Behandlung schlafbezogener Atmungsstörungen mit Unterkiefer-Positionierungsschienen
Das Ulmer Konzept
P. Pospiech, K. Kladny
Einleitung
„Beide, der Schlaf und das Wachen, sind, wenn sie das Maß überschreiten, von Übel.“
Diese Erkenntnis von Hippokrates über das Übermaß lässt sich auf viele Lebensbereiche ausdehnen. Schlafbezogene Atmungsstörungen wie (primäres) Schnarchen oder die obstruktive Schlafapnoe (OSA) gehören ebenso in diese Kategorie und können die Nacht und den folgenden Tag sowohl der Betroffenen selbst als auch der Bettpartner oder in Gemeinschaftsunterkünften mehrerer Schlafgenossen negativ beeinflussen.
Die Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen ist deshalb neben der Reduktion von Schlafgeräuschen ein erheblicher Beitrag der Prävention zur Erhaltung der Allgemeingesundheit des Betroffenen. Schwerwiegende Fälle der OSA mit ausgeprägter Tagesschläfrigkeit und Sekundenschlafanfällen gefährden zudem auch potentiell die direkte Umgebung des Patienten, so dass die Erkennung und Behandlung der schlafbezogenen Atemwegsobstruktion auch bei der zahnärztlichen Befunderhebung und Anamnese bei den routinemäßigen Kontrollen eine Rolle spielen sollte.
Die klassische Behandlung der OSA besteht aus einer Beatmung der Patienten mittels eines CPAP- (continious positive airway pressure) oder APAP- (automatic positive airway pressure) Gerätes. Die Akzeptanz dieser Geräte ist allerdings schwankend, weil das Schlafen mit einer Maske nicht immer als angenehm empfunden wird. Zudem bedarf es in Bettnähe einer gewissen Infrastruktur, um diese Geräte komplikationslos anwenden zu können. Dabei verursachen auch diese Beatmungsapparaturen einen gewissen Geräuschpegel, der ebenfalls etwaige Schlafgenossen beeinträchtigen kann.
Eine mögliche Alternative liegt deshalb in den Unterkieferprotrusionsschienen. Unabhängig von umgebenden Infrastrukturen sind sie jederzeit einsetzbar und durch ihre geringe Größe auch in jedem Handgepäck mitführbar, so dass auch Soldaten im Einsatz problemlos damit umgehen können.
Schlafbezogene Atmungsstörungen
Primäres Schnarchen
Schnarchen ist ein weitverbreitetes Phänomen. Die Prävalenzrate liegt bei Männern bei etwa 60 % und auch Frauen sind ab den Wechseljahren zunehmend betroffen. Zunächst ist das primäre Schnarchen, dass durch das Flattern der Gewebe (Uvula oder auch weicher Gaumen) während des Schlafens im Atemstrom entsteht, als harmlos anzusehen, wenn man die sozialen Folgen durch die Geräuschentwicklung einmal außer Acht lässt. Bei heftigen Schnarchern können aber durchaus Geräusche von 80 dB (LKW-Verkehr) entstehen und über die Schlafzimmergrenzen hinausreichen. Ansonsten hat es für den Schnarchenden selbst keine gesundheitlichen Folgen wie zum Beispiel Störungen der Kreislaufregulation oder des Blutsauerstoffgehaltes.
Obstruktive Schlafapnoe (OSA)
Bei der OSA liegt eine passive Verlegung der Atemwege durch die Erschlaffung der Zungenmuskulatur sowie der Muskeln des weichen Gaumens vor. Fetteinlagerungen im Bereich des weichen Gaumens und des Rachens begünstigen diese Obstruktion. Durch das Schlafen in Rückenlage wird die Verlegung der Atemwege schwerkraftbedingt zusätzlich unterstützt. Diese Verengungen oder sogar kompletten Verlegungen der Atemwege können bis zu einer Minute anhalten. Daraus entsteht ein mehr oder weniger ausgeprägter Sauerstoffmangel (Hypopnoe oder Apnoe), der vom Körper mit einer „Alarmreaktion“ beantwortet wird: Es kommt zu einem kurzen unbewussten Aufwachen, bei dem die Atemmuskulatur aktiviert, der Herzschlag erhöht und der Blutdruck gesteigert wird. Diese sogenannten „Arousals“ führen zu erheblichem Stress, weshalb sich Betroffene morgens unausgeschlafen fühlen. Tagesmüdigkeit bis zu Sekundenschlafanfällen können sich einstellen. Langfristig können Konzentrationsmängel bis hin zur Vergesslichkeit die Folge sein. Die Prävalenz der OSA liegt bei Männern mit etwa 5–7 % etwas höher als bei Frauen (2–4 %).
Therapieansätze
Da die Therapie des Schnarchens wie auch der OSA in den Kompetenzbereich der Humanmedizin fällt, soll auf die Darstellung der vielfältigen Möglichkeiten verzichtet und sich auf die Therapieansätze konzentriert werden, die in der Zahnarztpraxis zur wirksamen Unterstützung geleistet werden können.
Sowohl beim primären Schnarchen wie auch der OSA spielt die Beurteilung der Anatomie des oropharyngealen Raumes sowie die allgemeine körperliche Konstitution und deren Auswirkungen eine wichtige Rolle. Ratschläge zur Ernährung und Gewichtsreduktion sowie zur Vermeidung des Nikotinabusus und eines abendlichen Alkoholgenusses können auch in der Zahnarztpraxis erfolgen. Auch Hinweise auf eine Beobachtung der Schlafposition und deren Veränderung können bereits durch den Zahnarzt gegeben werden, da häufig schon der Wechsel von der Rückenlage in eine andere Position das Schnarchen deutlich reduziert beziehungsweise verhindert. Als präventiv-therapeutischer zahnärztlicher Beitrag zur Gesunderhaltung des Patienten ist auch die routinemäßige Befragung in der Anamnese auf Schnarchen und eventuelle Auswirkungen wie Tagesmüdigkeit oder Schläfrigkeit zu sehen, um rechtzeitig eine Therapie über einen Schlafmediziner einzuleiten.
Das klassische Therapie der OSA ist die Offenhaltung der Atemwege mittels Geräte zur Überdruckbeatmung. Diese erzeugen einen kontinuierlichen Luftstrom, der über dem atmosphärischen Druck liegt und somit das Einatmen erleichtert oder garantiert eine ausreichende Sauerstoffzufuhr ermöglicht. Dabei ist allerdings konstruktionsbedingt der Schlafkomfort häufig eingeschränkt, da tatsächlich nur eine Rückenlage ideal ist, weil sich der Luftzuführungsschlauch durchaus in Seitenlage verheddern kann. Zudem ist vielen Patienten der kontinuierliche Luftstrom unangenehm und zu kalt. Mit zunehmendem Alter und mangelnder Hautelastizität kann es morgens durchaus auch länger dauern (> 1 h), bis die Abdrücke der Maske und der Befestigungsbänder aus dem Gesicht verschwunden sind. In leichten bis mittelschweren Fällen – Apnoe-Hypopoe-Index (AHI) bis maximal 30 – ist deshalb die Unterkieferprotrusionsschiene eine zunehmend präferierte Möglichkeit, eine obstruktive Schlafapnoe zu behandeln.
Unterkieferprotrusionsschiene (UPS)
Die UPS zur Offenhaltung der Atemwege ist bei Patienten mit ausgeprägter Reisetätigkeit und Wechsel der Schlafstätten eine gute Möglichkeit, leichte bis mittlere Formen der OSA zu therapieren. Neben der absoluten Bewegungsfreiheit während des Schlafes bedeutet die Schiene gerade für Soldaten im Einsatz eine wesentliche Entlastung. Die Schienen sind leicht mitzuführen und zu pflegen, machen keine Geräusche und benötigen keine Stromquelle, die sich in unmittelbarer Nähe des Bettes befinden muss. Damit ist die UPS gerade unter dem Aspekt des Auslandseinsatzes und des Schlafens in Gemeinschaftsunterkünften von größtem Wert: Sie erhält nicht nur die Einsatzbereitschaft des betroffenen Soldaten, sondern es wird auch das kameradschaftliche Zusammenleben deutlich entlastet.
Wirkmechanismus und Indikationen einer UPS
Der Unterkiefer wird in einer Protrusionsstellung fixiert. Dabei wird durch den Zug auf die infra- und suprahyale Muskulatur und die angrenzenden Gewebe die Luftröhre passiv geöffnet. Der M. palatoglossus zieht das Velum nach anterior, was eine Straffung desselben bewirkt. Das Pharynxvolumen kann bis um 30 % zunehmen und der Muskeltonus steigt, was der natürlichen Erschlaffung der Pharynx- und Zungenmuskulatur im Schlaf entgegenwirkt.
Damit kommt es zu keiner beziehungsweise einer stark verminderten Obstruktion und keinen oder nur noch wenigen Schlafaussetzern, was die Schlafqualität deutlich verbessert. Die Folge ist eine deutliche Verringerung der Tagesmüdigkeit und somit auch Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Patienten.
Indikationsstellung
Die Indikationsstellung für eine UPS erfolgt durch einen Schlafmediziner, beispielsweise einen Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO), einen Pneumologen oder auch einen Internisten.
Im Bundeswehrkrankenhaus Ulm besteht eine langjährige, gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der HNO-Klinik. Wenn sich der Patient zuerst in der Abteilung Zahnmedizin vorstellt oder wenn sich im Rahmen der zahnärztlichen Routineuntersuchung ein Verdacht auf eine OSA ergibt, erfolgt die Konsilstellung an die Fachkollegen, die zunächst die ersten Diagnosemaßnahmen einleiten, wozu auch eine Polygraphie und eine Polysomnographie des Patienten gehört. Umgekehrt wird bei einer Erstvorstellung in der HNO bei entsprechender Befundlage auch ein zahnärztliches Konsil eingeholt, um tatsächlich für den jeweiligen Patienten die optimale Therapieoption bereitzustellen. Deshalb wird neben der Polygraphie auch ein ausführlicher oraler und funktioneller Befund erhoben, um die Chancen des Erfolges einer UPS-Therapie möglichst gut abzustecken. Dazu gehört in diesem Workflow bei entsprechender Indikationsstellung durch die HNO auch die Anfertigung einer Probeschiene, denn auch bei der UPS-Therapie muss mit einem gewissen Prozentsatz an Therapieversagern gerechnet werden. Der Patient bekommt einen Eindruck von einer solchen Schienentherapie und kann auch die persönliche Verträglichkeit abschätzen. Einige Patienten berichten über einen Würgereiz, der das Tragen einer solchen Schiene über einen längeren Zeitraum unmöglich macht. Neben diesen weichen Compliancefaktoren erfüllt die Probeschiene auch eine wesentliche Funktion mit objektivierbaren Daten. Da initial die Ergebnisse der Ausgangspolysomnographie vorliegen, können nach Erhalt der Probeschiene und einer damit durchzuführende erneuten Polysomnographie die Messwerte verglichen und so der Erfolg einer definitiven Schienentherapie abgeschätzt werden. Wenn es mit dieser Schiene eine signifikante Verbesserung des AHI gibt, ist die Anfertigung einer UPS-Schiene aus ärztlicher Sicht indiziert.
Ein großer Teil der UPS-Therapiekosten sind Laborkosten für Leistungen, die nicht in bundeswehreigenen Einrichtungen erbracht werden können. Die Probeschienen sollen deshalb Hinweise auf den möglichen Therapierfolg geben. So sollen unnötige Kosten vermieden werden. Erst bei deren erfolgreichen Anwendung werden die hochwertigen Apnoeschienen in Auftrag gegeben.
Praktisches Vorgehen bei der Anfertigung einer diagnostischen Probeschiene
Die diagnostische Schiene besteht aus einem relativ preiswerten Spezialkunststoff, der allerdings nicht dauerhaft verwendet werden kann, da er thermoplastisch ist und damit die Gefahr besteht, dass er sich durch äußere Einflüsse verformt.
Zudem ist die präzise Anpassung und Politur, wie sie für einen dauerhaften Einsatz notwendig sind, nicht ausreichend. Die Indikationsstellung besteht somit bei einer begrenzten Anzahl von Nächten (maximal fünf), um den Effekt einer UPS auf den AHI zu testen.
Nach Ermittlung des maximalen sagittalen Spielraumes des Unterkiefers, also des Ausmaßes der Protrusion, die der Patient erreichen kann, wird mit einer speziellen Bissgabel (George Gauge) ein etwas geringerer Vorschub (etwa 80–90 % des Maximalwertes) eingestellt. Diese Stellung wird zunächst mit einem schnellhärtenden Bissregistriersilikon fixiert und es wird mehrfach überprüft, ob der Patient diese Position reproduzierbar einnehmen kann.
Wenn dies der Fall ist, soll der Patient in dieser Position zehn bis 15 Minuten verbleiben, um zu testen, ob er diese länger beschwerdefrei halten kann.
Die Umsetzung der Position in den thermoplastischen Kunststoff erfolgt schrittweise und mit äußerster Sorgfalt, da eine Erhärtung des Kunststoffes in Unterschnittsbereichen, wie sie bei Brücken oder parodontalgeschädigten Zähnen vorkommen können, zu einer unangenehmen Verblockung des Unterkiefers mit dem Oberkiefer führt. Deshalb muss die zahnärztliche Assistenz durch maximales Abhalten der Weichgewebe mittels Mundspiegel oder sogar Fotohaken dafür sorgen, dass stets eine gute Übersicht besteht. Bei der Einstellung der Konsistenz des Kunststoffes muss neben der Sicherstellung einer adäquaten Temperatur dafür gesorgt werden, dass der Kunststoff nicht im Übermaß und nicht zu niedrigviskös aufgebracht wird. Der Vorteil dieses Materiales liegt aber eindeutig darin, dass es mit dem Finger gut form- und adaptierbar ist und während der Abkühlung ausreichend Zeit besteht, mit einem Heidemannspatel zu tiefgehende Septen zu beseitigen. Im Zweifelsfalle sollte lieber zunächst etwas zu wenig als zu viel Material eingebracht werden, da ein gezieltes Nachlegen einfacher ist als ein anschließendes Beschleifen, da der Kunststoff zu schnell verschmiert.
Nach dem Austausch des Silikons auf der einen Seite (Abb. 3) erfolgt nach erneuter Kontrolle der reproduzierbaren Einnahme der Schienenposition der Austausch auf der anderen Seite.
Die Anfertigung der Probeschiene und die anschließende Polygraphie sollten zeitlich abgestimmt erfolgen, da die Passung der Schiene aufgrund der Thermolabilität mit der Zeit leiden kann. Es ist empfehlenswert, den Patienten zunächst ein bis zwei Nächte mit der Schiene schlafen zu lassen, damit er sich daran gewöhnen kann und das Durchschlafen nicht durch die Rahmenbedingungen beeinträchtigt wird.
Dann sollte noch einmal eine Polysomnographie mit dieser Probeschiene erfolgen. Bei deutlicher Verbesserung besteht die Indikation für eine hochwertige UPS, welche durch die HNO beziehungsweise Lungenheilkunde gestellt und durch den in der Schlafmedizin fortgebildeten Zahnmediziner umgesetzt wird.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2021
Für die Verfasser:
Flottenarzt d. R. Prof. Dr. P. Pospiech
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: Peter1Pospiech@bundeswehr.org