10.01.2009 •

    DAS VETERINÄRWESEN DER BUNDESWEHR IM PROZESS DER TRANSFORMATION

    Die Sicherheit der Mitgliedstaaten von NATO und EU wird zunehmend durch Risikofaktoren wie die destabilisierenden Folgen auch weit entfernter regionaler Krisen und Konflikte, den internationalen Terrorismus und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel beeinträchtigt. Nicht-staatliche Akteure sowie asymmetrische Methoden der Gewaltanwendung gewinnen weiter an Bedeutung. Dies stellte insgesamt die Vorraussetzung dar, weshalb sich die NATO neu aufgestellt hat und in die Transformation eingetreten ist.

    Dieser gewaltige Umbildungs- und Umstrukturierungsprozess der NATO wird auch in der Bundeswehr mitgetragen und führt zu zahlreichen sich fließend in Änderung befindenden Strukturen. Vielmehr werden letztere gar in den Hintergrund der Betrachtung gerückt und durch streitkräftegemeinsam auszurichtende Fähigkeitsansätze ersetzt, die eine multinationale Interoperabilität zur Zielsetzung haben. Der zunehmend weltweite freie Handel mit Tieren und deren Produkten sowie der nahezu uneingeschränkte internationale Personenverkehr erhöhen maßgeblich die Gefahren des Ausbrechens und Verbreitens von Seuchen bei Menschen und Tieren. Dies wiederum kann die Volkswirtschaften der Bundesrepublik Deutschland sowie der Mitgliedsstaaten der EU empfindlich bedrohen. Die Bundeswehr ist weltweit im Einsatz wie auch auf Übungen und verlegt Personal und Material innerhalb der Einsatzräume sowie im Rahmen des Redeployments zurück nach Deutschland. Darüber hinaus sind deutsche Soldaten weltweit gesundheitlichen Risiken und Bedrohungen ausgesetzt, die ihre Auftragserfüllung beeinträchtigen können.


    Zooanthroponosen sowie lebensmittelbedingte Infektions- und Intoxikationskrankheiten mit unmittelbarer Auswirkung auf die Gesundheit der Soldaten können die Einsatzbereitschaft von Streitkräften beeinflussen. Lebensmittel und Trinkwasser sowie vektorengebundene Übertragungen von Infektionskrankheiten stellen mitunter ein potentiell hohes Risiko für die Einsatzbereitschaft und damit Auftragsfähigkeit der Truppe dar. Es wird an Ausbrüche lebensmittelbedingter Genese erinnert, bei denen rasch prozentual gravierende Anteile der operativen Truppe ausfallen und somit die Auftragserfüllung gefährdet wird.


    Das Veterinärwesen der Bundeswehr, als ein wesentliches Element des „Vorbeugenden Gesundheitsschutzes“ in Einsatzplanung, -vorbereitung, -durchführung und -nachbereitung bildet strategisch, operativ und taktisch wesentliche Unterstützungsaufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ab und befindet sich derzeit auch im Transformationsprozeß zur interfakultären wie internationalen Interoperabilität.
    Nachfolgend wird über einige Spannungsfelder aus dem Bereich des Veterinärwesens berichtet:


    Spannungsfelder im Bereich der Tiermedizin:
    1. Ein sogenannter „Dauerbrennpunkt“ aus den Einsatzgebieten sind
    „Streunende Tiere in Feldlagern der Bundeswehr“.
    Was macht diese oft possierlichen Tierchen eigentlich zu einem Problem? Als potentielle Überträger von Zooanthroponosen stellen sie eine Gefährdung der Gesundheit für unsere Soldaten da; denken wir insbesondere an die Tollwut und den Fuchsbandwurm.
    Nicht zu vergessen die Gesundheitsgefährdung unserer Diensttiere vor Ort. Letztendlich kann es auch zu Störungen im Dienstbetrieb kommen, wenn z.B. die Einsatzkontingente wechseln und das „Maskottchen“ vom Nachfolgekontingent nicht übernommen werden will – der Ärger ist vorprogrammiert!
    Und man sollte nicht vergessen, dass Bilder mit Fifi und Co. mitunter eine enorme Pressewirksamkeit entwickeln, was das gesamte Problem noch in eine weitere Dimension im Bereich der Öffentlichkeit erhebt. Dies führt zu einem oft nicht unerheblichen Spannungsfeld, in deren Mitte sich klassischerweise wer befindet?
    Der Sanitätsoffizier Veterinär! - Er steht zwischen teils militanten Konfliktparteien:

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    Der Dienstherr hat ein starkes Interesse an der Einsatzfähigkeit der Truppe und somit an der Gesunderhaltung seiner Soldaten. Gleichzeitig bezieht sich die Fürsorgepflicht des Vorgesetzten nicht nur auf die physische Gesundheit seiner Soldaten.
    Die WHO-Definition von Gesundheit beinhaltet nicht nur das Nicht-Vorhandensein von Krankheiten sondern auch das mentale Wohlbefinden.
    Daher gibt es Vorgesetzte, die im Umfeld ihrer Soldaten im Einsatz sogenannte „Streuner“ zu Maskottchen werden lassen.
    Der Soldat im Einsatz besitzt fern der Familie und Heimat durchaus psychosoziale Bedürfnisse und freut sich über einen „moralisch aufmunternden Kuschelpartner“.


    Das vorgefundene Tier ist oft heimatlos, hungrig, durstig, gar krank und bedarf der Fürsorge.
    Die Fraktion der Tierschützer verfügt oft über eine veritable Medienunterstützung, da Tierschutz etwas „Politisches“ darstellt.
    Und mittendrin befindet sich der Tierarzt, selbst Soldat, selbst weit weg von Familie und Heimat, selbst auch Vorgesetzter, selbst aus ureigenstem Interesse Tierschützer…Was tun?
    Hier sollen keine abschließenden Lösungen zu diesem Spannungsfeld gegeben werden; es gibt sie auch nicht im gesamten internationalen Umfeld.
    Ich möchte Ihnen nur ein Feld beleuchtet haben, welches unsere Tierärzte im Einsatz vielfach in moralische Zwickmühlen stellt, denen man mit Vorschriften nicht immer begegnen kann.

    2. Tierseuchenprophylaktische Maßnahmen
    „...Was soll denn der Unfug eigentlich?“ ist eine häufig gestellte Frage, und eine der beliebtesten Definitionen war schon die „Rituelle Fußwaschung“, wie Sie auf der Abb. 2 erkennen können.

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    Das Procedere wurde seit 2003 akribisch ausformuliert und im Laufe der Jahre in Form einer Grundsatzweisung der Abteilung VII (Veterinärwesen) des Sanitätsamtes fortgeschrieben.
    Es handelt sich dabei um das Reinigen, Entwesen und Desinfizieren vor Redeployment – also das Rückverlegen von Personal, Ausrüstung und Material – aus den Einsatzgebieten der Bundeswehr in das Gebiet der Europäischen Union resp. in das Heimatland.
    Zudem wird auf das Importverbot von Lebensmitteln tierischer Herkunft in die EU hingewiesen. Dieses Procedere erfolgt in enger Abstimmung mit der Bund-Länder-Konferenz der Tierseuchenreferenten, da die Bundeswehr gem. § 3 Tierseuchengesetz über keine Eigenvollzugskompetenz für Einfuhr und Durchfuhr verfügt.

    3. Die „ Öffentlich-rechtliche Überwachung“! Es stellt sich die Frage, wie dieser Auftrag auch außerhalb unseres Territoriums geleistet werden kann.
    Es geht um den Geltungsbereich deutscher Rechtsnormen!
    Der Geltungsbereich deutscher Rechtsnormen beschränkt sich grundsätzlich auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland.
    Gilt aber auch
    • in deutschen Flugzeugen,
    • auf deutschen Schiffen und
    • in den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland
    weltweit.
    Das Vornehmen von Hoheitsakten auf dem Gebiet eines anderen Staates ist nach dem völkerrechtlichen „Territorialitätsprinzip" verboten, sofern der andere Staat dies nicht gestattet hat oder sich eine sonstige völkerrechtliche Rechtfertigung findet.
    Es existiert auch kein allgemeines völkerrechtliches Prinzip, demzufolge das auf Soldaten im Auslandseinsatz anwendbare Recht stets und in jeder Beziehung „Ihrer Flagge folgt". Welche Gesetze gelten i. E.?
    Es gilt
    • das Dienst- und Beschwerderecht.
    • über § 1a WStG gilt deutsches Strafrecht (z.B. Kapitalverbrechen).
    „Verwaltungsakzessorisches" Strafrecht findet aber keine Anwendung, d.h. wenn in einem bestimmten Gesetz, wie beispielsweise dem AMG, die Güte der Verstöße von einer Ordnungswidrigkeit bis zum Straftatbestand sich erstrecken kann, dann können auch die Strafbestimmungen des AMG keine Anwendung finden.
    Auf Grund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn befiehlt er für Auslandseinsätze regelmäßig das Anwenden „Deutscher Schutz- und Sicherheitsbestimmungen“. „Die in deutschen Rechtsnormen verankerten, auf den Erhalt der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit abzielenden Schutz- und Sicherheitsbestimmungen - sind grundsätzlich auch im Ausland für deutsches Personal zu beachten.“ Diese Passage findet sich in jedem Einsatzbefehl im Kapitel „Rechtliche Rahmenbedingungen".
    Das bedeutet, dass deutsche Rechtsnormen grundsätzlich zwar nicht unmittelbar gelten, jedoch der Dienstherr durch Befehl deren grundsätzliche Anwendung zum Schutz der Soldaten vorschreibt. Sie bedeutet aber auch, dass der Dienstherr für Einsätze im Ausland selbst Ausnahmen zulassen kann, und zwar selbst in den Fällen, in denen im Inland keine Ausnahmemöglichkeit (für die Bundeswehr) vorgesehen ist.
    Fakt ist jedoch, das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) gilt nur im Inland.
    Gibt es dann noch die „öffentl.-rechtliche Überwachung im Einsatz“?
    Ich meine „Nein“ - es gibt dafür die suffiziente Beratung und fähigkeitsorientierte fachübergreifende Zusammenarbeit im Bereich Force Health Protection!
    Ergo: Unsere Sanitätsoffiziere Veterinär haben auf ihrem Fachgebiet damit eine suffiziente Beratung des Befehlshabers bzw. Kommandeurs vor Ort sicherzustellen bzw. vorzunehmen.
    Sie nehmen damit eine Art „Quasi-Überwachung“ auf Grundlage nationaler öffentlich-rechtlicher bzw. dienstrechtlicher Vorgaben vor und stellen somit die Force Health Protection mit der dazu notwendigen Beratung auf dem Fachgebiet sicher.
    Die nationale „Überwachermentalität“ hat im Auslandseinsatz einer optimalen Beraterfunktion zu weichen .
    Es gilt, die tierärztliche Strategie „From stable to table“ in der Bundeswehr und den Streitkräften der NATO im Rahmen der Transformation durch Transparenzerhöhung sicherzustellen.

    Ein optimaler Gesundheitsschutz ist vor, während und nach dem Einsatz und Übungen für unsere Soldaten im engsten Schulterschluss mit allen medizinischen Fakultäten zu praktizieren.
    Dies ist uns Ehre und Verpflichtung – getreu dem hier auch ethisch gemeinten Dienstleistungs-Motto:
    ”What have we done for them today?”

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    Datum: 10.01.2009

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/1

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