30.08.2017 •

Zeitnah vor dem Ausbruch: Surveillance, Medical Intelligence und die Tropenmedizin

Aus der Unterabteilung VI1 „Public Health“ (Unterabteilungsleiter: Oberstarzt Dr. Th. Harbaum) des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr und der Klinik für Anästhesie, Intensiv-, Notfallmedizin und Schmerztherapie2 (Ärztlicher Direktor: Oberstarzt Prof. Dr. L. Lampl) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm (Chefarzt: Generalarzt Dr. R. Hoffmann)

Konfliktgebiete stellen naturgemäß ein „Ha­bitat“ für potentielle Einsätze von Streitkräften dar und diese wiederum finden sich häufig in sub-/tropischen Gebieten.

Mit Einsätzen der Bundeswehr in Regionen außerhalb Zentraleuropas, aber vor allem in tropischen Klimazonen, sind besondere geographisch determinierte Gesundheitsrisiken durch klimatische Einflüsse, Infektionskrankheiten sowie nichtübertragbare Krankheiten verbunden, auf die der Sanitätsdienst fachlich vorbereitet sein muss, um die Gesundheit der Soldaten und ggf. weiterer ihr anvertrauter Populationen zu schützen, zu erhalten, zu fördern und ggf. wiederherzustellen und damit die Einsatzfähigkeit der Truppe sicherzustellen.

Die sanitätsdienstliche Versorgung sowohl der eigenen als auch fremder Streitkräfte im Rahmen internationaler Einsätze sowie die medizinische Nothilfe bei Einsätzen zum Zwecke der humanitären Hilfe setzen Fachkompetenz in der Prävention, Erkennung, Diagnostik und Behandlung von Krankheiten voraus, welche außerhalb des Krankheitsspektrums der gemäßigten Klimazonen liegen: hier liegt nun die wesentliche wehrmedizinische Bedeutung von Tropenmedizin und Tropical Public Health, die mit Einsätzen von Streitkräften in Konflikt- und damit meist tropischen Gebieten für den Sanitätsdienst so grundlegend wie die Luft zum Atmen sind.

Um einsatzrelevante, mitunter tropische, Erkrankungen entweder bereits primärpräventiv vorzubeugen oder zumindest sehr frühzeitig zu erkennen, die Ausbreitung zu verhindern oder zu minimieren, sind Erkenntnisse über die eigene Truppe sowie weltweit das infektionsepidemiologische Umfeld zu analysieren und entsprechende Impf- & Prophylaxe- bzw. ggf. interventionelle Maßnahmen anzuberaumen.

Dabei sind u.a. Daten zur Verbreitung von Gesundheitsgefährdungen zu erheben: handelt es sich um Daten der eigenen Population, wie z.B. der eigenen Streitkräfte, wird dies im Rahmen von Monitoring (z.B. EpiNATO2) oder Surveillance (derzeit als Sonderforschungsprojekt in der Pilotierungsphase: RESIST) durchgeführt. Handelt es sich um alle weiteren externen potentiellen Einflüsse auf die eigenen Kräfte wird diese Gefährdungsanalyse vor, während und nach Einsätzen durch Medical Intelligence geleistet.

Auf Basis der MedInt Akut Produkte werden in den Einsatzgebieten möglichst jährlich in einer Art zeitlich querschnittlichem Ansatz interdisziplinäre Risikoevaluierungen durch verschiedene Public Health-Experten der verschiedenen Approbationen und Fachrichtungen im jeweiligen Einsatzgebiet durchgeführt.

Surveillance[1] ist die fortlaufende systematische Sammlung, Analyse, Bewertung und Bereitstellung von Gesundheitsdaten – v.a. eigener Kräfte und im eigenen Bereich - zum Zweck der Planung, Durchführung und Bewertung von Maßnahmen zur Bekämpfung von übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten und zur frühzeitigen Erkennung von der Norm abweichender Gesundheitsereignisse. Auch ausgewählte Daten aus der Diagnostik der mikrobiologischen Einsatz- und Reach-back-Labore fließen mit ein. Die gezielte Erhebung von Labordaten (laborgestützte Surveillance), zum Beispiel zum Vorkommen von Infektionskrankheiten oder von Infektionserregern oder zur Feststellung der Exposition gegenüber Infektionserregern bei eigenen Kräften, der Population eines Einsatzlandes oder in Überträger-Populationen oder Reservoiren geographisch definierter Gebiete (z.B. Feldlagerumgebung, Truppenübungsplätze), kann im Rahmen der Risikoanalyse und Risikobewertung zusätzlich erforderlich sein.

Man unterscheidet eine syndrombasierte von der spezifischen Surveillance. Syndrombasierte Surveillance wird als eine Art Frühwarnsystem eingesetzt, da die Aufnahme und Analyse von Symptomen und Syndromen ungleich schneller erfolgen kann als ggf. das Abwarten auch einer laborgestützten ICD-kodifizierten Diagnose, die für eine spezifische Surveillance als Grundlage dient.

Im Falle von Ausbrüchen, wie z.B. im April 2016 dem Q-Fieber-Ausbruch bei KFOR können Rapidly Deployable Outbreak Investigation Teams mit mobilen Labor- und epidemiologischen Komponenten zur „spezifischen“ Ausbruchsaufklärung eingesetzt werden.

Welche Formen der Surveillance werden nun im Einsatz der Bundeswehr – und damit dem potentiellen Auftreten tropischer Erkrankungen - zur Anwendung gebracht?

Im Grundbetrieb ist die Bundeswehr im Rahmen der Eigenvollzugskompetenz rechtlich für die Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes verantwortlich. Das hierzu für die Zwecke der Bundeswehr erweiterte Meldewesen wird im Einsatz ebenfalls für die eigene spezifische Surveillance angewendet. Der feststellende Arzt übermittelt – falls vorhanden - über den LSO des Einsatzlandes an den LSO EinsFüKdo. Von dort gehen die Meldungen an die regional zuständige Überwachungsstelle der Bundeswehr. Sofern eingeführt, erfolgen internationale Meldungen i.R. von EpiNATO 2 an die Deployment Health Surveillance Capability (DHSC) des Centre of Excellence for Military Medicine.

Durchgeführt werden die Wochenmeldungen durch die Gesundheitsaufseher in den deutschen Einsatzgebieten. Die Daten wurden nach Krankheit und Einsatzgebiet aufgeschlüsselt und im Gesamten betrachtet.

Darüber hinaus werden ergänzend Daten potentieller Reservoirwirte bzw. als Sentinel die Daten der Diensthunde-Reiserückkehrer  und die Ergebnisse des Vektormonitorings  aus den Einsatzgebieten gewonnen.

Die beiden spezifischen Surveillance-Systeme - IfSG-Meldungen sind gesetzlich vorgeschriebene Meldungen und EpiNATO2 eine NATO-Gesundheitsmonitoringsystem - erfolgen als Wochenmeldungen und sind damit streng genommen so etwas wie der „Wetterbericht der letzten Woche“. Für die langfristige Auswertung, Dokumentation und auch als Grundlage für die Entwicklung von langfristigen Trends sind diese Systeme unersetzlich. Dennoch drängt sich das Fehl eines Frühwarnsystems im Sinne eines Rauchmelders v.a. auch für in Deutschland selten auftretende und mitunter im Verlauf schwere sowie rasch übertragbare Infektionserkrankungen auf: eines syndrombasierten Surveil­lance-Systems.

VISIT (Visitor and Immigrant Health Surveillance and Information Tool)

Im Rahmen der Flüchtlingskrise ist der Bedarf deutlich geworden, ein solches Werkzeug zum Schutz sowohl der Flüchtlinge als auch der deutschen Bevölkerung zur Früherkennung von potentiellen Ausbrüchen schnellstmöglich zu implementieren.

Dazu wurde seitens KdoSanDstBw VI-2 sowie den Bundeswehrkrankenhäusern Koblenz und Ulm im Rahmen einer Sonderforschungsprojekt- Kooperation u.a. mit der Universität der Bundeswehr in Neubiberg, der NATO Deployment Health Surveillance Capability (DHSC) ein System entwickelt, das zugleich mit der „Digital Pen and & Paper (DigiPen)“- Technologie (DPP) (Diagramm Halbach, Schwerte, Deutschland) als Patientendokumentation sowie als Frühwarnsystem insbesondere von Infektionserkrankungen dienen kann.

Das VISIT-Projekt steht als Akronym für Visitor and Immigrant Surveillance Information Tool und stellt ein Frühwarnsystem für Krankheits-Ausbrüche dar. Seit Anfang Mai 2016 ist das VISIT-Pilotprojekt im Rahmen der Flüchtlingshilfe im durch das Sanitätsunterstützungszentrum Munster betriebenen Medical Center im Camp Fallingbostel, Niedersachsen aktiv. Erstmalig und weltweit bisher einmalig wird die Patientendokumentation mit der anonymisierten Übermittlung von infektionskritischen Daten verknüpft. Personenbezogene Daten sind hierfür  nicht erforderlich und werden daher auch nicht an das Analysezentrum übermittelt. Für Krankheitsausbrüche relevante Daten bzw. Schlüsselsymptome werden unmittelbar an ein Patientengespräch digital übertragen. Technisch geschieht dies mithilfe der DigiPen-Technologie. Hierbei scannt ein „normal“ aussehender Stift während des Schreibens die Schrift einzelner relevanter Felder auf einen speziell hierfür erstellten Patienten-Untersuchungsbogen. Sobald der mit den Daten gefütterte DigiPen an einen USB-Port angeschlossen wurde, werden die anonymisierten Daten verschlüsselt an ein Rechenzentrum gesendet.

„…Charmant und bahnbrechend ist diese Verknüpfung aus Patientendokumentation und Surveillance, da kein weiterer Meldeschritt für das medizinische Personal erforderlich ist“ findet Stabsfeldwebel Wilkening.

Beim Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr VI 2.2 „Operative medizinische Aufklärung und Information“ in München werden die Daten mithilfe von speziell dazu entworfenen und stetig weiterentwickelten Verfahren ausgewertet. Dies passiert in enger Zusammenarbeit mit Epidemiologen und Public Health-Spezialisten des DHSC und der Fakultät „Informationstechnologie“ der Universität der Bundeswehr in München.

Auf der Grundlage dieser Analyse werden die zivil verantwortlichen Stellen informiert und können Maßnahmen zur Eindämmung und Kontrolle eines potentiellen Ausbruchs veranlassen. Durch frühzeitige Gegenmaßnahmen kann eine Ausbreitung verhindert werden.

Aufgrund der meist schlechten Gesundheitsversorgung in den (mitunter tropischen) Herkunftsländern der Flüchtlinge sind Infektionskrankheiten ein Thema, die in Europa  weitestgehend unter Kontrolle sind. Als Beispiele seien hier Windpocken, Masern und Tuberkulose genannt. Um frühzeitig Ausbruchsgeschehen in einer besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe, wie Flüchtlingen bzw. in einer außergewöhnlich exponierten Population wie beispielsweise Soldaten im Einsatz, erkennen zu können, ist ein Frühwarnsystem wie VISIT von großer Bedeutung.

Gegenwärtig existiert kein auch nur annähernd vergleichbares Überwachungs- oder Frühwarnsystem, welches so zeitnah fundierte Aussagen zum Gesundheits- und Infektionsstatus der Flüchtlingspopulation treffen kann. Für ein rationales Risikomanagement sind Daten erforderlich, die systematisch für Bad Fallingbostel erhoben werden konnten.

Wehrmedizinischer Ausblick:

In einem nächsten Schritt ist nun beabsichtigt, diese zivil-militärische Variante der Flüchtlingshilfe auch in die militärische Pilotierungsphase im Einsatz zu überführen. Diese Weiterentwicklung wird als RESIST bezeichnet: Real Time Early Warning Surveillance Information and Support Tool. z

 

Anschrift für die Verfasser:
Oberstveterinär Dr. Katalyn Roßmann
KdoSanDstBw VI-2,
Dachauerstraße 128
80637 München
Email: KatalynRossmann@bundeswehr.org

 

[1] Auszug aus Entwurf Konzept Gesundheitsschutz – Gesundheitsförderung/Public Health Bw

 

Datum: 30.08.2017

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2017/2

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