Das Endoskop für die Zahnfleischtasche – nur zur Diagnostik?

Aus dem Funktionsbereich Parodontologie der Klinik für Zahnerhaltung und Parodontologie (Leiter: Prof. Dr. C. Dörfer) des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Einleitung

Die Parodontitis ist nach wie vor eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Menschen. Laut der aktuellen Deutschen Mundgesundheitsstudie (Jordan and Micheelis 2016) leidet ab dem 35. Lebensjahr im Schnitt jeder Zweite unter Parodontitis, für das Seniorenalter sind es europaweit sogar rund 70 % (Holtfreter, Schwahn et al. 2009). Trotz sinkender Prävalenz der Parodontitis insgesamt, wird im Zuge des demographischen Wandels aber weiterhin im höheren Lebensalter mit einem steigenden Behandlungsbedarf zu rechnen sein. Da die Therapie einer fortgeschrittenen Parodontitis regelmäßig die zahnärztliche Praxis vor Herausforderungen stellt, führt dies zwangsläufig zur Forderung nach einer besseren parodontalen Prävention und Prophylaxe (Jepsen, Blanco et al. 2017). Dies setzt aber in jedem Fall eine umfassende Befundung und Diagnostik voraus, denn neben der ursächlichen bakteriellen Auflagerungen auf den Zahnoberflächen sind vielfältige Risikofaktoren für die Erkrankung beschrieben (Papapanou, Sanz et al. 2018). Unter anderem auch psychische Faktoren wie Stress und Depression (Reynolds 2014) können die individuelle Immunantwort bei Parodontitis erheblich beeinflussen, wodurch das Gleichgewicht zwischen opportunistischen Keimen der Mundhöhle verschoben und der Patient an einer Parodontitis erkranken kann.

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Abb. 2: DVT vom Januar 2018
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Abb. 1: Zahnfilm Zahn 14 vom Dezember 2018
Somit steht neben der Behandlung dieser beeinflussenden Faktoren immer noch die Entfernung der ursächlichen Biofilme sowohl während der Parodontitistherapie, als auch zur Prävention dieser im Vordergrund. Jegliche Reinigungsmaßnahmen sollten das Ziel verfolgen, die wirklich kausalen, teils auch mineralisierten bakteriellen Auflagerungen gezielt zu entfernen. Dies kann sich in der täglichen Praxis aber durchaus schwierig gestalten, da die subgingivalen Auflagerungen visuell nicht direkt sichtbar sind. Obwohl Röntgenbilder, sowie in Einzelfällen die digitale Volumentomografie, etablierte Verfahren sind, helfen sie nur bedingt bei der klinischen Detektion von entzündlichen Prozessen des Zahnfleisches als Folge von Biofilm oder mineralisierten Auflagerungen. Wenn also nach nicht-chirurgischer Parodontitistherapie noch residuale entzündliche Zahnfleischtaschen verbleiben, ist der parodontal-chirurgische Eingriff das Mittel der Wahl, um die Wurzeloberflächen unter direkter Sicht instrumentieren zu können.

Dies wird vom Patienten oftmals aber mit Skepsis betrachtet, da neben erhöhten postoperativen Wundschmerzen gegenüber den geschlossenen Verfahren auch Wundheilungsstörungen oder gar Infektionen auftreten können, was eine Restriktion derartiger Vorgehen für zum Beispiel Patienten mit Allgemeinerkrankungen bedeuten kann. In der Medizin sind vielfach minimalinvasive, teils fiberoptisch-unterstützte Maßnahmen in allen Bereichen der Chirurgie als Lösung beschrieben. Sie helfen nicht nur die erwähnten Risiken zu minimieren, sondern verkürzen häufig auch die Behandlungsdauer einschließlich der postoperativen Schmerzphase. Stationäre Aufenthalte können so vermieden werden. Auch wenn fiberoptisch unterstützte Verfahren seit langem in vielen Fächern der Medizin beschrieben sind, in der Zahnmedizin spielen sie bisher kaum eine Rolle. Dies liegt oftmals an den speziellen Anforderungen der Mundhöhle. Um beispielsweise im Sulkus einer Zahnfleischtasche unter Sicht instrumentieren zu können, müssen die Endoskope sehr feine fiberoptische Leiter haben und es bedarf entsprechender Sonden um die Tasche offen zu halten. Nur so kann die Wurzeloberfläche in Echtzeit über einen Monitor betrachtet und mögliche Auflagerungen gezielt entfernt werden. In Deutschland ist für einen derartigen Einsatzzweck ein Endoskop zertifiziert (Perioscopy®,Hersteller Zest Dental Solutions).

Endoskopie in der Parodontologie – Wunsch und Realität

Der Einsatz eines dentalen Endoskopes soll der folgende Fallbericht verdeutlichen.

Im Dezember 2018 stellte sich ein 35-jähriger Patient mit unklaren Beschwerden Regio 14 im Funktionsbereich Parodontologie der Klinik für Zahnerhaltung und Parodontologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel vor. Allgemeinanamnestisch zeigten sich keine Auffälligkeiten. Die klinisch parodontologische Diagnostik ergab isolierte Sondierungstiefen von bis zu acht Millimetern mesial am symptomatischen Zahn 14, sowie eine purulente Suppuration. Der Zahn zeigte eine normale Sensibilität auf Kälte, allerdings auch wiederholt Perkus­sionsbeschwerden. Im Jahr 2010 war alio loco eine Kunststofffüllung (mod) gelegt worden. Sowohl ein Zahnfilm vom November 2018 als auch mehrere alio loco angefertigte digitale Volumentomografien (DVT) des rechten Oberkiefers zeigten eine fortgeschrittene knöcherne Destruktion interdental der Zähne 13 und 14 (Abb. 1 und 2). Vor allem im Vergleich der beiden alio loco angefertigten DVTs vom Januar 2018 (Abb. 2) und Januar 2019 (Abb. 3) wird die Progression der intraalveolären Knochentasche an 14 (mesial-vestibulär) mit Ausdehnung in den intraradikulären Bereich der Furkation deutlich erkennbar. Der Patient gab an, dass bereits acht Jahre zuvor eine geschlossene Instrumentierung der Wurzeloberfläche an Zahn 14 mit nachfolgender Beschwerdefreiheit bis Anfang des Jahres 2018 stattgefunden habe. Anschließend seien wiederholt die gleichen Schmerzen wie 2010 aufgetreten. Im Rahmen der weiteren Behandlung in unserem Funktionsbereich kam das dentale Endoskop (Abb. 4) im Januar 2019 zum Einsatz.

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Abb. 4: Perioscopy® der Firma Zest Dental Solutions. Mithilfe verschiedener Hand-Explorer (a), die den fiberoptischen Leiter (b) und eine Wasserleitung führen, wird auf einem Monitor (c) ein Echtzeitbild des inspizierten Gebietes dargestellt
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Abb. 3: DVT vom Januar 2019
Gleichzeitig war es möglich, die Wurzeloberflächen mithilfe eines Schallscalers und sogenannten Mini-Graceyküretten gezielt zu reinigen. Die Evaluation des Behandlungserfolges konnte direkt erfolgen und bei Bedarf bestand die Möglichkeit, sofort nach zu instrumentieren. Der Verbleib von harten Auflagerungen auf der Wurzeloberfläche und damit eines entzündlichen Fokus konnte somit ausgeschlossen werden. Die Abbildung 5 zeigt einige endoskopische Aufnahmen während der nicht-chirurgischen Parodontitisbehandlung mithilfe des Perioscopy® im Januar 2019. Links (a) der Blick in die entzündliche Tasche, wobei (a1) die Wurzeloberfläche bei gleichzeitiger Bearbeitung mit einer Schallscalerspitze (a2) und den Schild des Hand-Explorers zur Abschirmung des Taschenepithels (a3) zeigt. Im mittleren Bild (b) erkennt man helle harte Auflagerungen auf der Wurzeloberfläche an der mesia­len Furkationseinziehung des Zahnes 14 (b1), die mit einem Schallscaler entfernt werden. Der rechte Ausschnitt (c) zeigt die nun gereinigte Furkationseinziehung des Zahnes (c1).

Während der Nachkontrollen in den folgenden Monaten zeigte der Zahn keine Perkussionsempfindlichkeit mehr, sowie eine normale Sensibilität auf Kälte. Die Sondierungstiefen verringerten sich auf maximal sechs Millimeter (mesial-vestibulär) ohne entzündliche Zeichen (keine Suppuration). Mit dem Ziel, die residuale Taschentiefe von 6 mm und insbesondere die mesiale Furkationsbeteiligung Grad II (Hamp, Nyman et al. 1975) nach erfolgter endoskopisch unterstützter, nicht-chirurgischer Parodontitistherapie weiter zu reduzieren, wurde drei Monate nach der Behandlung mit dem dentalen Endoskop eine regenerative Maßnahme unter Verwendung von Schmelzmatrixproteinen durchgeführt. Hierbei konnte gleichzeitig eine Beurteilung der Wurzeloberfläche nach der Behandlung mit dem Endoskop erfolgen. Dazu wurden nach Mobilisierung des Mukoperiostlappens und vorsichtiger Entfernung des Granulationsgewebes aus dem Bereich der Furkation die Wurzeloberflächen gereinigt und anschließend mit einem EDTA-Gel kondi­tioniert (das Einbringen der Schmelzmatrixproteine erfolgt zum zügigen nachfolgenden Wundverschluss bei bereits vorbereiteten Nähten) (Abb. 6 und 7). Nach komplikationslosem Heilungsverlauf wurde der Patient in eine unterstützende Parodontitistherapiephase, im ersten Jahr alle drei Monate, eingegliedert.

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Abb. 7: Furkation und Wurzeloberflächen des Zahnes 14 (c) sowie Einbringen von Schmelzmatrixproteinen (d)
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Abb. 6: residuale Taschen (a) und papillenerhaltender Zahnfleischrandschnitt zur Bildung eines Mukoperiostlappens (b)
Epikrise des Patientenfalles und Fazit

Die Parodontitis als chronisch entzündliche Erkrankung kann in Abhängigkeit ihres Schweregrades eine deutliche Einschränkung der Kaufunktion und oralen Lebensqualität darstellen. Je schneller die Entzündung also erkannt und beseitigt wird, desto besser sind die Heilungschancen, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Patienten. Deshalb sollte dem regelmäßigen Screening mittels PSI eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Bei leichter parodontaler Erkrankung oder gar nur Gingivitis sind die notwendigen Maßnahmen weit weniger komplex und nicht in jedem Fall sind weiterführende Schritte wie parodontal-chirurgische oder resektive Eingriffe mit entsprechend weniger vorhersagbaren Langzeitergebnissen für den Zahnerhalt erforderlich (Schwendicke, Schmietendorf et al. 2018). Insbesondere bei lokalen Veränderungen des Parodontiums, aber auch während der regelmäßigen Nachsorge einer Parodontitis, kann der Einsatz eines dentalen Endoskopes möglicherweise hilfreich sein. Der chirurgische Aufwand, aber auch die zusätzliche Röntgendiagnostik, können so in Einzelfällen reduziert werden. 

Im vorliegenden Fall hätte ein frühzeitigerer Einsatz des dentalen Endoskopes als adjuvantes Diagnostikinstrument möglicherweise geholfen, die mehrfach alio loco angefertigten DVTs zu vermeiden. Weiterhin konnte in gleicher Sitzung eine mögliche Ursache des lokalen Rezidives in Form der harten Auflagerungen beseitigt werden. Der Nutzen eines dentalen Endoskopes muss aber derzeitig noch gut durchdacht und kalkuliert sein, da gegenüber den unumstrittenen Vorteilen die relativ hohen Anschaffungs- und Verbrauchskosten (zum Beispiel sterile Schutzhüllen für den Lichtleiter) zu rechtfertigen sind. Zudem benötigt man – wie für alle endoskopischen Verfahren – spezielle Trainings und regelmäßige Übung im Umgang mit dem System (Graetz, Schorr et al. 2019). Nichts­destotrotz war der Weg der Endoskopie in die Zahnmedizin ein längst überfälliger Schritt in Richtung neuartiger minimalinvasiver Therapiemethoden, die das Spektrum der parodontalen Diagnostik und Therapie erweitern helfen. 

Anschrift für die Verfasser:
Priv. Doz. Dr. Christian Graetz
Klinik für Zahnerhaltung und Parodontologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Arnold-Heller Str. 3
D- 24105 Kiel
E-Mail: graetz@konspar.uni-kiel.de 

Literatur bei den Verfassern.
Quellenangaben: alle Fotos Christian Graetz

Datum: 15.08.2019

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2019

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