06.03.2012 •

    FRIEDRICH II: VON PREUßEN UND SEINE ÄRZTE

    Frederick II. of Prussia and his Doctors

    Franz-J. Lemmens

    Am 24. Januar 2012 jährt sich der Geburtstag von Friedrich II. zum dreihundertsten Male. Eher wenig beachtet ist sein Verhältnis zur Medizin und seinen Ärzten.

    Der begrenzende Rahmen eines Vortrages schränkte die Auswahl der so umfangreichen Literatur, speziell jener mit medizinischem Inhalt, erheblich ein. Zu den wichtigsten Schlussfolgerungen zählt neben Friedrichs Interesse für den Nutzen der noch jungen Militärmedizin und den noch heute wirkenden medizinischen Bestimmungen, sein Bemühen um ein militärärztliches Bildungswesen, welches erst nach seinem Tode unter Johann Friedrich Goercke mit der Gründung der Pépinière wirksam werden konnte.

    Das Leben von Friedrich II. von Preußen (1714 – 1791), der seit seinen Siegen im Jahre 1745 über die Österreicher und Sachsen „der Große“ genannt wurde (Abb 1), dies aber auch völlig zu Recht angesichts seiner Fähigkeit mit der Öffentlichkeit zu regieren, ist zweifellos immer noch ein heiß umstrittenes Thema.

    Sei es, dass man ihn als Staatsmann und Politiker, als Philosoph und Musiker oder als Militär sehen mag. Auf allen diesen Feldern hat er Spuren hinterlassen. Spuren, die ihn als Person wie auch das aufstrebende, nach 1763 endgültig zur europäischen Pentarchie zählende Preußen äußerst bedeutsam werden ließen. Jede Spur für sich würde Gelegenheit zu langen Erörterungen bieten.

    Francois-Marie Voltaire (1694 – 1788) (Abb 2), mit dem Friedrich II. seit 1736 in einer sein Denken und Handeln so prägenden Verbindung stand, die Anfang 1753 jedoch in einem Zerwürfnis endete, versuchte den König in den noch guten Zeiten so zu beschreiben:

    „Ein großer Herrscher bis zur Mittagsstunde, Am Nachmittag Schriftsteller ersten Ranges, Tagsüber Philosoph voll edlen Dranges Und abends göttlich bei der Tafelrunde.“ (1)

    Und eben diese Tafelrunde sollte von Interesse sein, bringt sie uns doch über die Pathographie Friedrichs mit seinem Verhältnis zur Medizin in Berührung. Die Ursprünge seiner ihn lebenslang begleitenden gesundheitlichen Probleme sind in der frühen Kindheit und Jugend, aus erblicher Sicht jedoch auch im Elternhaus zu finden.

    Auf Geheiß des gestrengen Vaters, dem als „Soldatenkönig“ bekannten Friedrich Wilhelm I. (1688 – 1740), hatte der junge Kronprinz die ungesunde Aufgabe, in 7 (sic!) Minuten zu frühstücken (2). Nachdem Friedrichs Versuch, im Jahre 1730 vor diesem so autoritären und rabiaten Vater mit seinen Freunden Keith und Katte zu fliehen, für ihn und Katte scheiterte, verurteilte ihn sein Vater zur Festungshaft in Küstrin. Ja, in seinem maßlosen Zorn wollte er ihn als Deserteur sogar erschießen lassen.

    Schlimmer noch, Friedrich wurde unter physischer Gewalt gezwungen, vom Fenster seiner Zelle aus der Enthauptung seines Freundes, Leutnant Katte, zusehen: Ein grässliches Schauspiel, das ihn brechen sollte. Ob sein Leben nur durch die Intervention ausländischer Mächte gerettet wurde, ist umstritten, wahrscheinlicher wohl durch den Protest führender preußischer Militärs. Sicher hingegen ist, dass Friedrich nach dieser Traumatisierung das Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen begann. Sie brachte ihn dazu, seine Gefühle und Gedanken zu verbergen und hart an sich zu arbeiten. Diese enorme Demütigung Friedrichs durch den eigenen Vater, zu der sich noch dessen Order gesellte, ihm während der Haft nur „das armseligste Essen zu geben“ (3), waren für seine weitere charakterliche Entwicklung bestimmend.

    Friedrich hatte also eine denkbar bittere Lehre erhalten und dabei gelernt, dass ihn nur blinder Gehorsam, die sklavische Unterwerfung unter den väterlichen Autokraten würde überleben lassen (4). Die Grundlagen für seine späteren politischen und militärischen Maskeraden und Manöver waren damit gelegt und kamen seinen Gegnern zumeist teuer zu stehen. So wurde das Befolgen der aus politischem Interesse durch den Vater verfügten Heirat mit der ungeliebten, wohl aber von ihm respektierten Prinzessin Elisabeth Christine von BEVERN– BRAUNSCHWEIG, wogegen er sich erst auflehnen wollte und es dann doch ließ, zum Preis für die 1731 endende eineinhalbjährige Festungshaft (5).

    Nachvollziehbar ist sicher auch, dass die väterlicherseits ebenfalls befohlene häufige Teilnahme an dessen berühmt-berüchtigtem „Tabakskollegium“ der gesundheitlichen Entwicklung des bereits seit frühen Kindertagen kränklichen Friedrich mehr geschadet als genutzt haben dürfte. Von weit größerer Bedeutung ist dagegen die erbliche Belastung mit der Gicht anzusehen, die auch bei seinem Vater vorzufinden war. Selle, auf den zu sprechen noch Gelegenheit sein wird, berichtet uns über den ersten Gichtanfall, den Friedrich bereits im Alter von 29 Jahren hatte (6).

    Blickt man auf die gesundheitlichen Probleme Friedrichs, die uns nicht nur mit einigen der ihn behandelnden Ärzte bekannt machen werden, so erscheinen diese dann in einem anderen Licht, wenn man ihnen sein Verständnis von Dienst und Pflichterfüllung hinzufügt. Darin sah er sich, ganz im Sinne des aufgeklärten Absolutismus, als „erster Diener des Staates“. Es war für ihn eine Haltung, die über den Schmerz zu siegen hatte, und die er sich bis in seine letzten Lebenstage tätig zu bewahren wusste (7). Jene Stoffwechselerkrankung, von der er selbst sagte, er sei „ein Märtyrer der Gicht“, plagte ihn bis zum Lebensende. Sie stand ohne Zweifel mit seinen zwischen Maßlosigkeit und Mangel schwankenden Essgewohnheiten in Zusammenhang.

    Man kann ihm wohl auch jene anderen Beschwerden nachfühlen, die er durch ein Hämorrhoidalleiden hatte. Er bezeichnete es „als tückisches und schmerzhaftes Übel, welches durch den Zwang im Sattel zu bleiben, nicht geringer wurde.“ Weiter schrieb Friedrich dazu einem Freunde: „Sie machen sich keinen Begriff von der Art der Schmerzen. Sie kommen aus dem After angeschlichen, verbreiten sich über den ganzen Körper, dabei bleibt einem die Luft weg, nachts geht der Schmerz bis ins Gehirn. Er macht Sie untauglich zu jeder Tätigkeit.“ (8)

    Wolff, einer der besten Kenner der königlichen Leiden, zitierte mit dem Schweizer Johann Georg Ritter von Zimmermann (1728 – 1795), einem der besonders angesehenen Ärzte seiner Zeit und Schüler des großen Albrecht von Haller (1708 – 1777), der sicher auch wegen seiner Hinwendung zu der von Friedrich geschätzten Aufklärung bald zu dessen Leibarzt aufstieg, ein Beispiel von dessen kulinarischen Vorlieben, aber auch deren Folgen:

    „Friedrich habe eine Schwäche für italienische Gerichte gehabt, speziell für seine geliebte Polenta mit Knoblauch, Butter, Parmesan und einer „Brühe aus den heißesten Gewürzen“ und ferner von einem „ganzen Teller voll aus einer Aalpastete, die so heiß und würzig war, dass sie in der Hölle gebraten schien …. Schon bey der Tafel zeigte sich die üble Wirkung dieses herrlichen Appetits bey dem König. Verschwunden war die gute Laune…. Noch an der Tafel schlief der König ein, hatte convulsivische Bewegungen im Gesicht, erwachte aber bald mit der Neigung zum Erbrechen…“ (9).

    Zimmermann, bislang Leibarzt von König Georg III. von HANNOVER (1738 – 1820), begegnete Friedrich 1771 erstmals in Potsdam. Dort soll der König Zimmermann sehr direkt gefragt haben: „Wie viele Seiner Patienten hat Er denn unter die Erde gebracht?“ Kühn erwiderte ihm dieser darauf: „Nicht so viele, wie Eure Majestät während Ihrer Schlachten.“ (10).

    Zimmermann war in Kollegenkreisen nicht unumstritten. Die einen bezichtigten ihn der Eitelkeit, nannten ihn wegen seiner Phytotherapien (darunter auch eingedickter Löwenzahn- Extrakt) „Ritter Löwenzahn“. Andere zollten ihm jedoch Anerkennung. Auch Goethe lobte ihn in „Dichtung und Wahrheit“ „…als gewandten und weltmännischen Arzt.“ (11).

    Friedrich wurde von Zimmermann oft, mitunter auch nur beratend, bis zu seinem Tode behandelt. Am 06. Juni 1786, also kurz vor seinem Tode, berief ihn Friedrich erneut zu sich an Stelle des von ihm zuvor „ungnädig“ – wie es damals so hieß – entlassenen Christian Gottlieb Selle (1748 – 1800) (12).

    Wer war nun Selle? Selle hatte in Berlin, Göttingen und Halle Pharmazie und Medizin studiert. Zunächst als Leibarzt des Bischofs von Ermland tätig, kam er 1777 nach Berlin und wurde bereits ein Jahr später, trotz des Widerstandes von Cothenius, über den noch zu sprechen sein wird, an der Charité angestellt. Dort wurde er zusammen mit dem Generalchirurgus Johann Christian Voitus (1741–1787) „dirigierender Arzt“ (Abb 3).

    Selle galt bald als Koryphäe, war als nüchterner Mediziner und durch seine sicheren Diagnosen und Prognosen geschätzt. Ihm verdanken wir auch die klare Niederschrift der Krankengeschichte Friedrichs. Sein Werk „medicina clinica“ erschien zwischen 1781 und 1801 immerhin in acht Auflagen. Seine Entlassung verdankte er jedoch der Offenheit, mit welcher er Friedrich über dessen hoffnungslosen Zustand aufgeklärt hatte (13). Wolff erinnert uns in diesem Zusammenhang an die letzten Lebenstage von Hindenburg im Jahre 1934: „Hindenburg fragte seinen Arzt Sauerbruch, ob „Freund Hein“ schon im Zimmer sei. Sauerbruch antwortete so: „Er ist noch nicht im Zimmer – aber er geht im Garten umher.“ Wolff dazu: „Kann die Frage eines Moribunden nach der Wahrheit ärztlich-menschlich schöner beantwortet werden als mit diesen Worten?“ (14).

    Sind wir bis jetzt mit Selle, Zimmermann und Voitus ersten ärztlichen Persönlichkeiten aus dem Umfeld Friedrichs II. begegnet, erstreckt sich das Interesse auch auf jene Ärzte, die sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich für ihn mehr oder minder bedeutsam waren. Die für dieses Thema relevante Literatur verweist insgesamt auf 31 Ärzte, von denen 20 dem zivilen und 11 dem rein militärischen Bereich zugeordnet werden können. Sie im Einzelnen vorzustellen, ist an dieser Stelle nicht möglich, wenngleich sich unter ihnen auch für die Geschichte der Medizin interessante Persönlichkeiten befinden. Erwähnt seien hier beispielsweise Johann Friedrich Meckel (1724 – 1774), der Begründer einer Anatomendynastie und Schüler Albrecht von Hallers oder Johann Nathael Lieberkühn (1711 – 1756). Bei ersterem denkt man sogleich an das nach ihm benannte Divertikel und bei letzerem an die „glandulae intestinales“ (Lieberkühn-Krypten). Sie und andere Wissenschaftler erfreuten sich Friedrichs reicher Gunst und Förderung.

    Von diesen insgesamt 31 Ärzten waren immerhin 13 für ihn als Leib- bzw. Hofärzte tätig. Für eine 46 Jahre währende Regierungszeit war es eine doch relativ große Anzahl der ihn behandelnden Ärzte. Sie steht einerseits mit der schon erwähnten Anamnese, andererseits aber auch mit den außerordentlich hohen körperlichen Belastungen Friedrichs während der Kriege zusammen. Hinzu kommt freilich sein nicht zu unterschätzendes Faible für die Medizin und deren wissenschaftliche Entwicklung und militärische Anwendbarkeit sowie schließlich sein ureigenstes leidensbedingtes Interesse. Was nun den militärmedizinischen Personenkreis angeht, so ist im weiteren eine Beschränkung auf einige der die preußische Militärmedizin so sehr beeinflussenden Generalchirurgen wie etwa Bilguer, Cothenius, Schmucker und Theden angezeigt.

    Der aus dem schweizerischen Chur stammende Johann Ulrich von Bilguer (1720 – 1796), der am 1. und 2. schlesischen Krieg von 1740 und 1742 teilnahm und 1757 zum Generalchirurgus avancierte, erwarb sich besondere Verdienste. Er legte 1761 unter dem Titel „membrorum amputatione rarissime administranda etc.“ eine für das preußische Sanitätswesen sehr wichtige Schrift vor (15). Sein Bestreben, die bis dahin hohe Anzahl an Amputationen – eine Folge der französischen Schule – erheblich zu reduzieren, wurde vom König energisch unterstützt, was auch im Zusammenhang mit den daraus resultierenden Invaliditätsproblemen zu sehen ist. Wolff lässt uns wissen, dass Friedrich durch persönliches Eingreifen bei zwei schwer verletzten Offizieren die Amputationen im letzten Moment mit den Worten verhinderte: „Die beiden sind jung und haben noch kein Fieber; die Natur wird sie heilen“ (16), wie es denn auch geschah.

    Ein anderes Beispiel für seine ständige Interventionsbereitschaft wird uns von Balthasar Ludwig Tralles (1707 – 1797), Mitglied des Breslauer Medizinalkollegiums und der Akademien in Wien und München, überliefert. Professor Tralles betreute 1757 den an einer Pneumonie erkrankten Prinz Ferdinand von PREUSSEN (1730 – 1813), den jüngsten Bruder Friedrichs. Bei einem Krankenbesuch traf Friedrich am Krankenbett Ferdinands Tralles an, begrüßte ihn schroff und verwickelte ihn in eine fast einstündige Unterredung. Später berichtete Tralles über „das Examen rigorosum, so als wenn er Decanus facultatis medicae wäre, und ich ein Candidat, der in Doctorem promoviren wollte, in der besten Form, über welche ich mich nicht genug verwundern konnte.“ (17).

    Von den bekanntermaßen raschen Veränderungen der königlichen Gunsterweise wurde auch Bilguer betroffen. Während des Bayerischen Erbfolgekriegs von 1778/79, dem letzten der so genannten „Kabinettskriege“ in der Frühen Neuzeit, der wegen der mangelnden Versorgung der Soldaten auch „Kartoffelkrieg“ genannt wurde (18), griff er in die von Nichtmedizinern beherrschte Lazarettverwaltung ein. Das erregte den Zorn Friedrichs, der ihm in seinem Schreiben vom 21. September 1778 deshalb sogar Festungshaft androhte (19). Kaiserin Maria Theresias Vorschlag, von einer Schlacht abzusehen, folgte Friedrich nur zu gern. So soll dieser von ständigen Ausweichmanövern bestimmte Krieg ausnahmsweise einmal damit geendet haben, dass kein einziger Schuss abgegeben wurde und im Jahre 1779 mit dem Frieden von Teschen.

    „Er ist ein wahrer Sohn Aeskulaps“, soll sich Friedrich einst über Christian Andreas Cothenius (1708 – 1789) geäußert haben (20), der als Sohn eines Regimentsfeldschers aus Anklam stammte (Abb 4). Wegen seines hohen Ansehens als Stadtphysikus von Havelberg wurde er 1748 als ebensolcher und Hofarzt nach Potsdam berufen. Freilich wäre er selbst viel lieber in Havelberg geblieben, doch folgte er der Order seines Königs. Als „Generalstabsmedicus und Leiter des Heeres-Sanitätswesens“ eingesetzt, war er damit auch für die Feldlazarette verantwortlich. So gelang es ihm, bei der Belagerung von Prag im Jahre 1757 innerhalb von drei Tagen ein Lazarett für 1 000 und nach weiteren 14 Tagen eines für 2 000 Soldaten einzurichten (20).

    Auch während der gleichfalls für Friedrich siegreich verlaufenen Schlacht bei Leuthen im selben Jahr verstand es Cothenius, neben den vielen Verwundeten nun auch dem plötzlichen Auftreten von Fleckfieber zu begegnen. Rasch ließ er die leeren Feldapotheken auffüllen, setzte bei jeder einen Laboranten ein und arbeitete selbst über 100 Rezepturen aus. Sein ohnehin bekannter Fleiß verdient auch insofern Beachtung, als er während des ganzen Siebenjährigen Krieges weiterhin seiner fürstlichen Konsiliartätigkeit nachkam wie etwa in Bayreuth, Darmstadt, Dessau, Schwedt, Magdeburg, Torgau oder Wittenberg (21).

    Im hohen Alter erging es ihm, nicht nur wegen der fortschreitenden Erblindung, ebenso wie Eller, dem er ja nach dessen Tode nachgefolgt war. Friedrich entband ihn, wenn auch durchaus ehrenvoll, von seinen Aufgaben und wandte sich Jüngeren zu. In Johann Theodor Eller (1689 – 1760) begegnen wir einer weiteren, gleichfalls für die Medizingeschichte interessanten Persönlichkeit, allein schon mit Blick auf seine Lehrer (Abb 5). Zu diesen gehörte neben anderen Berühmtheiten jener Zeit der Präsident des bereits 1685 gegründeten Collegium Medicum, Georg Ernst Stahl (1659 – 1734). Stahl wirkte als Professor für Medizin in Halle, wo er als Vertreter des animistischen Systems erklärter Kontrahent von Friedrich Hoffmann (1660 – 1742) war. Dieser vielfach und hoch geehrte Dekan der Medizinischen Fakultät Halle vertrat seinerseits das auf Paracelsus (1493 – 1541) zurückgehende iatrochemische Prinzip.

    Auch der damals in Europa führende niederländische Mediziner Herman Boerhave (1668 – 1738) – man denke hier an das Boerhave-Syndrom (spontane Oesophagusruptur) – besaß für Ellers wissenschaftlichen Weg eine herausragende Bedeutung. Eller war der erste Direktor der 1710 zunächst als Pesthaus gegründeten Charité, die 1727 dann zum Bürgerhospital ausgebaut wurde (22). Zusammen mit Gabriel Senf (? – 1738) leitete er als Professor für Chirurgie acht Jahre lang diese Einrichtung. Er führte mit diesem auch die erste suprapubische Blasenstein-Operation aus, ohne jedoch darüber zu publizieren (23). Zusammen mit Stahl gilt er als Urheber eines Medizinaledikts für die seither obligatorische Prüfung von Ärzten und anderen Angehörigen der Heilberufe.

    Noch bevor er Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. als Leibarzt diente, wandte Eller im Jahre 1721, hier noch als Leibarzt des Fürsten von Anhalt-Bernburg, die Pocken- Inokulation an (24). Ob er sich dabei von der durch den griechischen Arzt Emanuel Timani 1713 verwendeten und ab 1718 in Europa Eingang findenden Methode des Einritzens der Haut und Einbringens von Pockeneiter leiten ließ, ist indessen nicht belegbar, wohl aber denkbar (25). Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Eller neben anderen das Potsdamer Leben beeinflussenden Personen wie etwa Voltaire oder de La Mettrie zu den Mitgliedern der von Friedrich II. im Jahre 1744 reorganisierten und bald zur Blüte kommenden „Königlichen Akademie der Wissenschaften“ gehörte.

    Neben Eller verdient auch der erste preußische Generalchirurg Ernst Konrad Holtzendorff (1688 – 1751) (Abb 6) unsere Aufmerksamkeit. Als Regimentsfeldscher der königlichen Garde wurde ihm die Möglichkeit zur Weiterbildung im Ausland wie etwa in Frankreich, der Schweiz oder in Italien geboten. Die lange Entwicklungsgeschichte des preußischen militärärztlichen Bildungssystems ist auch mit seinem Namen verbunden. König Friedrich Wilhelm I. folgte seinem Anraten, im Jahre 1713 in Berlin ein „Theatrum anatomicum“ zu etablieren, aus dem im Jahre 1724 dann das „Collegium medico chirurgicum“ entstand.

    Bedeutsam wurde für ihn das Jahr 1719, als er seinem von einer Nierenkolik befallenen König erfolgreich zu Hilfe eilte, wofür ihm dieser zeitlebens dankbar blieb. Auch der königlichen Familie, darunter dem jungen Friedrich II., blieb er bis zum Beginn seiner Pensionierung zu Beginn des 1. Schlesischen Krieges, ärztlich verbunden. Damit spielte Holtzendorff während der Regierungszeit Friedrich II. in militärmedizinischer Hinsicht praktisch keine Rolle (26). Dagegen zählt Johann Leberecht Schmucker (1712 – 1786), dessen Lebensdaten zufällig mit denen seines Königs identisch sind, zu den genannten bedeutenden Militärärzten.

    Als Regimentsfeldscher am Collegium medico- chirurgicum ausgebildet, schickte ihn Friedrich Wilhelm I. zum Studium nach Paris. Dort war er Schüler der speziell die Kriegschirurgie so nachhaltig beeinflussenden Henri Le Dran (1685 – 1770) und Jean Louis Petit (1674 – 1760) (26). Schmucker unterhielt eine große Praxis in Berlin. Dennoch nahm er an allen elf Feldzügen unter Friedrich II. als Generalchirurg teil und wurde 1758 dann Erster Generalchirurg. Unbestritten sind seine Verdienste insbesondere auf praktisch operativem und organisatorischem Gebiet. Entgegen der üblichen Regelungen war er bemüht, die Versorgung der Verwundeten durch die Anwendung des Prinzips der Etappenbehandlung systematisch zu verbessern.

    Die fehlende Rücksichtnahme auf Verwundete während der Schlacht mochte ihn 1779 wohl bewogen haben, eine diesbezügliche Einigung der kämpfenden Parteien anzustreben. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Von einer positiven Reaktion Preußens wissen wir allerdings nichts. Die Behandlung der Schädel-Hirn-Verletzten fand dafür sein besonderes Interesse. Die von ihm eingeführten kalten Umschläge, auch als „Schmucker??sche Fomentation“ bekannt, kamen noch bis weit in das 19. Jahrhundert zur Anwendung. Sie trugen wesentlich zum Rückgang des kritiklosen Trepanierens, selbst bei banalen Verletzungen, bei. Auch die mit ihm verbundene Vereinfachung des chirurgischen Instrumentariums, darunter die Zusammenstellung eines Amputationsbesteckes für den Feldeinsatz, lassen in ihm ein Glied jener Entwicklungskette erkennen, die zum heutigen Stand der Chirurgie führte (28).

    Seine Leistungen wurden im Jahre 1774 durch die Mitgliedschaft in der „Römisch- Kaiserlichen Akademie der Naturforscher“ gewürdigt. Stellt man Schmucker vor, dann kommt man nicht umhin, auch dessen Nachfolger Johann Anton Theden (1714 – 1794) zu erwähnen, der nach dem Siebenjährigen Krieg als Leibarzt zunächst 3. Generalchirurgus war und nach Schmuckers Tod ebenfalls zum Ersten Generalchirurg aufstieg. Mischte man damals Weingeist mit Zucker oder Honig und fügte gar noch verdünnte Schwefelsäure hinzu, dann ergab das die nach Theden benannte „Tinctura Antimoni Thedenii“. Als „Wund- oder Schußwasser“ ist sie hinsichtlich ihres Nutzens freilich ebenso wenig belegt wie alle die anderen Mixturen mit ihren teilweise aus der mittelalterlichen Dreckapotheke entlehnten Ingredienzien.

    Doch machte sich Theden wohl eher verdient durch die Anwendung von Hohlschienen bei Oberschenkel-Schussfrakturen wie auch durch die Einführung eines elastischen, aus Kautschuk bestehenden Katheters (29). Theden wiederum folgte dann der hoch angesehene Begründer der 1795 errichteten Berliner Pépinière, Johann August Goercke (1750 – 1822), nach (Abb 7). Adler verweist in seiner Arbeit über Goercke darauf, dass mit dieser Einrichtung letztlich die friederizianischen Vorstellungen in Bezug auf ein geordnetes militärärztliches Bildungssystem späte Realisierung erfahren konnten (30). Sicher ist, dass Friedrichs Positionen zur Medizin, abgesehen von den eigenen Leiden, vom Gedankengut der Aufklärung bestimmt waren. Sah er sich doch selbst als Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, einer außerfranzösischen Form der Aufklärung. Deren Inhalte zielten im Wesentlichen ab auf die Gesetzesgleichheit aller Menschen vor Gott, ein ausgebautes Beamtentum, die Abschaffung der Folter oder die Toleranz gegenüber Angehörigen anderer Religionen und Einwanderern. Der König, der diese Gleichheit zwar nach außen hervorhob, hütete sich jedoch davor, sie zu realisieren. Dies würde fraglos zu einer völligen Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse geführt haben.

    Dennoch scheinen seine Kontakte zu Anhängern der Aufklärung wie auch deren gesellschaftliche Förderung von diesem Gedankengut beeinflusst worden zu sein. Als Beispiel dafür mag der französische Arzt, Naturforscher und Philosoph Julien Offroy de La Mettrie (1709 – 1751) gelten, der zuerst Theologie und dann ebenfalls bei Boerhave Medizin studiert hatte. Anfangs Arzt im Regiment des Herzogs von Gramont, verließ er dieses nach einer schweren Erkrankung bei der Belagerung von Freiburg. Wegen einer dort entstandenen Schmähschrift gegen die Ärzte musste er nach Holland fliehen. Dort griff er wiederum zur Feder, wo er seine ihn schnell bekannt machende Schrift „L??homme – machine“, der Mensch als Maschine (Leyden, 1748), verfasste (31). Friedrich lud ihn darauf hin als „Vorleser“ zu sich ein, was weniger wörtlich zu nehmen ist, als es ihm mehr um einen permanenten Gedankenaustausch ging. Als Zeichen seiner Wertschätzung führte Friedrich ihn sogar in die Berliner Akademie der Wissenschaften ein (32). Wolff stellt dazu die Frage: „Ist es Ironie, dass der so materialistisch eingestellte Franzose 1751 nach übermäßigem Genuss von Trüffelpastete, d. h. sehr wahrscheinlich an einer Nahrungsmittelvergiftung starb?“ (33).

    Nun, zu dieser Zeit, und noch ganz in Gunst stehend, befand sich mit dem bereits genannten Voltaire noch ein anderer Repräsentant und Konkurrent in Sachen Aufklärung in Berlin und würdigte als einer der Feinde de La Mettrie’s denselben so: „In der Theorie so beschlagen wie sonst nur einer seiner Kollegen und in der Praxis unbestreitbar der schlechteste Arzt auf Erden. Gottlob praktizierte er nicht.“ (34). Ganz anders hingegen äußerte sich Friedrich zu de La Mettrie: „Er war lustig, ein guter Teufel, ein guter Arzt und ein schlechter Schriftsteller; aber wenn man seine Bücher ungelesen ließ, konnte man mit ihm zufrieden sein.“ (35).

    Die Urteile über Friedrich II. mögen, so weit sie die Medizin betreffen, durchaus verschieden sein. Von seinem langjährigen Privatsekretär Henry de Catt (1725 – 1795), der ebenfalls „Vorleser“ genannt wurde, obgleich seine Aufgabe nie darin bestanden hatte, ist uns der bekannte Ausspruch Friedrichs überliefert: „Alle Ärzte sind Narren!“ So ernst kann er das kaum gemeint haben, vielmehr dürfte darin jene Ironie zu erkennen sein, an der es ihm selten gemangelt hat. Gewiss darf man daher der folgenden Einschätzung von Wolff beipflichten: „Das gesamte Sanitätswesen, der medizinische Unterricht, Fragen der ärztlichen Praxis und der Hygiene, was heute eine Reihe verschiedenster Behörden unentbehrlich macht, hat er (der König) selbst mit der Gründlichkeit eines Verwaltungschefs übersehen.“ (36).

    So hatte Friedrich bekanntermaßen eine Vielzahl von Regularien erlassen, die ihrem Wesen nach sogar heute noch Bestand haben und nachwirken. Wie er über die Stellung eines Gesundheitsministers dachte, (damals war das der Direktor des Medizinal-Oberkollegiums – F. L.), ist aus einem Erlass an den Minister v. Hagen vom Februar 1784 zu ersehen, wo er sich abschließend nach einer vorausgegangenen Fehlbesetzung äußert: „Wie schickt sich denn ein Justiz-Mann zu dem Medizinischen Fach; davon versteht er ja nichts, und soll auch keiner dergleichen wieder dabei gesetzt werden. Vielmehr gehört dazu ein guter und vernünftiger Medicus.“ (37).

    Eine wahrhaft auch für unsere Zeit bedenkenswerte und nachdenklich machende Feststellung. Ruhelos und bewegt wie sein Leben, war auch die Zeit nach seinem Tode (Abb 8). Beigesetzt wurde Friedrich II. zunächst an der Seite seines Vaters in der Potsdamer Garnisonkirche. Zum Schutz vor Luftangriffen wurden beide Sarkophage durch Offiziere der Wehrmacht 1943 in einen Bunker nach Potsdam-Eiche überführt. Noch im März 1945 kamen sie nach Bernterode in ein Kalibergwerk, von wo aus USEinheiten sie im Sommer nach Marburg brachten. Im Jahre 1952 gelangten sie dann auf die Burg Hohenzollern bei Hechingen. Am 205. Todestag Friedrichs, am 17.August 1991 wurden beide Särge schließlich nach Potsdam gebracht, wo Friedrich Wilhelm I. in der Friedenskirche beigesetzt wurde und Friedrich II. fast im Sinne seines letzten Wunsches in einer Gruft vor seinem geliebten Sanssouci die letzte Ruhe fand (38).

    * nach einem Vortrag auf dem 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie, Arbeitskreis Geschichte der Wehrmedizin und Ethik am 14.10.2011 (Erfurt).

     

    Literatur:

    1. Gooch GP: Friedrich der Große. Preußens legendärer König. Kreuzlingen/München: Hugendubel 2006; 149
    2. Wolff G: Friedrich der Große. Krankheiten und Tod. Mannheim: Waldkirch 2005; 43
    3. Ebd. 36
    4. Gooch GP: a. a. O., 136
    5. Mittenzwei I: Friedrich II. von Preußen. Berlin; Verl. d .Wiss. 1980; 23 f.
    6. Wolff G: a. a. O., 70
    7. Gooch GP: a. a. O., 331 u. Wolff G: a. a. O., 141
    8. Wolff G: a. a. O., 156
    9. Ebd., 157
    10. Ebd., 94
    11. Ebd., 146
    12. Ebd., 142 f.
    13. Ebd.
    14. Ebd., 144
    15. Artelt W: Ärzte um Friedrich den Großen. Ciba Zschr 1955: 2395
    16. Wolff G: a. a. O., 122
    17. Artelt W: a. a. O., 2392
    18. Holmsten G: Friedrich II. Hamburg; Rowohlt 1969; 151 f.
    19. Artelt W: a. a. O., 2397
    20. www. Christian Andreas Cothenius
    21. Artelt W: a. a. O., 2389
    22. Ebd., 2385
    23. www. Schönberger B:, Lück S: Geschichte der Urologie an der Charite´ Berlin. In: Der Urologe. 2000; 40(1): 69-73
    24. Artelt W: a. a. O., 2385
    25. Mayer-Steineg Th, Sudhoff K: Illustrierte Geschichte der Medizin. Paderborn; Voltmedia 2006; 280 f.
    26. Frölich H: Holtzendorff, Ernst Konrad. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 13. Leipzig; Duncker u. Humblot 1881; 12 f.
    27. Kolmsee P: Unter dem Zeichen des Aeskulap. Bonn; beta 1997 72 f.
    28. Urban W: Johann Leberecht Schmucker (1712-1786) – Lebensbild eines preußischen Militärarztes. Med. Diss. Leipzig 1990; 114 ff.
    29. Kolmsee P: a. a. O., 74
    30. Adler F: Leben und Wirken des preußischen Generalstabsarztes Johann Friedrich Goercke (1750-1822). Med. Diss. Leipzig 1988; 59-88
    31. Holmsten G: a. a. O., 91
    32. Richter P: Friedrich der Große und die Aerzte. Medizin. Klinik Sonderdruck Nr.3. Berlin: 1912; 1
    33. Wolff G: a. a. O., 99
    34. Ebd., 100
    35. Holmsten G: a. a. O., 91
    36. Wolff G: a. a. O., 101
    37. Richter P: a. a. O., 2
    38. Holmsten G: a. a. O., 171 ff.

    Die Angaben zu den Abbildungen 3-8 stammen aus: Georg Poensgen (Bearb.): Kunstwerke im Besitz des Reichsarbeitsministeriums. Reichsdruckerei; Berlin 1928.

    Danksagung

    An dieser Stelle sei den Herren Oberstarzt a. D. Dr. Ernst-Jürgen Finke und Hauptmann d. R. Henrik Koch für die Auswahl und Bereitstellung des Bildmaterials für die Abbildungen 3 bis 8 aus dem Bestand der Wehrgeschichtlichen Lehrsammlung des Sanitätsdienstes an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München herzlich gedankt.

    Datum: 06.03.2012

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/1

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