INTENSIVMEDIZINISCHE LANGZEITBEHANDLUNG

Herausforderungen für ein Einsatzlazarett der Role 3 Versorgung im Kosovo

Das Einsatzlazarett der Deutschen Bundeswehr in Prizren ist die einzige sanitätsdienstliche Einrichtung im Einsatzbereich KFOR mit der Versorgungsoption einer Role 3. Neben der fachärztlichen Untersuchung und Behandlung von KFOR-Soldaten und Angehörigen der EULEX-Mission überwiegend in den Fachgebieten Innere Medizin, Hals-Nase-Ohrenheilkunde und Chirurgie hat das Einsatzlazarett schwerpunktmäßig den Auftrag die akute Intervention bei internistischen, chirurgischen und unfallchirurgischen Notfällen zu gewährleisten.

Die personelle Besetzung der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin besteht aus einem Facharzt für Anästhesie und zwei Assistenzärzten in der Weiterbildung sowie jeweils einem Fachpfleger Anästhesie und Intensivmedizin für den OP-Bereich und die Intensivstation. Daneben wird das Personal der Intensivstation derzeit durch zwei österreichische Krankenpfleger verstärkt.beschreibt, wird diese Problematik ersichtlich. Bei Bedarf kann zusätzlich Personal der Notfallaufnahme mit der Qualifikation Rettungsassistent bzw. -sanitäter zur Unterstützung herangezogen werden. Die Intensivstation ermöglicht auf insgesamt sechs Behandlungsplätzen gleichzeitig eine intensivmedizinische Basistherapie. Aufgrund der eingeschränkten personellen und materiellen Ressourcen wird angestrebt, nach erster operativer und intensivmedizinischer Versorgung den Patienten binnen eines Zeitfensters von maximal 72 Stunden zu repatriieren, um ihn einer qualifizierten weiterführenden Therapie im Heimatland zuzuführen und somit die fortbestehende Einsatzbereitschaft des ELAZ zu erhalten. Das ELAZ ist personell und materiell auf diese Art der Akutversorgung ausgelegt und hat in den vergangenen Kontingenten seine Leistungsfähigkeit in diesem Bereich wiederholt unter Beweis gestellt. Anders stellt sich die Situation bei einer notwendigen Langzeitbehandlung eines Intensivpatienten dar, bei dem keine Option zur frühzeitigen Verlegung unter intensivmedizinischen Gesichtspunkten besteht. Anhand der folgenden Kasuistik, die die Behandlung eines Intensivpatienten während der Zeit des 25. KFOR-Kontingents.


Kasuistik

Präklinische Phase vor dem Eintreffen des Patienten im Einsatzlazarett

Am Morgen des 10. März wurde ein vierzigjähriger kosovarischer Polizist, der mit Einheiten der EULEX - Polizei an einer Straßensperre als Kontrollposten eingesetzt war, gegen 08:00 Uhr von einem Auto angefahren und bei diesem Unfall schwer verletzt. Der Patient wurde primär ins lokale Krankenhaus in Prizren verbracht. Über die Umstände des Unfalls, die Primärversorgung am Unfallort sowie über die Modalitäten des Transportes in das Krankenhaus Prizren liegen keine Informationen vor.

In der dort durchgeführten Computertomographie von Schädel und Thorax zeigten sich mehrere intracerebrale Blutungen im Frontalbereich sowie im Bereich des linken Seitenventrikels. Ebenfalls fand man einen Hämatopneumothorax rechts bei instabiler Rippenserienfraktur mit Fraktur der ersten sowie der dritten bis elften Rippe rechts und eine Durchspießung des Lungenparenchyms durch die sechste Rippe. Aufgrund des Befundes wurde der Sanitätseinsatzverband von EULEX ersucht, bei der weiteren Versorgung des Patienten zu unterstützen und entsandte ein Team, bestehend aus einem Facharzt für Anästhesie, einem Facharzt für Chirurgie, dem klinischen Direktor und einem Rettungsassistenten. Bei Eintreffen erhielt der Patient Sauerstoff über eine Maske, ansonsten waren keine weiteren Maßnahen erfolgt. Er war tachypnoeisch, zyanotisch, hatte eine deutlich verminderte Vigilanz, keine peripheren Pulse, die Herzfrequenz betrug 112 bpm und die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffkonzentration betrug 80 %. Nach sofortiger präklinischer Therapie, beginnend mit der Entlastungspunktion des Spannungspneumothorax rechts in Monaldiposition, der Anlage einer Zervikalstütze sowie zweier großlumiger periphervenöser Zugänge und Beginn einer Infusionstherapie zur Stabilisierung der hämodynamischen Verhältnisse, Einleitung der präklinischen Narkose mit orotrachealer Intubation wurde der als polytraumatisiert einzustufende Patient zur weiteren Diagnostik und Therapie ins deutsche Einsatzlazarett verlegt.


Initiale Versorgung und Diagnostik im Einsatzlazarett

Nach Reevaluation der präklinischen Maßnahmen gemäß ATLS-Algorhythmus wurde bei dem Patienten zur umfassenden Diagnostik eine so genannte computertomographisch gestützte Traumaspirale angefertigt (Abb. 1).
Dabei konnten die im Krankenhaus Prizren erhobenen Befunde bestätigt werden, zusätzlich zeigte sich im CT des Thorax eine erneut aufgetretene Spannungskomponente mit Mediastinalverlagerung, eine massive Lungenkontusion rechts, eine Durchspießung des sechsten Lebersegmentes, eine traumatische Ruptur der rechten Niere, eine Fraktur der rechten Klavikula sowie eine Fraktur der Darmbeinschaufel rechts mit einem zirka zwei Liter fassenden retroperitonealem Hämatom (Abb. 2-4).

Nach Abschluss der Primärdiagnostik erfolgte eine zweite Stabilisierungsphase. Zur Entlastung des Hämatopneumothorax rechts wurden jeweils eine Thoraxdrainage in Bülauund Monaldiposition gelegt (Abb. 5). Zur Vermeidung der Hypothermie erfolgte die aktive Erwärmung des Patienten. Da aufgrund des Traumas und der allgemeinen Situation von einer klinisch relevanten Verbrauchs- und Verdünnungskoagulopatie auszugehen war, wurde die plasmatische Gerinnung durch Gabe von Fibrinogen, PPSB, Tranexamsäure, insgesamt 8 Konserven lyophylisierten Plasmas, Kalzium sowie entsprechend der "off label use"- Empfehlung bei polytraumatisierten Patienten die Gabe von rekombinantem Faktor VII (NovoSeven) optimiert. Zusätzlich wurden 4 Erythrozytenkonzentrate transfundiert.


Intensivbehandlung

Auf der Intensivstation wurde angesichts des Ausmaßes der pulmonalen Schädigung eine lungenprotektive Beatmung mit hohem PEEP (initial 20mbar) und niedrigen Atemzugvolumina (6 mbar/kgKG) begonnen. Da aufgrund des massiven Weichteiltraumas ein weiterer Anstieg des initial bereits deutlich erhöhten Myoglobins zu erwarten war und für den Fall der Entwicklung einer Crush-Niere keine Möglichkeit zur CVVH bestand, wurde eine endogene Spülbehandlung der Nieren mit Volumen und Diuretika unter sorgfältiger Flüssigkeitsbilanzierung durchgeführt. Bei persistiernder hämodynamischer Instabilität war eine Therapie mit Katecholaminen erforderlich. Unter diesen Maßnahmen kam es zu einer deutlichen Stabilisierung des Patienten (Abb. 6).

Die nach einem schweren Trauma zu erwartenden sekundären Komplikationen konnten erfolgreich therapiert werden. So konnte ein paralytischer Ileus u.a. durch die frühzeitige Anlage eines thorakalen PDK überwunden werden. Eine Pneumonie, die der Patient im Verlaufe des ITS-Aufenthaltes entwickelte, konnte nach Diagnosesicherung und Erregernachweis erfolgreich antibiotisch mit Tazobac behandelt werden. Die Entwöhnung von der Beatmung (Weaning) gestaltete sich kompliziert, so dass am siebten Tag nach Aufnahme bei fortbestehender Indikation zur maschinellen Beatmung eine Tracheotomie durchgeführt wurde. Trotz frühzeitiger Reduktion der Sedierung verbesserte sich die Vigilanz nur langsam, so dass von einer neurologischen Schädigung aufgrund der intracraniellen Blutung oder durch die Hypoxie, die der Patient vor Eintreffen des Teams des ELAZ im Krankenhaus Prizren erlitten haben könnte, ausgegangen werden musste. Bereits in den ersten Tagen nach Aufnahme war abzusehen, dass eine längerfristige intensivmedizinische Betreuung und nachfolgende Rehabilitation notwendig sein würde. In Rücksprache mit den örtlichen zivilen medizinischen Einrichtungen zeigte sich, dass eine solche Behandlung im Kosovo nicht durchführbar ist. Es wurde daher beschlossen, die intensivmedizinische Therapie solange im ELAZ fortzuführen, bis sich der Zustand des Patienten soweit stabilisiert hätte, dass er in einem zivilen Krankenhaus erfolgreich weiterbehandelt werden könnte. Am 17. Tag nach Aufnahme konnte der Patient schließlich zum weiteren Weaning und zur neurologischen Frührehabilitation mit einem Intensivtransport auf die Intensivstation des mazedonischen Militärkrankenhauses in Skopje verlegt werden. 8 Wochen später konnte der Patient ohne Folgeschäden und mit "Restitutio ad integrum" wieder nach Prizren entlassen werden.


Herausforderungen bei der Versorgung

Die Behandlung des Patienten über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen stellte das gesamte Team des ELAZ vor große Herausforderungen. Zum einen werden bestimmte, für die Langzeitversorgung notwendige Utensilien nicht bevorratet. So konnte die enterale Ernährung mittels Sondenkost erst nach mehreren Tagen begonnen werden. Zum anderen kam es bereits nach wenigen Tagen zu Engpässen bei der Versorgung mit bevorrateten Verbrauchsmaterialien und Medikamenten. Da der Patient kontinuierlich mit bis zu 7 Perfusoren und teilweise hohen Laufraten therapiert wurde, waren nach einer knappen Woche nahezu alle Perfusorspritzen bis auf den Sperrbestand aufgebraucht. Da mehrere Lieferungen aus Deutschland aufgrund von Problemen bei der Software-Umstellung des zuständigen Versorgungs- und Instandsetzungszentrum für Sanitätsmaterial nicht, verspätet oder nur unvollständig bei uns eintrafen, sahen wir uns gezwungen, Medikamente, bei denen eine kontinuierliche Gabe vorzuziehen gewesen wäre, bolusweise zu verabreichen. Bei nur unwesentlich längerem Fortbestehen dieser Versorgungsschwierigkeiten hätte eine nur einmalige Verwendung der Perfusorspritzen, wie nach MPG gefordert, nicht aufrecht erhalten werden können. Des Weiteren gab es Engpässe bei den Analgetika und Sedativa, da der Patient aufgrund des Ausmaßes des Traumas davon sehr hohe Dosierungen benötigte. So musste beispielsweise Clonidin als Co-Sedativum mehrere Tage pausiert werden, da sämtliche Vorräte aufgebraucht waren. Anfängliche Überlegungen, den Patienten operativ zu versorgen, mussten verworfen werden, da für die Behandlung der zu erwartenden massiven Blutverluste nicht genug Erythrozytenkonzentrate vorrätig waren. Nachdem der Patient in den ersten Tagen große Mengen an Infusionen erhalten hatte, wäre angesichts der kompromittierten pulmonalen und renalen Situation die Bestimmung von Parametern wie dem freien Lungenwasser mittels PICCO-System wünschenswert gewesen. Jedoch verfügten wir weder über die dafür notwendigen Katheter noch die Einschubmodule an unserem Monitoring-System. Dies konnte jedoch durch eine sorgfältige Bilanzierung der Einund Ausfuhr sowie engmaschige Erhebung klinischer Befunde wie z.B. Blutdruck, Ödembildung und Auskultation kompensiert werden. Als in der Weaning-Phase die Entfernung des Tracheostomas diskutiert wurde fiel auch das Fehlen von Ausrüstung zur nichtinvasiven CPAP-Beatmung wie etwa CPAP-Masken oder NIV-Helm als problematisch auf. Außerdem musste die Häufigkeit der arteriellen Blutgasanalysen zur Überwachung der respiratorischen Situation reduziert werden, da die, für die Untersuchung mittels iSTAT notwendigen Kartuschen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen. Auch für die Pflege stellten sich viele Herausforderungen.

So erwiesen sich die Matratzen der ITS-Betten für die Langzeit-Behandlung in Hinblick auf die Dekubitus-Prophylaxe als gänzlich ungeeignet, da es sich lediglich um normale Stationsbetten mit Federkernmatratze handelt. Für die Versorgung der entstandenen zwei Dekubitalulcera am Rücken und an der Ferse fehlte spezielles Verbandmaterial. Ein weit größeres Ausmaß an Druckgeschwüren konnte durch häufige Lagerungsmaßnahmen verhindert werden, die jedoch dadurch limitiert waren, dass im Nachtdienst nur ein Pfleger auf der Intensivstation war. Auch für die Versorgung des Tracheostomas fehlte es an notwendigen Pflegemitteln. Die größte Herausforderung stellte aber die personelle Situation dar. Der Patient musste rund um die Uhr von einem Arzt und einem Fachpfleger betreut werden. Aufgrund der bereits erwähnten personellen Situation ergab sich daraus eine wöchentliche Arbeitsbelastung von teilweise über 120 Stunden pro Person. Der hohe Qualitätsstandart konnte nur aufrechterhalten werden, indem medizinisches Personal aus anderen Fachabteilungen zur Unterstützung der ITS abgezogen wurde, insbesondere als parallel in den Schockräumen weitere Notfallpatienten zu versorgen waren, u.a. ein Patient mit instabiler Halswirbelsäulenverletzung nach Verkehrsunfall sowie eine akute Nachblutung nach Tonsillektomie.


Schlussfolgerungen

Das ELAZ im Camp Prizren ist als Role 3 Sanitätseinrichtung auf eine kurzfristige intensivmedizinische Behandlung ausgerichtet. Eine Langzeit-Intensivbehandlung stellt zwar wegen der Möglichkeiten einer zügigen Repatriierung und der Beschränkung der Aufnahme einheimischer Intensivpatienten, die nicht zeitnah in eine adäquate Weiterversorgung verlegt werden können, eine Ausnahme dar, dennoch ist zu bedenken, dass ähnliche materielle und personelle Probleme auch bei der kurzzeitigen Behandlung mehrerer Intensivpatienten gleichzeitig auftreten können. Die bevorratete Menge bestimmter, intensivmedizinisch besonders relevanter Medikamente und Verbrauchsmaterialien ist im Einzellfall zu überprüfen. Um Engpässe bei der Versorgung zu vermeiden, ist es angesichts von Lieferzeiten von mehreren Tagen nötig, möglichst frühzeitig den mittelfristigen Materialbedarf zu erkennen und dementsprechend anzufordern. Das Fehlen hoch technisierter Diagnostik- und Therapieverfahren kann durch ein >>Rückbesinnen<< auf klinische Grundfertigkeiten zum großen Teil kompensiert werden. Die personelle Situation kann durch eine enge Kooperation und gegenseitige Unterstützung mit allen anderen Bereichen der Klinik bewältigt werden, so dass selbst unter den eingeschränkten Bedingungen im Einsatz eine Versorgung, die im Ergebnis dem deutschen Standart entspricht gewährleistet werden kann.

Datum: 11.03.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/2

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