Die Pest – ein kalkulierbares Risiko für das Militär?
Aus der Abteilung Veterinärmedizin (Abteilungsleiterin: Oberfeldveterinär Dr. S. Sauer) des Zentralen Institutes des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München (Institutsleiter: Oberstapotheker Dr. T. Zimmermann)
J.M. Riehm
Zusammenfassung
Yersinia pestis ist ein hochpathogenes Bakterium und der Erreger der Pest. Das infektiöse Agens besitzt zahlreiche Virulenzfaktoren, die für Transmission, Persistenz und Wirtswechselbeziehung essenziell sind.
In der Vergangenheit wurde der Pesterreger in Bezug auf seine Eignung als biologischer Kampfstoff beforscht. Gemäß historischen Dokumenten wurde erregerhaltiges Material bereits im Jahre 1346 als Biowaffe eingesetzt.
Das Verbot von Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen sowie die Vernichtung solcher Waffen regelt die Biowaffenkonvention. Die diagnostische Arbeit und Forschung mit Y. pestis in friedlicher Absicht sind gestattet. Dabei wird höchste Transparenz gefordert.
Aufgrund des natürlichen Vorkommens der Infektionskrankheit Pest sind Diagnostik und Forschung an Y. pestis heute essenziell. Ein sensibler Umgang ist jedoch erforderlich, da das Bakterium als potenzieller biologischer Kampfstoff in die höchste Stufe, Kategorie A, eingeordnet ist.
Schlüsselworte: Yersinia pestis, Pest, biologische Kampfstoffe, Biowaffenkonvention, Australische Gruppe
Keywords: Yersinia pestis, plague, biological warfare agents, Biological Weapons Convention, Australian Group
Der Pesterreger „Yersinia pestis”
Yersinia pestis ist ein hochpathogenes Bakterium und der Erreger der Pest, eine weltweit meldepflichtige Infektionskrankheit [1]. Die Lungenpest ist ein Syndrom, das gemäß § 30 des Infektionsschutzgesetzes eine sofortige Quarantäne des Patienten bedingt [2]. Y. pestis besitzt das Potenzial, einen akuten Ausbruch in einer Gemeinschaft, eine Epidemie oder sogar eine Pandemie zu verursachen. Letzteres konnte inzwischen für Jahrtausende alte menschliche Opfer nachgewiesen werden [3]. Humane Pestfälle korrelieren oft mit dem Vorkommen oder der Abundanz von Nagetieren. So wurden beispielsweise im Jahr 2015 fast doppelt so viele Pestfälle in den USA gemeldet wie in den Jahren zuvor [4].
Beulen und Lungenpest
Die häufigste klinische Form der humanen Pest ist die Beulenpest, eine bakterielle Lymphadenitis mit einer Letalität von etwa 60 % [1]. Die Bubonenpest

Diagnostik und Typisierung
Essenziell zur Aufklärung eines Pestausbruchs sind Kenntnisse über den genetischen Hintergrund des Erregers. Dies bedingt zudem die permanente Forschung mit dem infektiösen Agens. Das hochspezialisierte Bakterium besitzt diverse Virulenz-mechanismen, die für Transmission, Persistenz und Wirts--Wechselbeziehungen wichtig sind. Ausbruchsgeschehen in einer Gemeinschaft findet man aktuell in Pest-Endemiegebieten, beispielsweise der ostafrikanischen Insel Madagaskar, weiteren Tropengebieten Afrikas, aber auch in Asien oder Nord- bzw. Südamerika [1, 6]. Mögliche Nachweismethoden von Y. pestis sind die kulturelle Diagnostik, die Serologie, Polymerase Kettenreaktion (PCR) und die Anwendung von immunchromatographischen Schnelltests. Während eines Pestausbruchs können ethische Aspekte, die Würde der Patienten und nicht zuletzt der perakute Verlauf der Erkrankung die

Virulenzfaktoren
Verglichen mit seinem nächsten Verwandten, Y. pseudotuberculosis, hat Y. pestis im Laufe seiner Evolution die Fähigkeit verloren, im Boden zu überdauern. Im Gegenzug hat das Bakterium zahlreiche neue Eigenschaften erworben. Darunter sind Virulenzfaktoren und Mechanismen zur Adaptation an diverse Säugetierwirte und parasitäre Vektoren [8, 9]. Der Pesterreger wächst optimal bei 28°C bis 37°C, kann aber auch Temperaturen bis 4°C sehr gut tolerieren (Abbildung 3).
Zwei Y.-pestis-spezifische Plasmide, pMT1 und pPCP1, tragen zahlreiche Virulenz-Gene [8]. Beispielsweise bildet Y. pestis eine Proteinkapsel, das sogenannte F1-Antigen, aus. Diese schützt das Bakterium vor der primären Immunantwort im Säugetierwirt. Des Weiteren besitzt der Pesterreger eine Membran-ständige Protease, den Plasminogen-Aktivator. Die fibrinolytische Aktivität desselben ermöglicht dem Infektionserreger, über einen langen Zeitraum hinweg im Blutstrom zu persistieren und verhindert die Komplement-mediierte Zelllyse [8]. Weitere pestassoziierte Faktoren können zur Sepsis und disseminierten intravasalen Koagulation führen. Eine mögliche Komplikation daraus ist die trockene Nekrose von Fingern und Zehen. Die Bildung von Gangränen ist typisch für das klinische Bild der Pestsepsis (Abbildung 2). Zudem kodiert das Pestgenom für einen Typ-III-Sekretionsapparat, der auch bei

Schließlich bildet der Pesterreger im Vektor Floh einen Biofilm, der wie ein Vormagenblock wirkt. Der Parasit kann damit nicht mehr abschlucken, wird hungrig und beißwütig und wechselt den Wirt. Dieser wissenschaftlich bestätigte Algorithmus bewirkt eine effiziente Verbreitung des Pesterregers auf andere Säugetierindividuen oder auch den Menschen [5].
Pesterreger und biologische Kampfstoffe
Zu Beginn der zweiten pandemischen Verbreitung von Y. pestis wurde der zwischen 1347 und 1352 grassierende Seuchenzug „Schwarzer Tod“ in Europa bekannt. Historischen Quellen zufolge starb damals mehr als die Hälfte der Bevölkerung an dieser Infektionskrankheit [10]. Zur gleichen Zeit kämpften berittene kriegerische Nomaden, die sogenannten asiatischen Hunnen um Ländereien rund um das Schwarze Meer. Ohne Kenntnisse über Infektionskrankheiten – die erst Jahrhunderte später gewonnen wurden – katapultierten die Hunnen Körper von Pest-Toten über die Mauern der Stadt Caffa (heute Feodosiya) auf der Halbinsel Krim. Durch die Ausbreitung der Pest und die Panik vor dem „Schwarzen Tod“ wurden die Bewohner damals zur Aufgabe ihrer Stadt gezwungen [11].
In den 1930er Jahren gründete das japanische Militär das geheime Army Epidemic Prevention Research Laboratory mit dem Codenamen „Unit 731“.

Nur etwa 20 der beteiligten Wissenschaftler, Ärzte und Verantwortlichen sind nach Beenden der Unit 731 von einem internationalen Kriegsgericht verurteilt worden. Unzweifelhaft war diese Anzahl jedoch nur ein kleiner Bruchteil der tatsächlich Beteiligten. Man weiß heute, dass Ärzte und Wissenschaftler bewusst geschont wurden, um die gewonnenen Informationen über die Experimente nicht zu verlieren [12, 13].
Internationale Kontrolle von biologischen Kampfstoffen
Das Genfer Protokoll mit dem Titel „Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von

Export und Transit von potenziell biologischen Kampfstoffen oder Komponenten in oder durch Nachbarstaaten, aber auch deren übermäßige Vermehrung und Lagerung, werden durch Artikel III des BWÜ und die UN Security Council Resolution 1540 untersagt [15, 16]. Daher hat sich 1985 in Brüssel eine internationale Gemeinschaft zur sogenannten Australischen Gruppe organisiert. Heute umfasst die Gruppe 42 Mitgliedstaaten, den Vorsitz hat juristisch informell die Australische Regierung (Abbildung 5) [17]. Im Rahmen der aufgestellten Regeln, den „Guidelines for Transfers of Sensitive Chemical or Biological Items“, ist es ausnahmsweise möglich, biologische Agenzien oder „Komponenten“, wie Erbgut (DNA), über Ländergrenzen hinweg zu versenden. Eine Genehmigung beim deutschen Bundesamt für Wirtschafts- und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist die Voraussetzung für den Transfer zu einer Partnerinstitution im Ausland. Der Vorgang muss begründet werden, und es sind zudem geringe Maximalmengen einzuhalten. Weiterhin ist eine Endverbleibserklärung über die versendeten Substanzen Voraussetzung für die Erstellung der Transfererlaubnis. Letztere ist auch aus dem Waffengesetz bekannt [18].
Bewertung
Der hochpathogene Infektionserreger Y. pestis schreibt Geschichte als potenzielle Biowaffe [11 - 13]. Das Bakterium istvergleichsweise stabil, und die Mensch-zu-Mensch-Übertragungsrate kann im Falle der Lungenpest bis zu 100 % betragen [6]. Das klinische Bild dieser Form ist akut bis perakut und durch hohe Mortalität sowie eine infauste Prognose gekennzeichnet [1, 5]. Aus diesen Gründen wird Y. pestis aktuell durch die NATO und die amerikanischen CDC als biologischer Kampfstoff der höchsten Kategorie gelistet (Category A) [19].
Aktuelle Ausbruchsgeschehen weltweit belegen die natürliche Prävalenz der bakteriellen Infektionskrankheit mit seuchenhaftem Charakter. Der Infektionserreger ist derzeit präsent und verfügbar. Dies erfordert uneingeschränkte Diagnostik und gute Kenntnisse über das hochpathogene Bakterium. Eine umfangreiche Datenbank ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche molekulare Rückverfolgungsanalyse. Diese ist aktuell die stärkste Komponente zur Beantwortung der forensischen Fragestellung „natürlicher oder terroristisch-induzierter Ausbruch“ der humanen Pest.
Kernaussagen
• Yersinia (Y.) pestis ist der Erreger der Pest und als hochpathogenes Bakterium mit zahlreiche Virulenzfaktoren, die für die Transmission, Persistenz und Wirtswechselbeziehung essenziell sind, ausgestattet.
• Der Pesterreger wurde als biologischer Kampfstoff beforscht. Erste Aufzeichnungen über eine Anwendung reichen bis in das Jahr 1346 zurück.
• Die Biowaffenkonvention regelt das Verbot von Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen und Toxinwaffen sowie die Vernichtung solcher Waffen.
• Aufgrund der natürlichen Prävalenz sind Diagnostik und Forschung an Y. pestis essenziell.
• Das Bakterium ist als potenzieller biologischer Kampfstoff in die höchste Stufe (Kategorie A) eingeordnet.
Literatur
- World Health Organization. Plague manual: epidemiology, distribution, surveillance and control. WHO/CDS/CSR/EDC/99.2, Geneva; 1999.
- Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (2014) Infektionsschutzgesetz (IfSG) http://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/index.html, Zugegriffen: 22. September 2015.
- Harbeck M, Seifert L, Hänsch S, Wagner DM, Birdsell D et al.: Yersinia pestis DNA from Skeletal Remains from the 6th Century AD Reveals Insights into Justinianic Plague. PLoS Pathog 2013; 9(5): e1003349.
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- Genfer Protokoll über das Verbot der verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege vom 17. Juni 1925. Reichsgesetzblatt, teil II, 1929, Nr. 19, S. 174 - 177.
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- United Nations Security Council: Resolution 1540 (2004). http://www.un.org/en/sc/1540/; Zugegriffen am 01.10.2015.
- Government of Australia in its informal role as Chair: The Australia Group. www.australiagroup.net. Zugegriffen: 22. September 2015.
- Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA): Exportkontrolle und das BAFA. www.ausfuhrkontrolle.info. Zugegriffen: 29. September 2015.
- Centers for Disease Control and Prevention: Bioterrorism Agents/Diseases; Plague; http://www.bt.cdc.gov/agent/agentlist-category.asp. Zugegriffen: 22. September 2015.
- Begier EM, Asiki G, Eniwine Z, Yockey B, Schriefer ME et al.: Pneumonic Plague Cluster, Uganda, 2004. Emerg Infect Dis 2006; 12(3): 460 - 467.
Bildquellennachweis:
- Abbildung 1: Figure 2 aus [20]
- Abbildung 2: CDC/Christina Nelson; 2012: http://phil.cdc.gov/phil/details.asp, #16553
- Abbildung 3: CDC/Pete Seidel; 2010: http://hil.cdc.bov/phil/details.asp, #12491
- Abbildung 4: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABWC_Participation.svg
Verfasser:
Oberstabsveterinär Priv.-Doz. Dr. med. vet. habil. Julia M. Riehm
Abteilung Veterinärmedizin
Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München
Ingolstädter Landstr. 102, 85748 Garching
E-Mail: [email protected]
Datum: 29.08.2016
Wehrmedizinische Monatsschrift 2016/6