27.12.2017 •

    Narbenhernieninzidenz und Lebensqualität nach Laparostomabehandlung – Ergebnisse einer Nachsorgeuntersuchung auf Basis eines algorithmusbasierten Versorgungskonzeptes

    Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

    Einleitung

    Photo
    Abb. 1: Das Spektrum postoperativer Befunde nach einer Laparostoma- Therapie ist breit. Primärziele der Therapie sind zunächst das Überleben sowie die Prävention enteroatmosphärischer Fisteln (links oben) und gigantischer ventraler Hernien (links unten). Doch auch ausgeprägte Narben (rechts oben) und funktionelle Beeinträchtigungen trotz guter kosmetischer Ergebnisse (rechts unten) können die individuelle Lebensqualität negativ beeinflussen.
    Schwere abdominelle Traumata, ausgeprägte Peritonitiden und die abdominelle Hypertension bis hin zum abdominellen Kompartmentsyndrom gehören zu den häufigsten Indikationen für die Anlage eines Laparostomas. Wehrmedizinische Relevanz bekommt diese viszeralchirurgische Technik u. a. dadurch, dass sie integraler Bestandteil der Damage-Control-Surgery des Abdomens und somit für den Einsatzchirurgen unentbehrlich ist.

    In den letzten zwei Dekaden konnte eine bemerkenswerte Evolution dieses Verfahrens beobachtet werden, die weg von improvisierten „do it yourself“-Lösungen des temporären Bauchdeckenverschlusses und hin zu kommerziell verfügbaren Material-Sets, eingebettet in standardisierte Versorgungsalgorithmen, führte. State-of-the-Art ist heutzutage die Kombination aus Vakuumtherapie und Faszientraktion, die seit 2006 in Form des „Koblenzer Algorithmus“ in den Versorgungsalltag unserer Klinik implementiert ist [1].

    Im Zuge dessen reduzierten sich schwerwiegende Komplikationen, wie die Entstehung von enteroatmosphärischen Fisteln und gigantischen ventralen Bauchhernien [1], die oft eine aufwändige sekundäre Bauchdeckenrekonstruktion – und damit einen erneuten großen Eingriff – nötig machten.

    Zum Langzeit-Outcome ist allerdings bisher auch in der internationalen Literatur noch wenig bekannt [2]. Oft stehen für den Patienten, nachdem die initiale, katastrophale Erkrankung überlebt wurde, andere Ziele im Fokus als für den behandelnden Arzt. Daher schien die Evaluation des Parameters Lebensqualität (Quality of Life, QoL) im Zuge einer Nachsorgeuntersuchung neben der Narbenhernieninzidenz relevant zu sein.

    Material und Methoden

    Photo
    Abb. 2: Patienten, die eine Narbenhernie zum Zeitpunkt der Nachsorgeuntersuchung aufwiesen, zeigten signifikant niedrigere Scores der körperlichen Dimension der Lebensqualität als Patienten mit intakter Bauchdecke.
    55 Patienten, die in der Zeit von 2006 - 2013 einer Laparostomatherapie bedurften, wurden prospektiv in die Studie eingeschlossen. Dabei wurde initial ein kommerzielles Laparostoma-Set (VAC® abdominal dressing system bzw. ABThera® Sensa T.R.A.C.®, Kinetic Concepts Inc., San Antonio, Texas, USA) bestehend aus einer geschlitzten PE-Viszeralschutzfolie, einem subkutanen Schwamm, Folie und Saugadaptern implantiert. Nach einer Latenz von etwa 48 - 72 Stunden erfolgte eine Second-Look-OP. Abhängig vom Befund wurde das Abdomen verschlossen oder zusätzlich ein Vicryl-Netz zur Faszientraktion unter moderater Spannung eingenäht (Koblenzer Algorithmus) [1].

    Behandlungsrelevante Parameter der operativen und der Intensivtherapie wurden erfasst und Komplikationen, wie enteroatmosphärische Fisteln und nicht gelungener Verschluss der Bauchdeckenfaszie, dokumentiert.

    Nach einem Intervall von 3,8 Jahren (46 Monaten) wurde eine Nachsorgeuntersuchung durchgeführt. Neben einer Anamnese erfolgten eine klinische Untersuchung und eine Bauchdeckensonographie zum Ausschluss von Narbenhernien. Die Lebensqualität wurde mithilfe des SF36-Fragebogens erfasst. Dieser bildet die körperliche und psychische Komponente der subjektiven Lebensqualität ab und gibt durch weitere Unterteilung dieser Dimensionen detaillierte Auskunft über die Qualität der Einschränkung. Die Ergebnisse wurden mit dem deutschen Normkollektiv verglichen und potenzielle Einflussfaktoren geprüft. Die statistische Auswertung erfolgte mit Microsoft Excel® und IBM SPSS 20®.

    Ergebnisse

    Die häufigste Indikation zur Laparostomaanlage stellte die Peritonitis (43,6 %) dar, in den übrigen Fällen war es ein abdominelles Kompartmentsyndrom/Platzbauch (29,1 %) oder ein Abdominaltrauma (27,3 %). Die mittlere Dauer der Laparostomatherapie betrug 17 Tage mit durchschnittlich 6 operativen Eingriffen. Ein Patient (1,8 %) entwickelte eine enteroatmosphärische Fistel; der Faszienverschluss konnte in 41 Fällen erreicht werden, was einer Rate von 74 % / 89 % (Intention-to-Treat- / Per-Protocol-Basis) entsprach. Die Gesamtmortalität im Stu-dien-zeitraum betrug 27 % (16 % intrahospital).

    34 Patienten nahmen schließlich an der Nachsorgeuntersuchung teil. Im Rahmen der Untersuchung wiesen 12 Patienten (35 %) eine Narbenhernie auf, wovon etwa ein Drittel völlig beschwerdefrei war und die übrigen nur geringe Schmerzen angaben. (numerische Analogskala 1 - 5). Patienten, die eine Narbenhernie entwickelten, wiesen eine längere Dauer der Laparostomabehandlung (23,6 versus 15,2 Tage, p  =  ,07) und eine höhere Zahl operativer Wechsel (10,3 versus 6,5, p  =  ,03) auf. In der Regressionsanalyse konnte dieser Zusammenhang nicht bestätigt werden.

    Im Rahmen der Nachsorgeuntersuchung willigten 26 Patienten zudem ein, den SF-36-Fragebogen zu beantworten. Die SF-36-Scores des körperlichen Rollenbildes (54,6 ± 41,0 (0 – 100), p < .01), der körperlichen Funktionsfähigkeit (68,4 ± 29,5 (0 – 100), p = .01) und der gesamten körperlichen Komponente (41,6 ± 13.0 (19 – 62), p = .01) waren im Studienkollektiv niedriger als im Normkollektiv. Die psychische Komponente hingegen zeigte keine Unterschiede. Signifikante Korrelationen dieser Scores fanden sich mit den Behandlungskosten (r =  −0,66, p = .01), der Anzahl transfundierter Erythrozytenkonzentrate (r =  −0,56, p = .04), und dem Intensivmedizinischen Komplex-Score (r =  −0,50, p = .02). Die einfache und multiple Regressionsanalyse bestätigte den Intensivmedizinischen Komplex-Score als Prädiktor der langfristig eingeschränkten Lebensqualität (R² = 0,50, β = −0,70, p = .02). Die Betrachtung der Patienten mit einer Narbenhernie im Studienkollektiv zeigte zudem, dass diese eine deutlich reduzierte körperliche Lebensqualität im Vergleich zu Patienten ohne Hernie angaben (Abb. 2: Patienten, die eine Narbenhernie zum Zeitpunkt der Nachsorgeuntersuchung aufwiesen, zeigten signifikant niedrigere Scores der körperlichen Dimension der Le-bensqualität als Patienten mit intakter Bauchdecke.).

    Schlussfolgerung

    Dem Laparostoma kommt bei der Behandlung schwerster viszeralchirurgischer Erkrankungen große Bedeutung im Inland und im Auslandseinsatz zu. Nach initial hoher Mortalität aufgrund der schweren Grunderkrankung erreichen die Patienten dank zeitgemäßer Laparostomatherapie eine hohe Lebensqualität. 

    Die psychologische Dimension der Lebensqualität ist nicht signifikant beeinträchtigt und körperliche bedingte Einschränkungen hängen mit der Schwere der Grunderkrankung zusammen. Der Intensivmedizinische Komplexscore – als Surrogatparameter der Erkrankungsschwere – ist ein Prädiktor der späteren Lebensqualität.

    Ein relevanter Anteil der Patienten entwickelt im Verlauf nach einer Laparostomabehandlung eine Narbenhernie. Dies führt ebenso zu einer signifikant eingeschränkten körperlichen Dimension der Lebensqualität.

    Ziele der Laparostomatherapie sollten demnach primär das Überleben, das Verhindern von enteroatmosphärischen Fisteln, der möglichst frühzeitige Bauchdeckenverschluss und damit die Reduktion des Narbenhernienrisikos sein, um funktionell einschränkende Langzeitkomplikationen und eine Verminderung der Lebensqualität weitestgehend zu vermeiden.

    Hierbei gilt es in der Zukunft modifizierte operative Verfahren zu evaluieren, die die bisher noch hohe postoperative Narbenhernienrate im Langzeitverlauf reduzieren.

    Literatur

    1. Willms A, Güsgen C, Schaaf S et al. (2015) Management of the open abdomen using vacuum-assisted wound closure and mesh-mediated fascial traction. Langenbecks Arch Surg 400(1): 91 - 99. doi: 10.1007/s00423 - 014 - 1240 - 4
    2. Atema JJ, Gans SL, Boermeester MA (2015) Systematic review and meta-analysis of the open abdomen and temporary abdominal closure techniques in non-trauma patients. World J Surg 39(4): 912 - 925. doi: 10.1007/s00268 - 014 - 2883 - 6


    Oberstabsarzt Dr. Sebastian Schaaf

    E-Mail: sebastianschaaf@bundeswehr.org

    Datum: 27.12.2017

    Quelle: Sebastian Schaaf, Ines Richardsen, Bernd Wagner, Robert Schwab, Arnulf Willms

    Meist gelesene Artikel