14.01.2019 •

    Warum zivil-militärische-Zusammen­arbeit in der Chirurgie?

    Aus der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie (Chefarzt: Oberstarzt Prof. Dr. R. Schwab) des Bundeswehrzentralkrankenhauses ­Koblenz (Kommandeurin: Generalarzt A. Nolte)

    Fachliche Verflechtung mit zivilen Fachgesellschaften – Die chirurgische Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie (CAMIN) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV)

    Photo
    Abb. 1: Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel, bei seiner Rede zur Eröffnung des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 2017 (Abb.: Verf.)
    Der zivil – militärische Erfahrungsaustausch in der Notfallmedizin, Notfallchirurgie sowie Wiederherstellung/Rehabilitation bietet hierbei traditionell wichtige Schnittmengen. Der gegenseitige Wissenstransfer zwischen Zivil- und Militärchirurgen ist unverzichtbar. Fachgesellschaften wie die „Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie“ (DGAV) fordern ihrerseits diese Expertise geradezu ein. Denn durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr wurden Erfahrungen insbesondere auch auf dem Gebiet der notfallchirurgischen Versorgung gemacht, die besonders geeignet sind die zivil etablierten Vorgehensweisen sinnvoll zu ergänzen.

    Die vergangenen terroristischen Attentate in den europäischen Nachbarländern und in Deutschland sowie die aktuelle und anhaltende terroristische Bedrohungslage zeigen, dass ein gewachsener Bedarf an wehrmedizinischer Expertise auch in der Zivilgesellschaft besteht.

    Im Gegenzug profitieren Bundeswehrchirurgen vom regelhaften Erfahrungsaustausch mit ihren zivilen Kollegen. Innovationen werden transportiert, Forschungsvorhaben umgesetzt oder gemeinsame Register implementiert. Bundeswehrchirurgen orientieren sich als Mitglieder ihrer Fachgesellschaft an deren fachlichem Anspruch. Als Beispiel sei die Qualitätsoffensive der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) genannt. Mit den Schwerpunkten Weiterbildung, Fortbildung, Zertifizierung und Qualitätsmanagement werden Angebote und Veranstaltungen zur Verbesserung der chirurgischen Versorgung gebündelt.

    Die DGAV vereint 13 Arbeitsgemeinschaften in der Fachgesellschaft, die hauptsächlich elektive und onkologisch chirurgische Schwerpunkte abbilden. Der Bereich der Militär- und Notfallchirurgie wurde dabei bis 2013 nicht gebündelt. Durch die Gründung der CAMIN als eigenständige Arbeitsgemeinschaft unter dem Dach der DGAV ist die Militärchirurgie als fester Bestandteil der Fachgesellschaft integriert worden. Dies führt auch zu einer erheblichen und positiven Verstärkung der Visibilität der Bundeswehrchirurgie, des Sanitätsdienstes und nicht zuletzt der Bundeswehr (Abb. 1).

    Die CAMIN – Gründungsgeschichte

    Photo
    Abb. 2: Logo der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie (CAMIN)
    Am 24.01.2013 fand in Koblenz die Gründungsveranstaltung der CAMIN – als Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie – statt. Die Militärchirurgen wollten im Sinne einer bilateralen Wahrnehmung die weitere fachliche Verflechtung mit den zivilen Fachgesellschaften in Deutschland und international voranbringen (Abb. 2).

    Die Zusammensetzung von Vorstand und Beirat der CAMIN spiegelte den Anspruch an die Verbindung von ziviler und Militärchirurgie wider. Erster Vorsitzender wurde Oberstarzt Prof. Dr. med. Robert Schwab, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz. Zur Abbildung der zivil-militärischen Parität wurde der Gründungsvorgang von Univ.-Prof. Dr. med. Hauke Lang, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral und Transplantationschirurgie der Universitätsmedizin Mainz als zweitem Vorsitzenden unterstützt. Die Arbeitsgemeinschaft wurde um zivile und militärische Viszeralchirurgen aus allen Bundeswehrkrankenhäusern als Beisitzer ergänzt. Die CAMIN sollte für Militärchirurgen und zivile Chirurgen gleichermaßen ansprechend sein und Themenschwerpunkte aus der Militärchirurgie im Auslandseinsatz und der Notfallchirurgie in der chirurgischen Flächenversorgung in Deutschland bearbeiten. Zu den Herausforderungen der fachlichen Arbeitsgemeinschaft gehört auch die Gestaltung von Kongresssitzungen, Seminarorganisation oder die Gestaltung von Workshops. Die CAMIN hat mit ihren weit über 200 Mitgliedern zwischenzeitlich eine Mehrzahl ziviler Protagonisten gewinnen können.

    Dabei hat die Assoziation der zivilen und der militärischen Chirurgie eine medizinhistorische Tradition. So wundert es nicht, dass sich mit Bernhard von Langenbeck, Richard von Volkmann und Friedrich Trendelenburg unter den ersten fünf Gründungsmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie gleich drei Uniformträger finden. Herausragende Chirurgen wie Theodor Billroth oder Ernst von Bergmann sind weitere bedeutende Sanitätsoffiziere, die die Chirurgie bis heute geprägt haben.

    Aktivitäten und Ergebnisse

    Exemplarisch für die Arbeit der CAMIN wurden allein im vergangenen Jahr insgesamt acht wissenschaftliche Sitzungen auf den Jahreskongressen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Viszeralmedizin konzipiert und ausgerichtet. Der Fokus dieser Sitzungen lag auf der chirurgischen Notfallversorgung. Die Spanne der Schwerpunkte reichte dabei von der Notfall­chirurgie des in Deutschland seltenen penetrierenden Traumas über das viszeralchirurgische Komplikationsmanagement bis hin zu Versorgungsstrategien im Massenanfall von Verletzten (Abb. 3).

    So widmete sich eine Sitzung der Abgrenzung zwischen den notfallchirurgischen Konzepten „Damage Control Surgery“ (DCS), der unmittelbaren definitiven Versorgung „Early Total Care“ (ECT) und dem intermediären Konzept der „Tactical Abbreviated Surgical Care“ (TASC). In weiteren Sitzungen wurden die Besonderheiten von Schuss- und Explosionsverletzungen beim schweren Thoraxtrauma beleuchtet. Einen relevanten, dauerhaften Schwerpunkt der CAMIN stellt der Anspruch an die evidenzbasierte Laparostoma-Versorgung im Sinne aktueller Algorithmen, technischer Aspekte und ihrem Out­come dar. Hierzu wurde durch die CAMIN ein Register initiiert, welches inzwischen sogar zentral und auf europäischer Ebene für die Erfassung und Auswertung der Daten aller zivilen und militärischen Fälle dient. Zudem widmet sich die CAMIN regelmäßig berufspolitischen Fragestellungen und Aspekten der Weiterbildung junger Chirurgen. Mit der Änderung der chirurgischen Weiterbildungsordnung 2006 hat die Chirurgie ihre ursprünglich vorgeschriebene, breite allgemeinchirurgische Ausbildung als Voraussetzung zur weiteren Facharztspezialisierung verloren.

    Hierdurch ergeben sich schon aufgrund der Facharztkatalogvorgaben z. B. in den vital hochbedrohlichen Höhlenverletzungen mögliche Kompetenzdefizite – insbesondere in der chirurgischen Flächenversorgung Deutschlands.

    Photo
    Abb. 4: Kurs „Viszeralchirurgische Notfallversorgung“. Seit 2017 findet der Kurs in Kombination mit dem sog. ASSET-Course (Advanced Surgical Skills für Exposition im Trauma) des renommierten American College of Surgeons statt. Oben links ein Flyer des Seminars für viszeralchirurgische Notfallversorgung.
    Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken wurde als weiteres Schlüsselprojekt der der OP-Workshop „Viszeralchirurgische, thorakoabdominelle Notfallversorgung“ etabliert (Abb. 4).

    Dieser Kurs wird seit 2014 jährlich zweimal an der Würzburger Universitätsklinik von Militär- und Zivilchirurgen ausgerichtet. Das Kursformat zählt seit 4 Jahren zu den am besten evaluierten Veranstaltungen der Fachgesellschaft (DGAV).

    2017 wurde das Kursformat erfolgreich um den „Advanced Surgical Skills for Exposure in Trauma Kurs (ASSET)“ des renommierten American College of Surgeons ergänzt. Der ASSET-Kurs vermittelt standardisiert die theoretischen Hintergründe und chirurgischen Techniken, um an Körperspendern die Zugänge zur Blutstillung bei lebensgefährlichen Blutungen zu erlernen.

    Der ASSET-Kurs konnte bis dato von zivilen Chirurgen ausschließlich in den USA absolviert werden. Bundeswehrchirurgen war es gelungen, das Kursformat militärintern zur Einsatzvorbereitung nach Deutschland zu holen. Unter der Leitung von Oberfeldarzt Dr. Thorsten Hauer (BwKrhs Berlin) als beauftragtem ASSET-Kursdirektor konnte der Kurs in Würzburg erstmalig auch zivilen Chirurgen zugänglich gemacht werden. Didaktisch folgt der Kurs einer klaren Struktur. Beginnend mit einer Fallübersicht und nachfolgend videoassistierter Anleitung wird die Exposition der relevanten Gefäße in Kleinstgruppen realisiert. Die Kursteilnehmer erhalten abschließend das internationale ASSET-­Zertifikat und das aktuelle Kurshandbuch. Den hohen Anforderungen des American College of Surgeons wurde man durch optimale Kursorganisation und Vorbereitung gerecht. So müssen beispielsweise alle beteiligten Kursin­struktoren eine standardisierte didaktische Ausbildung nach den Vorgaben des American College of Surgeons (ATLS-Instruktor) nachweisen können.

    Vor dem Hintergrund der terroristischen Bedrohungslage wurden zudem jährlich von der ­CAMIN in Zusammenarbeit mit der DGAV mehrere Seminare in ganz Deutschland zur speziellen viszeralchirurgischen Notfallversorgung im Terrorfall konzipiert und äußerst erfolgreich durchgeführt.

    Eines der grundlegenden Konzepte der Militärchirurgie ist die Damage Control Surgery (DCS). Dabei werden am schwerverletzten Patienten nur diejenigen chirurgischen stabilisierenden Maßnahmen durchgeführt, die zur Lebensrettung unabdingbar sind. Von einer unmittelbaren definitiven Versorgung aller Verletzungsfolgen wird unter Reduktion des sekundären Traumas durch die Operation und des dadurch verschlechterten Outcomes abgesehen. Ein wichtiges Instrument der DCS ist u. a. die Anlage eines Laparostomas nach der Traumalaparotomie. Bundeswehrchirurgen haben hier einen möglichen Versorgungsalgorithmus entwickelt und evaluiert. Für dieses Verfahren sind jedoch aufgrund der geringen Inzidenz und mangelnden Datenlage keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen verfügbar. Hier hat die CAMIN in Kooperation mit ihrer Fachgesellschaft und der European Hernia Society (EHS) 2015 das „Laparostoma-Register“ implementiert. Seit nunmehr drei Jahren wurden knapp 500 Datensätze in das Register eingegeben. Die CAMIN gründete zur Analyse die Gruppe „Open Abdomen“ innerhalb ihrer Mitglieder, um die zughörigen Fälle in regelmäßigen Abständen zu analysieren. So wurde auch auf europäischer Ebene ein Netzwerk zum Wissenstransfer geschaffen.

    Die etablierte Fachzeitschrift „Der Chirurg“ (Band 88, Ausgabe 10) erschien 2017 unter dem Leitthema „Versorgung eines Massenanfalls an Verletzten und von Terroropfern“. In sechs Artikeln wurden praktisch-notfallchirurgische und organisatorische Aspekte dieser herausfordernden Szenarien beleuchtet. Die Gastherausgeberschaft wurde hierbei – ganz im Sinne der Leitidee der CAMIN – paritätisch durch Oberstarzt Prof. Dr. Schwab und Prof. Dr. Germer, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsklinik Würzburg übernommen.

    Photo
    Abb. 5: Das in Kürze erscheinende Buch „Notfälle in der Allgemein- und Viszeralchirurgie“, Springer Verlag
    Ein weiteres Projekt der CAMIN ist das in Kürze erscheinende Standardwerk: „Notfälle in der Allgemein- und Viszeralchirurgie – Kurze Wege zur Therapieentscheidung“. (Abb.5)

    Die Herausgeber und Autoren geben dem Leser anhand von 21 Leitsymptomen auf völlig neuen, sog. Paketalgorithmen basierte Handlungsempfehlungen. Sie sollen damit die wichtigsten chirurgischen Notfallszenarien der Allgemein- und Viszeralchirurgie schneller beherrschbar machen.

    Neben der CAMIN hat die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) mit der Arbeitsgemeinschaft für Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie (EKTC) eine zur CAMIN korrespondierende AG gegründet. In enger Kooperation ergänzen und unterstützen sich die beiden Arbeitsgemeinschaften z. B. in dem von der DGU/EKTC ausgerichteten Kursformat der „Terror Desaster Surgical Care“ (TDSC).

    Fazit

    Der zivil-militärischen Zusammenarbeit kommt nicht nur vor dem Hintergrund des querschnittlichen Wissenstransfers zwischen Bundeswehr- und Zivilchirurgen eine besondere Bedeutung zu. Nur durch kontinuierlichen Austausch und enge Vernetzung im Rahmen der ZMZ kann dieser Transfer gewährleistet bleiben. Zudem erfordern die gegenwärtige Terrorlage im In- und Ausland sowie die Herausforderungen der Auslandseinsätze nach wie vor eine konstante Aus- und Weiterbildung auf höchstem chirurgischen Niveau. Anhand der Arbeit der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Militär- und Notfallchirurgie (CAMIN) unter dem Dach der DGAV wird dieser Anspruch kontinuierlich und erfolgreich umgesetzt.

    Auch in der Zukunft kann die weitere Verbesserung der chirurgischen Patientenversorgung nur durch intensive ZMZ erreicht werden. Die Präsenz und aktive Mitarbeit auf der Ebene der Integration in Fachgesellschaften und auf Kongressen erhöht sowohl die Akzeptanz der Bundeswehr im Zivilen, baut Barrieren ab und führt zu erhöhter Visibilität. Auch auf der Arbeits- und Mikroebene kann durch personellen Austausch und gemeinsame Forschungsprojekte ZMZ aktiv gelebt werden. Förderungsoptionen oder die Vereinfachung von Genehmigungsstrukturen im eigenen Bereich wären hierbei zukünftig wünschenswert.

    Die chirurgische ZMZ hat eine medizinhistorische Tradition. Sie wurde in den letzten Jahren in Deutschland aktiv wiederbelebt, ist wiedererwachsen und hat sich als traditionell militärchirurgische Pflicht erneut fest in den zivilen Fachgesellschaften etabliert. 

    Für die Verf.:
    Oberstabsarzt Dr. med. Sebastian Schaaf
    Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie,
    Rübenacherstraße 170
    BwZKrhs Koblenz,
    56072 Koblenz
    E-Mail: sebastianschaaf@bundeswehr.org 


    Datum: 14.01.2019

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2018

    Meist gelesene Artikel