SUBGINGIVALE OBER-FLÄCHENANÄSTHESIE MIT EINEM EUTEKT-ISCHEN LIDOCAIN-PRILOCAIN

POLOXAMENGELTRÄGERSYSTEM IM RAHMEN NICHT-CHIRURGISCHER PARODONTALTHERAPIE: EIN KLINISCHER ERFAHRUNGSBERICHT

Die Angst vor zahnärztlichen Injektionen ist eine der häufigsten Ursachen für die Ablehnung zahnärztlicher Therapie.

Die Ergebnisse einiger klinischer Studien haben gezeigt, dass die lokale subgingivale Oberflächen-anästhesie bei einigen Patienten für eine adäquate nicht-chirurgische Parodontaltherapie zur Schmerzreduktion ausreicht. Im Rahmen dieses Erfahrungsberichtes werden Technik, Einwirkzeit und Wirkdauer der subgingivalen Oberflächenanästhesie mit einer eutektischen Gel-Mischung lokaler Anästhetika (EMLA) aus Lidocain 25 mg/g und Prilocain 25 mg/g und thermisch verdickendem Poloxamen im Rahmen nicht-chirurgischer Parodontaltherapie bei 72 Patienten mit Rezidiven einer chronischer Parodontitis dargestellt. Bei allen Patienten wurden mittels Airscaler und Gracey-Küretten die Wurzeloberflächen aller Zähne mit Sondiertiefen = 4mm in einer Behandlungssitzung gereinigt und anschließend mittels Chlorhexidin gespült. 

Das Schmerzempfinden im Rahmen der Behandlung wurde hierzu in Form einer visuellen Analogscala (VAS: 0-10) erfasst. Es wurde die Zeit bis zum Wirkungseintritt der Oberflächenanästhesie (1,5 ± 0,8 Min.) und die Dauer erfasst, bis ein unangenehmes Schmerzempfinden auftrat (32,5 ± 11,2 Min.), und entsprechend der visuellen Analogscala bewertet. Alle Patienten wurden 6 Wochen nach Therapie wieder untersucht und nach Komplikationen befragt. 5 Patienten (7%) wünschten im Rahmen der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie zusätzliche Infiltrationsanästhesien. Die Ergebnisse unseres Erfahrungsberichtes zeigen, dass die weniger schwere Oberflächenanästhesie mittels EMLA-Gel durch die meisten Patienten, möglicherweise aufgrund geringerer posttherapeutischer Probleme gegenüber konventioneller Injektionsanästhesie, bevorzugt wird. 

Die mechanische und maschinelle nicht-chirurgische Parodontaltherapie ist die häufigste Behandlungsform einer Parodontitis in Deutschland. Die Patienten variieren in ihrem Schmerzempfinden bei diesen Behandlungsformen (Klages et al. 2004). Obwohl effektive Lokalanästhetika existieren, ist die Angst vor einer Injektion ein häufiger Grund für die Ablehnung zahnärztlicher Behandlung für mehr als 25 % der erwachsenen Bevölkerung (Milgrom et al. 1997). Die einfachste und am häufigsten verwendete Methode zur Schmerzreduktion während der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie ist die Anwendung von Oberflächenanästhetika. Hierzu wurden verschiedenste Applikationsformen entwickelt, für die unterschiedlichste Schmerzreduktionseffekte im Vergleich zur Anwendung von Placebos oder Infiltrationsanästhesien festgestellt wurden (Stoltenberg et al. 2007).

Für die 5 % eutektische Mischung lokaler Anästhetika (EMLA) aus den Amiden Prilocain (25 mg/g) und Lidocain (25 mg/g) wurden bereits in experimentellen und kontrollierten klinischen Studien positive Einflüsse auf die Schmerzreduktion bei nicht-chirurgischer Parodontaltherapie beschrieben (Chung et al. 2011, Van Steenberghe et al. 2004, Magnusson et al. 2004,2003, Jeffcoat et al. 2001, Donaldson et al. 2000). Das anästhesierende Gel, ein thermoreversibles Gel-System (OraqixR Parodontal Gel, Dentsply Detrey GmbH, D 78467 Konstanz), liegt zunächst mit niedriger dünnfließender Viskosität vor, wird bei Körpertemperatur in der Zahnfleischtasche elastisch und verbleibt dadurch in parodontalen Taschen, statt wieder abzufließen. Im Rahmen eines klinischen Erfahrungsberichtes wurden die Zeit bis zum Wirkungseintritt der Oberflächenanästhesie und die Wirkdauer der subgingivalen Oberflächenanästhesie, bis wieder ein für den jeweiligen Patienten unangenehmes Schmerzempfinden im Rahmen nicht-chirurgischer Parodontaltherapie eintrat und eine erneute Oberflächenanästhesie oder Infiltrationsanästhesie erfolgte, bestimmt.

Material und Methoden

An 72 männlichen Patienten erfolgte in den Jahren 2009 und 2010 nach Überweisung durch Truppenzahnärzte aufgrund von Rezidiven einer chronischen Parodontitis in der Abt VIIA / Fachzahnärztliches Zentrum Parodontologie und Truppenzahnmedizin eine erneute nichtchirurgische Parodontaltherapie durch einen einzigen Behandler (TE). Die Patienten wiesen mindestens zwei Zähne mit Sondiertiefen = 7mm und mindestens weitere 5 Zähne mit Sondiertiefen = 6mm und positivem Blutungstest bei Sondieren auf. Im Rahmen einer Behandlungssitzung wurde das Anästhesie-Gel mit einer stumpfen Applikationsnadel (Abb. 1, 2) zunächst an allen zu behandelnden Zahnfleischtaschen in allen zu behandelnden Quadranten ca. 1-2 mm sub-/paragingival aufgebracht (Abb. 3). Anschließend erfolgte die zweite Applikation des EMLA-Gels mit der gleichen Kanüle in die Tiefe des Taschenfundus, bis das Gel die jeweilige Zahnfleischtasche ausfüllte und herausquoll (Abb. 4).

Durch die erste sub-/paragingivale, dann mit zeitlicher Verzögerung von ca. ein bis zwei Minuten Applikation in den Taschenfundus wird der sofortige Abfluss des Gels verhindert, da die erste paragingivale Applikation bereits durch die Körpertemperatur einen zähelastischen Verschluss der Zahnfleischtaschen bewirkt. Die Applikationsmenge des EMLA-Gels variierte zwischen 1,1 und 1,7 ml je Patient. Bei allen Patienten wurden mittels Airscaler (Kavo, Biberach, D) und Gracey-Küretten (HuFriedy, Leimen, D) die Wurzeloberflächen aller Zähne mit Sondiertiefen = 4mm in einer Behandlungssitzung gereinigt, geglättet und anschließend mittels Chlorhexidin gespült.

Das Schmerzempfinden im Rahmen der Behandlung wurde in Form einer visuellen Analogscala VAS (0: keine Schmerzen bis 10: schlimmste vorstellbare Schmerzen) erfasst (Jeffcoat et al. 2001, Donaldson et al. 2003, Magnusson et al. 2003). Direkt nach Abschluss der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie wurden die Patienten nach der aktuellen Schmerzempfindung befragt. Ausschlusskriterien für Patienten waren akute Stresssituation mit Schmerz medikation, ausgeprägte Dentinhypersensibilität, akute Parodontal- erkrankungen, Pulpitis, Parodontaltherapie vor weniger als drei Monaten, Allergien gegen Lidocain oder Prilocain. Alle Patienten wurden 6 Wochen nach Therapie wieder nachuntersucht und nach Komplikationen befragt. Die Patienten wurden zwölf Wochen post-op in einem dreimonatigen Nachsorgeintervall betreut. Die klinischen Untersuchungsparameter wurden post-op nach einem Jahr erfasst.

Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der durchweg männlichen Patienten betrug 42,5 Jahre (28-60 Jahre) (Tabelle 1). Durchschnittlich wurden 19,3 Zähne und 73 Zahnflächen mit Sondiertiefen = 4mm behandelt. Die Zeit bis zum Wirkungseintritt der Oberflächenanästhesie nach Beendigung der zweiten Applikationsrunde betrug 1,5 ± 0,8 Minuten. Die Dauer, bis ein unangenehmes Schmerzempfinden (VAS = 6) auftrat, betrug 42,5 ± 11,2 Minuten. 5 Patienten (7 %) wünschten im Rahmen der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie zusätzliche Infiltrationsanästhesien. 61 der Patienten (85 %) berichteten über keine oder nur geringe Schmerzen (VAS 0-3) während der Behandlung. 9 Patienten (12,5 %) empfanden die Behandlung einzelner Zahnflächen als unangenehm und wünschten eine weitere subgingivale EMLAGel Applikation. Als unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden von 27 Patienten ein schlechter scharfer Geschmack bei Applikation und von 5 Patienten ein Schleimhautbrennen nach Applikation des EMLA-Gels berichtet, das in allen Fällen allerdings maximal eine Stunde lang anhielt.

Diskussion

Das EMLA-Gel wurde in der Vergangenheit bereits zur lokalen Oberflächenbetäubung vor Venenpunktion und kleineren dermatologischen Operationen angewendet (Manner et al. 1987, Friedman et al. 2001). In verschiedenen Studien an der oralen Schleimhaut wurde gezeigt, dass EMLA-Gel eine bessere Erhöhung der Schmerzschwelle erzielt als lokale Applikationen von 2-10 %igem Lidocain oder 20% Benzocain (Roghani et al. 1999, Svenson et al. 1992, Haasio et al. 1990). Übereinstimmend mit früheren Studien haben die meisten Patienten unserer Studie nur wenig Schmerz während der nicht-chirurgischen Parodontaltherapie erfahren. In einem Zeitraum von 31- 53 Minuten konnten alle Patienten schmerzfrei nicht-chirurgisch behandelt werden. In Behandlungsfällen, bei denen eine längere Behandlungszeit absehbar notwendig wird, ist das fraktionierte Vorgehen empfehlenswert.

Patienten mit Dentinhypersensibilität wurden in dieser Studie von der Behandlung mit ausgenommen, da durch das lokale EMLA-Gel nicht die pulpale Schmerzantwort, z.B. auf Kältereize, verändert wird. In einer aktuellen Studie erfolgte die Applikation von EMLA-Gel mittels einer Tiefziehschiene. Die Autoren verwendeten hierbei 2 g EMLA-Gel und ließen dieses fünf Minuten für eine ausreichende Anästhesietiefe einwirken (Chung et al. 2011). Die von uns angewendete doppelte Applikation des EMLA-Gels in den gingivalen Sulcus erbrachte nach einem vergleichbaren Applikations- und Einwirkzeitraum ähnliche Effekte bei geringeren Applikationsmengen (max. 1,7ml). In einer weiteren Studie wurde eine jeweils einmalige Applikation des EMLA-Gels vor Ultraschallanwendung und Handinstrumentation vorgenommen (Van Steenberghe et al. 2004). Ein Vergleich der Ergebnisse der verschiedenen Applikationsformen steht bisher aus. In allen drei Studien wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen festgestellt.

Über Ulzerationen der Schleimhaut wurde bei 30minütiger Einwirkzeit des EMLA-Gel vor Therapie berichtet (Frans-Montan et al. 2008), die durch die Anwendung eines wasserluftgetriebenen Airscalers als erstes generell eingesetztes parodontales Behandlungsinstrument nicht erreicht wird. Die derzeitige Datenlage lässt annehmen, dass die weniger starke und weniger lang anhaltende Anästhesie mit EMLA-Gel von den Patienten aufgrund ihrer geringen Inzidenz unerwünschter Arzneimittelwirkungen im Vergleich zu konventionellen Anästhesien klar bevorzugt wird. Die multizentrisch dargestellte günstige Kosten-Nutzenrelation (Van Steenberge et al. 2004) ergibt sich derzeit aufgrund der fehlenden Kostenerstattung von gesetzlichen Versicherungsträgern in Deutschland im Rahmen der Parodontaltherapie ausschließlich für Selbstzahler und Soldaten.

Datum: 21.07.2011

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/2

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