22.04.2024 •

    Sanitätsdienstliche Ausbildung im Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst

    J.-H. Wedell

    Ausbildung im Ausb-/SimZ des Kdo SES
    Bundeswehr/Christoffers

    Mit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat auch in der Ausbildung des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZSanDstBw) ein Umdenken stattgefunden. Nach Jahrzehnten der Stabilisierungsoperationen, die ein weitestgehend berechenbares und sehr differenziertes Bedrohungs- und Arbeitsumfeld auszeichnet, rückt bei der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) wieder eine viel breiter gefächerte Bedrohung für die SoldatInnen des ZSanDstBw in den Vordergrund. Nach dem humanitären Völkerrecht sind Sanitätseinrichtungen, Sanitätspersonal und Sanitätstransporte unter allen Umständen zu schützen und zu verschonen. Erkenntnisse aus der Ukraine allerdings zeigen, dass Russland die Genfer Konvention und das Humanitäre Völkerrecht bricht und vermeintlich Sanitätseinrichtungen gezielt angegriffen werden. Dabei werden Sanitätseinrichtungen in der Ukraine als moralische Hochwertziele missbraucht und bei Verlust von sanitätsdienstlicher Versorgung wird es den ukrainischen Streitkräften erschwert, leicht verwundete SoldatInnen wieder in das Gefecht entsenden zu können. Die Angriffe erfolgen dabei vor allem durch Raketenbeschuss, mit Artillerie oder Drohnen aus der Luft.

    Diese Erkenntnisse fließen seit Beginn des Konfliktes sowohl in die allgemeinmilitärische als auch präklinische Ausbildung im Sanitätsdienst ein. Der Auftrag zur Ausbildung im Themenfeld LV/BV besteht zwar schon sehr lange vor dem Krieg in der Ukraine, dennoch ergibt sich nun für nahezu alle Ausbildungsteilnehmende ein aktueller zeitlicher Bezug.

    Das Ausbildungs- und Simulationszentrum in Leer

    Das Ausbildungs- und Simulationszentrum (Ausb-/SimZ) des Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst (Kdo SES) wurde nach der Zusammenziehung der Truppenteile aus Delmenhorst und Hamburg im Jahr 2021 in Leer (Ostfriesland) eingerichtet. Dabei wird eine Vielzahl an Lehrgängen für Sanitäts- und Nicht-Sanitäts-Personal am Standort Leer angeboten. Alleine in den Jahren 2022 und 2023 wurden jährlich fast 70 Lehrgänge durchgeführt, wobei etwa 1 200 SoldatInnen im Jahr 2022, sowie rund 1 450 SoldatInnen im Folgejahr weiter qualifiziert und fortgebildet wurden. Zusätzlich erfolgt die weitere progressive Verzahnung im Rahmen von Trainings und Potentialfeststellungsverfahren mit spezialisierten Kräften und Spezialkräften durch die Zelle Special Operations Surgical Team des Kdo SES. Heute werden am Ausb-/SimZ unter anderem folgende Lehrgänge durchgeführt: theoretischer Kompetenzerhalt für Einsatzsanitäter; theoretischer Kompetenzerhalt für Notfallsanitäter; Aufbauleiter Luftlanderettungsstation und Luftlanderettungszentrum (LLRZ); Grundlagenausbildung LLRZ Spezialeinsatz Teileinheit Basismodul; kompetenzorientierte Ausbildung (KOA) Teamtraining Taktische Verwundetenversorgung; KOA Einsatzersthelfer B; Ergänzungsausbildung Schießlehrer/Schießausbilder Handwaffen neues Schießausbildungskonzept im ZSanDstBw; KOA Survival, Escape/Evasion, Resistance and Extraction (SERE) B sowie Qualifizierung neues Schießausbildungskonzept im ZSanDstBw.

    Insbesondere aktuelle Anpassungen der Ausbildung an Szenare der LV/BV zu allgemeinmilitärischen Anteilen, Kampfmittelabwehr, Leben im Felde, taktisches Arbeiten an und mit Fahrzeugen sowie allgemeine Sicherungsaufgaben erwecken ein sehr großes Interesse bei den Trainingsteilnehmenden. Das Ausb-/SimZ des Kdo SES hat diesen Umstand schnell erkannt und passte die ­Ausbildung an tatsächliche Erkenntnisse aus dem Krieg in der Ukraine an.

    Damit wurde die Ausbildung in folgenden Punkten intensiviert: Kampfmittel erkennen, melden und markieren – Kampfmittelaufklärungsverfahren CHARLIE mit einem besonderen Fokus auf Landminen und Sperren in einem Anschauungsparcours; Leben im Felde – Grundlagen bei mehrtägigen Übungsplatzaufenthalten, Schanzen, Stellungsbau, Alarm-/Beobachtungsposten, Tarnen und Täuschen, Verpflegung im Gelände, Licht- und Geräuschdisziplin; taktisches Arbeiten mit Fahrzeugen – Beziehen von Verfügungsräumen, logistische Meldungen, Tarnen gegen Aufklärung aus der Luft; Sicherungsaufgaben – Streife, Erkundung, Verteidigung aus vorbereiteten Stellungen sowie Gefahr durch Drohnen – Sensibilisierung und Möglichkeiten der Drohnenabwehr, inklusiv Augenmerk auf Reduktion der eigenen Signatur aus der Luft.

    Im Rahmen der Ausbildung zeigt sich, dass mehr Verständnis erzeugt werden muss, um die Ausbildung dieser militärischen Grundfertigkeiten zukünftig weiter auszubauen und zu festigen. Gleichzeitig erscheint es notwendig, ausreichend Ausbildungsmittel, wie beispielweise Tarnausstattungen für Fahrzeuge, für die Sensibilisierung und Möglichkeiten der Drohnenabwehr bereitzustellen.

    Die präklinische Ausbildung mit den Schwerpunktlehrgängen Einsatzersthelfer Bravo und theoretischer Kompetenzerhalt Einsatz- und Notfallsanitäter wurden inhaltlich in Teilen signifikant überarbeitet, um einerseits die Kohäsion mit NATO-Partnern zu gewährleisten und andererseits die oben genannten Erkenntnisse der jüngsten Konflikte zielführend einfließen zu lassen. Beispielhaft wurde im März 2023 die Umstellung der strukturierten Versorgung von Notfallpatienten vom Sichtungsschema „C-ABCDE“ auf „MARCH“ vollzogen sowie die zusätzliche Ausbildung im Bereich Verwundetennest (Casualty Collection Point) abgebildet. Um dem Schwerpunkt der „taktischen Gefechtsfeldmedizin“ gerecht zu werden, mussten Ausbildungsinhalte mit internistischen Schwerpunkten weichen.

    Zusätzlich wurde das Training für Einsatz- und Notfallsanitäter in großen Teilen auf den nahegelegenen Standortübungsplatz verlegt, um ein noch realitätsnäheres Szenario, gemäß dem Leitsatz „train as you fight“, darstellen zu können. Die Vermittlung von Techniken des „Prolonged Field Care“, also Situationen, in denen der Einsatz- und Notfallsanitäter mit zeitlichem Verzug und ohne ärztliche Unterstützung, eine Vielzahl von Verwundeten zu versorgen hat, sind ebenso essentiell. Hierbei stehen invasive Maßnahmen, wie Entlastungspunktionen, Koniotomien oder Thoraxdrainagen auf dem Ausbildungsplan. Lehrgangsteilnehmende können diese Fähigkeiten und die zugrundeliegende Anatomie an Simulationsmodellen intensiv üben.

    Insgesamt zeigt sich ein wandelndes und zukunftsorientiertes Ausbildungsbild auf der Grundlage von „Leassons Learned/Lessons Identified“ der jüngsten Konflikte. Zusätzliche Weiterentwicklungen von Ausbildungsinhalten sind bereits geplant und in der Abstimmung. Grundsätzlich gilt es nun, diese Fortschrittsenergie beizubehalten, um eine Ausbildung mit größtmöglicher Aktualität und mit dem Fokus auf das praktische Beherrschen auch zukünftig jedem Lehrgangsteilnehmenden anbieten zu können.



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