21.09.2020 •

    Medicus – Die Macht des Wissens

    V. Hartmann

    Medizinhistorische Ausstellungen sind im Allgemeinen selten und zudem meist kein Publikumsrenner. Als löbliche Ausnahme präsentierte sich im Historischen Museum der Pfalz die mehrmonatige kulturgeschichtliche Schau „Medicus – Die Macht des Wissens“. Um Besucher zu interessieren, verknüpfte man das Thema sehr geschickt mit Noah Gordons allein in Deutschland sechs Millionen Mal verkauftem und später auch verfilmtem Erfolgsroman „Der Medicus“.

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    Freilich beschränkte sich die ­Ausstellung nicht auf die mittelalterliche und aus heutiger Patien­tensicht doch schauerliche Erlebniswelt der bevorzugt auf Jahrmärkten wirkenden Bader, Quacksalber, Zahnzieher oder Feldscherer im Umfeld von Gordons Hauptprotagonisten Rob Cole.

    Vielmehr erwartete den Besucher nach dem Entree mit dem Nachbau von Coles Baderwagen tatsächlich eine wissenschaftlich fundierte Gesamtschau der Geschichte der Heilkunde von der Frühzeit im Mittleren Osten über das alte Ägypten, Griechenland, Rom, der arabischen Medizin über die Klöster im frühen Mittelalter hin zur Rennaissance und zur frühen Neuzeit. Erst im 16. Jahrhundert begannen ein genaues Studium des Körpers und naturwissenschaftliche Beobachtungen die bis dahin auf vielerlei religiösen und historischen Dogmen beruhenden Krankheitslehren in Europa und im Nahen Osten abzulösen. Nun ist die Darstellung eines solchen fast 5.000 Jahre umfassenden Spannungsbogens natürlich eine große Herausforderung für die Konzeption einer derartigen Ausstellung. Um es gleich vorweg zu nehmen, den Speyer Museumskuratoren ist wirklich ein großer Wurf gelungen: Über 500 Exponate aus bedeutenden Museen im In- und Ausland konnten sie in sicherlich schwierigen Verhandlungen generieren und – leider nur für 6 Monate – im Historischen Museum der Pfalz eindrucksvoll in einen wissenschaftlichen, aber auch für Laien gut verständlichen Zusammenhang setzen. Gezeigt wird – anschaulich aufbereitet – in ihrem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext eine Vielzahl von chirurgischen Instrumenten, wie Knochensägen, Zangen oder Skalpelle. Genauso wie Schröpfköpfe und Klistierspritzen, die eher der Krankenpflege zuzuordnen sind. Bemerkenswert sind auch die ausgestellten Apothekengeräte, Mörser, farbige Tiegel, wie auch teils skurrile Arzneimittel: Wer nahm früher wohl gerne Pulver von gemahlenen Mumien ein? Hinzu kommen Amulette, Schrifttafeln oder bibliophile Kostbarkeiten, ausgestellt ist hier die 2. Auflage von Andreas Vesals epochalem Anatomiewerk „De humani corporis fabrica libri septem“.

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    Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz. (Abb.: Dr. Hartmann)
    Wichtig war den Kuratoren auch der Hinweis auf die Bedeutung der Zusammenarbeit und Beeinflussung der Heilkunde über kulturelle Grenzen hinweg: Die ersten abendländischen Medizinschulen im frühen Mittelalter erwarben ihre Kenntnisse aus der arabischen Medizin, die ihrerseits die wichtigsten Transkribienten antiker Medizinquellen hervorbrachte. Wie ein roter Faden durchzieht die Ausstellung der transzendentale Bezug der Heilkunde in nahezu allen Kulturen. Glaube, Liebe, Hoffnung waren stets Fixpunkte und Koordinaten von Gesellschaften ohne tiefergehende Kenntnisse von Körper, von physiologischen Prozessen wie auch von Krankheiten und ihren Ursachen. Im Hinblick auf die heutige Corona-Lage sind selbstverständlich auch Infektionskrankheiten und ihre Auswirkungen auf die Menschen in der Geschichte, ein besonders unerfreuliches Sujet, thematisiert worden.

    Leider ist das Historische Museum der Pfalz mit seinem „Medicus“ durch die Limitierungen des Corona-Virus lange geschlossen gewesen. Die Ausstellung öffnet nach heutigem Stand am 5. September wieder und ist nach Rücksprache mit den Leihgebern bis Juni 2021 verlängert worden. Am Ende der spannenden Ausstellung reift bei den Besuchern doch die Erkenntnis, wie schwer seit Anbeginn der Menschheit unsere Vorfahren gelitten haben müssen, an heute banal erscheinenden Krankheiten und noch vielmehr an der Vielzahl ernster Leiden – und ihrer Behandlung.  

    Flottenarzt Dr. Volker Hartmann, SanAkBw

    Datum: 21.09.2020

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