Jahre 2008. In dieser Studie wurden u.a. die Veränderungen der mikrobiellen Flora im Sulcus gingivalis bei Soldaten der Deutschen Bundeswehr im ISAF-Einsatz untersucht. Auch wenn die Veränderungen der untersuchten fakultativ opportunistischen Keime in dieser Studie keine statistische Signifikanz aufwiesen, so sind einzelne Aspekte doch sehr interessant. So wiesen nur 4 Probanden im Heimatland den fakultativ periopathogenen Keim Aggregatibacter actinomycetemcomitans auf, im Einsatzland konnte er hingegen bei 11 Probanden nachgewiesen werden. Die Ursache dafür könnte in einer anwachsenden Konzentration der im Heimatland unter der Nachweisgrenze liegenden Keime liegen. Ein anderer Grund könnte aber auch eine exogene Infektion sein. Diesem Punkt gilt es in weiteren Studien verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.
Wehrmedizinische Relevanz
Mit 18,65 % machen die parodontologisch verursachten Behandlungssitzungen im Einsatz einen nicht unerheblichen Anteil aus. Aus dieser Zahl geht jedoch nicht hervor, welche genauen parodontologischen Diagnosen vorliegen. An dieser Stelle sei daher ausdrücklich davor gewarnt, diesen Anteil ausschließlich den ausführlich beschriebenen, ernsthaften akut entzündlichen Parodontalerkrankungen zuzuschreiben. Wie der Autor aus eigener Einsatzerfahrung weiß, treten diese Erkrankungen im Einsatz auf, ihre genaue Prävalenz in den Einsätzen liegt aber im Dunkeln. Dennoch muss den akut entzündlichen Parodontalerkrankungen aufgrund der aus ihnen erwachsenen schwerwiegenden Komplikationen eine hohe wehrmedizinische Relevanz zugestanden werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der weitaus überwiegende Anteil der erforderlichen Sitzungen aus weniger schwerwiegenden Gründen, wie z. B. einer Gingivitis, durchgeführt wurde. Eine weitere Differenzierung der Zahlen ist daher sinnvoll und anzustreben. An dem Grundsatz, dass nur der oral und parodontal gesunde Soldat in den Einsatz gehen kann, ist festzuhalten. Auch die vom zahnärztlichen Dienst der Bundeswehr mittlerweile implementierte „Einsatzvorbereitende Prophylaxe“ (EVP) ist anhand der schon vorhandenen Erkenntnisse begründet und sollte unbedingt beibehalten werden. Die Durchführung einer professionellen Zahnreinigung im Einsatz erscheint sinnvoll. Solange deren Notwendigkeit jedoch wissenschaftlich nicht belegt ist, ist der daraus resultierende deutlich erhöhte Mehrbedarf an personeller und infrastruktureller Kapazität im Einsatz nicht zwingend zu begründen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle abschließend noch auf einen Aspekt verwiesen, über den es bislang überhaupt keine Daten gibt: Zur Befestigung von Zahnersatz finden auch bei den Soldaten der Deutschen Bundeswehr zunehmend enossale Implantate Anwendung. Ähnlich wie bei einem Zahn kann sich auch das periimplantäre Gewebe in Form einer Periimplantitis (Abb. 9) entzündlich verändern. Ob und inwieweit die Einsatzbedingungen mit den entsprechenden Belastungsfaktoren möglicherweise einen Einfluss auf die periimplantäre Gesundheit haben ist eine spannende Frage.
Datum: 28.02.2014
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2013/4