30.06.2008 •

Der insulinähnliche Wachstumsfaktor 1: Effekte auf den Organismus älterer Sporttreibender

Insulin und seine spezifischen Rezeptoren sind auch außerhalb der Betrachtung diabetogener Erkrankungen medizinisch von erheblicher Bedeutung. So spielen Rezeptoren, die chemisch eng mit den Insulinrezeptoren verwandt sind, bei der Reaktion des insulinähnlichen Wachstumsfaktors I im Organismus älterer Gesundheitssportler eine erhebliche Rolle. Das Somatomedin C, wie der insulinähnliche Wachstumsfaktor auch genannt wird, ist ein einkettiges Polypeptid mit 67 Aminosäuren und wird grundsätzlich unter der Einwirkung des Wachstumshormons Somatotropin in der Leber gebildet. Somatomedin C wird abgekürzt IGF-I (insulin like growth factor) geschrieben.

Es ist unter anderem für die Bildung der Knorpel in verschiedenen Geweben verantwortlich und sein Plasmaspiegel im menschlichen Körper ist eigentlich altersabhängig. Im Alter etwa jenseits des 50. Lebensjahres macht sich grundsätzlich ein Abfall bemerkbar. Somatomedin C heißt deshalb insulinähnlicher Wachstumsfaktor I, weil es an bestimmten Zellmembranrezeptoren reagiert, die große Ähnlichkeit in ihren Aminosäurensequenzen mit den Insulinrezeptoren haben. An diesen Rezeptoren können Somatomedin C, letztlich aber auch Insulin binden (Löffler, Petrides, Biochemie und Pathobiochemie, 7. Auflage, Seiten 847 f.; 904 f.).

Nun hat sich im Verlauf der vergangenen Jahre bedingt durch die weltraumbezogenen medizinischen Forschungen gezeigt, dass eine eingehende Belastung des menschlichen Körpers durch systematische Kraftreize örtlich eine isomere Form des insulinähnlichen Wachstumsfaktors I ausschütten lässt. Die Isoform des IGF-I reagiert auch an den Rezeptoren des IGF-I und damit an den Rezeptoren, an denen Insulin bindet. Diese Isoform vermag aller Wahrscheinlichkeit nach als Stimulanz die Proteinsynthese innerhalb der Zelle und ebenfalls das Wachstum der Satellitenzellen anzuregen. Damit bewirken die Satellitenzellen als muskuläre Stammzellen einmal das Wachstum von Muskeln, aber zum anderen auch die Wiederherstellung verletzter Muskelfasern. Nach neuen Erkenntnissen nimmt die proliferative Fähigkeit der Satellitenzellen, Muskelmasse aufzubauen, auch nicht bei alten Menschen ab, nicht einmal bei Menschen jenseits des 80. Lebensjahrs (Jeschke, D. und Zeilberger, K., Altern und körperliche Aktivität, Deutsches Ärzteblatt, 2004, Seite C 636 – C 644).

Systematisches moderates Krafttraining, leichtes Ausdauertraining und Gymnastik (Stretching), die altersangepasst langsam gesteigert werden, können ab einer bestimmten biomechanischen Beanspruchung den körperliche Organismus anregen, IGF-I zu produzieren. Die Schwelle zur Auslösung der IGF-I-Ausschüttung ist abhängig von der Trainingsdauer, ihrer Häufigkeit und der Intensität. Es wird zur Zeit angenommen, dass diese Grenze etwa bei einem Puls von 180 minus Lebensalter liegt. Die Grenze muss erreicht und der Puls in diesem Bereich etwa 45 bis 60 Minuten gehalten werden. Nur wer als älterer Mensch sportliche körperliche Belastungen gewöhnt war, kann kurzfristig die Pulszahl auf 130 bis 150 hochtreiben. Durch solch eine Beanspruchung des Körpers erfährt auch das menschliche Immunsystem generell eine Stärkung.

Der IGF-I ist der Grund dafür, dass ein Mensch unter Umständen den Alterungsprozess hinaus zu schieben vermag und etwa in dem fast gleichen körperlichen Zustand 20 Jahre verbleiben kann. Nach Jeschke und Zeilberger „kann ein inaktiver Älterer durch systematische körperliche Beanspruchung seine Leistungsfähigkeit verbessern und ein Niveau wie in jüngeren Jahren als Untrainierter erreichen. Unter Umständen können dadurch 20 Jahre Funktionsverlust durch Inaktivität kompensiert werden.“ Eine gewisse Ausnahme davon bildet die Haut. Aber auch diese kann generell durch die vermehrte Durchblutung sich in einem besseren Zustand erhalten. Es kann davon ausgegangen werden, wie H. Löllgen, Deutsches Ärzteblatt, 2002, Seite C 2205 – C 2207, hervorhebt, dass „körperliche Aktivität dann zu Übung, Training und Sport wird, wenn sie geplant, strukturiert, wiederholt und zielgerichtet ist.“ Dabei muss jegliche Wettkampfstimmung ausgeschlossen sein. Wettkampfstimmung verursacht psychischen Stress und schädigt. Für diesen gesundheitlich wünschenswerten körperlichen Zustand ist eben die IGF-I und das gestärkte körpereigene Immunsystem verantwortlich (Hollmann-Hettinger, Sportmedizin, 4. Auflage, Seite 97). Auch die Gefahr einer karzinogenen Erkrankung verschiedener Organe, wie gerade die weibliche Brust, die Prostata und die Lunge, kann erheblich gesenkt werden, wie C. Breuer von der Sporthochschule Köln in einem Vortrag zum Weltgesundheitstag 2002 hervorhob. Das Coloncarzinomrisiko soll sich um 40 Prozent vermindern. Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass der insulinähnliche Wachstumsfaktor I möglicherweise mit seiner Steigerung der Proliferation gesunder Zellen auch bösartige Zellen wachsen lassen könnte. Doch diese Gefährdung wird augenscheinlich fast völlig durch die Tatsache eingeschränkt, dass mit der gleichzeitigen Stärkung des Immunsystems solch eine Gefahr, karzinogene Zellen zu produzieren, weitestgehend gesenkt wird. Der gesundheitlich Effekt ist eindeutig höher und verhindert durch das gekräftigte Immunsystem in einem hohen Prozentsatz eine Krebserkrankung.

Ebenso ist die Osteoporose eine Erkrankung, die durch rechtzeitige moderate Belastung des Knochensystems verhindert, zumindest hinausgezögert werden kann. Zeigen sich Anzeichen einer Osteoporose, so kann nach einer längeren Behandlung mit Medikamenten wie zum Beispiel Alendronat oder Risedronat gleichfalls sehr moderat ein Kraftsport mit leicht ansteigender Belastung durchgeführt werden, wobei das Knochensystem mit Erhöhung des Mineralgehaltes sich langsam wieder stabilisiert. Durch die Bildung des IGF-I aufgrund der vermehrten körperlichen Aktivität wird auch Diabetes behandelt, therapiert oder zumindest in seinen Auswirkungen eindeutig dadurch gemildert, dass die Sensitivität der Rezeptoren gegenüber Insulin vergrößert und die Glucosetoleranz verbessert wird (Hollmann-Hettinger a.a.O., Seite 521).

Psychische Erkrankungen vermögen ebenfalls durch moderate körperliche Aktivitäten behoben oder gemildert zu werden, weil Transmittersubstanzen wie zum Beispiel Dopamin und Serotonin an den Synapsen im Gehirn vermehrt ausgeschüttet werden, wodurch die allgemeine Stimmung sich hebt. Die körperliche Belastung hat daneben noch die Steigerung der Enzymaktivitäten zur Folge.

Was die Steigerung sexueller Fähigkeiten betrifft, so ist bei jüngeren Menschen ein Unterschied zwischen Leistungsport und Freizeit- beziehungsweise Gesundheitssport zu machen. Lediglich Freizeitsport kann eine Erhöhung der Produktion von Sexualhormonen in gewisser Weise bewirken. Hochleistungssport dagegen vermindert die Ausschüttung der Sexualhormone. Beim älteren Menschen ist eine vermehrte Bildung und Freisetzung von Sexualhormonen durch körperliche Aktivierung, so gerade beim Mann, sehr umstritten. Auf der einen Seite wird behauptet, dass es über IGF-I in Verbindung mit Immunglobulin M zu einer Förderung des Ausschüttung von Testosteron und gleichfalls von Östrogenen bei der Frau kommen würde. Auf der anderen Seite wird solch eine Annahme jedoch ganz erheblich in Zweifel gezogen.

Was aber Tatsache ist, ist die erhöhte Einsprossung von Kapillaren in die vergrößerte Muskelmasse. Auch geht man davon aus, dass eine relativ hohe Aktivität im Alter zum Aufbau von Synapsen und zur Neubildung von Neuronen führt (Jeschke, D. und Zeilberger, K.; a.a.O.). Da der Alterungsprozess mit dem Absinken von Hormonen in Zusammenhang steht, kann ihm in gewisser Weise entgegengewirkt werden, indem über körperliche Beanspruchung die vermehrte Hormonbildung und -freisetzung bedingt durch IGF-I angeregt wird (Kleine-Gunk, B., Anti-Aging – Medizin – Hoffnung oder Humbug?, Deutsches Ärzteblatt, 2007, Seite C 1749 – C 1754).

Systematisches Muskeltraining im Alter, das nach langer Trainingspause wieder begonnen wird, muss moderat sein und mit leichter Belastung ausgeführt werden. So sind zum Beispiel etwa zweimal 500 Gramm schwere Gewichte zu benutzen. In einer Serie muss solch eine Übung häufig wiederholt in der Woche mehrmals ausgeführt werden. Nach einigen Wochen ist das Gewicht zu erhöhen. Wer unter 60 Jahren ist, kann, um beim Hantelbeispiel zu bleiben, unter Umständen mit Gewichten von zwei Kilogramm beginnen. Das ist eine Möglichkeit dem altersbedingten Muskelschwund entgegen zu arbeiten. Neben dem Krafttraining ist das Ausdauertraining notwendig, etwa in Form von Dauerlauf, Radfahren oder Nordic Walking. Das Ausdauertraining kräftigt Herz und Kreislauf und die Beine. Aber immer ist IGF-I dabei von Bedeutung. Insgesamt sollte ein älterer Gesundheitssportler nach mehrmonatiger Eingewöhnung um die vier Mal pro Woche etwa 60 Minuten trainieren. Dabei ist Ausdauersport, Krafttraining und Gymnastik umschichtig notwendig. Das bedeutet, dass ein Gesundheitssportler an ein bis zwei Trainingstagen Jogging betreibt und an den anderen beiden Tagen sind Kraftsport wie Gewichtheben, Liegestütze und ähnliche muskelbeanspruchenden Übungen und Gymnastik angesagt.

Zum Abschluss soll noch Dieter Böhmer, Professor am Sportmedizinischen Institut zitiert werden, der zum Seniorensport an einem Vortragsabend feststellte, dass „man 20 Jahre lang 40 bleiben kann“ und dass „Altersschwäche oft nur ein schlechter Trainingszustand ist“.

Datum: 30.06.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

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