01.08.2017 •

60 Jahre Zahnmedizin in der Bundeswehr

Die letzten 10 Jahre – Stillstand oder Weiterentwicklung?

W. Barth

Die Vereidigung der ersten freiwilligen Soldaten der jungen Bundesrepublik Deutschland in der Bonner Ermekeilkaserne am 12. November 1955  gilt als Geburtstag der Bundeswehr, so dass im November 2015 das 60jährige Bestehen unserer Streitkräfte gefeiert werden konnte. Im vergangenen Jahr folgte der 60. Geburtstag des Sanitätsdienstes, der durch einen Beschluss des Verteidigungsausschusses vom 11. April 1956 begründet und anschließend aufgebaut wurde. Diesem Ereignis widmete die Zeitschrift „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“ mit Ausgabe 4/2016 ein Jubiläumsheft, in dem neben aktuellen Beiträgen aus dem Sanitätsdienst auch die historische Entwicklung beleuchtet wurde.

Dr. André Müllerschön, Oberfeldarzt: Damit ist die Reihe der Jubiläen aber noch nicht beendet, denn in diesem Jahr kann auch der zahnärztliche Dienst der Bundeswehr, wie die anderen „kleinen“ Approbationen, auf 60 Jahre zurückblicken, wurde doch am 10. Juli 1957 für die Zahnärzte, Apotheker und Veterinäre ebenfalls der Status als „Sanitätsoffiziere“ beschlossen. Dies soll auch in diesem Schwerpunkt Zahnmedizin seinen Niederschlag finden. Im Gegensatz zum 40- und 50jährigen Jubiläum in den Jahren 1997 und 2007, in denen umfangreiche historische Rückblicke publiziert wurden, haben wir jedoch im vorliegenden Heft bewusst auf eine Gesamtdarstellung der Entwicklung des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr verzichtet. – Viel spannender erschien es uns, die letzten 10 Jahre durch einen Zeitzeugen in exponierter Stellung aufarbeiten zu lassen: Herrn Admiralarzt a. D. Dr. Wolfgang Barth, dessen Amtszeit als Inspizient Zahnmedizin der Bundeswehr sich nahezu über den gesamten Zeitraum erstreckte. Er lässt diese Dekade Revue passieren, greift die aus seiner Sicht wesentlichen Meilensteine, Entwicklungen und auch Herausforderungen heraus und schafft damit ein Dokument, das ganz bewusst keine wissenschaftlich ausgewogene Geschichtsschreibung bietet, sondern einen Zeitzeugenbericht, der naturgemäß subjektiv ist, vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle polarisieren und die historische Debatte anregen wird.

60 Jahre Zahnmedizin in der Bundeswehr

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Weiterbildung von Sanitätsoffizieren (Abb.: Christoph Hemme)
Das ist wahrlich ein Grund zum Feiern. Vor allem ein Grund zu feiern, dass es eine zahnärztliche Versorgung unserer Soldaten in den Heimatstandorten und im Einsatz durch Sanitätsoffiziere Zahnarzt überhaupt noch gibt. Denn bei jeder Planung einer „Reform“ der Bundeswehr in den vergangenen 30 Jahren, und das waren ziemlich viele, sollte die Zahnmedizin der Bundeswehr zunächst auf dem „Altar der Rationalisierung“ geopfert werden. Dass sie in diesem Jahr dennoch ihren 60. Geburtstag feiern darf, grenzt also an ein (medizinisches) Wunder und sollte daher angemessen gefeiert werden – vor allem von ­denen, die durch ihre Arbeit und ihre Entscheidungen zum Über­leben der Zahnmedizin in der Bundeswehr ­beigetragen haben. Und natürlich von unseren Patienten, denen hierdurch eine bestmögliche zahnärztliche Versorgung in der Vorbereitung auf den und im Einsatz zuteilwerden konnte.

Bis 2005 war bereits viel erreicht worden: Die Aufbauphase des zahnärztlichen Dienstes der Bundeswehr war geprägt von den ersten Inspizienten Zahnmedizin, Oberstarzt Prof. Dr. ­Werner Holler und den Generalärzten Dr. ­Wilhelm Stelter, Dr. Walter Wackersreuther, Dr. Günther Popp und Dr. Claus-Dieter Schulz, die nach anfänglicher Tätigkeit in zivilen Praxen – oder in Praxen der Alliierten – in die neuen deutschen Streitkräfte eintraten, um buchstäblich aus dem Nichts eine zahnärztliche Versorgung der Soldaten aufzubauen. Häufig schlechte Infrastruktur, fehlende Mittel für modernes Gerät, zu wenig Personal und ein hoher Anteil an zwar meist motivierten, aber unerfahrenen grundwehrdienstleistenden Sanitätsoffizieren Zahnarzt – bei regelmäßig ca. 100 nicht besetzten zahnärztlichen Dienstposten – prägten den zahnärztlichen Dienst bis in die Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Hinzu kam ein gegen die Bundeswehr kritisches, ja sogar abwehrendes ziviles Umfeld, das auch im medizinischen Bereich zu Problemen führte: Während zivile Ärzte und Zahnärzte teilweise die Behandlung von Soldaten ablehnten, hatten die Soldatenpatienten vielfach kein Vertrauen zu den Sanitätsoffizieren der Bundeswehr. Hinzu kam eine gewisse Isolation der Sanitätsoffiziere der Bundeswehr durch die zivile Kollegenschaft. Das hatte zur Folge, dass nicht nur die materielle sondern auch die fachliche Weiterent­wicklung deutlich den Fortschritten im zivilen Gesundheitssystem hinterherhinkte. Dies erzeugte auch unter den Sanitätsoffizieren Zahnarzt eine spürbare Unzufriedenheit, was sich u. a. in einer sehr schlechten Nachwuchslage widerspiegelte.

Mitte der 1980er Jahre begann die Zahnmedizin in der Bundeswehr langsam den Anschluss an den zivilen Bereich zu finden: Der Inspizient Zahnmedizin Admiralarzt Dr. Dieter Nordholz stellte seine, grundsätzlich noch heute gültige, Prioritätenliste für die zahnärztliche Behandlung von Soldaten auf, der Leitende Zahnarzt des Heeres Oberstarzt Dr. Frank Kahlbrandt trieb die Hygiene in zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen voran und die ersten regelmäßigen Parodontologiekurse mit den Professoren Heinz Spranger (dessen Aufgaben später Prof. Peter Raetzke übernahm) und Dieter Lange wurden an der Akademie des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr durchgeführt. Unter Generalarzt Dr. Wilfried Möckel gelang auch im zahnärztlichen Bereich die Eingliederung der ehemaligen NVA-Angehörigen in die Bundeswehr und der Aufbau einer modernen zahnärztlichen Infrastruktur in den neuen Bundesländern, die sich erstmalig mit dem zivilen Bereich in jeder Hinsicht vergleichen konnte. Zugleich wurde sowohl die Weiterbildung zum Fachzahnarzt für Oralchirurgie als auch zum Fachzahnarzt für Parodontologie (Uni Münster) in die Bundeswehr eingeführt. Durch die Verkleinerung des Personalumfangs der Bundeswehr, beginnend Mitte der 1990er Jahre, stand nun auch für die Zahnmedizin mehr Geld zur Verfügung, was zur Anpassung der materiellen Ausstattung an den Stand der Technik führte.

Die Inspizienten Admiralarzt Dr. Bernd Merkel und Generalarzt Dr. Jürgen Macheleidt trugen durch ihre Präsenz in den zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen im Rahmen regelmäßiger Inspizierungen wesentlich zur kontinuierlichen fachlichen und infrastrukturellen Weiterentwicklung bei und konnten bei den STAN-Verhandlungen 1997 ein Ergebnis für die Zahnmedizin erreichen, das im Wesentlichen auch heute noch bestimmend für die personelle und materielle Ausstattung ist. Zudem erfolgte unter ­Generalarzt Dr. Macheleidt die schwierige Umgliederung des zahnärztlichen Dienstes von der organisatorischen Einbindung in Heer, Luftwaffe und Marine in den neu geschaffenen Organisationsbereich „Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr“. Admiralarzt Dr. Günther Brassel schließlich baute die neue Unterabteilung Zahnmedizin im Sanitätsamt in München auf und vertiefte die Beziehungen zu den zivilen Standesorganisationen.

Damit war ab etwa 2005 die Zahnmedizin in der Bundeswehr nicht nur personell, materiell sowie infrastrukturell auf einem hohen Niveau angekommen, sondern auch der fachliche Standard der zahnärztlichen Versorgung aller Soldaten war ihrer im Einsatz zu erwartenden Belastung angemessen und entsprach dem aktuellen Stand der Wissenschaft, aber auch der Technik.

Vom Inspizienten Zahnmedizin der Bundeswehr zum Leitenden Zahnarzt der Bundeswehr

Die Position des Inspizienten Zahnmedizin der Bundeswehr war über Jahrzehnte schwierig und heftig umstritten. 1965 eingeführt, um dem Inspekteur des Sanitätsdienstes die fachliche Dienstaufsicht über die zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen in Heer, Luftwaffe und Marine zu ermöglichen, hatten die Inspizienten keinerlei Disziplinarbefugnis: Sie durften nur schauen, berichten und beraten. Zugleich waren sie allerdings mit dem höchsten Dienstgrad im zahnärztlichen Dienst im Range eines General- bzw. Admiralarztes ausgestattet. Dies sicherte ihnen nicht nur die Aufmerksamkeit des Kommandeurs vor Ort, sondern auch den jederzeitigen direkten Zugang zum Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens (ab 2002 Inspekteur des Sanitätsdienstes). Letzteres führte zu jahrzehntelangen regelmäßigen Spannungen zwischen dem Referatsleiter I 6 (Zahnmedizin) im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) – als dem direkten Berater des Inspekteurs – und dem Inspizienten Zahnmedizin der Bundeswehr, dem Repräsentanten der Zahnmedizin nach innen und außen.

Diese Situation verbesserte sich erst kurz nach dem Dienstantritt von Admiralarzt Dr. Brassel, als der Inspizient Zahnmedizin im Rahmen der Umgliederung des Sanitätsdienstes 2001 zugleich Abteilungsleiter Zahnmedizin im Sanitätsamt der Bundeswehr wurde. Damit war er, zumindest in seiner Eigenschaft als Abteilungsleiter, Fachvorgesetzter aller Zahnärzte der Bundeswehr. Zwar ließ diese Konstruktion keine saubere Trennung zwischen den Aufgaben als Inspizient und denen als Abteilungsleiter zu, dies wurde jedoch von den Vorgesetzten zumeist großzügig übersehen.

Die Kontroversen mit dem Referatsleiter im Ministerium über die Frage, wer denn nun – funktional – die höchste Position in der Zahnmedizin der Bundeswehr inne hat und daher beispielsweise die Zahnmedizin auch nach außen vertreten darf, gingen jedoch weiter. Teilweise von den Kontrahenten durchaus gewollt, blieben diese Streitigkeiten höheren Ortes nicht verborgen und führten letztendlich zu der Frage, ob lieber der Referatsleiter oder aber der Inspizient abgeschafft werden sollte. Diese Frage blieb virulent bis zur Auflösung des Führungsstabes des Sanitätsdienstes im BMVg – und wurde dadurch zu Gunsten des Inspizienten entschieden.

2011 wurde der Dienstposten des Inspizienten Zahnmedizin, ohne erkennbaren sachlichen Grund, auf den Dienstgrad eines Oberst- bzw. Flottenarztes herab dotiert. Die bis zu diesem Zeitpunkt zumindest äußerliche Gleichstellung der vier Approbationen innerhalb des Sanitätsdienstes war damit beendet.

Im März 2015 unterschrieb der Inspekteur des Sanitätsdienstes einen Erlass, mit dem der Dienstposten des Inspizienten Zahnmedizin der Bundeswehr in den eines Leitenden Zahnarztes der Bundeswehr mit einem erweiterten Aufgabenspektrum umgewandelt wurde. Damit wurde, 50 Jahren nach Ernennung des ersten Inspizienten Zahnmedizin der Bundeswehr, seine Position als alleiniger Vertreter der Sanitätsoffiziere Zahnarzt und aller Mitarbeiter in den zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen endlich eindeutig bestätigt. Allerdings sind alle Versuche, nun für den Leitenden Zahnarzt der Bundeswehr wieder den Dienstgrad eines General-/Admiralarztes und damit auch einen sichtbaren Ausdruck der Chancengleichheit in den Approbationen und letztlich auch der Wertschätzung zu erreichen, bisher gescheitert.

Die personelle Ausstattung

Wie bereits weiter oben erwähnt, wurde die im Wesentlichen noch heute gültige personelle Ausstattung der zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen durch die STAN-Verhandlung von 1997 bestimmt. Jeder Zahnarzt hatte eine zahnärztliche Assistenz, dazu kam in bescheidenem Umfang militärisches Personal für die Administration. Ab 2010 sollte in der gesamten Bundeswehr Zivilpersonal reduziert werden. Hiervon waren natürlich auch der Sanitätsdienst und die Zahnmedizin betroffen. Nach einem bestimmten Schlüssel wurden zivile in militärische Dienstposten umgewandelt – was in der Folge zu vielen unbesetzten Stellen führte, da insbesondere in der Zahnmedizin das erforderliche militärische Fachpersonal überhaupt nicht vorhanden war. Dieser Mangel konnte nur durch die jährlich etwa 330 Auszubildenden zur Zahnmedizinischen Fachangestellten zumindest punktuell abgefedert werden. Erst 2014 gelang es, die Stellen für ziviles und militärisches Assistenzpersonal in den zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen wieder zu erhöhen.

Bereits seit Jahren wurden Zahnmedizinische Fachangestellte im Bereich der Prophylaxe berufsbegleitend durch Kammerfortbildungen weiter qualifiziert. Im Jahre 2014 konnten nun (in ausgewählten zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen) erstmals zusätzliche Dienstposten für ausgebildete Prophylaxeassistentinnen (ZMP) sowie für Dentalhygienikerinnen (DH) in den Abteilungen VIIa der Bundeswehrkrankenhäuser geschaffen werden. Damit entspricht die personelle Ausstattung, zumindest auf dem Papier, heute weitgehend modernen, qualitäts- und prophylaxeorientierten Standards.

Fachliche Qualifikation

Seit vielen Jahren wollen sich Zahnärzte auf speziellen Gebieten der Zahnmedizin (neben der bereits oben erwähnten Oralchirurgie) weiter qualifizieren oder gar spezialisieren. Diesem Wunsch musste natürlich auch die Bundeswehr nachkommen. Zunächst war nicht deutlich zu erkennen, wie der zivile Bereich sich entwickeln würde: Facharztweiterbildung für jedes Gebiet der Zahnmedizin, Spezialisierung durch die Fachgesellschaften oder berufsbegleitende curriculare Fortbildung durch die Kammern. Eine Facharztweiterbildung über die Oralchirurgie und Kieferorthopädie hinaus wurde und wird von der Bundeszahnärztekammer abgelehnt. Spezialisierungen durch die Fachgesellschaften sind für die Bundeswehr zumeist nicht realisierbar, da diese in der Regel nicht berufsbegleitend durchgeführt werden können. Aus diesen Gründen wurden für verschiedene Teilgebiete der Zahnmedizin curriculare Fortbildungen in der Bundeswehr eingeführt. Sie sind weitgehend in den Lehr- und Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr durchführbar und werden entweder mit einer Fachgesellschaft oder einer Landeszahnärztekammer zu einem zertifizierten, bundesweit gültigen Abschluss gebracht. So kann den Sanitätsoffizieren Zahnarzt, neben den vielen Möglichkeiten im zivilen Bereich, eine – zukünftig noch zu verbreiternde – Palette an Spezialisierungen angeboten werden, die auch „schildfähig“ in die spätere zivile Praxis mitgenommen werden können. Dies bedeutet eine deutliche Attraktivitätssteigerung.

Leider ist die im zivilen Bereich befürchtete „Enthomogenisierung“ der Zahnärzteschaft durch die zunehmende Spezialisierung in der Bundeswehr bereits eingetreten. Die Spezialisten oder Fachzahnärzte beanspruchen für sich einen größeren Teil des Kuchens (hier beispielsweise Funktionen als Leiter einer Behandlungseinrichtung mit den damit in Einzelfällen verbundenen Spitzendotierungen), als ihnen anteilig zusteht. Alle Versuche, eine Blockbildung der zahnärztlichen Kollegenschaft durch Entgegenkommen der Führung zu vermeiden, sind weitgehend fehlgeschlagen. Darüber hinaus sind die langjährigen Anstrengungen, auch die Fachärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie unter dem Dach des Leitenden Zahnarztes der Bundeswehr zu vereinen und ihnen damit eine stärkere Stimme bei der sanitätsdienstlichen Führung zu geben, gescheitert. Eine von der Unterabteilung III im Kommando Sanitätsdienst für die Krankenhäuser geplante Ergänzung des Behandlungsspektrums durch eine von den Abteilungen VIIa und VIIb gemeinsam betriebene Poliklinik, und damit eine engere Verzahnung von Oral- und MKG-Chirurgie, wurde von Seiten der Oralchirurgen vehement abgelehnt. Hier wurde die Chance vertan, in den Bundeswehrkrankenhäusern eine kollegiale Leiterfunktion (gemeinsam mit einem MKG-Chirurgen) für die Oralchirurgen zu schaffen, und damit auch eine Gleichstellung der beiden Fachgebiete herzustellen.

Leider ist die Haltung der Oralchirurgen nicht völlig unverständlich, wurde und wird ihnen doch die Zulage für Fachärzte aus nicht erkennbaren Gründen vorenthalten. Hier sollte doch, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Einsatzrelevanz, endlich gehandelt werden, um damit auch die bereits seit längerem angespannte Nachwuchslage bei den Oralchirurgen zu verbessern.

Die materielle Ausstattung

Bereits seit dem Ende der 1990er Jahre wurde die digitale Patientendokumentation in der Zahnmedizin der Bundeswehr gefordert. Im Jahr 1999 startete ein erster „Truppenversuch“. Mit Einführung von SAP in die Bundeswehr wurden alle Beschaffungsvorhaben von „Fremdsoftware“ beendet, für den Sanitätsdienst aber leider keine sinnvolle Alternative angeboten. Hier hinkt auch die Zahnmedizin in der Bundeswehr der zivilen Kollegenschaft deutlich hinterher, die sich schon lange keine „Papier und Bleistift“-Dokumentation mehr vorstellen kann – und will.

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Zahnärztlicher Behandlungscontainer (Abb.: Christoph Hemme)
Anfang 2007 wurden in der damaligen Abteilung VI Zahnmedizin des Sanitätsamtes der Bundeswehr erste Forderungen für eine zukünftige „digitalisierte“ Praxis erarbeitet. Sie umfassten neben der elektronischen Patientendokumentation den Austausch von analogen gegen digitale Röntgengeräte (später um die Beschaffung digitaler Volumentomographiegeräte für Oralchirurgen ergänzt), Behandlungseinheiten mit Monitor und intraoraler Kamera, überarbeitete Ausstattungen für Oralchirurgen und Parodontologen sowie digitale Parodontalsonden und intraorale Scanner. Es wurden „Truppenversuche“ für einzelne Geräte vorbereitet und immer wieder die Konzepte neu geschrieben. Diese Forderungen scheiterten jedoch regelmäßig an der fehlenden IT-Ausstattung, dem Willen, „Fremdsoftware“ und online-­Support zuzulassen oder schlicht daran, dass mal wieder die Beschaffungsverfahren geändert wurden und alle bereits vorhandenen Papiere neu geschrieben werden mussten.

Im Juni 2014 wurden dann gerade noch rechtzeitig, wenige Tage vor der Einführung eines wiederum „revolutionären“ neuen Beschaffungs­verfahrens, alle notwendigen Grundlagen zur Beschaffung der oben beschriebenem Systeme (allerdings erneut ohne die Möglichkeit der elektronischen Patientendokumentation) sowie der Regeneration des Altgerätes und Mobiliars abschließend unterschrieben – was allerdings nur bedeutete, dass die Beschaffung erst dann durchgeführt werden kann, wenn auch Geld dafür vorhanden ist. All die vielen Mitarbeiter, die an dieser endlosen Geschichte gearbeitet haben, zeitweise ohne die Aussicht auf ein glückliches Ende, müssen für ihre Ausdauer und Geduld bewundert werden.

Das bedeutet aber auch, dass es alleine sieben Jahre gedauert hat, nur die Genehmigung zur Beschaffung von handelsüblichen, jederzeit verfügbaren und zur Behandlung von Patienten unabdingbaren Geräten, zu erhalten – und dies auch nur teilweise. In den Behandlungseinrichtungen vorhanden ist es damit noch lange nicht.

Von der Friedens- zur Einsatzarmee

Bis zur Wiedervereinigung beschränkten sich die „Auslandseinsätze“ der Bundeswehr auf die Beteiligung der Marine an internationalen Flottenverbänden, gelegentlichen Übungen der AMF-­Kompanie des Sanitätsdienstes und natürlich der Beteiligung an humanitären Hilfseinsätzen wie beispielsweise nach der Erdbebenkatastrophe in Agadir 1960.

Ab dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung wurde von der deutschen Bevölkerung die „Friedens­dividende“ eingefordert. Zumindest die NATO schien in einer Welt des Friedens und ohne Ost-West-Konfrontation verzichtbar. Dennoch beteiligte sich der Sanitätsdienst 1992/93 an der UN-Mission in Kambodscha, ab März 1993 am Einsatz in Somalia und seit 1999 an mehreren multinationalen Missionen in den von Bürgerkriegen erschütterten ehemaligen jugoslawischen Staaten.

Während des Kongoeinsatzes 2006 zum Schutz der dortigen Wahlen wurde den militärischen Führern deutlich, dass auf eine zahnärztliche Versorgung der Soldaten auch auf Ebene Role 1 nicht verzichtet werden kann. Diese Erkenntnis wird seither, wie bei der Deutschen Marine bereits seit Beginn der 1990er Jahre, zumeist auch bei den Planungen für landgebundene Auslandseinsätze angewendet und hat sich beispielsweise im Rahmen der Mali-Mission von Beginn an bewährt.

Anfang der 2000er Jahre war die Bundeswehr geprägt von einer Vielzahl personalintensiver Einsätze, bei denen sich zeitweise bis zu 10 000 deutsche Soldaten im Ausland befanden. Hiervon war natürlich auch die Zahnmedizin betroffen, die in nahezu allen Einsatzgebieten zu Land und auf See vertreten war und ist. Bis über 2010 hinaus waren in jedem Jahr bis zu 60 Zahnärzte im Einsatz – die Zahnmedizin gehörte damit zu den am stärksten durch die Einsätze belasteten Gruppen in der Bundeswehr. Die Entsendung in einen Einsatz erfolgte stets auf freiwilliger Basis mit einem in der Regel mindestens einjährigen Planungsvorlauf. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass sich auch die weiblichen Sanitätsoffiziere Zahnarzt in gleichem Maße wie die männlichen Kollegen an den Einsatzverpflichtungen beteiligten, sondern auch, dass es aus dem Bereich der Zahnmedizin, im Gegensatz zu anderen Gruppen im Sanitätsdienst, nur wenig „Murren“ über die Einsatzbelastung gab und gibt. Leider wurde aber genau aus diesem Grunde die hohe Einsatzbelastung der Sanitätsoffiziere Zahnarzt an höherer Stelle nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, so dass eine Anerkennung dieser Leistung weitgehend versagt blieb.

Die Zahnmedizin der Bundeswehr im internationalen Umfeld

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COMEDS Dental Service Panel Meeting 2014 (Abb.: DS P)
Nach zum Teil drastischen Reduzierungen bis hin zur Auflösung der zahnärztlichen Dienste bei einigen NATO-Partnern, ist außer den amerikanischen Streitkräften nur noch die Bundeswehr in der Lage, Soldaten in allen land- und seegestützten Auslandseinsätzen umfassend und ununterbrochen zahnärztlich zu versorgen. Einige Nationen haben sich jedoch bereits mit der Entsendung von Zahnärzten und Assistenzpersonal in deutsche zahnärztliche Einrichtungen im Einsatzland an der zahnärztlichen Versorgung der Soldaten beteiligt oder sind daran interessiert, bei zukünftigen Einsätzen zu unterstützen. Zu diesen Ländern gehören neben Österreich und Belgien die Niederlande, die Schweiz sowie Norwegen. Für diese internationale Zusammenarbeit ist es notwendig, fachliche Standards und personelle Möglichkeiten des Partners zu kennen.

Die zahnärztlichen Standards im Einsatz werden für Einsätze der NATO durch das COMEDS Dental Service Panel erarbeitet. Es ist aus oben genanntem Grund sicher positiv zu bewerten, dass seit letztem Jahr in diesem Gremium ein deutscher Oberstarzt den Vorsitz hat.

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Internationale Teilnehmer des Annual Meeting of the SDFDS in Poznan, 07.-10.09.2016 (Abb.: FDI)
Die jährliche wissenschaftliche Tagung der ­SDFDS (Section of Defence Forces Dental Services) im Rahmen des Jahresweltkongresses der FDI (Fédération Dentaire Internationale) bietet die Plattform, vorbereitende Gespräche zu führen und persönliche Kontakte zu den Vertretern zahnärztlicher Dienste anderer Nationen aufzubauen oder zu pflegen. Hier diskutieren Militärzahnärzte aus der ganzen Welt Probleme der zahnärztlichen Versorgung von Soldaten, insbesondere im Einsatz. Daher ist eine Teilnahme hochrangiger deutscher Sanitätsoffiziere Zahnarzt, auch wenn die Führung des Sanitätsdienstes diesen jährlichen Treffen zuweilen skeptisch gegenübersteht, unverzichtbar. Für eine Nation, die nicht nur im zahnärztlichen Bereich eine Führungsrolle bei Auslandseinsätzen für sich beansprucht, sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein. Das Amt des Vice Chairman dieser wichtigen Sektion der FDI hat zurzeit Flottenarzt Dr. Bieber inne. Seit einigen Jahren ist der Leitende Zahnarzt der Bundeswehr auch Mitglied der zivilen deutschen Delegation.

Wie halten wir es mit der Qualitäts­sicherung?

Bereits Ende der 1990er Jahre hatten Zahnärzte der Marine Grundlagen für ein zahnärztliches Qualitätsmanagement entwickelt, die Eingang in einen entsprechenden Erlass des Fachreferates im BMVg fanden. Leider wurde seitens des BMVg angeordnet, dass Zahnärzte und Ärzte ein gemeinsames QM zu betreiben hätten, obwohl von Anfang an die damit verfolgten Ziele völlig unterschiedlich waren. Nach Einführung eines im Sanitätsdienst entwickelten Qualitätsmanagementsystems in die Bundeswehr wurde dieses von einzelnen Ärzten und Zahnärzten zwar mit großem Engagement betrieben – eine flächendeckende Anwendung scheiterte jedoch an den viel zu hohen Ansprüchen an die Eigenleistungen, die in den Behandlungseinrichtungen zu erbringen waren.

Etwa 2012 informierte die Zahnärztekammer Niedersachsen den damaligen Referatsleiter im BMVg, Flottenarzt Dr. Bieber, über ein zahnärztliches Qualitätsmanagementsystem, das zu diesem Zeitpunkt bereits in acht Kammerbereichen genutzt wurde. Nach längerer Begutachtung wurde schließlich das genau auf die Bedürfnisse einer zahnärztlichen Praxis zugeschnittene und regelmäßig aktualisierte System „ZQMS“ in die Bundeswehr eingeführt und von einer großen Anzahl zahnärztlicher Behandlungseinrichtungen genutzt. Bedauerlicherweise wurde dies nicht durch eine angemessene fachliche Dienstaufsicht begleitet, was zur Folge hat, dass ZQMS bis heute in der Bundeswehr nicht flächendeckend angewendet wird. Dies ist umso ärgerlicher, da ein großer Teil der Kolleginnen und Kollegen, die nach dem Ende ihrer Tätigkeit in der Bundeswehr in eine eigene zivile Praxis wechseln, genau dieses System dort, jetzt allerdings verpflichtend, vorfinden werden.

Die Zahnmedizin in der Bundeswehr und die Standesorganisationen

Bereits seit vielen Jahren war der Inspizient Zahnmedizin der Bundeswehr ständiger Gast des Vorstandes der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) bei den Vorstandssitzungen. Der damalige Präsident der BZÄK, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, stand der Bundeswehr sehr positiv gegenüber, was es Admiralarzt Dr. Brassel ermöglichte, diese Beziehungen weiter zu vertiefen und eine Teilnahme von Sanitätsoffizieren Zahnarzt bei einigen Kammerausschüssen zu erreichen. Dies wurde unter dem Nachfolger als Kammerpräsident, Dr. Peter Engel, weiter intensiviert.

Im Jahr 2007 folgte der Vorstand der BZÄK einer Einladung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in den Standort Wilhelmshaven, wo er über die Leistungsfähigkeit der zahnärztlichen Versorgung von Soldaten in den Heimatstandorten und im Einsatz umfassend informiert wurde. Beeindruckt von dem Gesehenen sagten im Anschluss daran die Vorstandsmitglieder dem zahnärztlichen Dienst der Bundeswehr jedwede Unterstützung zu. Dieser Besuch wurde 2012, diesmal an den Standorten München und Feldkirchen, wiederholt. Insbesondere auf dem Gebiet der Fortbildung war und ist diese Unterstützung durch BZÄK und Landeszahnärztekammern unabdingbar, da nur so eine bundesweite zivile Anerkennung von in der Bundeswehr durchgeführten fachlichen Fortbildungen gewährleistet ist.

Bereits 2008 wurde das „Forum Zahnmedizin in der Bundeswehr“ unter der Leitung von Oberfeldarzt Dr. Lüpke gegründet. Hauptanliegen war es, Kolleginnen und Kollegen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu insbesondere wehrmedizinisch relevanten Fragestellungen zu unterstützen und so auch einen Beitrag zur Integration der Zahnmedizin in die Medizin zu leisten. Dies ist in Teilen, insbesondere in den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm und Hamburg, auch gelungen. Bedenklich muss es jedoch stimmen, wenn in der DGWMP ein neuer „Arbeitskreis konservativ tätiger Sanitätsoffiziere“ gegründet wird – und die Zahnmedizin aus eigenem Desinteresse kein Gründungsmitglied ist. Das zeigt, dass auch auf zahnärztlicher Seite bis zu einer Gleichstellung der „Medizin der Zähne, des Mundes und der Kiefer“ mit anderen Fachgebieten der Medizin noch viel zu tun ist.

Zwei Jahre später wurde das „Forum Zahnmedizin in der Bundeswehr“ als „Arbeitskreis Wehrmedizin“ durch einstimmigen Beschluss des Vorstands in die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) aufgenommen. Eine Auszeichnung, welche bis heute, trotz des hohen Engagements der beiden Vorsitzenden des Arbeitskreises, nicht durch eine angemessene Mitarbeit der Sanitätsoffiziere Zahnarzt gewürdigt wird.

Die enge Verbindung, die sich im Laufe der Jahre zwischen der Zahnmedizin in der Bundeswehr und dem zivilen Bereich entwickelt hat, wurde am 22. April 2015 anlässlich der Verabschiedung des letzten Inspizienten Zahnmedizin, Admiralarzt Dr. Barth, sehr deutlich, als nahezu die kompletten Vorstände von Bundeszahnärztekammer, Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung, Deutscher Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie des Verbands der Hochschullehrer teilnahmen und sehr herzliche sowie persönliche Grußworte sprachen. Einer der national und international auf seinem Gebiet wohl renommiertesten Hochschullehrer, Prof. Dr. Georg Meyer, hielt den Festvortrag. Leider nutzten nur die zivilen Gastredner die Gelegenheit, die ohne sachliche Begründung erfolgte Herabdotierung des Leitenden Zahnarztes der Bundeswehr auf den Rang eines Oberst-/Flottenarztes scharf zu kritisieren. Sie sehen darin nicht nur eine mangelnde Chancengleichheit, insbesondere zu den Sanitätsoffizieren Arzt, sondern auch eine unzureichende Wertschätzung nicht nur der Leistungen der Sanitätsoffiziere Zahnarzt, sondern des ganzen zahn­ärzt­lichen Berufsstandes.

Zusammenfassend muss dennoch, trotz aller Schwierigkeiten und gelegentlicher Rückschläge, gesagt werden, dass die Zahnmedizin in der Bundeswehr bereits zu ihrem 50. Jubiläum einen hohen Standard erreicht hatte, dieser jedoch in den letzten zehn Jahren durch verbesserte personelle Ausstattung, modernes Gerät, intensivierte Fortbildung und den Leistungswillen der Sanitätsoffiziere Zahnarzt nicht nur konsolidiert, sondern auch in manchen Bereichen weiter gesteigert werden konnte. Gedankt wurde und wird dies durch den hohen Grad an Anerkennung, den die zahnärztliche Versorgung in der Bundeswehr bei den Soldaten, aber auch im zivilen Bereich genießt. Das lässt hoffnungsvoll in die weitere Zukunft blicken.

Und das ist dann wirklich ein Grund zum Feiern!!! 

 

Anschrift des Verfassers:

Admiralarzt a. D. Dr. Wolfgang Barth
E-Mail: drwolfgangbarth@t-online.de

 

 

 

 

Datum: 01.08.2017

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