29.04.2021 •

Neurologische Manifestationen von COVID-19

Rehabilitation von Long-COVID und Leitlinien für die Begutachtung Post-COVID

Wolfgang Weinelt (Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz)

123rf/limbi007

Zusammenfassung

Eine neurologische Begleiterkrankung tritt bei 13 % der an Covid-19- Erkrankten auf und führt zu einer um nahezu 40 % erhöhten Sterblichkeitsrate.

In diesem Beitrag wird die Pathophysiologie der ZNS-Beteiligung bei SARS-CoV-2-Infektionen erläutert. Hierbei werden auch Parallelen zur Virusgrippepandemie in den 1920er Jahren und der nahezu zeitgleich durch VON ECONOMO im Jahre 1917 beschriebenen Encephalitis lethargica betrachtet.

Symptomatik und Prävalenz des Long-COVID-Syndroms werden dargestellt. Auf der Basis erster klinischer Erfahrungen zeigt der Beitrag Aspekte der Rehabilitation und Begutachtung nach Long-COVID im Sinne von Post-COVID nach den Versorgungsgesetzen auf und nimmt Stellung zur wehrmedizinischen Relevanz der Erkrankung.

Schlüsselwörter: COVID-19-Pandemie, Long-COVID, Neurologische Manifestation, Rehabilitation, Sozialmedizin, Begutachtung

Keywords: COVID-19 pandemic, sequelae of Covid-19, neurological symptoms, rehabilitation, social medicine, assessment

Neuropathologie von COVID-19

Spanische Grippe

Im zeitlichen Zusammenhang mit der Virusgrippepandemie in den 1920er Jahren (Spanische Grippe) mit geschätzt 500 Millionen Betroffenen und 50–100 Millionen Toten wurde durch VON ECONOMO 1917 ein postenzephalitisches Parkinson-Syndrom beschrieben, welches zeitgleich, aber nicht nachgewiesener Maßen ursächlich als Folge der Grippeerkrankung auftrat [4, 12, 13]. Mit Alpha-Synuklein konnte Jahrzehnte später ein pathomorphologisches Korrelat bei Morbus Parkinson entdeckt werden [3, 14].

BRAAK [3] postulierte bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit eine Aggregation der Tau-Fibrillenbündel und bezüglich neurodegenerativer Parkinson-Krankheit die Ablagerung des Eiweiß Alpha-Synuklein. Dabei beginnt nach seiner Auffassung die neurodegenerative Parkinson-Erkrankung in Nervenzellen des Riechorgans und dem enteritischen Nervensystem. Es kommt anschließend durch transsynaptischen Zell-zu-Zell-Transport zu einem rostrokraniellen Aufstieg der Parkinson-Pathologie via sympathisches und parasympathisches Nervensystem [3]. Gentherapeutische Ansätze zur Behandlung dieser Proteinopathien stehen im Fokus wissenschaftlicher Forschung [16].

Mit Erreichen des zentralen Nervensystems treten die für das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS) pathognomonischen Veränderungen mit selektiver Degeneration der dopaminergen Neurone in der Substantia nigra pars compacta in Form von Lewy-Körperchen auf, es kommt zu einer reaktiven Gliose und einer fortschreitenden zentralen Neurodegeneration. Die Neurodegeneration breitet sich im zentralen Nervensystem aus. Dies könnte ein Erklärungsansatz für das zeitlich versetzte Auftreten motorischer und kognitiver Symptome nach Infektionen außerhalb des ZNS sein.

Das postenzephalitische Parkinson-Syndrom von Economo trat mit zum Teil jahrelanger Latenz zur Virusgrippe „Spanische Grippe“ der 1920er Jahre auf [4]. Ein über den zeitlichen Zusammenhang hinausgehender ursächlicher Nachweis ist letztlich bei den Patienten mit einem postenzephalitischen Parkinson-Syndrom von Economo nicht gelungen. Jahrzehnte später konnten retrospektiv keine Grippeviren elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden, was aber die Braak´sche Aszensionshypothese der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen nicht widerlegt.

COVID-19

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden im neurologischen Fachgebiet häufig Geruchs- und Geschmackssinnstörungen beschrieben [10]. So wurde in einer Fallserie aus Wuhan veröffentlicht, dass sich bei mehr als einem Drittel der 214 analysierten COVID-19-Patienten auch neurologische Symptome manifestierten. Nach Berlit ist unter Bezug auf Geruchs- und Geschmackssinnstörungen von einer deutlich höheren Rate neurologischer Begleiterscheinungen von bis zu 84 % auszugehen [16]. In der Fallserie aus Wuhan zeigten 53 der Patienten eher unspezifische Symptome wie Schwindel und Kopfschmerzen, 26 aber eindeutige neurologische Störungen wie Geschmacks- oder Geruchsstörungen.

BERLIT geht von Folgendem aus [10]: Die häufigsten neurologischen Symptome bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 sind nach bisherigen Erfahrungen Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns, die neben zahlreichen anderen Symptomen in der Akut- wie in der Remissionsphase, u. a. auch in Form von Encephalopathien, para- und postinfektiösen Muskel- und Nervenschädigungen, Guillain-Barré-Syndrom, Schlaganfall und Vaskulitis auftreten können.

Die Patienten mit einer „Encephalitis lethargica von Economo“ litten hingegen häufig unter Störungen der Okulomotorik, als möglicher Hinweis für eine Hirnstammbeteiligung. Bei der histopathologischen Untersuchung der Gehirne von Patienten, die von der epidemischen Encephalitis betroffen waren, fanden sich nur geringe makroskopische Entzündungsherde, was einen Immunpathomechanismus nicht ausschließen lässt.

Dabei ist die Klinik der epidemischen Enzephalitis (1922) mit lethargischer, „fast völliger Bewegungslosigkeit“ [12] sehr wohl von der Pathologie einer Fatigue bei Long-COVID zu unterscheiden.

Die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie im neurologischen Fachgebiet häufig beschriebenen Geruchs- und Geschmackssinnstörungen zeigte auch eine europäische Studie: Über 85 % von 419 COVID-19-Patienten mit milden bis moderaten Symptomen aus 12 europäischen Kliniken berichteten von Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns. In mehr als 10 % der Fälle traten die Riechstörungen vor allen weiteren Symptomen auf. Er wird vermutet [10], dass SARS-CoV-2 von der Lamina cribrosa über die Riechbahn (N. olfactorius) direkt ins Riechhirn und von dort aus in weitere Hirnareale gelangen kann. Tierexperimentell und in vitro wurde der neurale Infektionsweg bei Coronaviren wie MERS bereits nachgewiesen [1]. Es erfolgt eine Aszension von der Nasenschleimhaut über freie Nervenenden bis zum Gehirn. Die Viren werden vermutlich via Endo-/Exozytose über Synapsen weitergeleitet. Es gibt Indizien dafür, dass nicht nur der Riechnerv, sondern auch das Riechhirn betroffen ist. Es werden Geruchshalluzinationen nach Abklingen der Krankheit beschrieben, auch eine Kakosmie, ein Geruch wird befremdend, als übelriechend wahrgenommen.

SARS-CoV-2 kann das Gehirn erreichen, wo es nach Obduktionsbefunden eine Immunreaktion auslöst, die möglicherweise die neurologischen Symptome erklärt. Bei 21 von 40 verstorbenen COVID-19-Patienten (53 %) konnten Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf SARS-CoV-2 im Gehirn nachweisen – sowohl mittels PCR als auch mit Hilfe von Antikörpern. Virale Gene und Proteine fanden sich vor allem in der Medulla oblongata und in den Hirnnerven. Auffällig war, dass bei allen Patienten die Astrozyten vermehrt waren. Die Forscher konnten in einer In-situ-Analyse recherchieren, dass die Oligodendrozyten, die wie die Astrozyten zur Neuroglia gehören, in größerer Menge ACE-2-Protein bilden, über das SARS-CoV-2 an den Zellen andockt [7]. In den Nervenzellen werden auch die Proteasen TMPRSS2 und TMPRSS4 gebildet, die zum Eindringen in die Zellen benötigt werden. Die Aktivierung von Mikroglia und eine vermehrte Infiltration von zytotoxischen T-Lymphozyten sowie von meningealen zytotoxischen T-Lymphozyten deuten nach Auffassung von Prof. Glatzel, Hamburg, darauf hin, dass eine entzündliche Reaktion an der Entstehung der neurologischen Symptome beteiligt sein könnte [8].

Dabei konnte in Einzelfällen das Korrelat der SARS-CoV-2 bedingten Anosmie auch kernspintomographisch bei beklagter schwerer Anosmie und Dysgeusie im dreidimensionalen FLAIR-Bild in Form einer kortikalen Hyperintensität im rechten Gyrus rectus und eine Hyperintensität der bilateralen Riechkolben gesichert werden [9]. Das olfaktorische System ist mit anderen Hirnarealen verbunden. Es bestehen Verbindungen der Riechbahn mit dem Hypothalamus und dem Thalamus sowie dem limbischen System. Das septale Gebiet ist u. a. durch Assoziationsfasern mit dem Gyrus cinguli verbunden. So erklären sich z. B. auch olfaktorische Trigger im Zusammenhang mit der PTBS, der Posttraumatischen Belastungsstörung.

Da virusbedingte Riechstörungen häufig sind, es aber keine systematische Untersuchung darüber gibt, welcher Anteil der viral bedingten Riechstörungen zu einer neurodegenerativen Erkrankung wie einem postenzephalitischen Parkinson-Syndrom führen, bleibt die Frage der erhöhten Parkinsoninzidenz im Rahmen der COVID-19-Pandemie derzeit ebenso ungeklärt wie die Pathogenese der Fatigue bei Long-COVID. Gestützt wird die Braak´sche Aszensionshypothese nicht nur über den Nervus vagus, sondern auch über den Bulbus olfactorius [5].

Ob Aphasien und neuropathische Defizite, wie Konzentrationsstörungen, bei COVID-19 Folgen einer Enzephalopathie oder einer Vaskulitis im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Infektion sind, ist noch nicht abschließend geklärt.

Long-COVID/Post-COVID-Syndrom

Bei bisher nur geringer systematischer Aufarbeitung bezüglich der Manifestation und differenzieller Symptomausprägung von Long-COVID-Symptomen [6] nach einer vorausgegangenen SARS-CoV-2-Infektion ist davon auszugehen, dass 30–40 % der COVID-19-Patienten noch Wochen bis Monate nach einer Infektion unter Symptomen wie Fatigue, Atemnot, Riechstörungen, Husten, Depression und kognitiven Störungen sowie unter dysphasischen Störungen leiden [6]. 

Fatigue

Häufigstes Symptom des Post-COVID-/Long-COVID-Syndroms ist die Fatigue mit 69–53,1 %, gefolgt von Atemnot und olfaktorischen Ausfällen mit 53–43,4 % [6].

Ein Forscherteam in Jena beobachtete Fatigue (60 %), Depression (40 %) und kognitive Störungen (20 %). Die „kognitiven Störungen“ wurden nicht weiter nach Störungen der Konzentration, der konzentrativen Ausdauerbelastbarkeit, der Auffassung, der Merkfähigkeit, der Planungsfähigkeit differenziert, ebenso wenig wurden klinisch oft vorgetragene dysphasischen Störungen erfasst. Es wurden klinische Störungen der Wortfindung, aber auch der Syntax von Post-COVID-PatientInnen vorgetragen [6].

Nicht nur wegen einer gesteigerten vaskulären Ent-zündungsaktivität im Sinne einer Vaskulitis scheint es problematisch, die Fatigue als depressionsbedingt zu bewerten. Vielmehr sollte, analog zu anderen Autoimmunerkrankungen wie z. B. der Encephalitis disseminata, die Fatigue, ein chronischer Erschöpfungszustand, bei dem Ruhe- und Schlafphasen keine Erholung bringen, als ätiologisch nicht geklärte Störung bewertet werden und nicht als Teil einer depressiven Verarbeitung der von COVID-19 Betroffenen aufgefasst werden. Gezielt sollte nach kortikalen und subkortikalen Dysfunktionen in Form von Synchronisation in der Elektroenzephalographie, endokrinen Störungen, (Dehydroepiandrosteron (DHEA), Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA), Entzündungen, Tumornekrosefaktor α (TNF-a), Interleukin-2 (IL-2) gesucht werden. Wegen des erhöhten Vaskulitisrisikos bei COVID-19-Patienten sollte auch ein Vaskulitisscreening erfolgen.

Fatigue wird teilweise auch im Sinne eines Chronic -Fatigue Syndroms (CFS), auch assoziiert mit Schmerzen, entsprechend einer „Fibromyalgie“ (FMS) vorgetragen. Für beide Beschwerdebilder gibt es in der medizinischen Wissenschaft keinen einheitlichen Kenntnisstand bezüglich ihrer Ätiologie. Die Therapie ist multimodal und am Beschwerdebild orientiert. Eine zugelassene -Pharmakotherapie der Fatigue gibt es nicht, Off-Label kann ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie -Escitalopram erwogen werden. Ob der selektive Dop-amin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Solriamfetol eine Therapieoption sein kann, wird die Zukunft zeigen.

Einige wenige Rehakliniken in Deutschland haben bereits Erfahrungen in der Rehabilitation von Long-COVID-Patienten. Die Kontaktdaten/Adressen können beim Autor angefragt werden.

Post-COVID

Der Begriff Post-COVID ist wissenschaftlich nicht definiert. Er wurde eingeführt, um Handlungsansätze nach der Akut- und der Rehabehandlung für die langfristige Therapie einerseits, aber auch für die Begutachtung nach den Versorgungsgesetzen zu haben.

Bei Soldatinnen und Soldaten besteht Versorgungsschutz nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Der Versorgungsschutz für Beamtinnen und Beamte richtet sich nach dem Beamtenversorgungsgesetz. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterliegen dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, der im Sozialgesetzbuch (SGB) VII geregelt ist.

Diagnostik und Begutachtung

Untersuchungsalgorithmus

Bei den ersten 4 in der neurologischen Ambulanz des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) Koblenz untersuchten Patienten mit Long-COVID, von denen 2 beabsichtigten, einen Antrag auf Überprüfung nach dem Soldatenversorgungsgesetz zu stellen (Wehrdienstbeschädigung?), haben wir einen im Rahmen der ambulanten Untersuchung leistbaren klinischen Algorithmus entwickelt, wie Patienten mit Long-COVID-Symptomen zu begegnen ist.

Dieser Algorithmus schließt eine umfassende Anamneseerhebung, auch das explizite Erfragen von Vorerkrankungen, ebenso ein, wie eine Labordiagnostik einschließlich Bestimmung der Schilddrüsenparameter T3, T4, TSH, MAK, TRAK ein. Ferner erfolgt in Vaskulitisscreening, die Bestimmung von DHEA, Tumornekrosefaktor α (TNF-a) sowie Interleukin-2 (IL-2).

Apparativ erfolgt eine Elektroenzephalografie, auch mit der Frage von Synchronisation im Elektroenzephalogramm.

Es erfolgt ein MRT des Schädels mit der Fragestellung „Enzephalopathie, Vaskulitis, entzündlicher ZNS-Prozess“ und eine testpsychologische Diagnostik, die bisher das größte Nadelöhr der klinischen Verfügbarkeit ist.  

Testpsychologische Verfahren

Um einen differenzierteren Überblick über die angegebenen Beschwerden zu erhalten, haben sich die nachfolgenden testpsychologischen Verfahren bewährt [15]: 

Symptom-Checkliste (SCL-90-S) 

Die Symptom-Checkliste misst die subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch 90 vorgegebene körperliche und psychische Symptome des Probanden in einem Zeitfenster von 7 Tagen. 

Beck-Depressions-Inventar (BDI-II) 

Das BDI-II ist ein Selbstbeurteilungsinstrument zur Erfassung des Schweregrades einer depressiven Symptomatik. 

Beck-Angst-Inventar (BAI) 

Das Beck-Angst-Inventar ist ein international gebräuchliches Instrument für klinische Ängste. 

Würzburger Erschöpfungsinventar (WEIMuS; -Flachenecker et al) 

WEIMuS ist eine mehrdimensionale Skala zu Erfassung der Fatigue. Der Fragebogen besteht aus 2 Skalen: (1) „Körperliche Fatigue“ (8 Items), (2) „Kognitive Fatigue“ (9 Items). Jede Aussage wird auf einer Skala von „0“ (nie) bis „4“ (fast immer) bewertet. Klinisch bedeutsame -Fatigue ist wahrscheinlich, wenn folgende Cut-off-Werte überschritten werden: Gesamtskala 32 Punkte (körperliche Fatigue 16 Punkte, kognitive Fatigue 17 Punkte). 

Zur Bewertung kognitiver Beeinträchtigungen haben sich die folgenden Testverfahren bewährt:

Test D2 

Der Test D2 dient der Einschätzung der individuellen Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit. 

Benton-Test 

Der Benton-Test prüft das unmittelbare Gedächtnis für visuell-räumliche Stimuli. 

Zahlenverbindungstest (ZVT)

Der ZVT dient der Erfassung der basalen kognitiven Leistungsgeschwindigkeit. 

Wünschenswert wären weitere differenzierte Testverfahren zur Prüfung neurokognitiver Beeinträchtigungen wie Minnesota Multiphasic Personality Inventory-2 Restructured Form (MMPI-2-RF) und WAFA (Alertness) im Test-Set COGBAT, Testform S 2, zur Erfassung von Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsfunktionen.

Sollte der gutachterliche Einsatz von Validisierungsverfahren erwogen werden, kann sich das Self-Report Symptom Inventory (SRSI) eingesetzt werden. Es handelt sich um ein Verfahren, das fünf Beschwerdebereiche (kognitive Beschwerden, depressive Beschwerden, Schmerzbeschwerden, unspezifische somatische Beschwerden, Angstbeschwerden), fünf Bereiche atypischer, ungewöhnlicher oder bizarrer Beschwerden (Pseudobeschwerden) gegenüberstellt. Geprüft wird die Anzahl bejahter Pseudobeschwerden, die Aufschluss zum Grad des Vertrauens liefert, das der subjektiven Beschwerdeschilderung einer Person entgegengebracht werden kann.

Ein weiterer Beschwerdevalidierungstest ist der Rey--Memory-Test (RMT), der wohl bekannteste und empirisch mehrfach überprüfte Simulationstest, der die visuelle Merkfähigkeit misst. 

Sozialmedizinische Begutachtung

Begutachtungen nach COVID-19-Infektion erfolgen u. a. nach den AWMF-Leitlinien [2, 11], obwohl es sich nicht, zumindest nicht überwiegend, um psychische oder psychosomatische Beeinträchtigungen im engeren Sinne handelt, sondern von einem postenzephalitischen Syndrom gemäß ICD10: F07.1, alternativ F09 auszugehen ist. Keine andere Leitlinie folgt aber den Prinzipien vom Befund zur Fähigkeitsstörung der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der WHO in gleicher Weise und beinhaltet die Beurteilung intensionaler Verzerrung (Ziffer 3.4), die berufliche Leistungsbeurteilung (Ziffer 3.5) und die Prognose (Ziffer 3.6), so konsequent wie die AWMF-Leitlinie 051–029 [3]. Es sei hier auch auf Teil III dieser Leitlinie bei der Begutachtung von Kausalitätsfragen im Sozial-, Zivil- und Verwaltungsrecht verwiesen.

Fazit aus wehrmedizinischer Sicht

In der aktuellen 3. Welle der COVID-19-Pandemie sind die sanitätsdienstlichen Kräfte noch mit der Unterstützung des zivilen Gesundheitswesens und Akutbehandlung befasst. Deutlich zunehmend stellen sich auch in der truppenärztlichen Sprechstunde Soldatinnen und Soldaten nach COVID-19-Infektion u. a. mit einer Fatigue-Symptomatik, aber auch mit Riechstörungen und neurokognitiven Störungen vor.

Ansprechpartner für diese Patientengruppe sind rar, sowohl im zivilen Bereich als auch im Sanitätsdienst. Erste Anlaufstellen können die internistischen und neurologischen Ambulanzen an den Bw(Z)Krhs sein. Der vorgestellte Algorithmus der klinischen Diagnostik bei Long-COVID und der rehabilitativ-sozialmedizinisch-gutachterliche Ansatz sollen einen möglichen Weg zur wehrmedizinischen Versorgung und Begutachtung bei „Post-COVID“ aufzeigen. Mit Stand 18. März 2021 wurde bei Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr 5.106 COVID-19-Fälle bestätigt. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass einige von diesen der längerfristigen Hilfe und Betreuung durch den Sanitätsdienst bedürfen werden.

Literatur beim Verfasser


Zum bevorstehenden Ende meiner langen Dienstzeit möchte ich diesen Artikel meinen Förderern, Oberfeldarzt a. D. Dr. Marianne Erhard und Oberstarzt a. D. Prof. Dr. Manfred Heuser in München widmen.


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