SPIELEN NAGETIERE ALS ÜBERTRÄGER VON ZOONOSEERREGERN IM EINSATZGEBIET DER BUNDESWEHR IN AFGANISTAN EINE ROLLE?*
What about the Role of Rodents as Vectors for Zoonotic Pathogens in Mission Areas of the Bundeswehr?*
Aus dem Friedrich-Loeffler-Institut¹, Greifswald-Insel Riems (Präsident: Prof. Dr. Dr. h. c. T. C. Mettenleiter), dem Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel, Abteilung II Veterinärmedizin², Kronshagen (Leiter: Oberstveterinär Dr. H.-H. Pott); dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr³, München (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. L. Zöller), dem Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz, Abteilung I Medizin⁴, Koblenz (komm. Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. D. Leyk) und dem Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München, Abteilung II Veterinärmedizin⁵, Garching-Hochbrück (Leiter: Oberstapotheker Dr. T. Zimmermann)
Mathias Schlegel¹, Kathrin Baumann¹, Angele Breithaupt¹, Alfred Binder², Ulrich Schotte², Silke Ruhl², Carsten Krohmann², Sandra Eßbauer³, Dimitrios Frangoulidis³, Philipp Kayßer³, Hermann Meyer³, Julia Riehm³, Michael Faulde⁴, Jens Lewitzki⁵, Sabine Sauer⁵, Rainer G. Ulrich¹ und Jens P. Teifke¹
Die proaktive epidemiologische Beurteilung der gesundheitlichen Risiken für Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz hat sehr große Bedeutung. Für zahlreiche Zoonoseerreger werden Nagetiere als Reservoir angesehen.
In einem interdisziplinären Forschungsprojekt mit Feldstudien sollten daher Daten zur aktuellen Lage im Norden Afghanistans gesammelt und ausgewertet werden.
Methoden: Es wurden zirka 450 Klein säuger im Einsatzgebiet des deutschen Kontingents der Internationalen Sicherheitsunterstützungs - truppe (ISAF) im Raum Mazar-e-Sharif, Fayzabad und Kunduz gefangen, zoologisch charakterisiert und pathomorphologisch, mikrobiologisch, serologisch und molekularbiologisch untersucht.
Ergebnisse: Im Artenspektrum fanden sich Hausmaus (Mus musculus), Grauer Zwerg - hamster (Cricetulus migratorius), Etruskerspitzmaus (Suncus etruscus), Vertreter der Garten-/ Sibirische Spitzmaus-Gruppe (Crocidura suaveolens/sibirica-Gruppe) und Südost - asiatische Hausratte (Rattus andamanensis). Bei der Obduktion wurden bei wenigen Tieren Veränderungen, insbesondere Milz - schwellungen festgestellt. Erste Zwischenergebnisse der Erregerspezifischen Untersuchungen zeigten bei einem Teil der untersuchten Nagetiere das Vorkommen von Hämoprotozoen, extended spectrum beta-Lactamase (ESBL)-bildenden Escherichia coli und Methicillin-resistenten Staphylokokken. Bisher wurden keine Infektionen mit Francisella tularensis, Coxiella burnetii, Yersinia pestis, Brucella spp. sowie Orthopocken- oder Hantaviren nachgewiesen.
Schlussfolgerungen: Durch Kombination von Open-view-Methoden, wie Obduktion und Histopathologie mit modernen erregerspezifischen Nachweisverfahren kann die Frage nach dem Vorkommen von Zoonoseerregern in Nagetieren und deren Bedeutung als „Sentinels“ zur Bewertung eines Gesundheitsrisikos für das militärische Personal in Einsatzgebieten beantwortet werden. Diese Herangehensweise stellt eine wesentliche Säule der Medical Intelligence dar.
Summary
Background: The proactive assessment of the health risk for soldiers in international missions is of great importance. Rodents are considered to be a reservoir for zoonotic pathogens. In an interdisciplinary research project with field studies data on the current situation in northern Afghanistan have been collected and analyzed.
Methods: To this end ca. 450 small mammals were trapped in military camps of the International Security Assistance Force (ISAF), in Mazar-e-Sharif, Kunduz and Fayzabad. Zoological classification, necropsy and microbiological investigations followed.
Results: The spectrum of species covered house mouse (Mus musculus), gray dwarf hamster (Cricetulus migratorius), Etruscan shrew (Suncus etruscus), Crocidura suaveolens/ sibirica group, and Southeast Asian house rat (Rattus andamanensis). At necropsy, few rodents showed enlarged spleen as only lesion. Initial microbiological investigations revealed the occurrence of hemoprotozoa, extended spectrum beta-lactamase (ESBL)-producing Escherichia coli, and methicillin-resistant staphylococci. So far, no evidence of infection with Francisella tularensis, Coxiella burnetii, Yersinia pestis, Brucella spp., as well as orthopoxviruses or hantaviruses has been found.
Conclusions: Combining “open view” methods, such as histopathology with modern, pathogen-specific detection methods can answer the question about the occurrence of zoonotic pathogens in rodents and their significance as „sentinels“ for human disease. This aims in better evaluation a potential health risk for the military personnel in international missions as part of Medical Intelligence.
1. Einführung
Infektionskrankheiten von Soldaten während kriegerischer Auseinandersetzungen waren schon immer von großer Relevanz. Ende der 1970er Jahre konnten beispielsweise Hantaviren als Ursache des während des Koreakrieges aufgetretenen „Koreanischen Hämorrhagischen Fiebers“ identifiziert werden (1). Das veränderte Einsatzspektrum der Bundeswehr bedingt neue präventivmedizinische Herausforderungen. Gerade militärische Auslandseinsätze stellen eine erhebliche Gefährdung dar, eine in den jeweiligen meist tropischen oder subtropischen Einsatzgebieten endemische Infektionskrankheit zu erleiden. Dies betrifft insbesondere Regionen Asiens und Afrikas. Häufig liegen nur ungenügende und wenig aktuelle Informationen zur Infektionsgefährdung in diesen Einsatzgebieten vor. Besonders bedeutsam sind dabei solche Krankheitserreger, die von Reservoirtieren auf den Menschen übertragen werden können und dann Zoonosen hervorrufen. Diese Gefährdungslage richtig einzuschätzen und zu bewerten, ist eine wesentliche Aufgabe der Medical Intelligence (MedIntel). Demnach gehört die Generierung von Rohdaten zur Beantwortung dieser aufgeworfenen Fragen zur Medical Force Protection im Einsatz (2). Der vorliegende Beitrag soll erste Ergebnisse eines derzeit laufenden Forschungsprojektes zur Charakterisierung der Kleinsäugerpopulationen und deren Rolle als möglicher Überträger von Zoonoseerregern im Einsatzgebiet des deutschen Kontingents der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) vorstellen. Basierend auf der Anwendung pathomorphologischer Methoden im Sinne einer explorativen Open-View-Querschnittsuntersuchung gefangener Kleinsäuger werden nachfolgend durch ein konfirmatorisches Monitoring die Proben mittels mikrobiologischer, serologischer und molekularbiologischer Verfahren erregerspezifisch am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) und in Zusammenarbeit mit Einrichtungen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr untersucht.
Afghanistan ist ein strategisch bedeutsamer Binnenstaat in Süd- und Zentralasien mit rund 29,8 Millionen Einwohnern, die durch unterschiedliche Infektionskrankheiten mit hoher Prävalenz gefährdet werden (3). Neben Erregern von Anthroponosen spielt auch das Vorkommen von Erregern verschiedener Tierseuchen beziehungsweise Zoonosen eine große Rolle für die Beurteilung der Gefährdungslage. So ist Afghanistan beispielsweise Endemiegebiet für Maul- und Klauenseuche, Milzbrand und Tollwut (3, 4). Als militärisch bedeutsame Infektionskrankheiten wurden durch MedIntel für Afghanistan Malaria, Cholera, Salmonellosen, Shigellosen, Magen-Darm-Infektionen durch Parasiten, Typhus, Virushepatitiden, Leishmaniose, arbovirale Erkrankungen wie Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber, West Nil-, Sandfliegen-, Q- und Tsutsugamushi-Fieber (Japanisches Flussfieber), Rickettsiosen (Fleckfieber, epidemischer Typhus, endemischer Typhus), Rückfallfieber, Tuberkulose und Leptospirose identifiziert (3). Daten zum Vorkommen weiterer Zoonoseerreger in Afghanistan, wie Hantaviren, Zecken-übertragene Enzephalitis- Viren (TBEV), Sindbis- und Chikungunyavirus sowie andere Arboviren liegen bislang nicht vor. Daneben können durch verschiedene Hämoprotozoen Diensthunde in den Einsatzgebieten infiziert werden und schwer erkranken.
Durch engen Kontakt im Feldlager, aber vor allem auch in den temporären Forward Operating Bases (FOB) und außerhalb fester Infrastrukturen besteht eine erhebliche Gefahr, mit den Ausscheidungen infizierter Nagetiere in Berührung zu kommen, die beispielsweise Leptospiren, Arena- und Hantaviren enthalten können. Nagetiere und andere Kleinsäuger sowie deren Vektoren können deshalb als Indikatoren für das Vorkommen von Krankheitserregern angesehen werden (5, 6).
2. Methoden
Mehr als 450 Kleinsäuger wurden im Zeitraum von November 2010 bis März 2011 in den Lagern Mazar-e-Scharif, Fayzabad und Kunduz im Rahmen von Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen gefangen und durch das veterinärmedizinische Labor im Einsatzlazarett in Mazar-e-Sharif registriert, eingefroren und bei -20°C bis zum Versand nach Deutschland gelagert. Entsprechend tierseuchenrechtlicher Vorgaben wurden die Tiere nach Deutschland eingeführt und an das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, FLI, Insel Riems verbracht. Die Obduktionen fanden dort im Hochsicherheitsbereich unter entsprechender persönlicher Schutzausrüstung statt (Abb 1A, B). Ein Protokollplatz wurde dabei separat vom Sektionsbereich eingerichtet. Die Obduktion erfolgte gemäß eines am FLI etablierten Standardprotokolls. Gewicht, Kopf- /Rumpf- und Schwanzlänge wurden für eine erste zoologische Einordnung bestimmt, auf Ektoparasiten wurde untersucht. Pathologischanatomische Veränderungen, Geschlecht und Reproduktionsstatus wurden festgehalten, Proben in definierter Reihenfolge entnommen (Abb 1C) und für serologische, molekularbiologische und histopathologische Untersuchungen (Hämatoxylin-Eosin gefärbte Paraffinschnitte) asserviert. Die molekularbiologische Tierartbestimmung erfolgte mittels PCR und Sequenzierung, wobei eine Art als sicher bestätigt gilt, wenn eine Sequenzidentität von mehr als 95 % vorliegt (7).
3. Ergebnisse
Von den 459 gefangenen Tieren waren 17 (3,7 %) wegen des schlechten Erhaltungszustandes nicht weiter zu untersuchen. Bei den verbliebenen 442 Tieren handelte es sich um 390 Langschwanzmäuse, 42 Kurzschwanzmäuse, eine Ratte und 9 Spitzmäuse. Von diesen Tieren stammten aus Mazar-e- Sharif 188 Langschwanzmäuse, 21 Kurzschwanzmäuse, 2 Spitzmäuse, aus Fayzabad 17 Langschwanzmäuse und 9 Kurzschwanzmäuse und aus Kunduz 180 Langschwanzmäuse, 8 Kurzschwanzmäuse, 7 Spitzmäuse und eine Ratte. Die Cytochrom b-Genanalyse ergab bei den Langschwanzmäusen für Hausmaus (Mus musculus) eine Sequenzidentität von 99-100% (Abb. 2A). Unter den Hausmäusen waren 172 weibliche, davon 17 gra vide, Tiere. Die Zahl der Feten schwankte zwischen 1 und 10. Die 42 untersuchten Kurzschwanzmäuse wurden als Graue Zwerghamster (Cricetulus migratorius) identifiziert (Abb 2B). Die Analyse der 9 Spitzmäuse ergab eine Etruskerspitzmaus (Suncus etruscus) (Abb 2C) und 8 zur Crocidura suaveolens/sibirica- Gruppe (Garten-/Sibirische Spitzmaus- Gruppe) zugehörige Tiere (Abb 2D). Die Ratte wurde mit 93 % Ähnlichkeit als Südostasiatische Hausratte (Rattus andamanensis) identifiziert.
Abb 1:Überblick zum Ablauf der Obduktion und Probengewinnung. A: Der Arbeitsbereich in der Sektionshalle (BSL3) gliedert sich in einen Protokollbereich (Hintergrund) und den eigentlichen Sektionsbereich (Vordergrund). Vor der Obduktion werden die Tiere identifiziert, taxonomisch grob klassifiziert, Gewicht, Kopf-/Rumpf- und Schwanzlänge bestimmt und jedes Tier fotografiert (Mitte des Bildes). B und C: Während der Obduktion erfolgen die sequentielle Probenentnahme und Überführung der Proben in entsprechend vorbereitete Probengefäße.
Neben traumatischen Veränderungen wie unterschiedlich stark ausgeprägten Zertrümmerungen im Bereich des Gesichtsschädels und Nackens mit korrespondierenden Unterhaut- und Muskelblutungen sowie subserösen Blutungen in der Brusthöhle und Hinweisen auf Rodentizidaufnahme fand sich bei der Sektion von 10 Tieren eine hochgradige hyperplastische Milzschwellung. Die noch nicht abgeschlossene histopathologische Untersuchung zeigte, dass die Mehrzahl der Gewebe von den meisten Tieren feingeweblich sehr gut erhalten war (Abb 3A-C). Bei ungefähr einem Drittel der Proben lagen Autolyse- und Heterolyseerscheinungen vor. Als interessanter Nebenbefund und Ergebnis der Open-View-Diagnostik konnte histopathologisch in Nieren von Mäusen eine Infestation mit intrazellulären Protozoen der Art Klossiella muris nachgewiesen werden (Abb 3D).
Die molekularbiologisch-parasitologische Untersuchung auf Piroplasmen (Babesia, Theileria) und Hepatozoon sp. erfolgte aus insgesamt 430 Nierenproben, wobei bei 45 Nukleinsäureproben positive Ergebnisse für Hepatozoon spp. erhalten wurden. Eine weiterführende Differenzierung erfolgt durch Sequenzierung der Amplifikationsprodukte.
Die bakteriologische Analyse von 144 Dickdarmproben auf multiresistente Er reger (MRE) ergab in 23 Fällen Methicillin- resistente Staphylokokken (MRS), davon 9 Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA). Aus 69 Proben wurden ESBL-bildende Keime isoliert, zum Beispiel Enterobacteriaceae wie Escherichia (E.) coli, Pseudomonas, Stenotrophomonas oder Acinetobacter (Tab 1).
Bei den bisherigen Untersuchungen wurden keine Hinweise auf das Vorliegen von Francisella tularensis, Coxiella burnetii, Yersinia pestis, Brucella spp., sowie Orthopocken- und Hantaviren erhalten. Auch Leishmanien und Borrelien konnten nicht nachgewiesen werden.
Abb 2: Artenspektrum der Fänge nach Analyse mittels Cytochrom b- Genanalyse: A: Hausmaus (Mus musculus), B: Grauer Zwerghamster (Cricetulus migratorius), C: Etruskerspitzmaus (Suncus etruscus), D: Tier aus der Garten-/Sibirische Spitzmaus-Gruppe (Crocidura suaveolens/sibirica).
Abb 3: Beispiele der histopathologischen Untersuchung Hämatoxylin- Eosin gefärbter Paraffinschnitte; A: Leber, Hausmaus, guter feingeweblicher Erhaltungszustand ohne nennenswerte Autolyseerscheinungen, keine histopathologischen Befunde; B: Niere, Grauer Zwerghamster, keine histopathologischen Befunde; C: Skelettmuskulatur, Hausmaus, keine histopathologischen Befunde; D: Niere, Hausmaus, Infestation mit Klossiella muris in den Tubulusepithelien und Lumina (Pfeil).
4. Diskussion
Im Rahmen des vorgestellten Projektes wurde erstmals systematisch das Vor - kommen und Artenspektrum von Kleinsäugern in militärischen Feldlagern im Norden Afghanistans analysiert. Bei der Mehrzahl (Fayzabad 65,4 %, Mazar-e-Sharif 89,1 % und Kunduz 91,8 %) der gefangenen Tiere handelte es sich um Hausmäuse, was aufgrund ihrer synanthrop-kommensalen Lebensweise erklärbar ist. Neben den Hausmäusen wurden auch nicht-kommensale Kleinsäuger gefangen, die aber auch in der Nähe von mensch - lichen Siedlungen gefunden werden können. So wurden an allen drei Standorten Graue Zwerghamster festgestellt, während eine kleine Anzahl verschiedener Spitzmausarten nur in Mazar-e-Sharif und Kunduz beobachtet wurde. Das weitverbreitete Vorkommen von Hausmäusen und wei teren Kleinsäu - gern in den Lagern sollte zukünftig eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, zumal im Darm der Nagetiere erstmals Hinweise auf multiresistente Bakterien gefunden wurden, was mög licherweise auf Ausscheidung resis - tenter Bakterien durch solche Kleinnager hindeuten könn te. Die Analysen des Reproduktions status der Kleinsäuger zeigten sowohl für Hausmäuse als auch für die Grauen Zwerghamster eine Vermehrung innerhalb des Lagers, mit einem Anteil von 9,8 und 11,8 % gravider Tiere. Dieser relativ geringe Anteil tragender Nager muss aber im Kontext mit der sehr hohen Zahl an gefundenen Feten, mit bis zu 10 Nach - kommen in einem Tier, gesehen werden. Hier sind durch weitere organisatorische und technische Maßnahmen Einwanderung, Ansiedlung und Vermehrung dieser Kleinsäuger ein - zudämmen.
Die molekulare Tierartbestimmung mittels der Cytochrom b-Genanalyse bewährte sich grundsätzlich für Hausmaus, Grauen Zwerghamster und Etruskerspitzmaus. Bei den anderen Spitzmäusen und der Ratte zeigte sich, dass die Sequenzen des Cytochrom b- Gens nicht allein für eine exakte Speziesdiagnostik ausreichen, sodass diese Tiere vorerst nur der Crocidura suaveolens/sibirica-Gruppe zugeordnet und als Rattus andamanensis angesprochen werden konnten. Die Untersuchungen zeigten, dass bei einem großen Teil der Tiere trotz des Schlagfallenfanges, des Einfrierens und der langen Transportwege eine histopathologische Untersuchung durch aus verwertbare Präparate ergibt und dann auch interessante, unerwartete Befunde liefert wie etwa den Befall mit Apicomplexa in der Niere. Folglich werden durch Anwendung von Open-View-Methoden auch Erreger nachweisbar, an die ein Einsender bei seiner Untersuchungsanforderung primär nicht gedacht hatte.
Da die eingesetzten mikrobiologischen und molekularbiologischen Methoden keine Hinweise auf erwartete Krank - heitserreger erbrachten, ist es nicht verwunderlich, dass auch his topathologisch bislang keine darüber hinausgehenden wesentlichen Befunde erstellt werden konnten.
Die initiale pathomorphologische Ana - lyse zeigte für einige Hausmäuse und einen Grauen Zwerghamster Milzveränderungen, die möglicherweise auf Infektionen mit unbekannten Pathogenen im Blut zurückzuführen sein könnten. Für den Fall unbekannter Erreger wurden in der jüngsten Zeit verschiedene innovative Open-view-Methoden der Meta - genomanalyse („Next Generation Sequencing“) und der Microarray-Technologie entwickelt, mit deren Hilfe alle bekannten aber auch neue Erreger nachgewiesen werden können (8).
Die Verbreitung multiresistenter Keime ist zunehmend ein globales Problem bei der Therapie bakterieller Infektionen in der Human- und Tiermedizin. Erst mals wurden in diesem Projekt Hinweise auf ESBL-produzierende E. coli in Hausmäusen gefunden. Bei Untersuchungen in Deutschland fanden sich derartige Erreger bei Wanderratten aus urbanen Ballungsräumen (9). Der Nachweis von ESBL-Produzenten bei Grauen Zwerg - hamstern bestätigt auch eine mögliche Rolle von nicht-kommensalen Nage - tieren bei deren Übertragung (10). Das Vorkommen multiresistenter Keime, zum Beispiel von Acinetobacter baumannii, hat bereits zu schweren Wundinfektionen mit Todesfällen in Afghanistan geführt (11). Zum natürlichen Vorkommen solcher MRE bei Kleinnagern in Afghanistan gibt es in der Literatur ansonsten keine Daten. Diese interessanten Ergebnisse bestätigen, dass Nage - tiere als „Sentinels“ für Zoonoseerreger angesehen werden können.
5. Schlussfolgerungen
Die bisherigen Untersuchungen belegen sowohl das Vorkommen von synanthrop-kommensalen Nagetieren und, in geringerer Häufigkeit, von nicht-kommensalen Kleinsäugern in den untersuchten drei Feldlagern der ISAF und bestimmter Krankheitserreger im Darm der untersuchten Kleinsäuger. Die bisherigen Befunde bestätigen den Sinn einer Kombination von sogenann - ten Open-View-Methoden und Erregerspezifischen Analysemethoden in Regionen der Welt mit unbekannten en-/ epizootischen Risiken. So erscheinen pathomorphologische, immunhistologische und ultrastrukturelle explorative Analysen an Gewebsproben zum Nachweis von Krankheitserregern immer dann hilfreich, wenn bislang keine oder nur wenig Erkenntnisse vorliegen, um eine zielgerichtete, erregerspe - zifische Untersuchung mittels mikround molekularbiologischer Verfahren durchzuführen. Für zukünftige Auslands - einsätze sollte erwogen werden, eine proaktive Analyse der potenziellen Gesundheitsgefährdung durch eine konkrete en-/epizootische Lage auch über die Generierung von Primärdaten durchzuführen. In diesem Zusammenhang können Untersuchungen in Nagetieren aufgrund ihrer Reservoirfunktion und als Sentineltiere von großer Bedeutung sein.
Fazit:
Eine enge Zusammenarbeit zivi - ler und militärischer, veterinär- und humanmedizinischer Einrichtungen im Sinne der vorbeugenden Abwehr von Tierseuchen- und Gesundheitsgefährdungen kann auf wissenschaftli cher Basis einen unverzichtbaren Beitrag zu einem übergreifenden und zielorientierten Zusammenwirken im Sinne der Force Health Protection in Einsatzgebieten der Bundeswehr leisten.
Literatur
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*Entstanden im Rahmen von Forschungs vor - haben für den Sanitätsdienst der Bundeswehr (Projektnummer M/ SABX/ AA005, Friedrich- Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Insel Riems)
Datum: 21.09.2012
Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/8-9