Desinfektion des Wurzelkanalsystems
Update für die truppenzahnärztliche Praxis
E. Holzenburg1
Ziel der Desinfektionsmaßnahmen während einer Wurzelkanalbehandlung ist die Reduktion der Bakterienkonzentration im Kanalsystem auf ein Maß, dass es dem Körper ermöglicht, eine periradikuläre Ausheilung herbeizuführen. Die gründliche Entfernung von (nekrotischem) Pulpagewebe, Mikroorganismen, deren Stoffwechselprodukten sowie Debris ist zwingend notwendig, aufgrund der eingeschränkten mechanischen Aufbereitungsmöglichkeit durch Feilensysteme jedoch nur unter Zuhilfenahme desinfizierender Spüllösungen möglich.
Dieser Artikel zeigt die im truppenzahnärztlichen Alltag umsetzbaren Verfahren auf.
Aufbereitungsgrößen
Die Anwendung von dicht sitzendem Kofferdam, ein dichter präendodontischer Aufbau und ein sauberes Arbeitsumfeld sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche endodontische Behandlung. Die mechanische Präparation der Wurzelkanäle ist die Grundlage, dass eine Desinfektion und Irrigation der Spülflüssigkeit über die gesamte Kanallänge möglich ist, da organische und anorganische Kanalinhalte auch in Bereichen, die durch die mechanische Aufbereitung nicht erreichbar sind, entfernt werden sollen.
Die Weite des Foramen physiologicum beträgt im Durchschnitt 0,32 mm. Kleine Aufbereitungen bis zum Beispiel ISO 15 sind deshalb wenig zielführend, da mechanisch kaum Gewebe entfernt wird. Die Deutsche Gesellschaft für Endodontie empfiehlt als Aufbereitungsgröße für Handinstrumente mindestens eine ISO-Größe von 30 bzw. 35 und für Nickel-Titan-Instrumente eine ISO-Größe von 25 mit 4 % Konizität. Viele Autoren empfehlen eine Mindestaufbereitung von ISO 35 bis 40.
Der Außendurchmesser der zum Spülen verwendeten Hohlnadeln wird in der ISO-Größe „Gauge“ (ga) angegeben. Um ein ausreichendes Flüssigkeitsvolumen in das apikale Wurzelkanaldrittel zu transportieren sind ISO-Größen ga 27 bis 30 gut geeignet. Größere Präparationen über ISO 45 können in Abhängigkeit der Zahnanatomie notwendig, sollten aufgrund der möglichen Schwächung der Zahnhartsubstanz jedoch kein Regelfall sein.
Spüllösungen
Zur chemischen Desinfektion des Wurzelkanalsystems werden Spüllösungen mit unterschiedlichen Eigenschaften eingesetzt. Natriumhypochlorid (NaOCl) ist aufgrund der guten gewebslytischen und antibakteriellen Eigenschaften die Standarddesinfektionslösung. Die empfohlene Konzentration liegt zwischen 0,5 % und 5,25 %, wobei eine höhere Konzentration den gewebslytischen Effekt erhöht, aber auch die Zytotoxizität und damit das Komplikationsrisko, zudem wird keine Verbesserung der antibakteriellen Wirkung erzielt. Eine Konzentration von 3 % kann als guter Kompromiss zwischen Effektivität und Risikomanagment angesehen werden. Eine Schädigung des Dentins durch zu viel NaOCl ist erst bei Desinfektionszeiten über zwei Stunden zu erwarten. Die Erwärmung von NaOCl steigert grundsätzlich den gewebslytischen Effekt, jedoch ist die tatsächliche klinische Relevanz aufgrund der schnellen Angleichung an die Körpertemperatur im Wurzelkanal nicht abschließend geklärt. Die Aktivierung und Erwärmung mittels (Ultra-)Schall stellt einen effizienten, in den Workflow gut zu integrierenden Behandlungsschritt dar und ist durch das Verwirbeln auch in potentielle, mechanisch nicht zu erreichende Seitenkanäle sehr geeignet für eine effektive Desinfektion.
Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) bzw. Zitronensäure wird zur Entfernung der Schmierschicht (smear layer) verwendet, welche die Dentintubuli nach der Kanalpräparation verstopfen. Eine desinfizierende Wirkung besteht nicht. Bei längerer Einwirkzeit bewirken beide Substanzen Dentinerosionen, die Anwendung wird daher nur nach der Präparation empfohlen, um das Eindringen desinfizierender Lösungen in die Dentinkanäle zu ermöglichen. Die empfohlene Konzentration für EDTA beträgt 15 bis 17 % und für Zitronensäure 10 bis 50 %.
Chlorhexidin (CHX) in einer Konzentration von 2 % hat gute desinfizierende Eigenschaften, auch gegen Enterokokken und Pilze (Candida Albicans o. ä.). CHX wirkt nicht gewebslytisch und wird hauptsächlich in der Revisionsbehandlung als zusätzliche Desinfektionsmaßnahme empfohlen. Um Kreuzreaktionen mit NaOCl zu vermeiden (Stichwort: Parachloranilin) sollte mit steriler Kochsalzlösung zwischengespült werden.
Weitere Spüllösungen wie zum Beispiel Wasserstoffperoxid zeigen kaum bzw. keine desinfizierenden Eigenschaften und haben somit an Relevanz verloren.
Desinfektionszeiten
Die ausreichende Gabe von Desinfektionslösungen stellt eine der wichtigsten Maßnahmen in der endodontischen Therapie dar. Bereits während der Aufbereitung der Kanäle ist eine stetige Zwischenspülung mit NaOCl erforderlich, auch um Verblockungen mit Debris zu verhindern.
Die Desinfektionszeiten zählen erst nach der mechanischen Aufbereitung des Wurzelkanalsystems und entsprechender Entfernung des smear layers. Aufgrund der Inaktivierung von NaOCl durch Dentinspäne und Mikroorganismen muss die Desinfektionslösung regelmäßig ausgetauscht werden. Konzentrationsabhängig waren in Modellversuchen für eine Wirkung gegen den Biofilm für 1 bis 2,5 %-iges NaOCl über 30 Minuten und für 5,25 %-iges NaOCl 15 Minuten erforderlich. Für 2 %-iges CHX gegen Candida albicans werden in der Literatur fünf bis 30 Minuten angegeben. NaOCl wirkt auch fungizid, benötigt hierfür konzentrationsabhängig jedoch über eine Stunde bei permanentem Austausch.
Grundsätzlich wird mit zu wenig Volumen und zeitlichen Ansatz desinfiziert. Die Intensivierung der Spülung ist die einfachste Möglichkeit, um die Erfolgsaussichten der endodontischen Therapie zu verbessern.
Ultraschallaktivierung
In diesem Artikel wird auf zwei im truppenzahnärztlichen Alltag mögliche Verfahren zur Aktivierung der Desinfektionslösungen eingegangen. Die Verwirbelungen der chemischen Desinfektion hilft bei der Entfernung des smear layer, der Entfernung von Gewebe und medikamentösen Einlagen sowie dem Erreichen schwer zugänglicher Bereiche (Nebenkanäle, Isthmi, etc.). Bei beiden Verfahren sollen die Instrumente ca. 2 mm vor dem Foramen enden und möglichst friktionsfrei zu den Kanalwänden schwingen können.
Die Aktivierung von Spüllösungen mittels Ultraschall ist seit Jahren Mittel der Wahl und der klinische Nutzen durch zahlreiche Studien belegt. Voraussetzung ist das Vorhandensein eines geeigneten Handstücks zur Aufnahme der Metallfeilen mit Satelec-Gewinde. Die benötigten Frequenzen betragen 25 bis 30 kHz. Ansätze zur Zahnsteinentfernung sind nicht geeignet. IRRI-S-Feilen mit nicht schneidender Spitze sind zur Vermeidung von Stufenbildung zu bevorzugen. Die Feilen dürfen erst im Wurzelkanal aktiviert werden, da sonst die Frakturgefahr aufgrund einer zu hohen Schwingungsamplitude steigt. Die Ultraschallaktivierung erwärmt die Spüllösung auf ca. 55 °C, weshalb ein vorheriges Erwärmen, wie oben, beschrieben nicht notwendig ist.
Schallaktivierung
Die Schallaktivierung wird mittels Polymerspitzen durchgeführt. Das System EndoActivator (Fa. Dentsply) arbeitet mit einem eigenen Handstück zwischen 160 und 190 Hz, die EDDY®-Spülspitze (Fa. VDW) mit einem Airscaler bei einer Frequenz von 5 bis 6 kHz. Durch die Polymerspitzen wird das Dentin in der Kanalwand nicht beschädigt und Feilenfrakturen werden aufgrund des geringeren Scherstresses vermieden. Zahlreiche Studien belegen für das EDDY®-System eine mit der Ultraschallaktivierung vergleichbar potente Wirkung bei reduzierten Risiken. Der EndoActivator weist eine uneinheitlichere Studienlage auf, ist der alleinigen Handspülung jedoch überlegen.
Das EDDY®-System hat den Vorteil für die truppenzahnärztliche Behandlung, dass lediglich die Ansätze beschafft werden müssen und es somit ohne hohen Materialaufwand integrierbar ist. Zu beachten ist lediglich, dass die EDDY®-Ansätze nur mit klassischen Airscaler-Gewinden funktionieren. So genannte Quick-Gewinde mit 1,5 Gewindegängen können die Kräfte nicht übertragen und die Ansätze gar nicht aufnehmen.
Anwendungszeiten von (Ultra-)Schallunterstützung
Die oben beschriebenen Desinfektionszeiten sind mit der passiven (Ultra-)Schallunterstützung zu ergänzen. Aktivierungszeiten werden zwischen zehn Sekunden und drei Minuten angegeben. Da Ultraschall mit dem Prinzip der Kavitation arbeitet, ist häufigere kurze Aktivierung nach Erneuerung der Spüllösung bei dieser Technik notwendig, da die bei der Kavitation entstehenden Luftblasen den desinfizierenden Effekt mindern. In den meisten Untersuchungen zu dem Thema wurde eine Anwendungszeit von insgesamt drei Minuten pro Wurzelkanal genutzt. Im Rahmen der Abschlussspülung ist es empfehlenswert, die Desinfektionszeiten in die arbeitsorganisatorischen Abläufe zu integrieren. Die PatientInnen können z. B. ein paar Minuten mit „geflutetem“ Kanalsystem sitzen, während Zahnarzt und Assistenz mit Dokumentation und Abbau des Instrumentariums beginnen.
Fazit
Erst nach einer über die Arbeitslänge vollständigen und ausreichend dimensionierten Aufbereitung aller vorhandenen Wurzelkanäle beginnt die Desinfektion. In der Reihenfolge der Relevanz ist die Desinfektion über das gesamte Kanalsystem das wichtigste Mittel für eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung. Die Unterstützung der Spülung mittels (Ultra-)Schallaktivierung ist eine etablierte und einfache Ergänzung mit großem Nutzen.
Man spült immer zu wenig!
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2022
Flottillenarzt Dr. E. Holzenburg
Sanitätsunterstützungszentrum Kiel
Schweriner Straße 16
24106 Kiel
E-Mail: EricHolzenburg@bundeswehr.org