RISIKOFAKTOR STRESS?

MÖGLICHE ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN STRESS UND DER PATHOGENESE UND PROGRESSION VON PARODONTOPATHIEN BEI SOLDATEN DER BUNDESWEHR IM EINSATZ

Ungewohnte oder als Bedrohung empfundene Belastungen („Stress“) führen zu zahlreichen physiologischen, unter anderem auch immunologischen Veränderungen im Organismus. Kurzzeitig als Antwort des Organismus auf eine Bedrohung geeignet, kann eine lang anhaltende Stresssituation (chronischer Stress) krank machen und zu einer Schädigung des Organismus führen.

Besonders bedeutsam sind hierbei entzündliche Prozesse, die Ursache einer Vielzahl von Erkrankungen, wie z. B. Atherosklerose, entzündliche Magen-Darm-Erkrankungen, Allergien, Asthma und verschiedener neurodegenerativer Erkrankungen, wie z. B. Multiple Sklerose, sein können. Vermittelt werden die möglichen Zusammenhänge zwischen psychosozialem Stress und entzündlichen Erkrankungen über komplexe Interaktionen zwischen dem Nerven- und dem Immunsystem. Auch bei der Entstehung und Progression von Parodontalerkrankungen wird psychosozialer Stress als möglicher Risikofaktor diskutiert. In einer Reihe von Publikationen konnten mögliche Zusammenhänge zwischen der Stressbelastung und dem Ausmaß der parodontalen Erkrankung dargelegt werden. Zwar ist die Bedeutung der mikrobiellen Plaque als Hauptfaktor bei der Entstehung der entzündlichen Parodontalerkrankungen unumstritten, doch zunehmend gewinnen auch andere Faktoren an Bedeutung. Während für die Entstehung einer nekrotisierenden ulzerierenden Gingivitis Stress als prädisponierender Faktor anerkannt ist, ist dieser Zusammenhang zwischen psychosozialem Stress und chronischen Parodontalerkrankungen noch nicht hinreichend belegt. Es sind verschiedene Mechanismen denkbar, die eine Einflussnahme von psychosozialen Stresszuständen sowohl auf die Entstehung, als auch auf die Progression parodontaler Erkrankungen haben könnten. Psychosozialer Stress kann physiologische und immunologische Stellwertveränderungen verursachen und zu krankheitsrelevanten Verhaltensänderungen der Betroffenen führen. Über diese Stellwert- und Verhaltensänderungen ist eine Modulation der individuellen Immunreaktion möglich. Vor allem das Zytokin Interleukin 1-ß und das Stresshormon Cortisol scheinen eine besondere Rolle zu spielen.

Die Zunahme der Stressbelastung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Eine möglicherweise besonders gefährdete Personengruppe stellen Soldaten dar, die an kriegerischen Einsätzen beteiligt sind. Diese Einsätze erstrecken sich oft über einen längeren Zeitraum und führen aufgrund einer Vielzahl von allgemeinen und individuellen Belastungsfaktoren in vielen Fällen zu erheblichen psychischen Belastungen für die Be­teiligten, die bis hin zur Ausbildung einer Traumafolgestörung, z. B. dem Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS), führen können. Dies wird durch eine aktuelle Studie aus den Reihen der Deutschen Bundeswehr bestätigt. Darüber hinaus sind die Soldaten im Einsatz oft auch physischen Belastungsfaktoren wie Schlafmangel oder besonderen klimatischen Verhältnissen ausgesetzt.
Die Fragestellung, ob und inwieweit Einsatzbelastungen möglicherweise die Entstehung oder die Progression entzündlicher Parodontalerkrankungen begünstigen, ist somit von hohem wehrmedizinischem Interesse.

Stress und Einsatzbelastung
Der Begriff „Stress“ wird umgangssprachlich vielfach benutzt und bedarf daher zunächst einer eingehenderen Betrachtung. Per definitionem versteht man unter dem von dem lateinischen Wort stringere (= anspannen) abgeleiteten Begriff Stress „einen Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, zeitlich nahe oder bereits eingetretene subjektiv lang andauernde Situation als nicht vollständig kontrollierbar erlebt wird, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint“ (Quelle: Aichinger, C., 2003. Arbeitszeit und Subjektive Gesundheitsaspekte. Linz). In diesem Zusammenhang ist es jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass nicht jede Anforderung gleich zu einer Stressreaktion führt. Erst wenn bestimmte Bedingungen vorliegen, ist es wirklich angezeigt, von Stress zu sprechen. So muss das Gleichgewicht zwischen der subjektiv wahrgenommenen Belastung und deren Beantwortung durch verfügbare Ressourcen gestört sein. Hier gibt es durchaus große individuelle Unterschiede in der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung. Ein und derselbe Reiz kann von verschiedenen Individuen subjektiv völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. Als weitere Bedingung muss das Ungleichgewicht zwischen Belastung und vorhandenen Ressourcen subjektiv als echte Bedrohung wahrgenommen werden. Auf das sich daraus entwickelnde Ohnmachtsgefühl reagiert der Organismus sowohl psychisch (z. B. mit Angst), als auch physisch mit einer Reihe von physiologischen Stellwertveränderungen z. B. im Hormonsystem, auf die später noch im Einzelnen eingegangen wird. Bei einer gesunden Belastung hingegen wird das bestehende Ungleichgewicht als Herausforderung gesehen, aus dieser Sicht heraus entstehen auch keine Ohnmachtsgefühle. Physische oder psychische Reaktionen fehlen gänzlich oder größtenteils. Vom Erscheinungsbild her lässt sich Stress nicht präzise und eindeutig bestimmen, ersichtlich werden Stressprozesse oft erst im Zusammenhang mit seinen physischen und psychischen Folgen. Aus einer, vor allem chronischen, Stressbelastung können sich psychische Erkrankungen entwickeln. Hier seien beispielhaft Depressionen genannt. Eine Vielzahl von Studien belegt eine deutliche Zunahme dieser Erkrankungen in den letzten Jahren in Deutschland.
Die Soldaten der Bundeswehr leben im Einsatzland Afghanistan in Abhängigkeit von Einsatzort und Auftrag unter erschwerten, teilweise extremen Lebensbedingungen, die zu deutlich erhöhten psychischen und physischen Belastungen führen können. Auf die Soldaten wirkt eine Vielzahl von Belastungsfaktoren ein, die sich grob in allgemeine und in individuelle Belastungsfaktoren unterteilen lassen. Allgemeine Belastungsfaktoren können Schlafdefizit, Durst oder auch die teilweise extremen Temperaturen im Sommer bis an die 50 Grad Celsius sein. Individuelle Belastungsfaktoren sind beispielsweise Heimweh, Angst um die Partnerschaft, der Verlust von Kameraden oder die Bedrohung an eigenem Leib und Leben. Hier sei erwähnt, dass die drei erstgenannten Belastungsfaktoren auch für die Soldaten gelten, die im vermeintlich „sicheren“ Lager bleiben und das Lager nicht verlassen (Abb. 1). Wer, wie der Autor selbst, bei Trauerappellen für gefallene Kameraden dabei war, weiß, dass Terror auch ins Lager getragen und zu entsprechenden Stressreaktionen führen kann. Unabhängig davon stellt natürlich das Verlassen des Lagers mit entsprechender Bedrohung an Leib und Leben der Soldaten eine besondere Belastungssituation dar.
Im Rahmen einer großen Studie untersuchen zur Zeit das Institut für Klinische Psychologie und das Center of Clinical Epidemiology and Longitudinal Studies (CELOS) der Technischen Universität Dresden die psychischen Folgen von Auslandseinsätzen der Deutschen Bundeswehr. Erste Ergebnisse wurden bereits vorgestellt, auf die im Rahmen dieses Artikels nicht detailliert eingegangen werden kann. Die Untersuchungen bestätigen, dass Soldaten mit einem absolvierten Auslandseinsatz im Rahmen ISAF ein um den Faktor 6 bis 10 fach erhöhtes Risiko aufweisen, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu erkranken. Die Autoren weisen weiter darauf hin, dass angesichts der Fokussierung auf das Krankheitsbild PTBS andere Störungen nicht vernachlässigt werden dürfen. Hier werden vor allem Angst-, depressive- und somatoforme Störungen genannt, die unerkannt und somit unbehandelt unter der Einsatzbelastung an Schwere zunehmen können. Diese Traumafolgestörungen gilt es ebenfalls zu beachten.
Die Einflussnahme von Stress auf die Entstehung von Parodontopathien ist über verschiedene Pathomechanismen denkbar. Bevor auf diese detailliert eingegangen werden kann, ist zum besseren Verständnis zunächst die Darstellung der Ätiologie chronisch entzündlicher Parodontalerkrankungen sinnvoll.

Ätiologie von Gingivitis und Parodontitis
Bei der Entstehung von Gingivitis und Parodontitis spielen nach heutigem Verständnis intraorale Bakterien in der supra- und subgingivalen Plaque eine entscheidende Rolle (Abb. 2). Diese Mikroorganismen lagern sich über spezielle Anheftungsmechanismen an die Zahnoberfläche an und bilden dort sowohl supra- als auch subgingival komplexe Biofilme aus. Unter einem Biofilm versteht man eine organisierte Aggregation auf festen Oberflächen. Die bakterielle Zusammensetzung solcher Biofilme ist nicht zufällig, sondern räumlich und funktionell organisiert. Die Bildung von Biofilmen beginnt bei ungestörter Plaqueakkumulation mit der Anheftung primärer Kolonisierer, zu denen überwiegend fakultativ anaerobe grampositive Kokken, wie z. B. Peptostreptococcus micros, gehören. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass in Abhängigkeit von der Lokalisation der Bildung des Biofilms initial unterschiedliche Mikrooranismen beteiligt sind. Während bei der Bildung des Biofilms in supragingivaler Lokalisation zunächst Streptokokkenspezies dominieren, sind dies bei subgingivaler Lokalisation Laktobazillusspecies. Nach etwa zwei bis drei Tagen kommen sekundäre Kolonisierer hinzu, dabei handelt es sich um überwiegend gramnegative Bakterien wie z. B. Aggregatibacter actinomycetemcomitans oder Prevotella intermedia. Nach etwa sieben Tagen lassen sich Vibrillen und Spirochäten nachweisen. Mit zunehmender Schichtdicke des Biofilms steigt der Anteil gramnegativer Mikroorganismen, sie stellt zudem für den Wirt eine zusätzliche Herausforderung dar. Der Biofilm bildet eine Schutzschicht gegen die Wirtsantwort z. B. mit Antikörpern oder gegen eine lokale antimikrobielle Behandlung, beispielsweise mit antibakteriellen Mundspüllösungen. Die Diffusion in und aus dem Biofilm wird mit zunehmender Schichtdicke erschwert. Dies begünstigt die Entstehung anaerober Bedingungen in der Tiefe der Plaque. Bei entsprechend langer Plaqueexposition kommt es über verschiedene Stadien zur Ausbildung einer chronischen Gingivitis.
Der Zustand der chronischen Gingivitis kann dauerhaft stationär bleiben, ohne dass es zu einer Beteiligung weiterer parodontaler Strukturen mit Ausbildung einer Parodontitis kommt. Die Entstehung einer Parodontitis scheint von dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer Faktoren abhängig zu sein. Die Pathogene müssen in ausreichender Anzahl in einer entsprechenden lokalen Umgebung vorhanden sein und dort auf einen lokal und systemisch empfänglichen Wirt treffen. Darüber hinaus muss die lokale Umgebung für die Ausbildung der Virulenzfaktoren der Pathogene geeignet sein. Die genauen Gründe, wann sich aus einer chronischen Gingivitis eine Parodontitis entwickelt und wann nicht, sind noch nicht vollständig geklärt; ein Einfluss von nicht beeinflussbaren genetischen Faktoren wie z. B. dem Interleukin -1-Polymorphismus oder Risikofaktoren wie z. B. Rauchen auf den parodontalen Destruktionsprozess wird jedoch angenommen bzw. ist belegt.
Die Zerstörung der parodontalen Gewebe ist kein kontinuierlicher Prozess. Die Parodontitis verläuft schubweise, wobei sich aktive Phasen mit parodontaler Destruktion und inaktive Phasen miteinander abwechseln. Die zeitliche Sequenz der Phasen ist aber zur Zeit noch unklar. Denkbar wäre einerseits, dass sich der bakterielle Reiz in seiner Stärke und/oder seiner pathologischen Eigenschaft ändert oder andererseits, dass die Immunantwort des Wirts eine Änderung erfährt und sich daraus eine erhöhte Anfälligkeit des Wirts gegenüber einer bakteriellen Exposition ergibt.
Von den ca. 500 verschiedenen Keimen der Mundhöhle gelten einige Species wie z. B. Aggregatibacter actinomycetemcomitans oder Porphyromonas gingivalis als fakultativ periopathogen. Bei den Keimen handelt es sich um opportunistische Keime, die sich auch in der Mundhöhle von parodontal gesunden Patienten befinden. Offensichtlich besteht bei diesen Individuen ein Gleichgewicht zwischen den Keimen und der individuellen Immunantwort, welches eine Erkrankung verhindert.

Nekrotisierende ulzerierende Gingivitis und Nekrotisierende ulzerierende Parodontitis
Bei der nekrotisierenden ulzerierenden Gingivitis (NUG) und der nekrotisierenden ulzerierenden Parodontitis (NUP) handelt es sich um Parodontopathien, die durch einen rasch fortschreitenden Verlust an parodontalem Gewebe gekennzeichnet sind. Beschränken sich die Infektion und die Nekrosen zunächst nur auf die gingivalen Anteile des ­Parodontiums, so handelt es sich um die nekrotisierende ulzerierende Gingivitis. Aus ihr kann sich unbehandelt die nekrotisierende ulzerierende Parodontitis entwickeln, die durch die Nekrosen weiterer Anteile des Parodontiums gekennzeichnet ist. Klinische obligate Hauptmerkmale (Abb. 3) der nekrotisierenden ulzerierenden Gingivitis und Parodontitis sind

  • akute, oft starke Schmerzen
  • Nekrosen und Ulzerationen der interdentalen Papillen (NUG); bzw. des Desmodonts
  • und des Alveolarknochens (NUP)
  • spontane Blutungen

Mögliche Begleiterscheinungen können sein

  • Foetor ex ore
  • Fieber
  • deutlich reduzierter Allgemeinzustand
  • Lymphadenitis
  • metallischer Geschmack

Soldaten mit den beschriebenen nekrotisierenden ulzerierenden Parodontopathien sind nicht dienstfähig, von ihrem Ausfall im Einsatzland ist auszugehen.
Ätiologisch steht eine anaerobe Mischflora mit Treponema und Fusobacterium-Stämmen sowie Prevotella intermedia und Porphyromonas gingivalis im Vordergrund. Zudem wird eine Reihe von prädisponierenden Faktoren diskutiert. Hier gilt die Beteiligung von psychosozialem Stress als ein solcher prädisponierender Faktor als gesichert. Weitere Faktoren können sein: HIV-Infektion, Immunsuppression, Rauchen, unzureichende Mundhygiene, vorbestehende Gingivitis, junges Alter sowie Mangel- und Unterernährung. Bei genauerer Betrachtung der prädisponierenden Faktoren fällt auf, dass einige der genannten Faktoren auf Soldaten im Einsatzland zutreffen. Leider gibt es zur Zeit für die Deutsche Bundeswehr keine validen Daten bezüglich der Prävalenz der NUG und NUP im Einsatz. Hier sollte durch eine detailliertere Datenerfassung ein weiterer Erkenntnisgewinn angestrebt werden.

Stress und die Pathogenese von chronischen Parodontal­erkrankungen
Zur Entwicklung einer Stresssituation bedarf es zunächst eines Ereignisses, welches individuell beurteilt und bewertet wird. In Abhängigkeit von der Beurteilung dieses Ereignisses können sich daraus eine Aktivierung von Emotionen und eine Stressreaktion etablieren. Wie in der Abbildung 4 dargestellt, kann die Stressreaktion sowohl zu Verhaltensänderungen als auch zu physiologischen Stellwertveränderungen führen.

Stress und Verhaltensänderungen
Stresszustände können zu relevanten Verhaltensänderungen führen, die bei der Entstehung von Parodontopathien bedeutsam sind. (Abb. 5) Dies gilt in erster Linie für die individuelle Mundhygiene, die gerade unter chronischer Stressbelastung oftmals vernachlässigt wird. Untersuchungen aus dem Bereich der Bundeswehr bestätigen diese auch in diversen zivilen Studien belegte Erkenntnis. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass die Vernachlässigung der individuellen Mundhygiene von den Betroffenen oftmals nicht bemerkt wird. Die Vernachlässigung betrifft dabei weniger die Häufigkeit als vielmehr die Effizienz der häuslichen Mundhygiene. Die Folge ist eine erhöhte Plaqueakkumulation. Diese kann die Entstehung von entzündlichen Parodontalerkrankungen fördern, da die mikrobielle Plaque den Hauptfaktor in der Ätiologie der Parodontopathien darstellt. Nicht selten führt eine Stressbelastung zu Veränderungen der individuellen Ernährungs- und Essgewohnheiten. Die Tendenz geht dabei zu einer einseitigen, oft sehr kohlenhydratreichen Kost, die ihrerseits wiederum durch den hohen Zuckeranteil die Plaqueakkumulation begünstigt. Darüber hinaus wird eine Assoziation zwischen Ernährung und parodontaler Gesundheit zur Zeit wissenschaftlich diskutiert. Belegt ist bislang der kausale Zusammenhang zwischen einem Vitamin-C Mangel und parodontaler Entzündung, welche sich schon bei britischen Seefahrern im Krankheitsbild des Skorbut zeigte. Weitere wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse bezüglich einer möglichen Korrelation zwischen Ernährung und Parodontopathien liegen noch nicht vor. Grundsätzlich erscheint jedoch die Annahme berechtigt, dass eine ausgewogene Ernährung die Grundvoraussetzung für einen optimalen individuellen Immunstatus ist.
Die Folge einer Stressbelastung kann ein erhöhter Drogenkonsum von Alkohol und Nikotin sein. Ersteres würde der Autor aufgrund der strengen Restriktionen und einer mangelnden Verfügbarkeit hochprozentiger Alkoholika für die Einsätze ausschließen. Anders sieht dies hingegen bei dem Nikotinkonsum in Form von Zigarettenrauchen aus. Aktuelle Untersuchungen aus dem Bereich der Bundeswehr zum Rauchverhalten in den Einsätzen sind dem Autor nicht bekannt, aber zumindest gefühlt und nach Beobachtung des Autors wird in den Einsätzen überproportional viel geraucht. Dies wird auch sicherlich dadurch begünstigt, dass Zigaretten im Einsatzland zu einem, weil steuerfrei, sehr günstigen Preis zu erwerben sind. Durch viele Studien belegt ist es allgemeiner Konsensus, dass Zigarettenrauchen ein Risikofaktor für die Entstehung von Parodontopathien darstellt und somit als Risikoverhaltensweise bewertet werden muss.
Stressbelastungen können zu einer reduzierten Inanspruchnahme sozialer Netzwerke führen. Auf wichtige Ressourcen, wie zum Beispiel die Nutzung zahnärztlicher Dienstleistungen, wird möglicherweise seltener oder verspätet zurückgegriffen.

Physiologische Stellwertveränderungen
Stressbelastungen können zu physiologisch krankheitsrelevanten Stellwertveränderungen führen. Diese Stellwertveränderungen können beträchtlich sein und beinhalten eine Vielzahl von Reaktionen. Die Komplexität ist darin begründet, dass entwicklungsgeschichtlich nur die Individuen überleben konnten, die bei einer existentiell bedrohlichen Gefahrensituation alle verfügbaren Ressourcen zur Überwindung/Abkehr dieser Situation mobilisieren konnten.
Eine Schlüsselstellung bei diesen Vorgängen spielt die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, da sie die psychologischen Informationen in physiologische Reaktionen umwandelt. Unter Stressbelastung kommt es zu einer Ausschüttung von Corticotropin-Releasing-Faktor (CRF) und Argininvasopressin durch den Hypothalamus, was wiederum zur Ausschüttung von Adrenocorticotropem-Hormon (ACTH) durch die Hypophyse führt. ACTH stimuliert die Nebennierenrinde und führt zur Ausschüttung der Glucocorticoide Cortisol und Corticosteron. Als wichtiges Stresshormon ist Cortisol bekannt, es beeinflusst eine Vielzahl von physiologischen Reaktionen und wirkt immunsuppressiv. So greift es modulierend in den Stoffwechsel ein und induziert die Neubildung von Glucose aus Eiweiß. Aus parodontologischer Sicht besonders interessant und möglicherweise bedeutsam ist seine Hemmung der Fibroblastenaktivität, die einen Verlust von Kollagen und Bindegewebe zur Folge hat. Cortisol aktiviert Osteoklasten und fördert somit möglicherweise den Verlust von Alveolarknochen im Parodontium. Es wirkt auf das hämopoetische System ein, wo es über eine Lymphopenie die Immunreaktion des Organismus hemmt und somit möglicherweise ein bestehendes Gleichgewicht zwischen mikrobieller Belastung im Sulcus gingivalis bzw. der parodontalen Tasche und der Immunantwort des Wirts stört.
Eine besondere Rolle in der möglichen Einflussnahme der Stressbelastung scheinen proinflammatorische Zytokine und hier besonders das Zytokin Interleukin-1ß zu spielen. Bei den Zytokinen handelt es sich um Peptide, die in der Entzündungskaskade eine bedeutende Rolle spielen. Eine erhöhte Konzentration der pro-inflammatorischen Zytokine im Sulcus gingivalis wird eng mit der parodontalen Entzündung assoziiert. Interleukin-1ß begünstigt durch die Produktion von Kollagenase in gingivalen und desmodontalen Fibroblasten den Abbau von Kollagen. Darüber hinaus reduziert es die Kollagensynthese. Es aktiviert Adhäsionsmoleküle, die ihrerseits polymorphkernigen Leukozyten die Anheftung an und den Durchtritt durch die Gefäßwand ermöglichen. Es stellt den potentesten Osteoklasten-aktivierenden-Faktor im menschlichen Organismus dar. In verschiedenen Studien konnte belegt werden, dass die Konzentration von Interleukin 1-ß im Sulcus gingivalis bei bestehender Parodontitis erhöht ist. Eine enge Korrelation von bestehender Interleukin 1-ß Konzentration und dem Schweregrad der parodontalen Erkrankung konnte dabei nachgewiesen werden. Interleukin 1-ß stellt somit einen bedeutsamen Faktor in der Pathogenese der Parodontitis dar, da es zum einen die Entzündungsreaktion fördert und zum anderen am Knochenabbau beteiligt ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Sekretion von Interleukin 1-ß offensichtlich bei Stressbelastung erhöht ist. Prospektive Studien an Zahnmedizinstudenten im Examensstress konnten eine Korrelation zwischen Stressbelastung und intrasulkulärer Interleukin 1-ß Konzentration belegen. Es ist daher davon auszugehen, dass sich auch unter der Einsatzbelastung von Soldaten die intrasulkuläre Konzentration von Interleukin
1-ß erhöht.

Therapeutische Konsequenzen
Die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse können den kausalen Zusammenhang zwischen psychosozialem Stress und der Entstehung bzw. Progression von chronischen Parodontopathien bislang nicht beweisen. Eine Mitbeteiligung bzw. Beeinflussung erscheint über die dargelegten Mechanismen jedoch als Hypothese plausibel. Die bislang gesicherten Erkenntnisse lassen jedoch schon jetzt teilweise therapeutische Ansätze als sinnvoll erscheinen. Dies gilt insbesondere bezüglich der belastungsinduzierten Verhaltensänderungen. Soldaten können schon im Vorfeld auf eine mögliche unbewusste Vernachlässigung der Mundhygiene im Einsatz hingewiesen und über eine möglichst effiziente häusliche Mundhygiene aufgeklärt werden. Diese könnte zudem während oder kurz nach Belastungsphasen durch eine professionelle Zahnreinigung unterstützt werden. Diesen Ansatz hat der zahnärztliche Dienst der Bundeswehr mit der Einführung der „Einsatzvorbereitenden Prophylaxe“ (EVP) bereits aufgegriffen und umgesetzt. Die Durchführung einer professionellen Zahnreinigung im Einsatz erscheint sinnvoll. Solange deren Notwendigkeit jedoch wissenschaftlich nicht belegt ist, ist der daraus resultierende deutlich erhöhte Mehrbedarf an personeller und infrastruktureller Kapazität im Einsatz nicht zwingend zu begründen. An dem Grundsatz, dass nur der parodontal gesunde bzw. parodontal sanierte Soldat in den Einsatz gehen sollte, ist festzuhalten.
Der reduzierten Inanspruchnahme sozialer Netzwerke bei Stressbelastung sollte die jeweilige truppenzahnärztliche Behandlungseinrichtung durch ein entsprechendes Bestellsystem entgegenwirken. So ist eine feste Terminvereinbarung noch vor Verlassen der zahnärztlichen Behandlungseinrichtung sinnvoller, als es dem Patienten zu überlassen, sich bezüglich einer Terminvereinbarung in der Zukunft zu melden.

Datum: 21.08.2013

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2013/2

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