13.12.2009 •

3D FOTOGRAFIE ERWEITERT DIE TELEMEDIZINISCHEN MÖGLICHKEITEN DER DIAGNOSTIK

Telemedizin hat sich zu einem nicht mehr wegzudenkenden medizinischen und taktischen Instrument des Sanitätsdienstes entwickelt. Sie ermöglicht insbesondere im Rahmen der Unterstützung der Sanitätsoffiziere in den Einsatzstandorten und an Bord von seegehenden Einheiten der Marine u. a. den Austausch medizinisch relevanter Informationen mit einer vom Einsatzort weit entfernten Expertenstelle. Dadurch können häufig Behandlungsoptionen für das medizinische Personal vor Ort aus den telemedizinischen Daten abgeleitet werden. Vor dem Hintergrund ständiger Optimierung der telemedizinischen Möglichkeiten und deren Anpassung an Entwicklungen innovativer Medizintechnik mit dem Ziel der bestmöglichen sanitätsdienstlichen Versorgung der Soldaten unter erschwerten Bedingungen, wird im Folgenden der mögliche Einsatz der 3D Fotografie zur Diagnostik in militärischen Szenarien kritisch beleuchtet und an orientierenden Versuchen erprobt.

Photo
Einleitung Die Anthropometrie als Vermessung des Körpers von lebenden Objekten wurde bereits im Jahr 1654 von dem deutschen Anatom namens Johannes Sigismund Elsholtz im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Universität von Padua beschrieben(1). Im letzten Jahrhundert ist die Anthropometrie des Gesichts zunehmend Gegenstand der Forschung und Wissenschaft geworden(2). Gerade in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie, der Mund-Kiefer-Chirurgie, Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde oder auch der Pädiatrie stellen die Gesichtsmessungen für die klinische Beurteilung, Diagnosestellung oder Planung von Rekonstruktionen ein nicht mehr wegzudenkendes Hilfsmittel dar(3, 4). Zur patientenunabhängigen Gesichtsmessung sowie zur Verlaufsdokumentation stellte daher die konventionelle Fotografie ein häufig eingesetztes Verfahren dar(5). Dabei wird jedoch der dreidimensionale Sachverhalt der Körperoberfläche lediglich zweidimensional wiedergegeben. Daraus erwächst der Nachteil der fehlenden räumlichen Darstellung des fotografierten Objektes. Durch ein zweidimensionales System ist die korrekte Darstellung von komplexen anatomischen Strukturen, insbesondere im Gesichtsbereich sehr schwierig. Daher wurde in der Weiterentwicklung fotographischer Verfahren versucht, eine mögliche realistische Oberflächendarstellung auch für Farbe und Textur zu erreichen. Erste Anwendungen errechneten dabei aus verschiedenen Bildern aus unterschiedlichen vorgegebenen Blickwinkeln eine mögliche Oberfläche des fotografierten Objektes(6). Dieses setzte aber einen hohen technischen Aufwand sowie gut geschultes Personal voraus und ist sehr zeitaufwändig. Daher versuchte man im Folgenden mit Hilfe optischer Verfahren wie der Stereophotogrammetrie(7), oder der Laseroberflächenabtastung den Nachteilen einer zweidimensionalen Morphometrie beizukommen. Seitdem lassen Fortschritte im Bereich der bildgebenden Technologie eine immer präziser werdende, virtuelle, dreidimensionale Rekonstruktion anatomischer Strukturen zu. Die dreidimensionale Erfassung der Körperoberfläche mit einer realistischen weichgewebigen Texturdarstellung kann heute als die innovative Neuerung im Bereich der medizinischen Bildgebung angesehen werden und eröffnet neue Perspektiven zur Operationsplanung, Qualitätssicherung und Beurteilung von Verletzungsmustern(8, 9). Durch die exakte Darstellung der Körperoberfläche sowie möglichen oberflächlichen Verletzungsmustern ist es daher denkbar, das Ausmaß von Verbrennungen oder kontaminierten Wundoberflächen, exakt bestimmen zu können.

In den Einsatzgebieten der Bundeswehr sowie an Bord seegehender Einheiten sind personelle Ressourcen hinsichtlich spezialisierter Fachärzte begrenzt; nicht in allen Einsätzen können sämtliche medizinischen Experten vor Ort eingesetzt sein. Gleichzeitig gibt die Maxime des Sanitätsdienstes vor, dass eine medizinische Versorgung im Einsatz im Ergebnis dem Standard in Deutschland entsprechen soll. Vor diesem Hintergrund wird in ausgewählten Bereichen statt eines Experten vor Ort dessen Expertise mittels Telemedizin transportiert. In diesem Zusammenhang könnte die 3D Fotografie eine sinnvolle und zielgerichtete Erweiterung des derzeitigen telemedizinischen Spektrums darstellen. Es stellt sich die Frage, ob die Möglichkeit zur Übermittlung von dreidimensionalen Bildern im Rahmen der Telemedizin dieses System optimieren und die Qualität der Entscheidungen hinsichtlich Diagnose und Therapie verbessern kann.

Im Folgenden werden daher nach Vorstellung des Messsystems die Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen dieser Technik in einer telemedizinischen Anwendung an zwei Patientenfällen kritisch dargestellt. Dazu wurde jeweils eine 3D-Fotographie von dem Patienten erstellt und diese mit kurzen Angaben zur Epikrise im ersten Patientenfall an die Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Abteilungsleiter: OFA d. R. Prof.Dr.Dr. Gellrich) und im zweiten Patientenfall an das Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Abteilungsleiter: OFA Prof.Dr.Dr. Schramm) gesandt. Dort wurde dann im Expertengremium eine aufgrund der übermittelten Fotographien eine Diagnose gestellt und diese anschließend anhand von später erhobenen radiologischen Befunden verifiziert.

Grundlagen

Das telemedizinische Konzept des Sanitätsdienstes ist in vorherigen Ausgaben (WM 02/09) bereits vorgestellt worden. In diesem Zusammenhang ist die Anwendung von Telemedizin in der Bundeswehr mit Telemedizinischen Arbeitsplätzen in Verbindung mit Peripheriemodulen und Erweiterungsausstattungen erläutert worden. Dabei werden möglichst handelsübliche benutzerfreundliche Systeme entsprechend ihrem Verwendungsbereich in verschiedenen, standardisierten Systemgrundkonfigurationen genutzt. Auch die telemedizinischen Anwendungsbereiche, die Rahmenbedingungen und die Einsatzmöglichkeiten der Telemedizin im Sanitätsdienst sind zuvor aufgezeigt worden.

Das in diesem Artikel zur Anwendung gekommene Messsystem (Abbildung 1) basiert auf der so genannten Streifenprojektionstechnologie (3D Shape, Erlangen, Germany). Hierbei wird ein Lichtband mit einer scharfen Hell- Dunkel-Grenze auf das zu fotografierende Objekt projiziert. Zwei CCD-Kameras, die sich direkt neben dem Projektor befindet, empfängt das Bild unter einem ganz bestimmten Winkel (Triangualtionswinkel). Anschließend kann mit Hilfe der Triangulation nun jeder einzelne Bildpunkt in seiner dreidimensionalen Lage berechnet werden. Durch die Verrechnung der Daten von der Kamera mit den Daten des Projektors entsteht eine dreidimensionale 200-Grad-Ansicht. Computergestützt kann anschließend aus allen Messdaten ein texturiertes Dreiecksnetz berechnet werden. Somit erhält man ein fotorealistisches dreidimensionales Bild.

Patientenfall 1 Ein 23-jähriger männlicher Patient stellte sich nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit multiplen Schlägen ins Gesicht vor. Die Allgemeinanamnese des Patienten war unauffällig. Zum Zeitpunkt der Vorstellung imponierte ein Monokelhämatom auf der linken Seite (Abbildung 2). Bei der Frontalansicht fiel dabei der Bulbustiefstand links mit dezenter Seitabweichung des Nasensattels nach rechts auf (Abbildung 3). Der Bulbustiefstand wurde durch Hilfslinien durch die Bipullarlinie mit 1,2cm im Seitenvergleich ausgemessen. Darüber hinaus fiel nach der virtuellen Reklination des Schädel mit der 3D Fotographiesoftware (3D viewer, Erlangen, Germany) beim Blick von caudal die abgeflachte Jochbogenprominenz links im Seitenvergleich auf (Abbildung 4). Daraufhin wurde allein durch die dreidimensionale Analyse der Gesichtskonturen die Diagnose einer Jochbein-, Jochbogen-, Nasenbein- und Orbitabodenfraktur mit Bulbustiefstand gestellt.

Tatsächlich bestätigte sich diese Diagnose nach radiologischer CT-Diagnostik (Abbildung 5). Patientenfall 2 Ein männlicher Patient stellte sich nach Sturz mit dem Fahrrad vor. Der Patient gab an, leichtes Nasenbluten nach dem Sturz gehabt zu haben und die Nase „geschnäutzt“ zu haben. Daraufhin sei das rechte Auge „zugeschwollen“ gewesen. Allgemeinanamnestisch war der Patient unauffällig.

Bei der Frontalansicht des Patienten fielen multible Schürfwunden und Schmutzeinsprengungen im Bereich von Kinn und Wangen sowie der Nase auf (Abbildung 6). Das linke Auge war schwellungsbedingt geschlossen bei normalem Hautkolorit. Zum besseren Seitenvergleich von linken und rechtem Auge wurden virtuelle Schnittebenen durch die Augen in cranial-caudaler Richtung gelegt (Abbildung 7) und die jeweiligen Schnittbilder verglichen. Dabei fiel die massive Schwellung von Ober- und Unterlid rechts auf (Abbildung 8). Als Diagnose wurde daraufhin eine Orbitabodenfraktur mit Empyem der rechten Augenlider und multiblen Schürfwunden und Schmutzeinsprengungen im Gesichtsbereich gestellt.

Die radiologische später durchgeführte radiologische Diagnostik bestätigte diese Diagnose und zeigt einen deutlichen gasgefüllten Hohlraum im Bereich des rechten Augenlides (Abbildung 9).

Diskussion

Die 3D Oberflächenfotografie kann einen deutlichen Informationsgewinn für die Einschätzung von Verletzungsmustern und die daraus resultierende Therapieform ermöglichen. Dabei hilft die computergestützte Analyse mit entsprechender Software Rückschlüsse auf Verletzungsmuster genauer einschätzen und vermessen zu können. Einer der Vorteile dieser Technik ist die Strahlungsfreiheit der Darstellung im Gegensatz zu radiologischen Verfahren. Weiterhin lässt sich durch die kurze Messzeit von 0,8 Sekunden für die Datenerfassung die 3D Fotographie in den Behandlungsablauf nahezu ohne Zeitverzögerungen integrieren. Eine spezielle Vorbereitung des Patienten ist nicht notwendig. Zudem ist die räumliche Unabhängigkeit vorteilhaft. Das in diesen Untersuchungen verwendete Gerät ist mit einem Außenmaß von circa 0,8x2,5 m² vergleichsweise sperrig. Ein neues Gerät, welches derzeit in der klinischen Erprobung ist, wird mit einem Außenmaß von 0,4x0,35m² diesen Nachteil jedoch nicht mehr aufweisen.

Im Gegensatz zur konventionellen Fotografie, bei der die Lichtverhältnisse und unterschiedliche kameraspezifische Einstellungsmöglichkeiten häufig kein reproduzierbares Ergebnis ermöglichen, kann mit der 3D Fotografie eine reproduzierbare Oberflächengeometrie eines Patienten erstellt werden. Ein möglicher Nachteil dieses Verfahrens ist derzeit noch in der ungenauen Abbildung von unter sich gehenden anatomischen Strukturen zu sehen. Diese werden dabei unscharf abgebildet. Durch eine Verringerung des Triangulationswinkels und entsprechender Blitzanlagen soll dieser Nachteil jedoch in folgenden Geräten weitgehend vermieden werden.

Durch die Möglichkeiten der computergestützten Auswertung der erhobenen metrischen Oberfläche sind vielfache Analysemöglichkeiten vorhanden. So lassen sich über die Spiegelung an frei wählbaren Achsen Symmetrieunterschiede leicht aufzeigen. Weiterhin ermöglichen diese Schnittebenen eine Profildarstellung in frei wählbarem Schnittbild. Dadurch lassen sich auch Strecken im Gesicht messen und mit Vergleichswerten über standardisierten anatomischen Normwerten darstellen. Dieses kann wie im Patientenfall 1 gezeigt nicht nur die Diagnostik vereinfachen, sondern darüber hinaus auch eine sinnvolle Hilfe für mögliche rekonstruktive Maßnahmen darstellen, indem ein Seitenvergleich der rechten und linken Seite eine Symmetrieanalyse der rechten und linken Jochbogenprominenz ermöglicht. Auch eine Anwendung der Fusion von CT-Daten mit der 3D-Fotografie ist bereits in Erprobung.

Für die Anwendung in der Verbrennungsmedizin sind mit diesem Verfahren Analysen der möglichen betroffenen Oberfläche denkbar. In wie weit sich dabei eine exakte Wiedergabe der betroffenen Oberfläche im klinischen Alltag darstellen lässt, ist Gegenstand derzeitiger Forschungen. Erste Anwendungen in Einzelfällen sehen dazu erfolgversprechend aus(10). In Bezug auf die Nutzung in Zusammenhang mit der Telemedizin im Einsatz der Bundeswehr zeigen die dargestellten Anwendungsbeispiele neue Chancen auf. So sind räumliche Daten über Weichgewebsoberflächen beispielsweise für die Fachgebiete Chirurgie und hier insbesondere für die Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie, die Orthopädie und die Dermatologie von besonderer Bedeutung. Diese können bisher aber nur unzureichend in einer zweidimensionalen Bildebene via Telemedizin übertragen und bestenfalls durch subjektive Beschreibungen des behandelnden Sanitätsoffiziers vor Ort ergänzt werden. Eine mögliche exakte telemedizinische Übermittlung der dreidimensionalen Körperoberfläche würde der Expertenstelle also Zugang zu bislang im Rahmen der Übertragung von herkömmlichen zweidimensionalen Darstellungen nicht verfügbaren Informationen verschaffen. Damit wäre zunächst die Grundlage für eine präzisiere Beurteilung der klinischen Situation durch die jeweilige Expertenstelle geschaffen, die ihre diagnostischen Möglichkeiten vervollkommnen könnte. Auf dieser Grundlage und unter Nutzung der dargestellten weitergehenden Möglichkeiten der computergestützten Analyse mit entsprechender Software könnten die resultierenden Therapieempfehlungen und Empfehlungen zur Operationsplanung sowie ggf. intraoperative Hilfestellung und Nachsorge im Einzelfall noch dezidierter erfolgen. Auch in anderer telemedizinischer Übertragungsrichtung eröffnen sich neue Möglichkeiten. So könnte beispielsweise mittels graphischer Darstellung einer präoperativen Planung die medizinische Expertise einer Expertenstelle anschaulich und direkt umsetzbar innerhalb von kürzester Zeit für den vor Ort verantwortlichen Sanitätsoffizier verfügbar gemacht werden. Weiterhin könnte im Anschluss in einem Vergleich des prä- und postoperativen Zustandes der Behandlungserfolg untersucht und dokumentiert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass gerade in einer medizinischen Role II Einrichtung, in der keine Möglichkeit einer 3D radiologischen Untersuchung besteht, in einem militärischen Szenario die 3D-Fotografie eine sinnvolle Vervollständigung im telemedizinischen Austausch darstellen kann, die alternative Diagnosemöglichkeiten bieten und die Qualität der Entscheidungen bezüglich Diagnose und Therapie noch weiter verbessern kann.

Datum: 13.12.2009

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/4

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