18.10.2017 •

Food Defense - Sabotage der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung als neue Bedrohung für die Bundeswehr? ​

Aus der Unterabteilung IV – Veterinärwesen – (Leitender Veterinär der Bundeswehr: Oberstveterinär Dr. L. Buchner) des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Befehlshaber und Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel)​

Zusammenfassung

In den letzten Jahren hat die Bedrohung durch terroristische Anschläge stetig zugenommen. Dabei geht die Gefahr nicht nur von konventionellen Waffen wie Sprengkörpern aus, sondern auch andere Mittel, mit denen wirkungsvoll eine größere Anzahl Menschen geschädigt werden kann, können eingesetzt werden. Dazu gehört insbesondere die vorsätzliche und böswillige Verunreinigung von Lebensmitteln und Trinkwasser mit chemischen, physikalischen oder biologischen Kontaminanten.

Auch – oder besonders im militärischen Bereich – sind daher Food Defense-Maßnahmen, also Maßnahmen zur Vorbeugung von Lebensmittelsabotage, essenziell. Diese sind angelehnt an das Hazard Analysis and Critical Control Points (HAACP)-Konzept, legen den Schwerpunkt jedoch auf die Bewertung der Bedrohungslage. Da nationale rechtlich verbindliche Vorgaben – außer in den USA – größtenteils fehlen, ist nun im Rahmen der NATO-Standardisierung die Allied Medical Publication (AMedP) 4.12. „Food Defense“ verfasst worden, um zumindest bei NATO-Operationen einen verbindlichen Standard für entsprechende Maßnahmen zu haben.

Stichworte: Lebensmittelsabotage, nicht-konventionelle Waffen, HACCP, Food Defense, NATO-Standardisierung

Keywords: Food sabotage, non-conventional weapon, HACCP, Food Defense, NATO-Standardization


Einleitung

Die Bedrohung der (militärischen) Sicherheit durch nicht-konventionelle „Waffen“ ist nicht neu. Bereits in der Antike gab es Anschläge auf das Gemeinwohl durch die Vergiftung von Brunnen oder Getreide. Dennoch wurde die Bedeutung der Gefahr einer böswilligen Verunreinigung von Lebensmitteln und Trinkwasser mit biologischen oder chemischen Agenzien lange Zeit sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich unterschätzt. Erst im Zuge zunehmender terroristischer Angriffe in den vergangenen Jahren rückte das Thema Lebensmittelsabotageschutz, „Food Defense“, stärker in das Bewusstsein. Insbesondere im militärischen Einsatz, wenn für die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser auch auf örtliche Ressourcen zurückgegriffen werden muss, ist die Prävention vorsätzlicher Kontaminationen ein wesentlicher Bestandteil der Eigensicherung. Ergänzend zu den bereits bestehenden Risikoanalysen und Präventionsmaßnahmen im Rahmen der Lebensmittelsicherheit, den sogenannten HACCP-Systemen, sollen daher spezielle Verfahren entwickelt werden, die die vorsätzliche Verunreinigung von Lebensmitteln weitestgehend verhindern. 

Für den militärischen Bereich sind vor allem die Vorgaben der NATO von Bedeutung. Die Erweiterung des Standardization Agreement (STANAG) 2556 „Food Safety, Defense and Production in Support of NATO Operations“ im Bereich Food Defense stellt zukünftig eine verbindliche Vorgabe für alle unterzeichnenden Nationen im Rahmen von NATO-Operationen dar. Die NATO-Partner sind dadurch angehalten, entsprechende Food Defense-Systeme zu etablieren, notwendiges Material bereitzustellen und ihr Personal ausreichend auszubilden, damit dieser verbindliche NATO-Standard bei internationalen Übungen und Einsätzen erfüllt werden kann.

Food Defense: Definition und Abgrenzung

Food Defense beschreibt den Produktschutz von Lebensmitteln vor geplanter, vorsätzlicher Kontamination oder Verfälschung durch biologische, chemische, physikalische oder radioaktive Substanzen im Rahmen eines Sabotageaktes oder eines terroristischen Angriffs. Dabei werden auch die relevanten physikalischen, personellen sowie operativen Sicherheitsmaßnahmen betrachtet.

Von Food Defense abzugrenzen sind dagegen die Begriffe Lebensmittelsicherheit (Food Safety), Ernährungssicherheit (Food Security), Schutz der Lebensmittelkette (Food Protection) sowie Lebensmittelqualität (Food Quality).

Food Safety, die Lebensmittelsicherheit, wird am häufigsten mit Food Defense verwechselt beziehungsweise dieser fälschlicher Weise gleichgesetzt. Der elementare Unterschied ist jedoch, dass es sich hierbei um Maßnahmen zum Schutz vor unbeabsichtigten Kontaminationen handelt. Allgemein sind damit alle Maßnahmen im Rahmen des Verbraucher- und Täuschungsschutzes gemeint. Dazu hat nahezu jeder Betrieb ein erprobtes Präventionssystem, das sogenannte HACCP-Konzept, etabliert. Ziel dieses Konzeptes ist es, Schwachstellen in Unternehmen der Lebensmittelproduktion, -vermarktung und -logistik durch eine systematische Gefahren- und Risikoanalyse zu identifizieren und zu beseitigen oder zumindest auf ein tolerierbares Maß zu reduzieren, um eine ungewollte Kontamination von Lebensmitteln durch biologische, chemische oder physikalische Agenzien weitestgehend zu vermeiden.

Food Security beschreibt die Ernährungssicherheit im Sinne einer Versorgungssicherheit, die allen Menschen den Zugang zu ausreichend Lebensmitteln in guter Qualität ermöglicht, die für ein gesundes und aktives Leben essenziell sind.

Food Protection definiert als Oberbegriff allgemein den Schutz der Lebensmittelkette und besteht aus den Bausteinen Food Safety und Food Defense. 

Food Quality schließlich umfasst die Qualitätskriterien, die ein Lebensmittel für den Verbraucher akzeptabel machen. Dazu gehören äußerliche Merkmale, wie Aussehen (Farbe, Form, Größe), Konsistenz, Textur, Geruch und Geschmack, interne Merkmale, wie chemische, physikalische und mikrobiologische Beschaffenheit sowie marktrechtliche Vorgaben (z. B. Güteklassen).

Historie und Entwicklung

Food Defense-Fälle, genauer gesagt Sabotage bzw. vorsätzliche Kontaminationen von Lebensmitteln oder Trinkwasser, sind kein neues Phänomen. Man verstand darunter lange Zeit in erster Linie die sogenannten ökonomisch motivierten Verfälschungen (Economically Motivated Adulterations, EMA), also gezielte Aktionen zur kriminellen Steigerung des Profits, und Erpressungen sowie typische Fälle von Industriespionage. In den USA wurde bereits 1906 der „US Pure Food and Drug Act“ erlassen, der der erste einer Reihe von Gesetzen zum Verbraucherschutz war und schließlich zur Gründung der Food and Drug Administration (FDA) führte. Zeitgleich entstand der „Meat Inspection Act“, der wiederum die Entstehung des Food Safety and Inspection Service nach sich zog. Der US-Kongress verabschiedete 1938 den „Food, Drug and Cosmetics Act“, nachdem es zu einer Verfälschung von Lebensmitteln mit Diethylenglykol gekommen war, die etliche Todesfälle verursachte. 

Seitdem hat es vielfältige Food Defense-Fälle gegeben. Eine exemplarische Auswahl ist in Tabelle 1 dargestellt.

Seit dem 11. September 2001 spielt neben diesen „klassischen“ Motiven zunehmend die Angst vor Terrorismus eine Rolle. Mit dem „Public Health Security and Bioterrorism Prepardness and Response Act 2002 (Bioterrorism Act 2002) “ wurde das Food Defense-Konzept erstmals in der US-amerikanischen Gesetzgebung etabliert. Primäres Ziel des Konzeptes sollte die Vermeidung absichtlicher, mutwilliger Kontaminationen von Lebensmitteln auf allen Stufen der Produktion und Vermarktung sein. 

Auf Initiative der US-Amerikaner und Kanadier hat nun auch die NATO die Forderung nach einem Food Defense-Konzept für den militärischen Bereich aufgegriffen und mit der AMedP-4.12 „Food Defense“ in die STANAG 2556 „Food Saftey“ integriert. Mit der Ratifizierung kann im 1. Quartal 2018 gerechnet werden.

In Europa ist das Thema Food Defense noch relativ neu und bislang auch noch nicht gesetzlich geregelt. Nach dem 11. September 2001 wurde zwar das „Health Security Committee (HSC)“ der EU gegründet, das die Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung effektiver Krisenmanagementsysteme unterstützen und den multinationalen Austausch bei Public Health-Krisen koordinieren soll, jedoch fehlen rechtlich verbindliche, einheitliche Grundlagen und Handlungsanweisungen v. a. in Bezug auf Sabotagevorfälle. Hierzu wäre eine Implementierung der Food Defense-Thematik in das Hygiene-Paket der EU notwendig und sinnvoll.

Tab. 1: „Klassische“ Food Defense-Fälle



Rechtsgrundlagen und normative Grundlagen

In Europa ist Grundlage der allgemeinen Lebensmittelsicherheit die Basisverordnung EU/VO 178/2002, die jedoch primär die Lebensmittelsicherheit im Sinne des Verbraucherschutzes zum Inhalt hat. Der Schwerpunkt liegt demnach auf Food Safety und weniger auf Food Defense. Bezug zu Food Defense haben jedoch die Artikel 6 (Risikoanalyse), 7 (Vorsorgeprinzip), 14 (Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit), 18 (Rückverfolgbarkeit) und 19 (Verantwortung für Lebensmittel: Lebensmittelunternehmen). Damit wird der Lebensmittelunternehmer verpflichtet, durch regelmäßige Risikoanalysen und Sicherheitsvorkehrungen dafür zu sorgen, dass nur sichere, das heißt gesundheitlich unbedenkliche, Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Durch das Prinzip der Rückverfolgbarkeit wird der Weg jedes Lebensmittels nachvollziehbar, so dass ein schnelles Eingreifen bei vermuteten Gefahren sichergestellt ist.

2007 wurde dann im Zuge der wachsenden terroristischen Bedrohung das Grünbuch der EU zur Biogefahrenabwehr veröffentlicht, welches sich jedoch sehr allgemein mit dem Thema Bioterrorismus beschäftigt und keine Vorsichtsmaßnahmen oder Handlungsanweisungen speziell für den Lebensmittelsektor enthält. 

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat in Zusammenarbeit mit weiteren Bundesbehörden im Jahr 2011 ein Handbuch „Beitrag zur frühzeitigen Erkennung bioterroristischer Angriffe auf die Lebensmittelkette“ erstellt. Ziel und Zweck dieses Handbuches ist es, das Bewusstsein bei der Lebensmittelüberwachung für Präventionsmaßnahmen zur Abwehr von und zur schnellen Reaktion bei bioterroristischen Angriffen auf die Lebensmittelkette zu schärfen. In diesem Handbuch werden die verschiedenen potenziellen Agenzien beschrieben, mögliche Wege des Eintrags in die Lebensmittelkette, Diagnostik, Gefahrenpotential sowie weiterer Forschungsbedarf dargestellt. Dieses Handbuch bietet den zuständigen Behörden den notwendigen Rahmen und die notwendigen Hintergrundinformationen, um auf entsprechende Fragestellungen reagieren zu können. Allerdings wird der Aspekt chemischer Agentien außer Acht gelassen, obwohl es auch in diesem Bereich viele hochpotente Giftstoffe gibt, die schon in geringen Dosen fatale Wirkungen haben können.

Die o. g. Regelungen stellen jedoch keine solide gesetzliche Grundlage dar. Auch fehlen Regelwerke zu Food Defense in der DIN-/ISO-Normen-Systematik. Die vorhandenen branchenbezogenen Normen entstammen Zertifizierungen von Eigenmarken des Handels. Zu den international anerkannten Zertifizierungsstandards für die Lebensmittelsicherheit gehören die IFS (International Featured Standard)- und BRC (British Retail Consortium)-Standards der Global Food Safety Initiative (GFSI). In der Version 7.1 GFSI Guidance Document (GFSI 7, 2017) ist das Food Defense-System verbindlicher Bestandteil des Anforderungskataloges und soll folgende Punkte berücksichtigen:

  • ein dokumentiertes Risikobewertungsverfahren für Food Defense-Risiken,
  • Aufstellung, Einführung und Aufrechterhaltung eines Systems zur Identifizierung und Ausschaltung von Risiken sowie
  • GAP (Good Agricultural Practice) und GMP (Good Manufactoring Practice), unterstützt von einem Lebensmittelsicherheitssystem. 

Die Vorgaben stellen recht hohe Anforderungen an die Lebensmittelbetriebe und sind relativ detailliert, jedoch nicht rechtlich bindend.

Im Gegensatz zu den eher spärlichen Vorgaben in Europa gibt es in den USA seit Jahren gesetzliche Vorgaben, Leitlinien und Empfehlungen. Im Jahr 2002 erließ Präsident G.W. Bush den sogenannten Bioterrorism Act (BT Act), den „Public Health Security and Response Act of 2002“. Er beinhaltet grundlegende Regeln und Instrumente zum Schutz kritischer Infrastrukturen und die Schaffung einer Produktschutzsystematik. Des Weiteren werden Maßnahmen zum Schutz der Lebensmittel- und Medikamentenversorgung, d. h. Sicherheits- und Schutzstrategien, behördliche Kontrollen, Inspektionen und Überwachung, Registrierung von Betrieben, Überwachung von Zoonosen, biologische Sicherheit, Bioterrorismusforschung u. a. geregelt.

Ein analoger Abschnitt befasst sich mit Trinkwasserhygiene und -sicherheit bzw. Water Defense.

Mit dem Food Safety Modernization Act (FSMA) wurde die Forderung nach einem Food Defense-System im Jahr 2011 erstmalig in den USA gesetzlich verankert. Ziel war der Aufbau eines risikobasierten, präventionsorientierten Lebensmittel-Sicherheitssystems mit dem Schwerpunkt auf der Vor- statt auf der Nachsorge und die Entwicklung neuer Methoden für ein gesundes und sicheres System der Lebensmittelproduktion. In Section 106 des FSMA findet sich dann auch die Forderung nach Schutz von Lebensmitteln vor vorsätzlicher Verunreinigung. Mit der seit Mai 2016 gültigen “Final Rule for Mitigation Strategies to Protect Food against Intentional Adulteration” wurden diese Forderungen abermals konkretisiert. 

Aktuell besteht der Bedarf nach einem Food Defense-System im zivilen Bereich daher vor allem bei europäischen Lebensmittelherstellern, die in die USA exportieren bzw. amerikanische Firmen beliefern wollen, oder die Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung einer Zertifizierung nach den Standards IFS Food (Vers. 6) (International Featured Standard Food, 2014, Vers. 7 2017 geplant), BRC 7 (BRC Global Standard for Food Safety 2015, Verband britischer Einzelhändler) oder FSSC 22000 (Food Safety System Certification 22000) nachkommen müssen, sowie deren Zulieferern und Transporteuren. Gleiches gilt außerdem für Lieferanten der NATO. 

Implementierung von Food Defense-Systemen

Zentraler und wichtigster Punkt bei der Etablierung eines erfolgreichen Food Defense-Systems in einem Betrieb ist die Sensibilität der Verantwortlichen für die Sabotage-Problematik und die jeweilige Bedrohungslage. Die Implementierung erfolgt letztlich analog zu den bekannten HACCP-Konzepten, zumal sich beide Bereiche vielfach überschneiden bzw. CCPs (kritische Kontrollpunkte) des HACCP-Konzeptes auch im Food Defense-System mögliche Kontrollpunkte für die Schwachstellenanalyse darstellen.

Die FDA hat Richtlinien zur Einrichtung eines Food Defense-Systems für alle Akteure der Lebensmittelkette geschaffen. Zu den etablierten Verfahren gehören

  • CARVER (Criticality = Gefährlichkeit; Accessibility = Zugänglichkeit; Recuperability = Wiederherstellung; Vulnerability = Verletzbarkeit; Effect = Auswirkung; Recogniability = Erkennbarkeit): Basisanalyse der bestehenden Gegebenheiten;
  • VACCP-System (Vulnerability Analysis Critical Control Points): Schwachstellenanalyse und Festlegung kritischer Kontrollpunkte; der Aufbau entspricht dem klassischen HACCP-Konzept, allerdings mit einem Schwerpunkt auf der Sicherheit der Betriebsstätte;
  • TACCP-System (Threat Assessment Critical Control Points): ebenfalls eine Identifizierung und Festlegung kritischer Lenkungspunkte mit dem Schwerpunkt auf einer möglichen Bedrohung. 

Der größte Unterschied zum HACCP-Konzept besteht in der Quantifizierung des Risikos unter Berücksichtigung der Bedrohungslage. Das HACCP-Verfahren betrachtet ausschließlich die Gefahrenhäufigkeit und -gewichtung innerhalb des Produktionsprozesses, während Food Defense-Systeme immer im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext gesehen werden müssen. Wichtigste Bausteine der Präventionsmaßnahmen sind daher die Sicherung der Zufahrtswege, die Zuverlässigkeit des Personals und der Zulieferer, die Überwachung der Lagerverwaltung und des Produktionsablaufes zur Vermeidung von Kontaminationen sowie die Sicherung des Transports und der Verteilung der Waren.

Die wesentlichen Fragen im Rahmen der Verwundbarkeits- und Schwachstellenanalyse des Standortes und der Produktion sind:

  • Was könnte für einen Anschlag in Frage kommen?
  • Wer könnte welche Motivation haben?
  • Welche Wege könnten als Zugang genutzt werden?
  • Wie könnte der Zugang erfolgen und welche vorbereitenden Maßnahmen wären notwendig?
  • Welche Agentien und Methoden könnten für einen Anschlag genutzt werden?
  • Welche Schäden könnten entstehen (direkt bzw. indirekt)?
  • Welche sonstigen Folgewirkungen könnte ein Anschlag nach sich ziehen? 

Anhand der sich ergebenden Antworten muss eine Risikobewertung (Thread Analysis) erfolgen und schließlich die Verteidigungsstrategie und das daraus abgeleitete Krisenmanagement erarbeitet werden.

Bestandteile und Struktur von Food Defense-Systemen


1. Management

Im zivilen Bereich legt das Management den Grundstein eines funktionierenden Food Defense-Systems. Nur wenn in der Unternehmensleitung das Bewusstsein für potenzielle Angriffe auf die Lebensmittelkette besteht, kann diese Politik auch innerhalb des Betriebes vermittelt werden. Dazu müssen Ressourcen bereitgestellt, Kontroll- und Berichtsverfahren entwickelt und sensible Daten und Informationen adäquat geschützt werden.

Übertragen auf die Streitkräfte bedeutet dies vor allem die Sensibilisierung der militärischen Führung für das Thema Food Defense. Das Sicherheitsverständnis beschränkt sich bisher im Regelfall auf die Sicherung von Gebäuden und militärischer Ausrüstung, weniger auf den Schutz der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung. Im Gegenteil, gerade in diesem Bereich wird in Einsatzgebieten oft auf lokale Anbieter zurückgegriffen, ohne im Vorfeld umfassende Informationen über die Produktions- und Lieferbedingungen einzuholen. Hier muss das Bewusstsein der militärischen Führungskräfte für die Verwundbarkeit der Lebensmittelkette geschärft werden, um in der Logistik entsprechende Maßnahmen zu erwirken.

2. Food Defense-Verfahren

Zunächst legt das Management ein Food Defense-System fest und führt anschließend die Verwundbarkeitsanalyse sowie die Risikobewertung durch, um mögliche Schwachstellen zu identifizieren und zu bewerten. Anschließend müssen Verfahren für das Monitoring, mögliche Korrekturmaßnahmen, ein Krisenmanagementsystem sowie ein Schulungs- und Trainingsplan für das Personal etabliert werden.

Des Weiteren sind auch operative Food Defense-Verfahren umzusetzen, die eine Erhöhung der physikalischen Sicherheit, die Verarbeitungs- und Zubereitungssicherheit, den Datenschutz und die Dokumentation, Rückverfolgbarkeit und Rücknahme sowie Personenüberprüfung und Einstellungsverfahren umfassen. Für alle Teilprozesse des Food Defense-Verfahrens gilt selbstverständlich eine detaillierte Dokumentationspflicht.

Für den militärischen Bereich bedeutet dies eine enge Zusammenarbeit der militärischen Führung mit den Sanitätsoffizieren der öffentlich-rechtlichen Überwachung sowie den Lebensmittelunternehmern (z. B. Verpflegungsamt, externe Caterer) und der Logistik.

3. Physikalische Sicherheit

Die physikalische Sicherheit ist das zentrale Element von Food Defense-Systemen, um Anschläge auf die Lebensmittelkette von vorneherein zu verhindern. Wesentlicher Bestandteil ist daher das Werkschutzkonzept, das i. d. R. aus drei „Schutzgürteln“ (äußerer Zaun, innerer Zaun, Zugangsbeschränkungen) und abschreckenden Maßnahmen (z. B. Kenntlichmachung von Schutzmaßnahmen, Hinweisschildern, Überwachungsmaßnahmen, Kameras, Beleuchtung u. a.) besteht, damit ein Eindringen in den sensiblen Produktionsbereich gar nicht erst möglich ist. Dabei muss zunächst eine genaue Identifikation und Bewertung der Problembereiche (Ver- und Entsorgung, Anbindung der Primärproduktion, Versorgungsgänge, Luken, Klappen, Nachbargebäude) erfolgen, um anschließend effektive Schutzmaßnahmen zu identifizieren. Um die Attraktivität für potenzielle Aggressoren zu verringern, sollten Hinweise auf den Eigentümer, Materialwerte und kritische Bereiche vermieden werden. Militärische Liegenschaften sind im Allgemeinen und in Auslandseinsätzen im Besonderen nach außen gut geschützt und bewacht, so dass in diesem Punkt eher weniger Handlungsbedarf besteht.

4. Anlagen und Prozesse 

Grundsätzlich eignen sich alle Einrichtungen und Anlagen sowie alle Prozesse oder Prozessparameter zur Manipulation. Unterschiede ergeben sich allein aus den individuellen Gegebenheiten der einzelnen Betriebsstätten. Für die Kontamination von Lebensmitteln kommen sowohl Chemikalien als auch biologische (Mikroorganismen) oder physikalische (z. B. Glassplitter) Agenzien in Frage. 

Für die Streitkräfte bedeutet dies, dass, nach der Überprüfung der Warenherkunft und des Wareneingangs, vor allem auch die Lagerung, Zubereitung und Ausgabe von Lebensmitteln überwacht und das zuständige Personal kontrolliert werden muss. 

5. Materialien und Stoffe

In die Risikoanalyse sind alle Stoffe miteinzubeziehen, angefangen bei den Ausgangsmaterialien über Labor- und Hilfsstoffe, Zutaten, eventuelle Zwischenprodukte bis hin zu Verpackungen und Abfällen. Die Bewertung erfolgt auf Grundlage der jeweiligen Eigenschaften, der Möglichkeit der Manipulation und der Erkennbarkeit einer solchen sowie der Eignung als Agens für einen Anschlag. 

Zu den sichernden Maßnahmen gehören die Prüfung der Herkunft der Materialien – inklusive Lieferbedingungen –, der Transportwege und der Lagerung, die Erfassung der Lagermengen sowie die Zugangsbeschränkung zu den entsprechenden Lager- und Verarbeitungsräumen.

Für die Streitkräfte bedeutet dies, dass besonders im Auslandseinsatz eine gründliche Sicherheitsüberprüfung externer Lieferbetriebe notwendig ist, um mögliche Kontakte zu terroristischen Gruppierungen auszuschließen.

6. Transport und Verkehr

Der Transport stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, da der Inhalt aufgrund der Fahrzeugbauweise und Beschriftung häufig leicht erkennbar ist und die Fahrzeuge selten durchgängig zugangs- und manipulationssicher abgestellt (Abstell-/Parkplätze, unbeaufsichtigtes Abstellen über das Wochenende) werden können. Hinzu kommt, dass aufgrund des enormen Kostendrucks im Transportgewerbe häufig „billige“ Arbeitskräfte tätig sind, bei denen oft Sprachbarrieren und mangelnde Sensibilität oder einfach Unkenntnis im Bereich Food Defense existieren. 

Food Defense-Systeme gibt es zwar auch für das Transportgewerbe (IFS Logistik ab Version 2, AEO 2011, Leitlinie 2005, ISO 28000fff), und besonders international tätige, große Transportunternehmen müssen solche nachweisen. Kleine Unternehmen verzichten jedoch häufiger aus Kostengründen auf die Umsetzung entsprechender Vorgaben und somit auf die Zertifizierung.

Zu den Maßnahmen im Rahmen der Verwundbarkeitsanalyse und Risikobewertung gehört unbedingt die Information über die Zuverlässigkeit der Transporteure und Fahrer, deren Transportwege, Zwischenlager und angewandte Sicherung an Fahrzeugen, Produkten. usw. sowie die Begutachtung der Fahrzeuge und deren Abstellmöglichkeiten.

Gerade der Transport „harmloser“ Lebensmittel bietet die Möglichkeit, in gut bewachte militärische Liegenschaften einzudringen und einen Anschlag zu verüben. Daher ist hier eine intensive, risikoorientierte Fahrzeugkontrolle von essenzieller Bedeutung.

7. Rückverfolgbarkeit, Rücknahme- und Rückrufverfahren

Hier müssen bereits etablierte Verfahren der Lebensmittelsicherheit (z. B. HACCP) auf ihre Eignung unter dem Aspekt Food Defense geprüft werden, da sich Food Defense und Food Safety in vielen Bereichen überschneiden. Besonders wichtig ist es, nicht nur die Up- und Downstream-Rückverfolgbarkeit zu prüfen, sondern auch Quervernetzungen zu Rohwaren und Zwischenprodukten zu berücksichtigen und die Maßnahmen entsprechend anzupassen. Rückruf- und Rücknahmeverfahren müssen transparent und zeitnah eingeleitet und alle notwendigen Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Auch innerhalb der Streitkräfte müssen daher Rücknahme- oder Rückrufaktionen der Lebensmittelunternehmen verfolgt und der Warenkorb auf das Vorhandensein betroffener Produkte untersucht werden. 

8. Daten und Informationen, Post

Obwohl oder gerade weil sich die Informationsweitergabe heute immer schneller und globaler entwickelt, wird das Risikopotenzial auf diesem Gebiet häufig unterschätzt. Deshalb ist der Schutz der Informations- und Datenintegrität sowie der Funktionsfähigkeit der EDV-Systeme und Kommunikationsanlagen ein essenzieller Bestandteil jedes Food Defense-Systems. Aufgrund der Vereinfachung der Steuerung und Überwachung verfügen heute viele Maschinen in der Lebensmittelproduktion über einen WLAN-Router, der im Umkehrschluss theoretisch auch für Manipulationen der Geräte genutzt werden kann. Denkbar wäre z. B. das Einbringen eines pathogenen Mikroorganismus in die Rohware und anschließende Manipulation des nachfolgenden Erhitzungsschrittes, der häufig einen CCP darstellt. Durch die Reduktion der Erhitzungstemperatur würde somit keine Abtötung der Mikroorganismen erfolgen, und die Kontamination bliebe bestehen. Weitere Möglichkeiten, EDV-Systeme für Anschläge zu nutzen, wären u. a. die Manipulation von Lieferlisten oder die Veränderung von Rezepturen, um durch einen Produktionsausfall die Versorgungskette zu unterbrechen. Dies wäre beispielsweise eine relativ einfache Möglichkeit, die Streitkräfte zu schädigen. Speziell im Ausland, wenn die Versorgungswege häufig schwierig und auf wenige Routen beschränkt sind, kann die Manipulation von Bestell- oder Lieferlisten schnell zu einem Mangel an Lebensmitteln oder Trinkwasser führen, mit entsprechenden Folgen.

Auch der normale Postverkehr muss als potenzieller Vektor für Anschläge (Briefbomben, Anthrax) berücksichtigt werden. Insbesondere über die Feldpost werden häufig „Care-Pakete“ mit Lebensmitteln aus der Heimat verschickt, die dann kameradschaftlich geteilt werden. Kontaminierte Lebensmittel werden auf diese Weise schnell und zum Teil auch schwer nachvollziehbar verteilt.

9. Menschen

Hier geht es vor allem um den Konflikt zwischen Sicherheitsbedürfnis, Vertrauensverhältnis und Wahrung von Persönlichkeitsrechten. Sowohl Mitarbeiter als auch Zeitarbeiter, Besucher, Lieferanten oder Kunden haben Zugang zum Betrieb und gegebenenfalls auch zu kritischen Bereichen und damit theoretisch die Möglichkeit, selbst Kontaminanten in die Produktion einzubringen oder sensible Informationen weiterzugeben und so die Lebensmittelsicherheit zu gefährden. Ausführliche Hintergrundprüfungen bei der Einstellung neuer Mitarbeiter (Führungszeugnis), Überwachungsvorkehrungen entlang der Produktionslinie und vorbeugende Verfahren bei der Entlassung von Mitarbeitern können das Risiko deutlich reduzieren.

Falls es erforderlich ist, können das Mitführen persönlicher Gegenstände in den Arbeitsbereich untersagt und Personenkontrollen an den Ein- und Ausgängen durchgeführt werden. 

Vor allem bei längerfristigen Auslandseinsätzen wird häufig auf einheimisches Unterstützungspersonal zurückgegriffen. Auch wenn bereits aufgrund der militärischen Vorgaben intensive Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden, müssen insbesondere bei dem Personal, das Zugang zu Lebensmitteln hat, regelmäßige Kontrollen vorgenommen und ggf. Überwachungsvorkehrungen im Produktionsbereich installiert werden. Es sollte daher beachtet werden, „Locals“ nur für bestimmte Aufgaben einzusetzen und das Tragen von Arbeitskleidung vorzuschreiben, um das Einbringen potenzieller Kontaminanten, versteckt unter weiter Kleidung, zu verhindern.

10. Qualifikation, Schulung, Training, Drill und Übung

Regelmäßige Schulungen und teambildende Maßnahmen dienen der Förderung des Risikobewusstseins und stärken das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen. Daher müssen alle Mitarbeiter, inklusive des Führungspersonals und der Zeitarbeiter, regelmäßig an Fortbildungen zum Thema Food Defense teilnehmen, um sich auf dem Laufenden zu halten und das Bewusstsein für mögliche Risiken zu schärfen. Hierbei können auch Mitarbeiter von Fremdfirmen oder benachbarten Unternehmen, Behörden oder Katastrophenschutzeinrichtungen mit einbezogen werden, um einen Erfahrungsaustausch zu gewährleisten.

Im Bereich der Streitkräfte müssen zunächst alle im Bereich der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung Tätigen geschult sein und über die entsprechende Qualifikation verfügen. Des Weiteren ist aber auch die Bewusstseinsbildung bei der Führung wie auch bei jedem einzelnen Soldaten und zivilen Mitarbeiter unerlässlich, um die Sensibilität für die Problematik und mögliche Gefahren zu wecken. Gerade im militärischen Bereich gehören Schulungen, Training und Drill zum Alltag und sollten um das Thema Food Defense erweitert werden.

Vorschriftenlage in der NATO – mögliche Grundlage für die Bundeswehr

Das Committe of Chiefs of Military Medical Services (COMEDS) ist das Gremium der höchsten Vertreter alles Sanitätsdienste der NATO. Es fungiert als zentrale Stelle für Entwicklung und Koordinierung militärmedizinischer Angelegenheiten und stellt mit verschiedenen Expertengruppen (Working Groups und Expert Panels) für die jeweiligen Fachgebiete die medizinische Beratung des NATO-Militärausschusses sicher. Das Expert Panel FWSVS (Food and Water Safety and Veterinary Support) erarbeitet die für die NATO gültigen STANAG für den Bereich Lebensmittel- und Trinkwasser sowie Veterinärmedizin. 

Zu den aktuell ratifizierten STANAG in diesem Bereich gehören das STANAG 2937 „Requirements of Operational Rations” (AMedP – Allied Medical Publication – 1.11, 1.18), das STANAG 2136 „Minimum Standards Water Potability during Field Operations” (AMedP 4.9) und das STANAG 2556 „Food Safety, Defense and Production in Support of NATO Operations” (Audits, NATO Dining Facilities, Inspection Standard; AMedP 4.5, 4.6, 4.7).

Eine Arbeitsgruppe unter kanadischer Leitung hat sich im Frühjahr 2015 intensiv mit Food Defense beschäftigt und schließlich ein Dokument zu diesem Thema erarbeitet, das als AMedP 4.12 Teil des STANAG 2556 werden wird. In einem zweiten Schritt werden die AMedPs 4.5 (Audits) und 4.7 (Inspection Standards) um entsprechende Food Defense-Anteile erweitert, soweit Überschneidungen vorliegen. Seit Juni 2017 befindet sich die STANAG 2556 Edition 2 mit den geänderten Dokumenten und der Ergänzung durch die AMedP 4.12 bei der NSO zur Prüfung und Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten.

NATO Standard AMedP 4.12: Food Defense 

Die AMedP 4.12 definiert Food Defense wie folgt: „Food Defense involves the precautions taken to prevent intentional contamination of food/water or food/water supply by individuals or groups that want to inflict harm to NATO operations“.

Die AMEdP 4.12 enthält Grundsätze und Maßnahmen der Food Defense, die einer absichtlichen Kontamination von Lebensmitteln und Trinkwasser während NATO-Missionen entgegenwirken sollen. Vorgabe ist es, dass jede NATO-Operation einen schriftlichen Food Defense-Plan hat, der auf einer Verwundbarkeitsanalyse mit anschließender Risikobewertung basiert.

Kapitel 1 behandelt zunächst die Food Defense-Grundsätze und Verantwortlichkeiten, Rückruf und Rückverfolgbarkeit, das Aufklärungsprozedere bei Manipulationsverdacht, Inspektionen und Audits, das Krisenmanagement und den Notfallplan sowie die Gefährdungsbeurteilung und die Erstellung des Food Defense-Plans für jedes Lebensmittelunternehmen der NATO einschließlich der Vertragspartner. In diesem Kapitel wird auch die Verantwortung für das gesamte Food Defense-Konzept des Einsatzes eindeutig der militärischen Führung, einschließlich der Fachexpertise aus den Bereichen Sanitätsdienst, Logistik und Militärische Sicherheit, zugeordnet, während der Küchenmeister für die Überwachung des täglichen Betriebs zuständig ist.

Kapitel 2 beschreibt die folgenden vier Bereiche, die unter Food Defense-Gesichtspunkten genauer betrachtet und für die Maßnahmen festgelegt werden müssen. Die Überwachung der Wirksamkeit der Food Defense-Maßnahmen erfolgt regelmäßig im Rahmen der regulären Audits.

1. Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung

Lebensmittel und Trinkwasser müssen von anerkannten „Quellen“ kommen, das heißt, die Herkunft muss auf Ebene der Produktion kontrolliert und nach STANAG 2556, AMedP 4.5 oder entsprechenden amerikanischen oder europäischen Standards auditiert sein. Die Rückverfolgbarkeit muss jederzeit gegeben und schriftlich belegt werden. Lokale Betriebe sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Informationen über die Herkunft von Lebensmitteln müssen mindestens 6 Monate aufbewahrt werden und auf Verlangen den Lebensmittelkontrolleuren oder Veterinären während eines Audits vorgelegt werden. Lebensmittel, die außerhalb militärischer Liegenschaften hergestellt und gelagert werden, dürfen nur dann in den Verantwortungsbereich der NATO verbracht werden, wenn sie in einem geprüften und als sicher beurteilten Unternehmen erworben werden. 

2. Lebensmitteltransport

Der Lebensmitteltransport darf ebenfalls nur durch autorisiertes Personal als militärischer Transport oder durch zertifizierte Vertragsunternehmen erfolgen. Die Sicherheit der Lebensmittel muss permanent gewährleistet und dokumentiert sein, das heißt, Fahrzeuge müssen permanent (beispielsweise mit einer Plombe) verschlossen werden und dürfen nur auf bewachten Parkplätzen abgestellt werden.

3. Physikalische Sicherheit von Lebensmittelunternehmen

Rund um die Gebäude und auch auf dem Dach müssen Sicherheitsvorkehrungen installiert sein, die ein unbefugtes Betreten des Betriebsgeländes verhindern (Zäune, Kameras, Sicherheitspersonal, Beleuchtung usw.). Auch der Bereich der Warenanlieferung und -verladung sowie der Produktion müssen entsprechend überwacht werden. Für den eigentlichen Werksbereich müssen Zugangsbeschränkungen und -kontrollen bestehen. Lagerräume sowohl für Chemikalien und andere Hilfsstoffe als auch für die produzierten Lebensmittel oder ihre Zwischenstufen müssen ebenfalls genauestens überwacht und gegebenenfalls durch Zugangsbeschränkungen gesichert werden. Gleiches gilt für die Wasserversorgung und den Zugang zu Computersystemen.

4. Angestellte und Besucher

Angestellte müssen vor der Einstellung einer genauen Hintergrundprüfung unterzogen werden. Der Zugang zu sensiblen Bereichen darf nur den dort tätigen Mitarbeitern gestattet werden. In den Umkleideräumen muss eine strikte Trennung der Zivil- und der Arbeitskleidung erfolgen. Gegebenenfalls müssen beim Betreten und beim Verlassen des Werksgeländes Kontrollen erfolgen. Alle Mitarbeiter müssen regelmäßig an Trainings und Schulungen teilnehmen, deren Umfang und Inhalt sich nach dem Arbeits- und Verantwortungsbereich des jeweiligen Mitarbeiters richtet. Für das Training findet sich im Anhang der AMedP 4.12 ein Fragenkatalog, der als Grundlage verwendet werden kann. Ähnliches gilt in abgeschwächter Form auch für Besucher. 

Schlussfolgerung

Das Thema „Food Defense“ gewinnt in Zeiten wachsender terroristischer Bedrohungen zunehmend an Bedeutung. Bislang war die Sensibilität für die Problematik jedoch vielfach eher gering, da rechtliche Grundlagen fehlen, und der Begriff häufig mit der allgemeinen Lebensmittelsicherheit gleichgesetzt oder verwechselt wird. In den vergangenen Jahren ist Food Defense jedoch zunehmend in den Fokus gerückt, da durch die Kontamination von Lebensmitteln oder Trinkwasser mit „geringem“ Aufwand eine Vielzahl von Menschen erreicht und geschädigt werden kann. Damit ist die Lebensmittelkette durchaus ein attraktives Ziel für potentielle Attentäter.

Auch wenn weiterhin gesetzliche Grundlagen fehlen, gibt es doch einige Branchen, die Food Defense-Pläne erarbeiten und entsprechende Elemente in die bereits bestehenden HACCP-Konzepte integrieren (z. B. IFS Food). Des Weiteren werden zunehmend Schulungen angeboten, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre Mitarbeiter für die möglichen Risiken zu sensibilisieren und fortzubilden.

Die Erweiterung der STANAG 2556 „Food Safety, Defense, and Production in Support of NATO Operations“ stellt nun im militärischen Bereich eine verbindliche Vorgabe für alle unterzeichnenden NATO-Nationen im Rahmen von gemeinsamen Operationen dar. Die NATO-Partner sind dadurch angehalten, entsprechende Food Defense-Systeme zu etablieren, notwendiges Material bereitzustellen und ihr Personal so auszubilden, dass der verbindliche NATO-Standard bei internationalen Übungen und Einsätzen erfüllt werden kann.

Für die Erarbeitung von Schutzsystemen für die Lebensmittel- und Trinkwasserversorgungsketten vor mutwilligen Angriffen sind vielfältige Kompetenzen nötig, da sehr viel mehr Aspekte berücksichtigt werden müssen, als dieses im zivilen Bereich der Fall ist. Neben der Präventionsarbeit durch Spezialisten der Bereiche Aufklärung und Sicherheit sind die Fachkompetenzen des Sanitätsdienstes von essenzieller Bedeutung. Die Gefahrenanalyse unter Berücksichtigung der spezifischen technologischen Aspekte, die Ausbildung- und Informationsarbeit sowohl bei der militärischen Führung als auch bei Logistikern und Verpflegungspersonal, die Beobachtung der technologischen Entwicklungen und die wissenschaftliche Expertise in Bezug auf die Entwicklung geeigneter Analysewerkzeuge sowie die Bewältigung von Krisensituationen gehören gerade in diesem Aufgabengebiet zu den besonderen Fähigkeiten des Sanitätsdienstes. 

Zurzeit fehlen geeignete Verfahren oder Testsysteme, die schnell und zuverlässig einen Sabotageakt nachweisen oder ausschließen. Daher spielen die Erhebung und Auswertung epidemiologischer Daten sowie die Implementierung regelmäßiger Stichproben zur Lebensmittel- und Trinkwasseranalyse eine wichtige Rolle. Aufgrund der möglicherweise inhomogenen Verteilung einer Kontamination im Lebensmittel müssen die Stichprobenumfänge statistisch genau berechnet und eine Mindestanzahl definiert werden. Zudem muss das Bewusstsein des Sanitätspersonals für die Gefahr absichtlicher Kontaminationen geschärft werden, um beim Auftreten klinischer Fälle frühzeitig verunreinigte Lebensmittel als auslösenden Faktor in Erwägung zu ziehen. Die approbationsübergreifende Zusammenarbeit von Humanmedizin, Tiermedizin und Lebensmittelchemie ist daher ein wesentlicher Bestandteil bei der Entwicklung zukünftiger wirksamer Food Defense-Maßnahmen.

Literatur

  1. Bogadi NP, Banović M, Babić I: Food Defense system in food industry: perspective of the EU countries. Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 2016, DOI 10.1007/s00003-016-1022-8.
  2. Boni M, Calvet F, Bornert G: Sûreté des filières d’approvisionnement en eau et en aliments en conditions opérationnelles: importance de l’expertise des professionnels de la santé. Revue Internationale des Services de Santé des Forces Armées 2016; 89 (4)
  3. de Jong S: Päventionsmaßnahmen in der Lebensmittelkette. LÜKEX 2013; Außergewöhnliche biologische Bedrohungslagen und ihre Bewältigung – 2. Themenworkshop des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
  4. Niemann-Haberhausen N: Carver und Shock Primer sowie andere Werkzeuge zur Implementierung von Food Defense. LÜKEX 2013; Außergewöhnliche biologische Bedrohungslagen und ihre Bewältigung – 2. Themenworkshop des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
  5. von Wiese W: (Noch) Mehr umfassende Sicherheit durch Food Defense in der Lebenmittelkette. LÜKEX 2013; Außergewöhnliche biologische Bedrohungslagen und ihre Bewältigung – 2. Themenworkshop des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
  6. Holtfreter A, Sulzer G: Praxisleitfaden Food Defense – IFS 6. Behr’s Verlag 2013, ISBN 978-3-95468-070-2.
  7. Allied Medical Publication 4.12 (STANAG 2556): Food Defense. Edition A, Draft version 2017


Oberstabsveterinär Dr. Dr. Sabine Taise

Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr

Unterabteilung IV – Veterinärwesen – Sachgebiet 1.1

Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz

E-Mail: sabinetaise@bundeswehr.org


Der Beitrag wird in Ausgabe 1-2018 der Wehrmedizinischen Monatsschrift in der Druckfassung veröffentlicht werden


Datum: 18.10.2017

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 1/2018

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