DER ARZT ALS WEITERBILDUNGSBERATER

DIE PÄDAGOGISCHE SICHT AUF DIE ÄRZTLICHE WEITERBILDUNG

Der ärztliche Nachwuchs hat den Bundes- und den Landesärztekammern in ihren Umfragen zur Einschätzung der Qualität der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland in den vergangenen Jahren keine guten Kritiken bescheinigt.

Nicht nur veränderte Rahmenbedingungen, etwa die zunehmende Ökonomisierung der Medizin, zeigen hier ihren Einfluss, sondern auch die individuellen Einstellungen und Erwartungen zum Thema Weiterbildung. Der Nachwuchs erwartet und fordert eine Ausbildung auf hohem Niveau. Doch inwieweit sind die Klinken darauf eingestellt? Kann ein weiterbildungsbefugter Facharzt zugleich auch ein Weiterbildungsberater und Didaktiker sein? Die aktuellen Entwicklungen jedenfalls verweisen auf die Notwendigkeit solcher Qualifizierungen.

Lernkultur im Krankenhaus

Gute Aus- und Weiterbildungsbedingungen werden von den Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten als wichtiges Entscheidungskriterium bei der Wahl des Ausbildungsortes angeführt. Krankenhäuser sind auf ärztlichen Nachwuchs angewiesen, der motiviert, belastbar und zielorientiert arbeiten kann.
Jedes Krankenhaus verfügt über eine eigene Kultur des Lernens. Als Lernkultur bezeichnet man „Kulturen des Lernens, Planens, Disponierens und Partizipierens in Institutionen der Erwachsenenbildung im Modus institutionalformenspezifischer Praktiken, Deutungsmuster, Werte/Normen, Interaktionen/Rituale und Beziehungsstrukturen. (...) Lernkulturen haben einen gesellschaftlich-kulturellen Kontext“ (Fleige 2011, S.15).
Die Arztrolle erfordert ein tägliches Planen, Disponieren und kontextgebundenes Handeln. Die Einhaltung und Berücksichtigung entsprechender institutionalisierter Praktiken, Rituale, Werte und Normen und Beziehungsstrukturen gehören zum täglichen Geschäft. Die eigene(n) Rolle(n), Erfahrungen und Einstellungen, die hierbei zum Tragen kommen, bedingen auch die Rolle eines/einer Weiterbildungsbefugten. Der Umgang mit den Lernern beruht immer auch auf hierarchisch bedingter Interaktionen, individuellen Deutungsmustern und Beziehungsstrukturen. Was im ärztlichen Routinehandeln und Klinikalltag eher selten reflektiert wird sind eben solche Bedingungen des täglichen Handelns. Lernen spielt sich nie im luftleeren Raum ab, sondern geschieht immer in komplexen Zusammenhängen. Lernen ist nicht nur als zielorientiertes Aneignen von etwas oder als eine simple Verhaltensänderung beschreibbar, es bedeutet mehr als nur Wissenserwerb.
Lernen kann so gesehen nicht mehr nur als reiner und immer gelingender Wissenserwerb angesehen, sondern als Form sozialer Praxis verstanden werden.

Berufliche Sozialisation zum Facharzt

In der Facharztausbildung geht es nicht nur um Qualifizierung, sondern darüber hinaus auch um berufliche Sozialisation. Aus der Assistentin/dem Assistenten soll eine Fachärztin/ein Facharzt werden, die/der kompetent und selbstständig eigenverantwortlich arbeiten kann. Die Weiterbildungsbefugten bewegen sich demnach in einem Spannungsfeld zwischen „Anleitung und Sicherheit geben“ auf der einen und „Selbstständigkeit stärken“ auf der anderen Seite. Die Weiterbildungsassistenten ihrerseits entwickeln in diesem Spannungsfeld ihre berufliche Identität.
Diese als solche zu erkennen und zu reflektieren, ist Grundvoraussetzung eines angemessen (neuen) Lehrhandelns im Rahmen der Ausbildung der Weiterbildungsassistenten. Die Weiterbildungsbefugten stehen dann vor der Aufgabe, den Zusammenhang von praktischem Handlungs- und vor allem auch Erfahrungswissen sowie wissenschaftlichem Wissen zu veranschaulichen und zum Kernpunkt ihres (pädagogischen) Handelns zu machen. Es geht also um die Vermittlung von Fachwissen und Erfahrungswerten auf der einen und um die Befähigung der Assistenten zum selbständigen Denken, Planen und Handeln in Bezug auf die Weiterbildung auf der anderen Seite. Selbstverständlich sind die individuellen Lern- und Bildungserfahrungen ebenso beeinflussende Faktoren wie die oben genannten Bestandteile von Lernkultur. Ärztliche Weiterbildung vollzieht sich in vorgegebenen Strukturen, die wiederum bedingt sind durch Finanzierungen, Fallzahlen, unterschiedliche Fachkulturen, Hierarchien, administrative Anforderungen und Vorschriften etc. Hier ist zu fragen, inwieweit es für die Weiterbildungsbefugten möglich ist, eine Kultur zu etablieren, die Raum zum Erproben, zum Fragenstellen und Planen zulässt. Ebenso wichtig ist die Frage nach den Beziehungsmodi und Diskursformen in einer Abteilung und in der gesamten Klinik. Pädagogisches Handeln setzt eine bestimmte Praxis voraus. Hinzu kommen pädagogische Kompetenzen, die über die reine medizinische, d. h. fachliche Befähigung der Weiterbildungsbefugten hinausgehen.

Weiterbildungsbefugte als pädagogisch Handelnde

Weiterbildungsbefugte Ärztinnen und Ärzte, die zugleich als Weiterbildungsberaterinnen und -berater tätig sein müssen, sollten über folgende zusätzliche Kompetenzen verfügen: Erstens: Die Sozialkompetenz, die im pädagogischen Kontext vor allem die Fähigkeit zu angemessener Kommunikation- und (über-)fachlicher Kooperation ebenso wie die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen und Kritik zuzulassen beinhaltet. In diesem Zusammenhang steht auch die Fähigkeit sachlich und konstruktiv zu argumentieren.
Zweitens: Die Methodenkompetenz, die vor allem in andragogischen Kreisen eine besondere Bedeutung hat, ermöglicht in schulischen aber auch erwachsenenbildnerischen Kontexten, Wissen in einem angemessen Tempo und unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Erfahrungen der Teilnehmenden (Teilnehmerorientierung) mit entsprechend ausgewählten Mitteln darzustellen. Im Hinblick auf den Lernort Krankenhaus sollte es darum gehen, Analogien (ggf. bei der Erläuterung bestimmter Handlungsabläufe) und Transferleistungen ausbilden zu können. Von besonderer Bedeutung ist die Entwicklung von Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, die im Zusammenhang mit dem oben angesprochenen Spannungsfeld zwischen „Anleitung und Sicherheit geben“ und „Selbstständigkeit stärken“ steht.

Eine häufig unterschätzte Kompetenz, die gerade in Erwachsenenbildungsprozessen immer präsent sein sollte, ist drittens die der Reflexionskompetenz. Das eigene Handeln als Weiterbildungsbefugte(r) kritisch zu hinterfragen und dabei möglichst auch die überfachlichen Herausforderungen in den Reflexionsprozess mit einzubeziehen sollte integraler Bestandteil der Kompetenzpalette Weiterbildungsbefugter sein.

Alle Kompetenzbereiche stellen neue Herausforderung für das ärztliche Alltagshandeln dar. Es erscheint deshalb sinnvoll, entsprechende Bildungsangebote für Ärztinnen und Ärzte, insbesondere weiterbildungsbefugte Ärztinnen und Ärzte zu entwickeln. Kern dieser Veranstaltungen sollte sein, den Teilnehmenden Reflexionsangebote sowie didaktisch-methodische Werkzeuge anzubieten und vorzustellen. Eine solche reflexionsorientierte Fortbildung sollte zudem wichtige lern- und bildungstheoretische Annahmen über den Zusammenhang von Wissen, Handlung und Erfahrung thematisieren.

Wenn Lehrende und Lernende planvoll handeln dürfen, fließen in ihr Handeln einerseits alte Erfahrungen ein und andererseits werden neue Erfahrungen gesammelt. Solche lernrelevanten Erfahrungen entstehen nicht einfach durch bloßes (einmaliges) Erleben. Voraussetzung ist vielmehr eine aktive und bewusste Auseinandersetzung, d. h. eine „reflexive Verarbeitung“ von Lernerlebnissen und deren Anordnung und „Symbolisierung“ (vgl. Gudjons 1992) durch die Lernenden selbst. Statt „unter fremder Kontrolle“ wird Lernen dabei „subjektwissenschaftlich“ (vgl. Holzkamp 1995) gedacht.

Um der Zufälligkeit von Lernprozessen entgegnen zu können, sind Planungshandeln und entsprechend darauf aufbauende methodisch-didaktische Überlegungen angezeigt. Sie entlasten letztlich nicht nur die Weiterbildungsbefugten, sondern verbessern auch die Ausbildungsqualität der Assistentinnen und Assistenten.

Aus den der bundesweiten Umfrage zugrundeliegenden Fragebögen können pädagogisch relevante Begriffe identifiziert und als Zentralbegriffe für ein solches Konzept genutzt werden. Einschlägige erziehungswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass gerade Bereiche wie „Vermittlung von Kompetenzen“, „Lernkultur“, „Betriebskultur“ und „Entscheidungskultur“, „pädagogische Kompetenzen“ bedeutsame und sensible Felder sind, die bearbeitet werden können, um Verbesserungen für alle Beteiligten zu erzielen.

Literatur bei der Verfasserin.

Bild: PO-Besteck. Quelle: Dieter Schütz  / pixelio.de

Datum: 10.02.2015

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2014/4

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