18.09.2018 •

    Nur gemeinsam zum Erfolg

    Heer und Sanitätsdienst

    Kommando Heer, Strausberg


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    Abb. 1: Unterschiedliche Operationen erfordern eine jeweils angepasste Form der sanitätsdienstlichen Versorgung. (Bilder: Gefechtsübungszentrum Heer, Medienarchiv 2013)
    Ein gemeinsamer Ansatz in Ausbildung und Übung, auch als Kohäsion bezeichnet, ist sowohl beim Heer als auch beim Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Bei näherer Betrachtung lässt sich jedoch feststellen, dass insbesondere unter den geänderten militärischen Herausforderungen – Stichwort: Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) ein Teilstreitkraft/Organisationsbereich (TSK/MilOrgBer)-übergreifendes Grundverständnis für Kohäsion nicht uneingeschränkt existiert. Dennoch gilt nach wie vor in Grundbetrieb und Einsatz: Jeder Soldat muss zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort seinen Auftrag sicherstellen. Und dies setzt eine funktionierende Kohäsion voraus.

    Für das Erreichen eines übergreifenden Grundverständnisses von Kohäsion ist es deshalb erforderlich, den eigenen Standort zu bestimmen und sich die Voraussetzungen für ein erfolgreiches gemeinsames Handeln vor Augen zu führen.

    Standortbestimmung – wer und wo ist „ganz vorne“?

    Ganz vorne darf der SanDstBw nicht sein, sonst würde er etwas falsch machen und es müsste noch ein ganz, ganz vorne geben. Ganz vorne befindet sich das Heer, mitten in Gefechtshandlungen unterschiedlicher Einsatzszenarien. In diesen Einsatzszenarien kommt es unweigerlich zu komplexen und lebensbedrohlichen Verletzungs- und Verwundungsmustern. Die getroffenen Erstmaßnahmen, wenn sie frühzeitig, verzugslos und fachgerecht auch unter Gefechtsbedingungen durchgeführt werden, sind für das Überleben des/der Betroffenen bzw. das Behandlungsergebnis von entscheidender Bedeutung und leisten einen direkten Beitrag zur Effizienz der Rettungskette.

    Aus den Erfahrungen und Berichten von Einsätzen im Rahmen von Stabilisierungsoperationen (StabOp), z. B. in Afghanistan, zeigt sich jedoch, dass bei einer Verwundung neben lebensrettenden Sofortmaßnahmen durch Selbst-und Kameradenhilfe in vielen Fällen eine qualifizierte sanitätsdienstliche Versorgung durch die in Form beweglicher Arzttrupps/Rettungstrupps integrierten Sanitätskräfte (SanKr) unmittelbar am Ort der Verwundung durchgeführt wurde und nicht erst mit Übergabe am Verwundetennest erfolgte.

    Diese Bilder der sanitätsdienstlichen Versorgung in den StabOp waren dem Einsatzszenario und den damit verbundenen taktisch-operativen Einsatzbedingungen geschuldet, lassen sich aber keinesfalls so auf ein Szenario „LV/BV“ übertragen.

    Zusätzlich finden sich Unschärfen in der Verwendung von Begriffen und deren Bedeutung. Dies ist z. B. am Begriff Verwundetennest festzumachen, der auch als Synonym für Casualty Collection Point (CCP) bzw. Holding Area verwandt wird. Es kommt immer wieder vor, dass die Truppe diese Begriffe nutzt, ohne zu hinterfragen bzw. zu wissen, welche Verfahren in welcher Zuständigkeit dort Anwendung finden.

    Warum also nur gemeinsam zum Erfolg?

    Abb. 2: Die Schnittstelle der Rettungskette: Ein „Verwundeter“ wird
im Rahmen einer Übung nach Versorgung durch EH an das Sanitätspersonal
übergeben. (Bildquelle: Gefechtsübungszentrum Heer, 2017)
    In Bezug auf die sanitätsdienstliche Versorgung finden sich zahlreiche „Player“ mit unterschiedlichen Hauptaufgaben auf dem Gefechtsfeld. Auf der einen Seite steht das Sanitätspersonal (SanPers), dessen Hauptaufgabe die Durchführung der sanitätsdienstlichen Maßnahmen ist. Auf der anderen Seite finden sich die „Laien“, das Nicht-Sanitätspersonal (NichtSanPers), das diese Maßnahmen im Rahmen der Selbst- und Kameradenhilfe nur als Nebenaufgabe wahrnimmt.

    Zudem steht dem Einsatz des Heeres mit einem breiten Spektrum möglicher Operationen in komplexen und dynamischen Einsatzszenarien eine sanitätsdienstliche Unterstützung mit teilweise sehr großen Entfernungen, überdehnten Einsatzräumen oder Dislozierung der eigenen Kräfte im Raum gegenüber.

    Insbesondere an der Schnittstelle von NichtSanPers zu SanPers ist dieses System sehr vulnerabel. Es ist deshalb von größter Bedeutung, dass die Voraussetzungen für ein gemeinsames erfolgreiches Wirken nicht nur geschaffen, sondern vielmehr sichergestellt und gelebt werden müssen. Dazu braucht es klare Definitionen von Begriffen, das taktisch richtige Verhalten des SanPers, um das Gefecht nicht zu behindern, und letztlich im Endeffekt „blindes Vertrauen“ aufeinander. Nur so kann gemeinsames Handeln von Heer und SanDstBw zum Erfolg führen. Aus Heeressicht heißt das, den Auftrag erfüllen und das Gefecht führen; aus Sicht des SanDstBw ist es die Sicherstellung einer qualifizierten sanitätsdienstlichen Versorgung.

    Welche Voraussetzungen sind dazu notwendig?

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    Abb. 3: Von den 4 Kernkompetenzen (oberere Reihe) ausgehend erfolgt die weitergehende Ausbildung in den verschiedenen Fähigkeitsprofilen (Quelle: Kdo H IV 3 (1), April 2018)
    Gesetzliche und konzeptionelle Vorgaben begründen den Anspruch unserer Soldatinnen und Soldaten auf eine sanitätsdienstliche Versorgung, die auch im Auslandseinsatz in einem Behandlungsergebnis mündet, welches qualitativ dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht. Dabei ist es völlig unstrittig, dass der Anspruch auf die Qualität der Versorgung auch bei LV/BV uneingeschränkt besteht. Die NATO vereinheitlicht diesen Anspruch im Bündnis durch die Vorgaben entsprechender Timelines und quantitativer sowie qualitativer Hinterlegung von Fähigkeiten.

    Durch die Erfahrung aus den Einsätzen mit ihrer steigenden Intensität an Anschlägen und Kampfhandlungen unter gleichzeitiger Bedrohung durch irreguläre Kampfweisen und den daraus resultierenden komplexeren Verletzungsmustern wurde und wird die Sanitätsausbildung angepasst. Der „Helfer im SanDst“ mit Sanitätstasche war schon lange nicht mehr zeitgemäß und wurde durch den Einsatzersthelfer (EH A) ersetzt. Diese Neuordnung der Ausbildung des NichtSanPers war eine Voraussetzung für den Erfolg und hat sich im Einsatz bewährt.

    Dieser Erfolg wurde und wird nicht dem Zufall überlassen, sondern baut aufeinander auf. Folgende Fähigkeiten „ganz vorne“ werden durch NichtSanPers erbracht:

    • Die SanAusb zum EH A ist die sanitätsdienstliche Mindestqualifikation aller Soldatinnen und Soldaten (TSK/MilOrgBer-unabhängig) für Grundbetrieb und Einsatz.
    • Eine darauf aufbauende erweiterte SanAusb umfasst neben dem Einsatzersthelfer B (EH B) für festgelegtes Einzelpersonal der Truppe den Combat First Responder (CFR) für definiertes Personal der Spezialkräfte (SpezKr) und Spezialisierten Kräfte (SpezlKr) der Bundeswehr.

    Die CFR Ausbildung ist in erster Linie auf die speziellen taktisch-operativen Besonderheiten dieser Kräfte und die Bedingungen der sanitätsdienstlichen Unterstützung ausgerichtet. Sowohl EH B als auch CFR sind nur für den Einsatz autorisiert und qualifiziert, lebensrettende Sofortmaßnahmen im Rahmen der erweiterten Selbst- und Kameradenhilfe unter Gefechtsbedingungen bzw. Bedrohungssituationen durchzuführen, wenn kein SanPers verfügbar ist. Sie handeln dabei eigeninitiativ oder im Rahmen der Notkompetenz. EH und CFR sind – unabhängig von den einzelnen fachlichen Ausbildungsinhalten – kein Sanitätspersonal.

    Als zusätzliche Qualifikation wird zukünftig der CFR D ausgebracht. Einsätze, die keine unmittelbare Einsatzunterstützung durch SanPers im jeweiligen Einsatzelement der SpezKr zulassen und eine Versorgungsdauer von über 36 Stunden bis zur Übergabe an eine qualifizierte sanitätsdienstliche (Folge-)versorgung erwarten lassen, übersteigen die Kompetenzen CFR C. Hierfür ist eine weiterreichende Befähigung notwendig, die eine alleinverantwortliche präklinische Versorgung bis zu 72 Stunden ermöglicht. Hierzu ist zukünftig geplant, qualifiziertes NichtSanPers CFR D schon im Grundbetrieb bei den Einsatzkräften der SpezKr auf Zugebene auszubringen und mit einer uneingeschränkten Wahrnehmung der sanitätsdienstlichen Versorgung der Ebene 1, beschränkt auf den Einsatz, zu beauftragen. Derzeit wird diese Fähigkeitslücke durch die Ausbildung von ausgewählten SpezKr zu Rettungsassistenten und anschließend zum Special Operations Medical Sergeant (Ausbildung bei den amerikanischen Streitkräften) gedeckt.

    Abbildung 3 zeigt die Kenntnisse und Fertigkeiten der SanAusb über die verschiedenen Fähigkeitsprofile auf. Allen gemeinsam sind die 4 Kernkompetenzen (Blutstillung, Atemwegssicherung, Wundversorgung und Schmerztherapie), auf denen sich alles Weitere aufbaut.

    Die Zahlen des ausgebildeten NichtSanPers innerhalb der Heereskräfte, aufgeteilt in die verschiedenen Ausbildungshöhen (ausgenommen CFR D), sind in Tabelle 1 dargestellt.

    Tab. 1: Umfänge an ausgebildetem NichSanPers im Heer, Stand Frühjahr 2018 (Quelle: Kdo H III und DSK G 3, März 2018)

    Qualifikation

    Anzahl

                        EH A

    65 000

                        EH B

      1 800

                        CFR A

      1 000

                        CFR B

     620

                        CFR C

     140


    Aber wo liegt nun die Herausforderung?

    Wie häufig sind es Detailfragen, die hier zu den größten Herausforderungen führen. Zum einen besteht ein Ungleichgewicht zwischen der Verwundetenausfallrate und den zur Verfügung stehenden SanKr Ebene 1. Abbildung 4 symbolisiert diese Diskrepanz durch unterschiedliche Zahnradgrößen. Das große Zahnrad steht für das grundsätzliche Planungsrational der Abteilung Planung im Bundesministerium der Verteidigung (Quelle: BMVg Plg I 1 vom 18.08.2017) mit 240 verletzten/verwundeten Soldatinnen/Soldaten pro Tag auf Brigadeebene im LV/BV-Szenario. Das kleine Zahnrad, das den im Vergleich dazu geringeren Umfang an SanKr der Ebene 1 symbolisiert, nutzt sich durch die höhere „Umdrehungszahl“ deutlich schneller ab.

    Zum anderen liegt die Herausforderung dort, wo die zwei Zahnräder mit all ihren sich dahinter verbergenden Kräften ineinandergreifen. Dort ist eine zu 100 % korrespondierende Verzahnung zwingend erforderlich, um ein Weiterdrehen des großen „Getriebes“ sicherzustellen. Genau diese Schnittstelle stellt Heer und SanDstBw in der Realität vor die größten Herausforderungen!

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    Abb. 4: Die Schnittstelle zwischen der Selbst- und Kameradenhilfe und der Ebene 1 stellt Heer und SanDstBw vor die größten Herausforderungen. (Quelle: Kdo H IV 3 (1), April 2018)
    Man muss sich vor Augen halten, dass die Übergabe eines verwundeten oder verletzten Soldaten am Verwundetennest überwiegend innerhalb der Kampfzone und unter Gefechtsbedingungen stattfindet. Hier sind Geschwindigkeit, blindes Verständnis und sicheres Bewegen im taktischen Umfeld von herausragender Bedeutung. Doch Erfahrungen aus Übungen zeigen deutlich auf, dass gerade in diesen Situationen der taktische Führer vor Ort oft nicht weiß, wie der RettTrp einzusetzen ist bzw. wer ihn führt. Die SanKr wiederum kennen nicht durchgängig die Grundzüge der Einsatztaktik „ihrer“ kämpfenden Truppe – eine Grundvoraussetzung, um sich angemessen taktisch zu verhalten.

    Auch befindet sich der taktische Führer in einem Zwiespalt: Er trägt Sorge um die Versorgung des Verwundeten/Verletzten, darf aber seine Kampfkraft nicht schwächen. Diese Gratwanderung zwischen Auftragserfüllung und Fürsorge gilt es zu verstehen und zu beherrschen, um nach den lebensrettenden Sofortmaßnahmen der EH oder CFR eine nahtlose Folgeversorgung durch SanKr sicherzustellen.

    Dafür notwendige Voraussetzungen sind:

    •  gegenseitiges Kennen der Hauptaufgaben,
    •  gemeinsame Ausbildung und
    •  Vertrauen in die Stärken des jeweils anderen.

    Dieses Zusammenwirken von Heer und SanDstBw darf nicht erst in der einsatzvorbereitenden Ausbildung erfolgen, die es für LV/BV in dieser Form nicht gibt. Im Kontingentsystem von Stabilisierungseinsätzen hat der einzelne Soldat mitunter 1 Jahr im Voraus Kenntnis, mit welchen Kameraden er in den Einsatz verlegt und zu welchem Zeitpunkt die einsatzvorbereitende Ausbildung geplant ist. LV/BV hingegen lässt keine planbaren gemeinsamen Ausbildungssequenzen zu, so dass ein regelmäßiges gemeinsames Üben im Grundbetrieb unerlässlich ist und zwingend erfolgen muss. Die Ausbildungseinrichtungen des Heeres sind dazu schwerpunktmäßig zu nutzen.

    Aber nicht nur in der Ausbildung besteht deutlich sichtbarer Optimierungsbedarf. Aus Heeressicht sind die derzeitigen Strukturen SanDstBw quantitativ nicht dafür ausgelegt, das Heer der Zukunft mit der Ausrichtung auf 3 Divisionen (2032) sanitätsdienstlich zu versorgen. Aus diesen Gründen sind folgende Forderungen an die zukünftige sanitätsdienstliche Versorgung zu stellen:

    • Ein deutlicher Aufwuchs von SanKr Ebene 1 ist zwingend erforderlich, damit sie in ausreichender Quantität und Qualität zur Verfügung stehen und eine gemeinsame Ausbildung im Grundbetrieb erfolgen kann.
    • Die Fähigkeit Forward Air Medevac (FAM) ist quantitativ zu verbessern.


    Wie kann aus Sicht des Heeres dieses Defizit beseitigt werden, um zu real funktionierenden Lösungen zu kommen?

    Die Bereitstellung von SanKr, die gleichzeitig Schlüsselpersonal in den Bundeswehrkrankenhäusern sind oder oder als Angehörige der Reserve beordert werden, dürfen nicht als Rational für eine messbare Quantitätssteigerung dienen. Neben der fachlich hohen Expertise ist es vor allem die Verfügbarkeit von -SanKr, die eine angemessene Versorgung der Soldatinnen und Soldaten auf dem Gefechtsfeld sicherstellt.

    Die Forderungen des Heeres stellen Mindestanforderungen an den Grundbetrieb dar, um die Zukunftsaufgaben gemeinsam bewältigen zu können. Hiernach bedarf es eines deutlichen Aufwuchses der SanKr Ebene 1 im Hinblick auf LV/BV und der Aufstellung von 3 Heeresdivisionen bis 2032. Darüber hinaus gilt es, sich Gedanken über die Qualität und Quantität der SanAusb des NichtSanPers zu machen.

    Auch ist die Fähigkeit FAM nicht außer Acht zu lassen, da sie für die Motivation und Einsatzbereitschaft der Truppe, insbesondere auch bei den sicher nicht weniger werdenden verschiedenen Stabilisierungseinsätzen, zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche sanitätsdienstliche Versorgung ist und deutliches Verbesserungspotenzial aufweist. Es muss doch nachdenklich stimmen, dass uns bereits FAM für die UN Mission -MINUSMA nach wenigen Monaten an Grenzen bringt.

    Im Endeffekt wird die sanitätsdienstliche Versorgung für die Truppe derzeit an zwei Punkten besonders spürbar, nämlich

    •  in erster Linie bei der Versorgung auf dem Gefechtsfeld und dann
    •  bei Hunderttausenden von Truppenarztkontakten im Jahr.

    In Anbetracht der zukünftigen Entwicklungen liegt es an Heer und Sanitätsdienst gemeinsam, die Herausforderungen an der Schnittstelle der sanitätsdienstlichen Versorgung „ganz vorne“ zu bestehen.

    Oberfeldarzt Dr. Susanne Firnkes
    E-Mail: susannefirnkes@bundeswehr.org

    Datum: 18.09.2018

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