MUNDBEZOGENE LEBENSQUALITÄT UND IMPLANTATE
Insbesondere die Zahn-, Mund und Kieferheilkunde profitiert in den letzten Jahrzehnten vom medizinischen Fortschritt. Neben neuen Erkenntnissen und Möglichkeiten des Zahnerhaltes im Bereich der endodontischen oder parodontologischen Therapie ist auch der vorhandene Verlust von Hart-, Weichgeweben und Zähnen im Fachbereich der zahnärztlichen Implantologie repräsentiert, eine Näherung zur „restitutio ad integrum“ erscheint greifbar. Die wissenschaftliche Anerkennung der zahnärztlichen Implantologie wurde 1983 von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) erteilt und ist somit im dritten Jahrzehnt der wissenschaftlichen Weiterentwicklung.
Bei allen Errungenschaften des medizinischen Fortschrittes stellt sich natürlich die Frage, inwieweit der Betroffene (d.h. der Patient) hiervon tatsächlich einen unmittelbaren Vorzug für sich und sein Leben ableiten kann. Ein Maß für die Bedeutung von Medizin für den Menschen ist z. B. der Einfluss auf die Lebensqualität. Die WHO definiert die Lebensqualität wie folgt sehr abstrakt: „Lebensqualität ist die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertesystemen, in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen“. In der Sprache der Naturwissenschaftler erscheint die Auslegung der Lebensqualität, zumindest für den Mediziner, vielleicht etwas leichter nachzuvollziehen: „Lebensqualität ist die Differenz zwischen dem Soll- und dem Istwert, wobei der Sollwert die Ansprüche des Menschen ausdrückt und der Istwert die Realität. Ist die Differenz sehr groß, ist die Lebensqualität schlecht. Ist die Differenz gering, ist die Lebensqualität gut“ (Prof. Franz Porzolt, Uni Ulm).
Beobachten wir uns selbst, so stellen wir in der Regel fest, dass wir eigentlich eine eigene Auffassung von Lebensqualität haben. Dies ist ganz entscheidend, denn Lebensqualität ist im Grunde eine rein subjektive Einschätzung des Einzelnen. Objektiv erfassbare Messwerte, die von Mensch zu Mensch in unterschiedlicher Gewichtung einfließen, können z. B. die finanzielle Situation, die kognitive und körperliche Leistungsfähigkeit oder auch die Gesundheit sein. Aktuellen Studien zufolge ist für die meisten Menschen die Gesundheit der wichtigste Faktor der die Lebensqualität bestimmt.
Abgeleitet von allgemeinmedizinischen Erfassungsinstrumenten zur Lebensqualität, gibt es im Bereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde den weltweit anerkannten Oral Health Impact Profile (OHIP, Slade und Spencer 1994). Während die Originalversion 49 Fragen mit sieben Subskalen beinhaltet, sind im deutschsprachigen Raum auch praxisnahe, weil ohne großen Zeitaufwand verwendbare, Kurzversionen mit nur 21 oder 14 spezifischen Fragen wissenschaftlich etabliert worden (Micheelis und John, 1998). Eine Literaturanalyse zum Fachbereich „zahnärztliche Implantologie“ ergab, dass im Zeitraum von 1960 – 2003 eine Anzahl von 114 Studien zur Lebensqualität durch Implantate veröffentlicht worden sind (Strassburger et al. 2006). Gesicherte Daten zur objektiven Steigerung der Lebensqualität durch Implantate liegen in erster Linie bei der Versorgung des zahnlosen Kiefers vor. Bemerkenswert ist, dass konventionell zahnärztlich-prothetische Versorgungen ohne Implantate vom Patienten in der Regel ungünstiger bewertet werden, als vergleichbare Versorgungen die mit Implantaten im Kieferknochen stabilisiert werden (Allen et al. 2003). Entsprechende Untersuchungen zum Teilbezahnten (z. B. der Indikation Freiendsituation) sind weltweit noch rar (vgl. a. IQWiG-Studie, 2009). Aktuellste Untersuchungen geben jedoch Hinweise, dass auch in Fällen „kleinerer“ Lückensituationen die Implantatversorgungen vom Patienten eine günstigere Bewertung erfahren. In der Folge soll anhand einer eigenen Studie dieser Zusammenhang eine Erläuterung finden (Nickenig und Eitner, 2008):
Im Rahmen einer Studie (Originalveröffentlichung im Journal of Cranio-Maxillofacial Surgery) wurde bei 219 Patienten der OHIP G-21 (Tab. 1) sowohl vor als auch nach Abschluss der Implantattherapie erfasst und ausgewertet. Einhundertachtundzwanzig Patienten waren von einem Einzelzahnverlust, 62 von einer Freiendsituation (Verlust der hinteren Pfeiler einer Zahnreihe), 22 von einer großen Lücke (mit Verlust von mind. 2-3 Zähne) betroffen. Sieben Patienten hatten ein stark reduziertes Restgebiss (max. vier Zähne je Kiefer). Die zum Vergleich herangezogene Kontrollgruppe umfasste 124 Patienten mit unversehrtem Zahnbestand. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass durch die Implantatversorgung in allen Indikationen eine Verbesserung der Lebensqualität für den Patienten eingetreten ist. Im Durchschnitt verbesserte sich die Bewertung der vom Patienten angegebenen mundbezogenen Lebensqualität von anfangs ungünstigen 17.1 (OHIP-Summenwert) auf 5.4 nach Abschluss der Implantattherapie (inkl. ½ Jahr Gebrauchsperiode des neuen Zahnersatzes auf Implantaten). Dieser Wert von 5.4 ist ein Wert, der im Regelfall nur vom Patienten ohne Zahnprobleme bzw. Zahnverluste angegeben wird (OHIP-Summenwert der Kontrollgruppe = 3.4).
Auffällig war zudem, dass vor der Implantattherapie häufig Kriterien einer psychischen Beeinträchtigung erfüllt waren. Vor der Implantattherapie war das mit 25.1 % am häufigsten angegebene Problem „ich mache mir Sorgen aufgrund von Problemen im Bereich meiner Zähne“. Nach der Implantattherapie machte sich nur noch 1% der Patienten Sorgen aufgrund von Problemen im Zahn-, Mund-Kieferbereich (vgl. hierzu Tab. 2). Im klinischen Beispiel wurde ein Patient mit fortgeschrittenem Knochenabbau und umfangreichem Zahnverlust in beiden Kiefern mit einer umfangreichen implantatprothetischen Versorgung rehabilitiert. In Abb. 1 ist der Zahnersatz vor dem Einsetzen in den Patientenmund gezeigt. Erkennbar ist, dass erhebliche Zahn-, Weich- und Knochengewebeanteile durch Kunststoff ersetzt werden mussten. Ohne Implantatverankerung wäre dieser Zahnersatz locker im Mund und würde im Verlaufe der Jahre den fortschreitenden Abbau der Strukturen eher verstärken. In Abb. 2 sind die Implantate gezeigt, die zur Abstützung des Zahnersatzes im Oberkiefer eingesetzt worden sind. Abb. 3 zeigt den im Mund eingesetzen, durch Implantate fest fixierten Zahnersatz. Der Patient gab vor der Implantattherapie eine erhebliche Einschränkung seiner mundbezogenen Lebensqualität an (OHIP-Summenwert = 39). Nach der Implantatherapie ergab die Befragung einen Summenwert von 4, d. h. vergleichbar dem Wert eines Patienten ohne Zahnverlust. Zusammenfassend stellt sich der Einfluss der Implantattherapie auf die mundbezogene Lebensqualität wie folgt dar:
- In der Literatur gibt es gesicherte Daten, dass die Implantattherapie einen deutlichen Einfluss auf die vom Patienten empfundene mundbezogene Lebensqualität hat.
- Aktuelle Untersuchungen geben klare Hinweise, dass auch Patienten „kleinerer“ Implantatindikationen (d. h. mit weniger Zahnverlust) ebenso wie der zahnlose Patient eine deutliche Einschränkung der mundbezogenen Lebensqualität erfahren.
- Die Implantattherapie hat einen messbaren Einfluss auf die mundbezogene Lebensqualität. Eine Wiederherstellung der mundbezogenen Lebensqualität eines Gesunden ist möglich.
- Implantate scheinen dem Patienten eine (psychische) Sicherheit zu verleihen („ .. es ist doch nicht so schlimm wenn doch mal ein Zahn verloren geht …“)
Auch der Soldatenpatient macht sich Sorgen aufgrund von Problemen im Zahn-, Mundund Kieferbereich, umso beruhigender für uns, dass wir mit unseren ärztlichen Bemühungen zumindest bezüglich dieser Art von Sorgen einen positiven Einfluss ausüben können.
Datum: 13.12.2009
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/4