ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN FÜR DIE UNFALL- UND WIEDERHERSTELLUNGSCHIRURGIE AM BWZKRHS

In den vergangenen Jahren hat das Bundeswehr-zentralkrankenhaus Koblenz einen großen Teil der Verwundeten und Erkrankten aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr (weiter-) versorgt und nachbetreut.

Wir haben alle in diesen Jahren insbesondere unfallchirurgisch viel gelernt. Aus diesen Erfahrungen und denen der im Einsatz tätigen Chirurgen wurden von der Konsiliargruppe Chirurgie klare Anforderungen für die Ausbildung unserer Einsatzchirurgen formuliert und publiziert. Darüber hinaus haben sich gravierende Veränderungen auf dem zivilen Arbeitsmarkt für Chirurgen ergeben, die die Bundeswehr in eine Konkurrenzsituation als Arbeitgeber gezwungen haben.

Um uns herum verändert sich die Versorgungsstruktur für Schwerstverletzte und im Verletzungsartenverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), welche die wesentlichen Säulen für die Ausbildung zum Unfallchirurgen und damit auch zum Einsatzchirurgen darstellen. Somit ergeben sich Problemfelder für die Zukunft, die es zu erkennen, anzusprechen und zu bewerten gilt: Ausbildung zum Einsatzchirurgen, erforderliches Spektrum in der Versorgung von einsatzbedingten Verletzungen, Weiterbildung, Mindestmengen und Qualitätsmanagement, Verletzungsartenverfahren, Attraktivitätssteigerung und Nachwuchsgewinnung, Fehlerkultur und einsatzbezogene Ausbildungsinhalte.

Das Gesundheitswesen in Deutschland befindet sich in einem raschen und grundlegenden Umbau, wenngleich das Ringen um die Ausrichtung des Sanitätsdienstes und die Erfordernisse bei der Schwerpunktbildung noch ohne abschließende Entscheidung geblieben sind. Aus diesem Grunde halten wir eine aktualisierte Benennung der Probleme aus der Sicht eines Klinikers und Einsatzchirurgen für erforderlich.

Mit der gleichen Intensität und Aufmerksamkeit wie sich in jüngster Zeit vermehrt der posttraumatischen Belastungsstörung gewidmet wurde, gilt es für die Zukunft weiter zu entwickeln und darzulegen welche Elemente erforderlich werden können, um die traumatologische Versorgung unserer Soldaten auf hohem medizinischen und wissenschaftlichen Niveau zu ermöglichen.

Das Vertrauen der im Einsatz befindlichen und dort verletzten Soldaten in eine adäquate klinisch- medizinische Versorgung ist eine große Verpflichtung und die Herausforderung für den Sanitätsdienst der Streitkräfte. Persönlich und in der Wahrnehmung im Parlament und in der Gesellschaft ist diese professionelle Versorgung mitentscheidend für die Motivation der Soldaten, an einem bewaffneten Konflikt teilzunehmen und wertsteigernd für die Attraktivität der Streitkräfte als Arbeitgeber. Kernleistung einer Abteilung für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, wie auch aller anderen Abteilungen für Unfallchirurgie an Bundeswehrkrankenhäusern die aktuell eine Traumaversorgung realisieren, ist es diese medizinische Versorgung bei konfliktbedingten Verletzungen „rund um die Uhr“ sicherzustellen.

Darüber hinaus muss die Regeneration und Ausbildung von Einsatzchirurgen, die Evaluation der Behandlungsergebnisse und die Therapie von der versierten vorausschauenden Erstversorgung im Einsatzland bis zur erfolgreichen Rehabilitation, also der komplette Behandlungspfad, aktiv geführt und sicher gewährleistet werden.

Hierbei hat es sich bei komplexen einsatzbedingten Verletzungen als Vorteil erwiesen, dass eine konsequente Therapieidee- und -philosophie dem Vorgehen von Beginn an zu Grunde liegt. Welches Spektrum ist erforderlich und welche absehbaren Entwicklungen in der medizinischen Versorgung Schwerstverletzter gilt es für die Zukunft unter diesen Grundvoraussetzungen zu beachten?

Der vorliegende Artikel soll einen kurzen Abriss über den Bedarf und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Zukunft geben, um konstruktiv eine zielführende Diskussion über anstehende oder erforderliche zwingende Erfordernisse anzuregen.

Kriegschirurgie versus Einsatzchirurgie

Während die Kriegschirurgie aus der geschichtlichen Entwicklung vieler Konflikte heraus das Überleben vieler Patienten unter den Bedingungen einer Mangelsituation in einem Gefecht zum Ziel hat, umfasst das Spektrum der modernen Einsatzchirurgie mittlerweile deutlich mehr.

Neben der Beherrschung der Triage-Prinzipien und der handwerklichen Fertigkeiten des klassischen Militärchirurgen ist das Schockraummanagement nach Advanced Trauma Life Support ATLS®-Kriterien, die Prinzipien von Damage Control Surgery (DCS®) und die Definitive Surgical Trauma Care (DSTC®) für die initiale Versorgung und Stabilisierung erforderlich.

Legt man den Anspruch des verletzten Soldaten auf eine hohe Lebensqualität bei möglichst voller Reintegration in den Dienst und die Gesellschaft ohne offensichtliche Behinderung oder Stigmata zu Grunde, sind für eine erfolgreiche zeitgemäße Erstversorgung das Wissen und ein Konzept für die weitere Versorgung zwingend von Beginn an erforderlich. Diese Ausbildungsinhalte können aus klinischer Sicht nur bei der Schwerstverletztenversorgung im Inland vermittelt werden. Nur ab einer gewissen Verletzungschwere (z. B. Injury severity score ISS > 16, oder definierten Kriterien für die Anwendung des DCS® siehe Kasten Abbildung) oder einer komplexen Weichgewebsverletzung, wie sie regelmäßig nur in größeren Zentren der Traumaversorgung gesehen werden, ist auch z. B. im Inland eine mehrzeitige Versorgung mit Fixateurimmobilisation gerechtfertigt. In allen anderen Fällen ist eine einzeitige definitive Versorgung anzustreben, die den Patienten möglichst wenig weiter systemisch belastet, aber die praktische Ausbildung und Anwendung von DCS® und DSTC® Prinzipien entgegenläuft.

Darüber hinaus beinhaltet moderne Einsatzchirurgie auch das allgemeinchirurgisches Wissen für die Routineversorgung oder Eingriffe im Rahmen der Medical Force Protection, welche bei vorhandenen Ressourcen ein wertvolles Instrument für die Teambildung in der lokalen Einsatzeinrichtung des Sanitätsdienstes, aber auch die Stabilisierung der lokalen politischen Lage erleichtert. Je nach Lage muss auch die Ausversorgung von Angehörigen lokaler Sicherheitskräfte in einer Role 3 Einrichtung (wie z. B. MeS) abgebildet und ausgebildet werden.

Hauptgrundlage dieser Befähigung des erfolgreichen Einsatzchirurgen ist eine fundierte klinische Erfahrung, handwerkliche Routine und ein breites, im Laufe der Jahre erarbeitetes Fachwissen.

Was muss eine unfallchirurgische Abteilung, eines Krankenhauses der Bundeswehr aus klinischer Sicht leisten um diesen Anforderungen, der Inübung-Haltung und des Kompetenzerhaltes von qualifizierten Einsatzchirurgen in ausreichender Zahl, die Aus- und Weiter - bildung von Einsatzchirurgen, aber auch der Nachwuchsgewinnung sicherzustellen? (Abb. 1)

Erforderliches Spektrum

Analysiert man die erfassten Daten der PECC im SanFüKdo in Koblenz der vergangenen 5 Jahre (10.01.2005 bis 04.11.2010) erhält man ein vereinfachtes Anforderungsprofil der Einsatzbedingten Verletzungen. Von den n = 519 repatriierten Verwundeten und Erkrankten, waren 51 % (unter anderem) behandlungsbedürftig im Fachgebiet Orthopädie und Traumatologie.

8 % dieser Patienten wurden auf Grund von degenerativen Wirbelsäulenbeschweren (BSV, NPP, Spinalkanalstenose, Lumbalgie) ins Heimatland verbracht.

Der Rest (n = 221, 43 %) war akut verletzt und in 27 % der Fälle für die Behandlung auf der anästhesiologischen oder verbrennungsmedizinischen Intensivstation angemeldet.

Bezüglich Transportpriorität wurden 16 % I (< 12h) und 18% II (<24h) kategorisiert. In der Regel handelt es sich hierbei um Mehrfachverletzte (n = 68, 31 %).

Ein Viertel der akut Verletzten erlitt im Einsatz eine thermo-mechanische Kombinationsverletzung respektive Blast Injury (n = 54, 24 %) und 10 % (n = 21) hatten eine oder mehrere Schussverletzungen.

Von der Lokalisation der Verletzung zeigt die folgende Abbildung die statistische Häufigkeit der Verletzung für eine anatomische Region, wobei hier das Sprunggelenk bei der Erfassung zum Fuß gezählt wurde (Abb. 2).

Fasst man die degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule und die Verletzten mit u.a. einer Wirbelsäulenverletzung zusammen, kommt man auf insgesamt 52 von 519 Patienten (10 %). Somit stellt die Wirbelsäulenchirurgie und Versorgung von degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule eine beachtenswerte Entität dar.

Provokant zusammengefasst, sind die Hälfte aller Fälle, in denen eine Repatriierung erforderlich wurde, frisch verletzt. Die meisten komplex Schwerstverletzten wurde durch eine „Blast injury“ oder Explosion geschädigt. Diese Patienten haben in einem Drittel der Fälle eine hohe Transportpriorität (<24h) und sind intensiv überwachungs- und therapiepflichtig.

Im Schwerpunkt sind Kopf, Wirbelsäule und Extremitäten betroffen. Für die Versorgung sind das komplette Spektrum der Orthopädie-, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie in der gesamten Versorgungstiefe, eine interdisziplinäre operative Kopf-Gruppe (Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Hals-Nasen- Ohrenheilkunde) und eine breit aufgestellte Abdominal-, Gefäß- und Thoraxchirurgie erforderlich. Für die entsprechenden Verletzungsmuster ist- vergleichbar zu zivilen Entwicklungen - die Versorgung als kompletter Behandlungspfad hinterlegt und aktiv zu führen. Der hohe Anteil von begleitenden Verbrennungswunden im Einsatzland (ISAF), bei denen fallweise eine Verbrennung von mehr als 30% der Körperoberfläche zusätzlich zu anderen Verletzungen vorlag, belegen die Notwendigkeit einer funktionierenden Verbrennungsmedizin im Sanitätsdienst der Streitkräfte. Hinzu kommt, dass die komplexen Weichteilverletzungen nach IED / Blast vergleichbare Erfordernisse an den Kliniker und Chirurgen stellen wie ausgedehnte Verbrennungen.

Dies sind die aktuellen Versorgungsbedürfnisse, die sich aus den laufenden Einsätzen ergeben. Hier ist kritisch im konstruktiven Dialog zu diskutieren, ob die aktuelle (und zukünftige?) Ausrichtung der Krankenhäuser und die lokale Schwer punktbildung mit Betten und Dienstposten bzw. Kapazitäten in Schlüsselpositionen (OP-Kapazität, Intensivbetten, schleusenfähigen Isolier-Intensivbetten) diesen Anforderungen gerecht wird.

Weiterbildung

Die Vermittlung der Schlüsselfähigkeiten eines Einsatzchirurgen (lebensrettende Notfalleingriffe in den Körperhöhlen, Blutungskontrolle, Fixateurimmobilisation, Weichteilmanagement, Erhalt und Wiederherstellung der Perfusion, Erstversorgung von Verbrannten, Infektionsprophylaxe) sind wichtiger Bestandteil unseres Auftrages und müssen im Einklang mit den Vorgaben der zivilen Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern und den Behandlungsempfehlungen der Fachgesellschaften erfolgen (Abb. 3).

Klinische Erfahrung in der Versorgung einsatzbedingter Verletzungen können aber nur im Einsatz selbst oder aber durch einsatzerfahrene Chirurgen in der hochfrequenten Versorgung von Schwerstverletzten im Heimatland vermittelt werden. Dies aus der Praxis der Unfallchirurgie belegte Argument müssen alle widerlegen, die ein „Outsourcing“ der klinischen Versorgung von Verwundeten oder eine Tätigkeit und Ausbildung von Einsatzchirurgen in Institutionen außerhalb der Bundeswehr favorisieren. Voraussetzung für eine erfolgreiche Versorgung von im Einsatz verletzten Soldaten ist und bleibt die Tätigkeit in der für die Weiterversorgung verantwortlichen Klinik.

Aus- und Weiterbildung aus chirurgischer Sicht beinhaltet, dass der in Weiterbilldung befindliche Assistent bei der Versorgung nicht nur physisch anwesend ist, sondern daß er die erforderlichen Maßnahmen unter Supervision eines erfahrenen Kollegen praktisch selbst durchführt. Haptik und operante Konditionierung durch die unmittelbare Rückkopplung - wie sie die Unfall- und Wiederherstellungschirurgie in besonderem Maße bietet – sind essenzielle Parameter der Ausbildung auch zukünftiger Chirurgen. Kein Tier-, Labor- und Computermodell kann die erlebten - und mitunter erlittenen - Erfahrungen im Schockraum und Operations (OP)-Saal bzw. Einsatz auch nur annähernd substituieren.

Im Einsatz sind Sicherheit in der Entscheidungsfindung und Routine bei den praktischen chirurgischen Tätigkeiten gefragt. Unabdingbare Grundlagen für diese Ausbildung sind aus klinisch-unfallchirurgischer und wehrmedizinischer Sicht:

  • Ein strukturiertes Ausbildungskonzept, welches den zivilen Vorgaben und der zivilen Konkurrenz am Arbeitsmarkt mehr als genügt.
  • Weiterbildungsberechtigte und –fähige in ausreichender Zahl.
  • Abbildung aller Fachgebiete bzw. operativer Sektionen und Schwerpunkte, die für die Schwerstverletztenversorgung erforderlich sind.
  • Eine den Erfordernissen des zivilen Gesundheitsmarktes und den lokalen Gegebenheiten angepasste Fallzahl an schwerstverletzten Patienten.
  • Die logistischen Voraussetzungen für eine hochfrequente Versorgung von Schwerstverletzten und Durchführung der ausbildungsrelevanten Eingriffe durchhaltefähig sichergestellt.

Welche Problemfelder gibt es aktuell und welche zeichnen sich für die Zukunft ab und wie können wir diesen Herausforderungen in den gegebenen Strukturen begegnen?

Mindestmengen und Qualitätsmanagement

Zur Verbesserung der Versorgungsqualität und zur Konzentration der spezifischen Versorgung wurden in verschiedenen medizinischen Bereichen in den vergangenen Jahren Mindestmengen gefordert und eingeführt.

Für die Orthopädie und Unfall- bzw. Wiederherstellungschirurgie betraf dies bisher nur die Prothetik und hier die Implantation von Knieprothesen. Gleichzeitig wurde ein zentrales Tool zur Messung der Versorgungsqualität für diese Operationen und z.B. die operative Versorgung hüftgelenksnaher Frakturen eingerichtet. Dies kann als etabliert, anerkannt und wertvoll für die Kontrolle der eigenen Arbeit gelten.

Gleichwohl ist der Arbeitsaufwand für die Dokumentation und durch zivile Anforderungen und aktuelle Entwicklungen etc. in der bisherigen Personalplanung nicht ausreichend hinterlegt und die eingerichteten Dienstposten z.B. für das Qualitätsmanagement haben diese Aufgaben bisher nicht vollumfänglich wahrnehmen können.

Weiterhin muss man akzeptieren, dass die Eingriffe der Prothetik und z.B. der hüftgelenksnahen Frakturen, Ausbildungsinhalte darstellen, die für den Erhalt der Weiterbildungsberechtigung und die praktische Ausbildung von jungen Chirurgen essentiell sind. Somit muss der laufende Krankenhausbetrieb diese Eingriffe (nicht nur für die Mindestmengen sondern für die Ausbildung) in ausreichender Anzahl sicherstellen (Abb. 4).

Dies trifft auch für die Schwerstverletztenversorgung zu. Hier ist das BwZKrhs als überregionales Traumazentrum, wie die Zahlen z. B. des Jahres 2009 (siehe Abbildung 3, die Daten von 2010 sind noch nicht abschließend im Traumaregister der DGU hinterlegt) belegen, in einem Bundesland mit 70 Verkehrstoten pro 1 Million Einwohner gut in ausbaufähiger Position etabliert (Tab. 1).

Aber auch bei der Schwerstverletztenversorgung gibt es eine fortgeschrittene Diskussion in den Fachgesellschaften (z.B. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, DGU), ob nicht Mindestmengen für die Versorgung von Schwerstverletzten in z.B. überregionalen Traumazentren gefordert und eingeführt werden.

Zusätzlich werden in Zukunft die Daten des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie DGU® für ein vergleichendes Qualitätsmanagement im Bereich der Schwerstverletztenversorgung herangezogen. Somit gewinnt das Traumaregister und die Teilnahme an einem funktionierenden Traumanetzwerk weiter an Bedeutung. Das Traumaregister wird aktuell von Unfallchirurgen am BwZKrhs Koblenz in ihrer Freizeit gepflegt, da für diese Form des Qualitätsmanagements und der Dokumentation noch nicht vorgesehen ist. Hier ist zu prüfen ob die schichtdienstfähige Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin, welche für den Betrieb von Notaufnahme und Schockraum bzw. Intensivstation (und auch das dortige Qualitätsmanagement) verantwortlich ist, in diese Verantwortung miteingebunden werden kann.

Unter den genannten Aspekten und Erfordernissen ist eine Neujustierung der Prioritäten und der Schwerpunkte erforderlich, wenn eine erfolgreiche hochfrequente Schwerstverletztenversorgung auch in Zukunft gesichert sein soll. Hier laufen aktuell die Bemühungen, diesen Dokumentationserfordernissen in der Implementierung von NEXUS gerecht zu werden.

Verletzungsartenverfahren

Die Teilnahme am Heilverfahren der Berufsgenossenschaften und am Verletzungsartenverfahren (VAV) sind wesentliche Säulen für die breite und tiefe Ausbildung von Unfallchirurgen im zivilen Bereich und sind ein, wenn nicht das Qualitätsmerkmal der Traumazentren der Bundeswehrkrankenhäuser im Vergleich mit zivilen Kliniken der Maximalversorgung.

In der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung DGUV©, als Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand, zeichnet sich die Tendenz ab, die Versorgung von Schwerstverletzten im Rahmen des Verletzungsartenverfahrens (VAV) weiter auf spezielle Kliniken zu konzentrieren.

Bisher nehmen die BwZKhrs in Ulm und Koblenz daran teil. Ziel der Konzentration ist die Verbesserung der Versorgungsqualität durch folgende anstehende Änderungen / Verbesserungen:

Es werden Behandlungspfade etabliert, die alle Elemente der Versorgung von der Schockraumaufnahme, über die Operation, die Frührehabilitation in der erstversorgenden Abteilung bis zur frühzeitigen Verlegung in eine adäquate Rehabilitationseinrichtung sicherstellen. Sie sollen aber auch klare Vorgaben und Module zur Erfassung der Ergebnisqualität im Vergleich beinhalten.

Diese Strukturen sind im Hause oder durch entsprechende Kooperationsverträge abzubilden, die es aktuell zu entwickeln und zu organisieren gilt.

Erstens werden Behandlungspfade für das Schädelhirntrauma, Trümmerbrüche im Gelenkbereich großer Röhrenknochen und schwere, komplexe Fußverletzungen in der zweiten Jahreshälfte 2011 voraussichtlich festgelegt und ab Beginn 2012 schrittweise eingeführt. Die Zeit drängt also, denn die Gestaltung der zukünftigen Strukturen im VAV findet jetzt statt.

Zweitens sind es gerade diese genannten Verletzungsmuster, die wir aktuell nach Blast Injury im Einsatz gehäuft sehen. (Siehe auch Abbildung 4) Somit müssen wir unsere Expertise in diesem Bereich weiterentwickeln und am Verletzungsartenverfahren der DGUV in vollem Umfang und der geforderten höchsten Qualität weiter teilnehmen, damit wir dem Anspruch der Soldaten auf eine adäquate Versorgung im Inland gerecht werden.

Die Teilnahme am VAV und dem entsprechenden vergleichenden Qualitätsmanagement dient nicht zuletzt auch zur Absicherung der Bundeswehr bei Angriffen und Beanstandungen über die Qualität der Versorgung gegenüber Anspruchstellern von innen und außen (Abb. 5).

Attraktivitätssteigerung und Nachwuchsgewinnung

Man wird Chirurg, weil man Freude an der praktischen, selbständigen Arbeit hat und zieht seine Berufszufriedenheit aus befriedigenden Arbeitsbedingungen und den Behandlungserfolgen. Attraktivität der Tätigkeit definiert sich über einen gewissen Gestaltungsspielraum (personell und materiell) vor Ort.

Will man ernsthaft die Attraktivität der Tätigkeit als Unfallchirurg in der Bundeswehr steigern, muss man sich darüber klar werden, welche Ansprüche ein potentieller Bewerber an seinen Arbeitgeber hat bzw. welche Inhalte der Tätigkeit ihren Reiz nehmen. Es gilt zu identifizieren, wo wir aus eigenen Mitteln heraus durch Änderungen einen Attraktivitätsvorteil gegenüber zivilen Mitbewerbern erreichen können.

Planbare Arbeitszeit und Bezahlung der Überstunden sind Teilaspekte eines respektvollen Umganges mit der Ressource „Chirurg“ in der Bundeswehr, die eventuell mit der Ergänzung des Bundesbesoldungsgesetzes und einer Anpassung der Antrittsstärke der chirurgischen Abteilungen an einen schichtfähigen Betrieb als überregionales Traumazentrum, eine nachhaltige Verbesserung erfahren.

Die Einsatzchirurgen stellen eine einsatzlimitierende Minderheit dar. Trotz dieses „Seltenheitswertes“ fühlt man sich nicht immer ausreichend wahr- oder ernstgenommen. Ein Aspekt der nachhaltig die Einsatzverwendungsfähigkeit beeinflusst, da mit zunehmender Einsatzbelastung und mit scheinbar bewußt hingenommener abnehmender Zahl der Chirurgen, der Verschleiß bei den verbliebenen Willigen zunimmt.

Eine Einsatzbelastung von ca. 42 Tagen pro Jahr erscheint akzeptabel und darstellbar, muss aber eine Obergrenze bleiben. Allerdings wird man hier keine Kollegen „von außen“ gewinnen können, so lange man an zwei Wochenenden (z.B. über „Rent a doc“) in einem zivilen Haus das gleiche Salär erarbeitet, wie man nach zwei Monaten Einsatz über den AVZ erhält. In zivilen Befragungen der Fachgesellschaften wird darüber hinaus immer wieder der hohe Anteil an Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand an der chirurgischen Tätigkeit als Maluspunkt genannt. Hier kann die Bundeswehr als Handlungsoption erwägen, ob man nicht Alternativen etablieren kann, um nicht fachärztlich gebundenes Stationsmanagement und Dokumentation zu delegieren.

Dieses Modell ist in anderen europäischen Ländern durchaus erfolgreich etabliert und orientiert sich an den Erfordernissen eines aus Sicht des Patienten und seiner Verletzung / Erkrankung erforderlichen Behandlungspfades. Das schnellstmögliche und bestmögliche Ergebnis ist hier entscheidend.

Durch diese Maßnahmen ließe sich die Attraktivität der Tätigkeit in einem operativen Fach in der Bundeswehr deutlich steigern.

Es kommen immer noch Bewerber aus dem zivilen Bereich, häufig über Eigeninitiative der Kliniker, den Austausch von Informationen auf Kongressen, die wissenschaftliche Präsentation von eigenen Fällen und Ergebnissen und persönliche Kontakte. Sie fühlen sich durch das breite Spektrum der Verletzungsmuster und der Versorgungsmöglichkeiten angesprochen.

In der Vergangenheit waren hier nur selten flexible Lösungen der Ausbildungsplanung möglich. Aber in Zeiten des Mangels sollte ein Bewerber auch dort eingesetzt werden, wo er sich bezüglich der Person des Ausbildungsbeauftragten vor Ort auch verwendet sehen will und für die Dauer, die vertraglich ausgehandelt wurde. Ob die zwingende Tätigkeit als Truppenarzt vor einer Verwendung in einem einsatzrelevanten operativen Fach noch zeitgemäß ist, ist angesichts der alarmierenden Entwicklung im zivilen Bereich sicher diskussionsfähig.

Die chirurgische Ausbildung ist eine persönliche Ausbildung, die gerade unter den Anforderungen und den Unwägbarkeiten der Einsatzchirurgie in der Bundeswehr von Personen und Protagonisten geprägt ist. Eine flexible Personalführung, der Erhalt des breiten und tiefen fachlichen Spektrums vor Ort, ein strukturierter Ausbildungsgang, klare und transparente Richtlinien über Verwendungs-, Weiterbildungs- und Verpflichtungszeiten und eine wissenschaftliche Ausrichtung und Aufarbeitung der Versorgung auf höchstem Niveau sind Qualitätsmerkmale, die uns bei adäquater Präsentation und Umsetzung als Ausbildungsort attraktiv machen werden.

Ziele für die Zukunft sind aus hiesiger Sicht, dass die Antrittsstärke neben dem klinischen Erfordernissen des Routinebetriebes auch wissenschaftliches Arbeiten und eine entsprechende Präsentation der Ergebnisse zulässt.

Eine ergänzende Sprachausbildung junger Kollegen, ein Zeitkonto und ein Ausbildungskonto welches jederzeit nachvollziehbar die verbleibende Gesamtrestdienstzeit dokumentiert oder aber auch eigene Kurse in den Krankenhäusern der Maximalversorgung zu Themen wie ATLS, Osteosynthese, Management von ausgedehnten Weichteilverletzungen, Verbrennungsmedizin, Einsatzchirurgie, DCS und DSTC und wissenschaftlichem Arbeiten runden ein erstrebenswertes Angebot ab, welches unter Berücksichtigung der bereits genannten Punkte konkurrenzfähig sein kann.

Fehlerkultur und Adaptation der einsatzbezogenen Ausbildungsinhalte

An der Kinetik mit der aktuell das Qualitätsmanagement und die Dokumentation der Rettungskette implementiert wird, kann man exemplarisch sehen, wie klinisch und fachlich medizinische Veränderungen in der Bundeswehr umgesetzt werden könnten.

Der fachliche Anspruch die Versorgungsqualität der im Einsatz verletzten wissenschaftlich aufzuarbeiten wird schon lange formuliert und die Bemühungen um ein Traumaregister der Bundeswehr gehen auf Konzepte aus Koblenz und Ulm zurück.

Was uns aber fehlt, ist eine Fehlerkultur in den operativen Fächern und eine zentrale Institution die Art und Weise der Versorgung und die Ergebnisqualität im weiteren Verlauf beurteilt. Aus fachlicher Sicht erscheint es sinnvoll, ein Institut oder eine Abteilung / Dienststelle in der Nähe eines Bundeswehrkrankenhauses einzurichten, welche die Nachsorge der im Einsatz verwundeten Soldaten zentral übernimmt, wissenschaftlich aufarbeitet und die Ergebnisse in die aktuellen Behandlungsempfehlungen und die Ausbildung von Einsatzchirurgen implementiert.

Da wir aus der Erfahrung anderer Nationen und der Geschichte wissen, dass jede kriegerische Auseinandersetzung ihre eigenen Wunden und Verletzungen generiert und wir zu einer Einsatzarmee umstrukturiert werden, kommt der Auswertung und Aufarbeitung der Verletzungsmuster eine große Bedeutung zu, da nur so eine Adaptation von Behandlungspfaden und Ausbildungsinhalten aus Sicht der Ergebnisqualität erfolgen kann.

Diese Aufgabe sollte an einem „high-end“ Krankenhaus angesiedelt und von Klinikern wahrgenommen werden, die im Inland wie im Einsatz operativ tätig sind, damit die Schlußfolgerungen von Praktikern für die Praxis und unter Berücksichtigung des Patientenanspruches auf eine frühe und vollständige Rehabilitation erfolgen.

Ein erster Schritt zur Verbesserung der Fehlerkultur innerhalb der Einsatzchirurgen (z.B. ARCHIS) könnte eine Fallkonferenz sein, auf der klinische Fallbeispiele von der Versorgung im Einsatzland bis zur Ausversorgung im Heimatland diskutiert werden.

Ziel einer solchen Veranstaltung darf es nicht sein anzuklagen, sondern gemeinsam Alternativen der Therapie oder aber Verbesserungen zu entwickeln. Auch gilt es Fälle zu besprechen, wo z. B. einheimische Patienten im Einsatzland über mehrere operative Teams und Kontingente hinweg behandelt wurden um den kollegialen fachgebietsinternen Umgang mit der Arbeit anderer zu fördern und gemeinsam zu lernen.

Schlussfolgerungen

Die dargestellten Herausforderungen für die Zukunft der Unfallchirurgie am BwZKrhs Koblenz verdeutlichen, dass die Entwicklungen im Fluss sind. In Teilen betreffen sie alle Krankenhäuser, sind aber nicht uneingeschränkt übertragbar, da individuelle Standortfaktoren vorliegen.

In der Öffentlichkeit, Politik und in den Streitkräften werden wir zu Recht als Gesamtheit ZSanDst an der Ergebnisqualität der Versorgung der einsatzbedingten Verletzungen gemessen. Hierbei stellen die operativen Abteilungen einen Schwerpunkt in der Versorgung der Einsatzverletzungen sicher.

Aus klinisch unfallchirurgischer Sicht gilt es daher stetig und konstruktiv anzusprechen, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um eine adäquate Versorgung der Soldaten aktuell und in Zukunft sicherzustellen. Da wir immer mehr gezwungen sind, mit zivilen Anbietern um Arbeitnehmer und Ressourcen zu konkurrieren, gilt es zu prüfen ob wir flexibel und kreativ genug sind auf die laufenden und hier angesprochenen Herausforderungen zu reagieren.

Die Gestaltung der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen vor Ort, eine dem zivilen aktuellen Marktwert vergleichbare Vergütung, Einbeziehung und Wahrnehmung der zivilen Vorgaben für Dokumentation, Qualitätsmanagement, Aus- und Weiterbildung und Präsentation etc. in die Ausgestaltung einer flexiblen Personalplanung, aber auch die Aufarbeitung der eigenen Ergebnisqualität, die Anpassung der Ausbildungsinhalte an aktuelle Entwicklungen, die aktive Teilnahme an der Gestaltung der zukünftigen zivilen Versorgungsstrukturen in der Schwerstverletztenversorgung sind die Herausforderungen, die die Qualität unserer Arbeit maßgeblich beeinflussen und wahrgenommen werden müssen um konkurrenzfähig zu bleiben. Wir haben hier in den letzten Jahren einiges erreicht, müssen aber jetzt die Entwicklungen im zivilen Gesundheitswesen antizipieren. Nur so sind wir aus klinisch unfallchirurgischer Sicht in der Zukunft in der Lage den erreichten Versorgungsstandard zu halten, zu verbessern und fortzuentwickeln.

Datum: 16.01.2012

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/4

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