Strukturierung und Evaluation der chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser – Update 2015

Design and evaluation of the postgraduate military surgeons training program in German Armed Forces military hospitals – update 2015

Zum Gedenken an den 10. Todestag von Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß

Aus der Abteilung Unfallchirurgie/Orthopädie, Septisch-Rekonstruktive Chirurgie¹ (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. C. Willy) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter), der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften² (Dekan: Universitätsprofessor Dr. T. Hartung) der Universität der Bundeswehr München (Präsidentin: Professor M. Niehus) und dem Direktorat Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst³ (Direktor: Generalarzt Dr. N. Weller) der Sanitätsakademie der Bundeswehr München (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. E. Franke)

Christian Willy¹, Eva-Maria Kern², Kai Kehe³ und Norbert Weller³

WMM, 59. Jahrgang (Ausgabe 8/2015; S. 236-244)

Originalarbeit

Zusammenfassung: Verwundungen in militärischen Konfliktsituationen gehen mit Verletzungsmustern einher, die in aller Regel in der zivilen ärztlichen Versorgung in Ausprägung und Art selten bis gar nicht gesehen werden. In einer Zeit der zunehmenden Subspezialisierung ist es erforderlich, dass der im Auslands-einsatz arbeitende Chirurg eine breite Kenntnis auf verschiedenen Gebieten der Chirurgie erwirbt und erhält.

Zusammenfassung

Verwundungen in militärischen Konfliktsituationen gehen mit Verletzungsmustern einher, die in aller Regel in der zivilen ärztlichen Versorgung in Ausprägung und Art selten bis gar nicht gesehen werden. In einer Zeit der zunehmenden Subspezialisierung ist es erforderlich, dass der im Auslands-einsatz arbeitende Chirurg eine breite Kenntnis auf verschiedenen Gebieten der Chirurgie erwirbt und erhält. In der aktuellen globalen Sicherheitslage können aber auch zivile Einrichtungen Ziele terroristischer Gewalt sein, was mit dem Auftreten von Explosionsverletzungen (improvisierte Sprengfallen, Bombenanschläge) einhergehen kann. So muss man sich heute im Extremfall auch in der Heimat auf „kriegsähnliche“ Verletzungsmuster einstellen. Daher sind Kenntnisse zur Behandlung dieser Verletzungen und deren Training für den Militär- wie auch für den zivilen Chirurgen von Bedeutung.

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Abb. 1: Möglicher Weiterbildungsgang: Basisweiterbildung (Beispiel)

Um Chirurgen der Bundeswehr bestmöglich auf die autonome Einsatzversorgung vorzubereiten und hierfür auszubilden, wurde ein sogenanntes „DUO-plus“-Ausbildungskonzept entwickelt, mit dem der angehende Chirurg zunächst zum Facharzt für Allgemeine Chirurgie und dann wahlweise zum Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie, Viszeral-, Gefäß- oder Thoraxchirurgie beziehungsweise zum plastischen Chirurgen weitergebildet wird. Weitere Inhalte der Weiterbildung sind ein Neurotrauma-, ein Einsatzchirurgie- und ein gefäßchirurgischer Notfallkurs. Mit erfolgreichem Abschluss des Kompetenzerwerbs zum Sanitätsoffizier „Einsatzchi-rurg“ wird diese Bezeichnung zeitlich befristet zuerkannt. Der Erhalt dieser Kompetenz erfordert die regelmäßige Tätigkeit in den genannten Facharztkompetenzen, in denen der Chirurg nicht arbeitstäglich eingesetzt ist. Derzeitige Haupt-anstrengung ist es, modernen Anforderungen eines Qualitätsmanagements genügend, ein im chirurgischen Routinealltag praktikables Verfahren für den Kompetenzerwerb/-erhalt und die Evaluation dieser Maßnahme zu entwickeln.

Schlüsselworte: Einsatzchirurgie, Militärchirurgie, militärchirurgisches Weiterbildungsprogramm

Summary

Military conflicts are leading to injury patterns and diseases that are rarely seen in patients treated in the civilian health systems. The high grade of specialization among surgeons requires a broad spectrum of surgical skills that has to be achieved and maintained by deployed military surgeons. Regarding to global security aspects even civilian facilities can become targets of acts of terrorism leading to blast injuries by improvised explosive devices or bomb attacks – leading to patients with similar injuries as observed in military conflicts even in our homeland. Therefore knowledge about the treatment of those injuries as well as the training of their treatment is highly important for surgeons in the civilian health system as well. To train and prepare military surgeons of the German Armed Forces in the best way for stand-alone deployments a so called “DUO-plus” training concept was developed. This means that all military surgeons achieve the qualification as a general surgeon before they start their specialists training in trauma surgery / orthopedics, abdominal- , thoracic- , vascular- or plastic surgery. A basic training in neuro-traumatology, an emergency course in vascular surgery and a special course in surgical treatment principles on deployment are part of the training. If passing all training parts successfully the expertise as a “Combat Ready Military Surgeon” (“Einsatzchirurg”) is approved for a limited time. Depending on his own specialization a military surgeon has to repeat a catalogue of training procedures in the other above mentioned surgical fields. This paper describes the quality management procedures which were started to integrate this training and its evaluation process into daily clinical routine.

Keywords: deployment surgery, military surgery, military surgeon training program

Einleitung

Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß (1947 - 2005) war der erste Chirurg der Bundeswehr, der 1990 im Rahmen des „Neuen Aufgabenspektrums“ der Bundeswehr „in den Einsatz“ ging (Kambodscha). Noch knapp eineinhalb Jahrzehnte später leitete er im Jahre 2004 die Klinik in Kunduz (Afghanistan) im Rahmen des ISAF-Einsatzes. Die in seinen Einsätzen gemachte Erfahrung, aber auch das breite Spektrum seiner eigenen Weiterbildung zum Chirurgen und Unfallchirurgen, trugen entscheidend zur Prägung der von ihm mitgestalteten Weiterbildungsstruktur in seiner Heimatklinik, dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm, bei. Seinen ganzen Einfluss verwandte er darauf, gegen eine zu frühe Spezialisierung des jungen Chirurgen zu wirken und vielmehr eine anfängliche Breite zu fordern und zu ermöglichen. Um hier auch nachhaltig einen klaren und für alle transparenten Weg aufzubauen, arbeitete er innerhalb des Sanitätsdienstes sehr eng mit dem seinerzeitigen Ausbildungsreferat im Führungsstab des Sanitätsdienstes im Ministerium der Verteidigung, aber auch berufspolitisch sehr aktiv mit dem Referenten des Weiterbildungsreferates der Bundesärztekammer zusammen. Dadurch prägte er wesentlich das heutige Weiterbildungskonzept des Einsatzchirurgen.

Von Professor Gerngroß wurde seinerzeit immer wieder gefordert, die Evaluation der Weiterbildungsqualität wissenschaftlich zu unterstützen – ein von ihm formuliertes Ziel, das heute (endlich) Gestalt annimmt. Der nachfolgende Beitrag soll die aktuelle Situation kurz darstellen und wird uns wissen lassen, dass der Gerngroß’sche Geist mit dem bisher schon Erarbeiteten sicherlich noch nicht ganz zufrieden wäre, wir jedoch auf einem guten und im internationalen Vergleich sicherlich sogar auf einem sehr guten Weg sind.

Vorbemerkt soll sein, dass die Einsatzrealität des Sanitätsdienstes der Bundeswehr auch heute bestimmt wird durch Aufgaben der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung mit einem hierfür breiten Spektrum möglicher militärischer Operationen der Land-, Luft- und Seestreitkräfte. Hinzu kommen nun potenziell kurzfristige Einsätze wie zum Beispiel Geiselbefreiungen deutscher Bundesbürger oder auch die Unterstützung ziviler Organisationen bei globalen Gesundheitsherausforderungen. Aktuelles Beispiel (2014) ist die „Ebola-Hilfe“ in Westafrika. Aus diesen Rahmenbedingungen, zu denen auch die steigenden Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit im zivilen Gesundheitswesen, gesetzliche Regelungen sowie Vorgaben der Beschlussgremien der gemeinsamen Selbstverwaltung, der Standesvertretungen („Kammern“) oder der Fachgesellschaften gehören, ergeben sich zwangsläufig Konsequenzen für das zukünftige Anforderungsprofil der Chirurgen in der Bundeswehr und damit für ihre Fort- und Weiterbildung. Diese gelingt nur dann auftragsgemäß, wenn die unterschiedlichen zivilen und militärischen Entwicklungslinien zu einer strukturierten Weiterbildung verbunden werden, so dass die Leistungserbringung für Soldaten im Auslandseinsatz durch qualifiziertes chirurgisches Fachpersonal im Ergebnis ebenso gewährleistet ist wie eine hochwertige Inlandsversorgung im System der Bundeswehrkrankenhäuser, die in die reguläre zivile medizinische Krankenversorgung voll eingebunden sind. Angesichts der gemeisterten und weiter zu bewältigenden immensen Herausforderungen der Einsatzmedizin kann man annehmen, dass zivile Standards hier nicht allein das Maß der Versorgungsgüte sein können, da eine Kompatibilität nicht gegeben ist. Vor dem Hintergrund der hohen internationalen Reputation des deutschen Sanitätsdienstes kann ein Benchmarking nur im Vergleich mit anderen Sanitätsdiensten befreundeter Nationen erfolgen. Dies gilt als Fernziel in analoger Weise auch für die zu erwerbenden (Kern-)Kompetenzen („core skills“) von (Einsatz-)Chirurgen.

Das Aufgabenspektrum des Einsatzchirurgen

Die Chirurgen des Sanitätsdienstes müssen während eines Auslandseinsatzes ein sehr breites fachliches Spektrum kompetent abdecken [8, 9]. So setzt eine adäquate einsatzchirurgische Versorgung die Beherrschung aller lebensrettenden Notfallmaßnahmen der Facharztkompetenzen der Thorax-, Viszeral, Gefäß- und Unfallchirurgie voraus. Zusätzlich sind auch praktische Fähigkeiten im Bereich der Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Ophthalmologie, Urologie und Gynäkologie sowie ausreichende Kenntnisse über die Behandlung der Verbrennungskrankheit und Maßnahmen der chirurgischen Intensivmedizin erforderlich. Diese breite chirurgische Kompetenz kann aufgrund der limitierten personellen Ressource „chirurgisch tätiger Sanitätsoffizier“ nicht in allen Einsätzen durch Teambildung erreicht werden (zum Beispiel Stationierung eines OP-Teams mit drei Fachärzten für Orthopädie/Unfallchirurgie, Viszeralchirurgie und Gefäßchirurgie). Diese Art des „Kompetenzsplittings“ würde durch eine Einsatzzeitdauer von dann 3 - 4 Monaten/Jahr den Betrieb im Heimatkrankenhaus empfindlich behindern und, bezogen auf den Einzelnen, zu einer nicht durchhaltefähigen Individualbelastung führen. Somit ist es erforderlich, dass der einzelne Chirurg in der Bundeswehr über Kompetenzen für lebens- und Gliedmaßen erhaltende Notfalleingriffe verfügt (= Einsatzchirurg), die über die Inhalte der jeweils für ihn gültigen Weiterbildungsordnung der einzelnen chirurgischen Fachgebiete hinausgehen (Tabelle 1).

Weiterbildung zum Einsatzchirurgen

Zivile Rahmenbedingungen für die Weiterbildung
Die für Einsatzchirurgen erforderliche militärchirurgische Weiterbildung von Sanitätsoffizieren der Bundeswehr muss auch den Gegebenheiten und zukünftigen Entwicklungen der zivilen Krankenhauslandschaft und den aktuellen offiziellen Vorgaben der Weiterbildungsordnung (WBO) genügen. Diese birgt für eine breite Ausbildung sowohl Chancen, als auch Risiken. Auf der einen Seite wird von Beginn an ein sehr gezieltes Heranbilden von Spezialisten ermöglicht, auf der anderen Seite wird Grundlegendes nicht erlernt. Trotz „common trunk“ hat der zukünftige Facharzt für Viszeralchirurgie innerhalb seiner sechsjährigen Weiterbildungszeit möglicherweise nie einen „Fixateur externe“ gesehen oder selbständig implantiert, hat nie einen Gips angelegt, nie eine komplizierte Fraktur versorgt oder hierbei assistiert – ein für den Einsatzchirurgen denkbar ungünstiger Kompetenzaufbau! Die Flexibilität der Weiterbildungsordnung geht dabei so weit, dass die zeitlichen Mindestvoraussetzungen eines angehenden Facharztes für Viszeralchirurgie zwar theoretisch bei nur drei Jahren in der eigenen Fachrichtung liegen, aber auch volle fünf der insgesamt sechs Jahre ausschließlich im Fach Viszeralchirurgie zugebracht werden können. Ebenso denkbar ist es, dass ein Facharzt für Orthopädie und „Unfall“-Chirurgie keine Expertise in der Behandlung des Schädelhirn-, des Thorax- und des Bauchtraumas entwickeln kann – also genau für die Situationen, in denen ein Unfall-opfer lebensgefährlich verletzt sein wird.

Weiterbildungsinhalte des Militär- und Einsatzchirurgie- Kurskonzeptes – kein Weg zur Omnipotenz!
Militärchirurgisch relevant sind die Facharztkompetenzen Viszeral-, Gefäß-, Unfall-, Thoraxchirurgie sowie die Allgemeinchirurgie. Um die erforderliche breite chirurgische Kompetenz entwickeln zu können, wird der Weiterbildungsgang für einen Bundeswehr-Chirurgen nach dem sogenannten Modell „DUO plus“ (idealtypisch: 1. Facharzt: Allgemeine Chirurgie +
2. Facharzt: Viszeralchirurgie oder Orthopädie/Unfallchirurgie oder Gefäßchirurgie, „DUO“) um zusätzliche obligate Kurse („plus“) erweitert (Abbildung 1). Seit Anfang 2010 wird zudem die fakultative Teilnahme an einer 3-monatigen Hospitation in Südafrika (RSA) angeboten, bei der vor allem Kenntnisse über penetrierende Verletzungen vermittelt werden. Ziel der Weiterbildung zum Einsatzchirurgen ist nicht der omnipotente Generalist (also der „Alleskönner“), sondern ein Chirurg, der sowohl die gesamtchirurgischen Notfallsituationen, als auch die Basischirurgie für den Einsatz und die humanitäre Hilfe beherrscht, jedoch zusätzlich im Interesse des eigenen Werdeganges und des Heimatkrankenhauses auch zu einem Spezialisten in (s)einer chirurgischen Disziplin weitergebildet wird. Dies ermöglicht es ihm, im Einsatz alle lebensgefährdenden chirurgischen Notfallsituationen der verschiedenen Fächer zu erkennen und zu behandeln. Zusätzlich kann er auch komplexere Problemsituationen einer Lösung zuführen [10, 11].

Vorgaben für den Kompetenzerhalt
Nach Erreichen der zunächst noch bundeswehrinternen Qualifikation „Einsatzchirurg“ ist die intensive operative Tätigkeit im eigenen Fachgebiet unabdingbar. Der dauerhafte Erhalt der Notfallkompetenzen komplementärer chirurgischer Teilbereiche erfordert eine regelmäßige Tätigkeit in den Gebieten, in denen der Einsatzchirurg nicht arbeitstäglich eingesetzt ist, sowie die regelmäßige Wiederholung der drei einsatzrelevanten Kursmodule.

Evaluation der Weiterbildung

Grundsätzliche Bedeutung
Zweifellos gibt es, wie überall, mehr oder weniger große Qualitätsunterschiede zwischen (konkurrierenden) Kliniken in Bezug auf die Weiterbildung. Eine Evaluation eben dieser Qualität und das letztlich unvermeidliche Bekanntwerden der entsprechenden Ergebnisse könnten dann zur Folge haben, dass die Kliniken mit „schlechter“ Weiterbildung (gar) keinen Nachwuchs mehr bekommen.

Aber dürfen uns solche Überlegungen daran hindern, unsere Ausbildungsqualität zu evaluieren? In Zeiten einer omnipräsenten evidenzbasierten Medizin ist es nach Auffassung der Autoren unabdingbar, auch eine daten- und evidenzbasierte Lehre zu etablieren. Eine wissenschaftliche Basis sollte nicht nur den klinischen Alltag in der Behandlung des Patienten bestimmen, sondern darüber hinaus auch dazu dienen, die Aus- und Weiterbildung des Chirurgen zu optimieren. Ohne Daten und deren strukturierte statistische Auswertung ist dies nicht möglich, was im Umkehrschluss letztlich in einer suboptimalen Behandlung des Patienten resultiert. Die Erarbeitung eines strukturierten Weiterbildungskonzeptes und Weiterbildungscurriculums „Einsatzchirurgie“ bedingt somit die Notwendigkeit einer validen quantitativen und qualitativen Erfassung der Qualität der eigenen Weiterbildungsaktivität (Prozessqualität) und auch des Ergebnisses aller „Bemühungen“ – der Qualität der Ausgebildeten (Ergebnisqualität). Gezielte Gestaltung und Steuerung der Weiterbildung bedürfen darüber hinaus im Vorfeld einer systematischen Analyse der Weiterbildungsprozesse sowie der Etablierung eines systematischen Prozessmanagements [6]. Dieses ermöglicht:

  • die Objektivierung der eigenen Qualität (Kontrolle),
  • das Einführen eines evidenzbasierten Weiterbildungskonzepts in die chirurgische Lehre,
  • die Analyse des Weiterbildungsbedarfes (Ressourcenbegründung gegenüber dem Kostenträger, Chance für Weiterentwicklung durch Ressourcenbündelung),
  • die Begründung von Investitionen in das Weiterbildungssystem Bundeswehrkrankenhaus,
  • die Definition von Steuerungsparametern für die Entwicklung des einsatzbezogenen chirurgisch operativen Kompetenzerwerbs,
  • die Vergleichbarkeit von Weiterbildungsstätten (Benchmarking) und Weiterzubildenden sowie
  • die Standardisierung der Weiterbildungsqualität (Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit für die Gestellung multinationaler Teams).

Entscheidend wird in der nahen Zukunft jedoch sein, Parameter zu definieren, mit deren Hilfe man den Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen und die Qualität der Weiterbildung objektiv und ohne Rückgriff auf Surrogat-Parameter, wie Lernbedingungen, Internetzugangsmöglichkeit und Arbeitszeit, evaluieren kann. Eine erste Pilotstudie, die die Praktikabilität einer Selbst-evaluation ausgebildeter Fachärzte für Chirurgie (teilweise mit ein bis zwei weiteren chirurgischen Facharztbezeichnungen) untersuchte, zeigte den Wert auch einer solchen „subjektiven“ Bewertung des Weiterbildungsergebnisses (Abbildungen 2, 3 und 4).

Evaluation der Weiterbildung – Nächste Schritte
In einer eng verzahnten wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Sanitätsakademie der Bundeswehr, den chirur-gischen Kliniken in den Bundeswehrkrankenhäusern, der Universität der Bundeswehr München (Professur für Wissensmanagement und Geschäftsprozessgestaltung) und dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr werden derzeit im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie zum Qualitätsmanagement in der Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr unter anderem weitere „alltagstaugliche“ Kriterien der Weiterbildungsqualität definiert. Diese werden für die in Abbildung 5 dargestellten Qualitätsdimensionen ermittelt. Dazu gehört aber auch, die im „Weiterbildungssystem Bundeswehrkrankenhaus“ häufig bestehenden Störgrößen in den Prozessabläufen zu identifizieren. Das sind beispielsweise mangelnde OP-Kapazitäten oder Personalengpässe.

Im Folgenden werden mögliche Beispiele kurz angesprochen, welche im derzeit durchgeführten Forschungsvorhaben „Wissenschaftliche Entwicklung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) für die Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr unter Berücksichtigung anerkannter konzeptioneller Modelle der Dienstleistungsqualität“ erarbeitet wurden [5].

Das vor Ort angebotene Spektrum an Operationen im Verhältnis zu den im Weiterbildungskatalog geforderten Operationen oder die Anzahl der Fachärzte in Vollzeit sowie die Anzahl der Operationen im Verhältnis zur Anzahl der Weiterzubildenden (Bezugszeitraum: Jahr) sind beispielsweise wichtige Indikatoren (Kennzahlen) für die Potenzialqualität einer weiterbildenden Klinik. Ganz besonders interessant könnte hier die Definition von Trigger-Operationen sein, das heißt von „Kenn-Operationen“, die für „interessante“, breit weiterbildende Kliniken –wie die Bundeswehrkrankenhäuser – markant sind.

Für die Bewertung der Prozessqualität könnten daneben die durchschnittliche Dauer bis zur Anerkennung der ATN[1] Einsatzchirurgie (8084000) – und damit als bundeswehrinterne Zertifizierung die Anerkennung einer Kompetenz -, die Anzahl der durchgeführten Morbiditäts- und Mortalitäts-Konferenzen oder der besuchten externen Fortbildungsveranstaltungen pro Weiterzubildendem herangezogen werden.

Im Rahmen der „Kompetenzorientierung“ und der Vorbereitung auf Einsatzaufgaben ist letztlich aber die Ergebnisqualität – mit ihren Perspektiven „Output-“ und „Outcome-Qualität“ –von ganz wesentlicher Bedeutung.

Indikatoren für die Bewertung der Dimension Output kann unter anderem das in Großbritannien bereits auch in der zivilen Weiterbildung verpflichtende „Procedure Based Assessment“ liefern, das für Trainee und Tutor gleichermaßen erfolgt. Dies könnte ergänzt werden durch die Anzahl der durchgeführten Trigger-Operationen pro Weiterzubildendem (einzelne von der Konsiliargruppe Chirurgie definierte, hoch-einsatzrelevante Ope-rationen; zum Beispiel 5 - 10 verschiedene Prozeduren pro chirurgischem Fachgebiet).

Um darüber hinaus eine Einschätzung des Outcomes vornehmen zu können, sind zwei zusätzliche Evaluationsschritte in der Diskussion:

  • Fremd-Evaluation des Chirurgen nach Erwerb des zweiten Facharztes durch einen Beauftragten für die einsatzchirurgische Weiterbildung und die Weiterbildungsbefugten in Hinblick auf die tatsächliche Qualität am Patienten im potenziellen Einsatz oder
  • Selbst-Evaluation des Chirurgen nach Erwerb des zweiten Facharztes, inwieweit er durch die Facharztweiterbildungen auf die Gegebenheiten seiner Tätigkeit im Einsatz (vor dem Hintergrund seiner bisherigen Einsatzerfahrung) vorbereitet wurde.

Die finale Abstimmung und endgültige Festlegung der Kriterien sowie der Kennzahlen zu deren Messung sind derzeit noch Gegenstand der abschließenden Untersuchungen im Forschungsvorhaben QMS in der Ausbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Zusammenfassung und Schlussbemerkungen

Vor dem Hintergrund der fachlichen Anforderungen an einen Militärchirurgen, die sich aus den Einsatzerfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte und den zugrunde liegenden zivilen berufspolitischen Vorgaben ableiten lassen, wurde ein zukünftiges Weiterbildungsprogramm für den chirurgisch tätigen Sanitätsoffizier erarbeitet. Nach Erörterung des Vorhabens bei der Bundesärztekammer und der Gemeinsamen Weiterbildungskommission (Berufsverband der Deutschen Chirurgen e. V., chirurgische Fachgesellschaften) wurde das hier vorgestellte Weiterbildungskonzept Mitte des Jahres 2009 durch den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr angewiesen. Somit ist es für den in Weiterbildung befindlichen Chirurgen der Bundeswehr derzeitig grundsätzlich verpflichtend, zwei Facharztkompetenzen zu erwerben. In das „DUO plus“-Modell werden zusätzlich Wissensanteile anderer operativer Fachgebiete sowie militärfachliche Inhalte integriert. Bei Erreichen der erforderlichen Kompetenzen wird die bundeswehrinterne Bezeichnung „Einsatzchirurg“ offiziell zuerkannt. Die Anerkennung ist beschränkt auf einen Zeitraum von fünf Jahren, in denen festgelegte Kurse und Qualifikationen für einen Kompetenzerhalt wiederholt werden müssen, um dann eine erneute Anerkennung zu erhalten. Unbenommen von dem in der Regel geplanten Einsatz als „Solist“ besteht selbstverständlich immer die Möglichkeit, lageabhängig ein bereits vor Ort arbeitendes Team durch weitere chirurgische Kollegen mit komplementären Facharztkompetenzen zu verstärken. Um dies zu gewährleisten, erfolgt die Einplanung des chirurgischen Einsatzpersonals gezielt durch den Einsatzbeauftragten der Konsiliargruppe Chirurgie. Das derzeit in Entwicklung befindliche Qualitätsmanagement kann zukünftig das Weiterbildungsmodell Einsatzchirurgie im „Gerngroß’schen Sinne“ wissenschaftlich begleiten, um die notwendigen Ansatzpunkte zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung zu identifizieren.

Überlegungen, die angestellt werden müssen, um auch zukünftig bei zunehmender Sub- und Superspezialisierung eine breite chirurgische Notfallkompetenz eines chirurgisch tätigen Sanitätsoffiziers in besonderen Situationen – wie zum Beispiel im Rahmen eines Auslandseinsatzes – zu gewährleisten, sollten jedoch nicht alleine auf den rein militärischen Bereich beschränkt bleiben. Auch der zivile Bereich wird sicherlich kritisch dem fachlich und juristisch begründeten Weg der zunehmenden Spezialisierung gegenüberstehen und berücksichtigen wollen, dass auch im zivilen Umfeld Ärzte in gewissen Szenarien für die Notfallversorgung auf einer sehr breiten fachlichen Basis gefordert sein können. Dieses könnte zum Beispiel im Rahmen humanitärer Hilfe, bei Terroranschlägen, Großschadenslagen oder Katastrophen in Metropolgegenden sein, wie wir sie ja leider durch Bombenanschläge beim Boston-Marathon 2013 [1, 4] oder in der Londoner U-Bahn 2005 [7] erleben mussten. Es wird also darauf ankommen, die dargestellten Fähigkeiten substanziell und nachhaltig zu fördern und gegebenenfalls auch nicht nur auf den Bereich der Bundeswehr zu beschränken. Nur so können wir robust gegen Schwankungen der Risikoperzeption sein und die künftigen Einsatzchirurgen vernünftig ausbilden. Das gebietet die Verantwortung gegenüber unseren anvertrauten Patienten, gegenüber unseren chirurgisch tätigen Kameraden – und das gebietet uns auch das Andenken an den großen Militärchirurgen Oberstarzt Prof. Dr. Gerngroß.

Acknowledgment

Dieser Beitrag ist im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Wissenschaftliche Entwicklung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) für die Ausbildung im SanDstBw unter Berücksichtigung anerkannter konzeptioneller Modelle der Dienstleistungsqualität“ (M/SABX/DA006) entstanden.

Literatur

  1. Biddinger PD et al.: Be prepared – the Boston Marathon and mass-casualty events. N Engl J Med 2013; 23;368(21):1958-1960.
  2. Boffard KD: Manual of Definitive Surgical Trauma Care. 2nd Edition. Appendix D (DSTCTM course – core surgical skills). London, UK: Hodder, Arnold; 2007.
  3. Donabedian, A: Evaluating the quality of medical care. Milbank Mem Fund Q Health Soc 1966; 44:176-206.
  4. Gates JD et al.: (2014) The initial response to the Boston marathon bombing: lessons learned to prepare for the next disaster. Ann Surg 2014; 260(6):960-966.
  5. Kern E-M: Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Wissenschaftliche Entwicklung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) für die Ausbildung im SanDstBw unter Berücksichtigung anerkannter konzeptioneller Modelle der Dienstleistungsqualität“ (M/SABX/DA006), 2015.
  6. Kern E.-M. (Hrsg.): Prozessmanagement individuell umgesetzt: Erfolgsbeispiele aus 15 privatwirtschaftlichen und öffentlichen Organisationen. Berlin Heidelberg: Springer Gabler 2012.
  7. Patel HD et al.: Pattern and mechanism of traumatic limb amputations after explosive blast: experience from the 07/07/05 London terrorist bombings. J Trauma Acute Care Surg 2012;73(1):276-281.
  8. Willy C: Deployment advanced surgical education curriculum for the German military medical service. Z Orthop Unfall 2008;146(6): 691-692.
  9. Willy C, Völker HU, Steinmann R, Engelhardt M: Patterns of injury in a combat environment - 2007 update. Chirurg 2008; 79(1): 66-76.
  10. Willy C, Gutcke A, Klein B, Rauhut F et al: The educational program for modern military surgeons. Unfallchirurg 2010;113(2): 114-121.
  11. Willy C, Hauer T, Huschitt N, Palm HG: „Einsatzchirurgie“-experiences of German military surgeons in Afghanistan. Langenbecks Arch Surg 2011;396(4): 507-522.

Originalarbeit

Manuskriptdaten:

Eingereicht: 12.05.2015
Revidierte Fassung angenommen: 06.07.2015

Zitierweise:

Willy C, Kern E-M, Kehe K, Weller N: Strukturierung und Evaluation der Chirurgischen Weiterbildung innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser – Update 2015. Wehrmedizinische Monatsschrift 2015; 8: 236-- 244

[1] ATN = Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer; Kennzeichnungssystem der Bundeswehr für erworbene Qualifikationen

Datum: 16.09.2015

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