10.01.2006 •

WIR STELLEN NICHT NUR DAS MATERIAL ZUR VERFÜGUNG

Interveiw mit dem Inspizienten Wehrpharmazie der Bundeswehr, Generalapotheker Dr. G. Bleimüller

WM: Wir alle haben die Neuausrichtung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr nach der Wiedervereinigung erlebt. Inwieweit hat sich damit auch das Aufgabenfeld des Inspizienten Wehrpharmazie verändert?

Inspizient Wehrpharmazie: Die gesamte Wehrpharmazie hat sich in dieser Zeit verändert. Der Inspizient hat grundsätzlich seine Aufgaben behalten wie bisher, aber er ist jetzt in Personalunion gleichzeitig Leiter der Abteilung VIII Wehrpharmazie im Sanitätsamt der Bundeswehr, die mit zentralen Aufgaben auf den Fachgebieten der Pharmazie (z.B. Arzneimittel-recht, Arzneimittel- und Medizinproduktesicherheit, Arzneimittelentwick-lung, -zulassung und -herstellung), Chemie und Technologie von Lebens-mitteln, Trinkwasser und Bedarfsgegenständen sowie der Öko-, Radio-, und Kampfstoffchemie befasst ist. Nicht zuletzt obliegt ihr die Sicherstellung bzw. Durchführung der öffentlich-rechtlichen Überwachung in den genannten Fachgebieten.

WM: Sehen Sie Ihre Aufgabe eher als eine Integrations- und Führungsfunktion nach innen oder in einer Verbindungs- und Vermittlungsfunktion nach außen?

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Inspizient Wehrpharmazie: Beides trifft zu. Einerseits muss der Inspizient eine Integrationsfigur sein, denn er wird teilstreitkraft- und organisationsbe-reichsübergreifend tätig. Im eigenen Fachbereich hat er bereichsübergrei-fend in den wesentlichen wehrpharmazeutischen Fragestellungen für Konsens zu sorgen. Er muss das Vertrauen des Inspekteurs des Sanitätsdienstes und seines Stabes genießen; denn er ist dessen „verlängerter Arm“ in Angelegenheiten der Wehrpharmazie und ist ihm über deren Zustand berichtspflichtig. Andererseits liegt auch die Repräsentation der Wehrpharmazie nach außen auf seinen Schultern, vor allem z. B. die Zusammenarbeit mit den Standes-organisationen. Meine Ansprechpartner sind die Bundesapothekerkammer, die Landesapothekerkammern sowie die ABDA (Arbeitsgemeinschaft der Berufsvertretungen deutscher Apotheker), die Fachgesellschaften oder auch die Vertreter der Pharmazie und der Lebensmittelchemie an den naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten. Das Ganze ist sehr vielschichtig, interessant und abwechslungsreich. (Abb1)

WM: Wir schauen bald zurück auf 50 Jahre Sanitätsdienst der Bundeswehr. Was waren in dieser gesamten Zeit die besonders erwähnenswerten Höhepunkte für den Inspizienten Wehrpharmazie?

Inspizient Wehrpharmazie: Das ist eine sehr schwierige Frage, da ich selbst erst 57 Jahre alt bin und nur einen Teil dieser Zeit als Soldat selbst miterlebt habe. Keinesfalls dürfen wir die Aufbauleistungen der Väter der Wehrpharmazie, welche unter ganz anderen Voraussetzungen in beispielhafter Weise erbracht wurden, vergessen. Die Wehrpharmazie war immer mit dem gesamten Sanitätsdienst engstens verbunden und hatte insofern auch an den Höhepunkten des Sanitätsdienstes wie z.B. seiner jetzigen Neuordnung entsprechenden Anteil. Erwähnenswert ist sicher unsere Vorreiterrolle in der Logistik bei der Einführung einer teilstreitkraft- und organisationsbereichsübergreifenden Sanitätsmaterialversorgung nach regionalen Gesichtspunkten Mitte der 80er Jahre und auch bei der jetzt aktuellen Einführung von SASPF steht die Wehrpharmazie im Hauptprozess Logistik und Rüstung gut aufgestellt da.

Des weiteren gab es 2001 eine Kommission auf Staatssekretärsebene, die prüfte, wo im Bereich der obersten Bundesbehörden Synergieeffekte genutzt werden könnten. Da waren wir von der Wehrpharmazie ebenfalls wieder bei den Vorreitern. Seitdem sind wir auch in die Sanitätsmaterialversorgung anderer Institutionen des Bundes wie der Bundestagsverwaltung, der Bundespolizei und des Auswärtigen Amtes, um nur einige Beispiele zu nennen, einbezogen. Wir versorgen beispielsweise die deutschen Botschaften in aller Welt und das Auswärtige Amt direkt aus der Apotheke des BwKrhs Berlin. Die kurzfristige Einlagerung der nationalen Großreserve an Pockenimpfstoff in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium war ein weiteres sanitätsdienstlich-logistisches Highlight.

Die Tatsache, dass es der Wehrpharmazie im Teilbereich Sanitätsmaterialwirtschaft gelungen ist, im Zusammenspiel mit den anderen Entscheidungsträgern / Bedarfsdeckern in einer früher nicht vorstellbaren kurzen Zeitspanne eine für den weltweiten Einsatz taugliche materielle Ausstattung zu schaffen und vor Ort zu bringen war und bleibt ein Kraftakt besonderer Güte in dieser ohnehin hektischen Zeit der Neuordnung der Bundeswehr.

WM: Eine Besonderheit der Wehrpharmazie war aber doch die Entwicklung einer bundeswehreigenen Arzneimittelherstellung. Hat die Bundeswehr seit Anbeginn Arzneimittel hergestellt oder war das einer der großen Entwicklungsschritte?

Inspizient Wehrpharmazie: Die Befähigung zur Arzneimittelherstellung im kleinen Maßstab hat jede Apotheke, beim Militär wie auch im zivilen Bereich. Auch bei der Bundeswehr waren es kleinere aber durchaus beachtliche Anfänge in den Bundeswehrkrankenhausapotheken (BwKrhs-Apotheken), wo man z.B. Stada-Präparate wie Stasâ-Salbe und Grippostadâ – Dragees, aber auch eigene Rezepturen wie Umschlagpaste und Sonnenschutzsalbe im Defekturmaßstab herstellte; bis man Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre erkannt hat, dass allein durch Bevorratung und Belieferung seitens der Industrie im Ernstfall auftretende Engpässe nicht hinreichend zu überbrücken wären. Das galt besonders für hochwirksame Arzneimittel, die im Alltag seltener gebraucht und daher von der Industrie als weniger rentabel betrachtet und nur in größeren Abständen für die Produktion eingeplant und hergestellt werden. Hier benötigte die Bundeswehr deshalb die Fähigkeit, kurzfristig auftretende Lücken in der Versorgung selbst schließen zu können und die großen BwKrhs-Apotheken in Koblenz, Ulm und Detmold wurden im Laufe der Jahre entsprechend für eine Produktion in größerem Umfang materiell aufgerüstet sowie die benötigten Verpackungsmaterialien, Hilfsstoffe und Grundsubstanzen wie Atropin, Morphin und Natriumthiosulfat in für die Langzeitlagerung geeigneter Verpackung eingelagert. Der Bundesrechnungshof hat die Wirtschaftlichkeit der bundeswehreigenen Arzneimittelherstellung über 5 Jahre geprüft und bestätigt. Heute stellen wir in industriekonformer Verpackung mit eigenem Label natürlich auch andere gängige Produkte wie Acetylsalicylsäure (ASS)-Tabletten her. Wir sichern damit die Funktionsfähigkeit der Maschinen und Geräte und halten das Personal in 

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Übung. Gleichzeitig - sozusagen als Nebenprodukt – sind wir im Sinne der sparsamen Haushaltsführung auch noch wirtschaftlich. Dieser Weg hat sich auch bei verbündeten Armeen bewährt.Unsere Partner z.B. in Frankreich und Italien unterhalten größere Produktionsstätten und die türkischen Streitkräfte produzieren in ihren hervorragenden wehrpharmazeutischen Einrichtungen im industriellen Maßstab praktisch ein „Vollsortiment“. Mit unserer neuen Apotheke im BwKrhs Ulm können wir künftig im internationalen Konzert der militärischen Arzneimittelherstellung mithalten und als echter Herstellungsbetrieb auftreten. Dies ermöglicht auch eine wesentlich engere Kooperation mit der zivilen Industrie, d.h. wir könnten fremde Zulassungen für die bundeswehreigene Herstellung nutzen - das wäre der sogenannte Mitvertrieb - oder aber auch Zulassungen für wehrmedizinisch relevante Präparate von anderen Herstellern erwerben, um diese Produkte dann selbst herzustellen sowie bei „Engpassartikeln“ auch als Lohnhersteller arbeiten. Es war z.B. auch eine große Leistung der Wehrpharmazie, dass wir Mitte der 80er Jahre bei dem schlimmen Chemieunfall mit Giftgasaustritt in Bhopal (Indien) mit ad hoc hergestellten und dorthin gelieferten Antidot-Infusions- und Injektionslösungen kurzfristig helfen konnten. Oder denken Sie an eigentlich so lapidare Dinge wie Sonnenschutzcreme. Unsere amerikanischen Bündnispartner hatten bei „Desert Storm“ damit Probleme. Selbst weltweit aufgekaufte Bestände halfen nicht weit, und den plötzlichen Großbedarf konnte man nur durch Eigenherstellung decken. Ein Beweis dafür, wie für „banal“ gehaltene Produkte auf einmal sehr wichtig werden können. Das gilt auch für unsere Eigenentwicklung „Insektenschutzmittel Bundeswehr“.

Ein aktuelles Beispiel für die Vorteile der Fähigkeit zur Eigenherstellung sind die Vorbereitungen auf eine möglicherweise drohende Grippe-Pandemie. Wir haben die Grundsubstanz Oseltamivir und Verpackungsmaterialien bereits eingelagert und könnten dann im Bedarfsfall in unseren Apotheken quasi „auf Knopfdruck“ das Fertigpräparat herstellen. (Abb.2)

WM: Sie sprachen die immensen logistischen Herausforderungen für die Arzneimittelversorgung im Einsatz an. Könnten Sie dazu ein paar Größenordnungen nennen, vielleicht in Tonnage oder Kubikmeter etc.?

Inspizient Wehrpharmazie: Es bedarf sorgfältiger Planung, um das richtige Material wirklich rechtzeitig und in der richtigen Menge am richtigen Ort zu haben und auch – mit Blick auf die Temperaturbelastungen – das empfindlichste Material in gebrauchsfähigem Zustand bereitzustellen. Es handelt sich nicht um Versorgung in der Nachbarschaft, sondern um die Überbrückung von tausenden von Kilometern. Es geht um den sicheren Transport von kompletten MSE-Containern über palettiertes Sanitätsmaterial bis hin zum Transport von temperaturempfindlichen Impfstoffen, Blut und Blutprodukten unter besonderen Transportbedingungen. Da es sich bei Arzneimitteln um Einzelverbrauchsgüter handelt, würde eine Angabe von Tonnagen und Kubikmetern nicht das richtige Bild liefern.

WM: Alles was Sie sagten weist darauf hin, dass sich heute für die Apotheker im Sanitätsdienst ein ganz anderes Anforderungsprofil ergibt?

Inspizient Wehrpharmazie: Fachliche Kompetenz ist gerade fern der Heimat ein absolutes Muss, die Sicherheit im Umgang mit den militärischen Belangen darf nicht fehlen. Ich bin immer erfreut, wenn ich sehe, wie tatkräftig sich sowohl unsere „altgedienten Recken“ wie auch die jungen Sanitätsoffiziere Apotheker (SanOffzAp) um die Dinge kümmern, mit viel Engagement, Interesse und Eigenständigkeit. Hier wird nicht stur erst auf Befehle oder Anweisungen gewartet. Es werden Informationen aus dem medizinischen Bereich beschafft – Stichwort „Medical Intelligence“ –, um zu erfahren was erforderlich sein wird und um sich früh auf die Anforderungen einzustellen. Ich nenne das „Erstklassige Leistungserbringung im zweiten Glied“ – ruhig, vorausschauend und sachdienlich. Der Arzt ist vorn, er beurteilt, was er benötigt, lässt sich beraten und bespricht mit seinem Apotheker, wie die Dinge realisiert werden können. Aus meiner Sicht und in der Bewertung anderer hat das bisher eigentlich recht gut geklappt. In diesem Zusammenhang sollte man auch den Beitrag der Wehrpharmazie zur Lebensmittel- und Trinkwassersicherheit vor Ort als integralem Bestandteil des vorbeugenden Gesundheitsschutzes nicht vergessen. Mit dem Laborcontainer „Lebensmittel-/Ökochemie“ haben unsere Sanitätsoffiziere Apotheker/Lebensmittelchemiker aus den Zentralen Instituten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZInstSanBw) modernste Untersuchungsmöglichkeiten insbesondere zu toxikologisch relevanten Parametern im Einsatz zur Verfügung. Die „Leitenden Apotheker im Einsatzland“ stehen dem Leitenden Sanitätsoffizier im Einsatz in allen Fragen mit wehrpharmazeutischer Relevanz beratend zur Seite.

WM: Zu Beginn der ersten Einsätze konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass mancher neu in den Einsatz gehende Arzt sich seinen individuellen Material- und Arzneimittelbestand mit in das Einsatzgebiet nahm. So sammelte sich im Laufe der Personalwechsel eine Menge redundanter Ausstattung in den Einsatzsanitätseinrichtungen. Besteht dies Problem heute noch?

Inspizient Wehrpharmazie: Für die Einsätze werden unter Berücksichtigung der Voten der Konsiliargruppen spezifische Ausstattungslisten erstellt. Die Entscheidung wird also nicht im kleinen Stübchen durch den Apotheker getroffen. Die Auswahl der Artikel wurde lang und vielseitig diskutiert und mit Bedacht getroffen. Es lässt sich natürlich nicht vermeiden, dass der eine oder andere Arzt in den Einsatz geht und sagt: „Ich bin in meinem Krankenhaus gewohnt, mit anderen Dingen zu arbeiten und die Konsiliargruppen empfinde ich als ein bisschen hauslastig, je nach Herkunft der Entscheidungsträger.“ Insofern gibt es das in Ausnahmefällen natürlich auch heute noch, dass der Arzt nach seinen Anforderungen und Bedürfnissen vor Ort das Sortiment der Ausstattungslisten überschreitet.

WM: Und was ist die Botschaft des Inspizienten Wehrpharmazie?

Inspizient Wehrpharmazie: Die Apotheker können Hilfestellung geben bei der Ausstattung und die Versorgung sicherstellen; im Endeffekt entscheidet und handelt der Arzt aber eigenverantwortlich und steuert damit auch den Verbrauch. Wir stellen ihm das Material zur Verfügung, das er braucht und beraten ihn fachlich und ökonomisch. Man muss hier an das Verantwortungsbewusstsein der Ärzte appellieren, dass sie sich an das, was mit den Konsiliargruppen abgestimmt wurde, auch halten. Eine entscheidende Bedeutung messe ich der helfenden Dienstaufsicht durch die zuständigen Vorgesetzten bei. Das Thema Dienstaufsicht möchte ich überhaupt in den verschiedenen Lehrgängen wegen der enormen finanziellen Auswirkungen stärker betont wissen und um die betroffenen militärischen Führer entsprechend zu sensibilisieren.

WM: Sie haben zu Beginn die Arzneimittelsicherheit erwähnt?

Inspizient Wehrpharmazie: Die Verantwortung der SanOffzAp liegt insbesondere bei der Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit im jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Zur Zeit erarbeiten wir ein Konzept für den Arzneimitteltransport, insbesondere in die Einsatzländer. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei dem Kühltransport für kühl zu lagernde und kühlkettenpflichtige Arzneimittel. Hier dürfen beim Transport keine Unsicherheiten auftreten; denn die Arzneimittelsicherheit - entsprechend unseren Standards - muss an jedem Ort der Welt gewährleistet sein. Der Hersteller nennt uns die Transport- und Lagerungsbedingungen und wir müssen sicherstellen, dass diese Vorgaben beim Transport eingehalten werden. Wir wissen natürlich um die Schwierigkeiten; da kann die Ware auf einem Umschlagflughafen schon einmal etwas länger stehen. Deshalb geht es uns darum, validierte Verfahren zu finden, die sowohl dem Arzt wie auch dem Apotheker die Sicherheit geben, dass die EVGSan (z. B. Arzneimittel und verschiedene Medizinprodukte) wirklich in Ordnung sind. Der Dokumentation kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Wir stützen uns in diesem „Kühlketten-Management“ nicht nur auf die Erfahrungen der Industrie ab, sondern führen im ZInstSanBw München auch Stresstests mit Arzneimitteln durch, um eine eigene Stabilitätsdatenbank aufzubauen.

WM: Im Einsatz werden Arzneimittel für unsere eigenen Soldaten bereitgestellt, aber auch in der humanitären Hilfe für die Bevölkerung verwendet oder für Angehörige anderer Ressorts im Einsatz. Wird da gelegentlich die Grenze nicht scharf genug gesehen?

Inspizient Wehrpharmazie: Wir müssen unterscheiden: - Seit langem kennen wir die sog. humanitäre Hilfe für bedürftige Länder und Abgaben an Hilfsorganisationen, für die aus dem Vorrat der Bundeswehr überschüssiges, aber voll verwendbares Material gegen Bezahlung oder unentgeltlich bereitgestellt wird. - In humanitären Einsätzen, wo der Sanitätsdienst als Helfer vor Ort tätig wird, gibt es hinsichtlich der materiellen Versorgung keinen Unterschied zwischen dem eigenen Personal und dem am Einsatzort zu betreuenden Personenkreis. - Für die Mitversorgung von Angehörigen anderer Ressorts, Institutionen usw. enthalten die jeweiligen Einsatzbefehle, nach denen sich alle zu richten haben, entsprechende mit dem Haushalt abgestimmte Regelungen.

WM: Bei VN-Einsätzen – so erinnere ich mich an einen Besuch mit dem Verteidigungsausschuß in Phnom Penh - gibt es den Konflikt zwischen den Ansprüchen in der Arzneimittelbereitstellung für unsere Soldaten und der Qualität, welche die VN zur Verfügung stellt. Ist das inzwischen gelöst?

Inspizient Wehrpharmazie: Da bei den VN der Arzneimitteleinkauf weltweit in den unterschiedlichsten Ländern erfolgt, die nicht immer europäische Standards einhalten, muss der Überwachung der Arzneimittelqualität besondere Bedeutung beigemessen werden. Hier hat sich unser Qualitätskontrollsystem z.B. in dem von Ihnen erwähnten Phnom Penh bewährt, wo ein Antibiotikum, bei dem 1,2 Mio I.E. Gehalt deklariert waren, nur 100.000 I.E. enthielt. Solche Vorkommnisse bergen Gefahr für Leib und Leben in sich. Um so größere Bedeutung kommt deshalb der Arbeit unseres ZInstSanBw in München und auch des Arzneimittellabors vor Ort zu. Fälschungen müssen erkannt, sichergestellt und bei Nachahmungen dem Originalhersteller gemeldet werden. Das genannte Problem ist aber auch insofern gelöst, als dass die Arzneimittelversorgung bei Einsätzen, an denen wir unter VN-Führung teilnehmen, von unserer Seite, also von nationaler Seite sichergestellt wird. So können auch bei diesen Einsätzen unsere Sicherheitssysteme voll greifen und alles ist für unsere Soldatinnen und Soldaten in der gewohnten Ordnung.

WM: Bei Auslandseinsätzen kommt dem Thema Infektionen natürlich eine ganz besondere Bedeutung zu. Auch die Pharmazie muss darauf reagieren. Und damit sind wir beim Thema B-Schutz. Was bedeutet das für die Wehrpharmazie?

Inspizient Wehrpharmazie: B-Schutz ist zwar nicht unsere ureigenste Aufgabe, aber auch wir leisten unseren Beitrag. Es besteht eine ganz hervorragende Zusammenarbeit zwischen allen Zuständigen im Führungsstab des Sanitätsdienstes und auf Ämterebene. Da wir jetzt die Bedrohung mit der Vogelgrippe direkt vor Augen haben, kooperieren wir eng mit der Medical Intelligence. Jeder partizipiert von den Informationen des anderen. In gewissem Grad ist vorausschauende und koordinierte Bevorratung möglich. Im Rahmen der Einlagerung von Pockenimpfstoff konnten in einer so genannten „AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung“ auch die Belange der Bundeswehr verankert werden. Wir können jetzt rechtskonform in der Bundesrepublik nicht zugelassene Arzneimittel für besondere Erkrankungen, die in Deutschland nicht oder nur selten auftreten, in den Einsatzländern aber endemisch sind, in größerem Umfang im Ausland einkaufen und bevorraten. Der Erlass dieser „AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung“ gibt bezüglich der pharmazeutischen Handlungsmöglichkeiten einen größeren Spielraum zur Erfüllung der besonderen militärärztlichen Forderungen und man kann sich hinsichtlich des Arzneimittelschatzes auf ein breiteres Spektrum der Bedrohung einstellen. Ein wichtiger Meilenstein, der uns eine tragfähige Rechtsgrundlage für die Vorsorgemaßnahmen gibt.

Bezüglich der Therapeutika für Infektionserkrankungen und bzgl. der Impfstoffe sind wir meines Erachtens recht gut aufgestellt. Das normale Impfstoffspektrum ist zu jeder Zeit verfügbar. Und auch für einschneidendere Ereignisse haben wir einen Antibiotikavorrat eingelagert, der sofort verfügbar ist. Hier und in bestimmten anderen Bereichen wie z.B. bei den Dekorporationstherapeutika, sonstigen Antidoten und Impfstoffen sollten wir eine gewisse Autarkie anstreben. Man sollte an eine deutsche oder auch europäische Autarkie denken, da die Einfuhr von Antidoten und Impfstoffen aus überseeischen Ländern durch dortige Regierungsvorbehalte schnell unterbrochen werden kann. Die Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten sollte weiter voran getrieben werden. Wir arbeiten derzeit intensiv mit den Franzosen zusammen und nehmen auch an den Entwicklungen bei anderen Nationen wie England, den Niederlanden und Belgien regen Anteil. Es geht dabei vor allem um die gemeinsame Entwicklung von Antidoten, ihre Eigenherstellung, ihre amtliche Zulassung.

WM: Könnte man sagen, dass die Wehrpharmazie im europäischen Bereich eine Art Vorreiterfunktion wahrnimmt?

Inspizient Wehrpharmazie: Sagen wir lieber: wir brauchen uns nicht zu verstecken. Wir erleben immer wieder, dass unser Sanitätsdienst von den anderen Nationen als beispielhaft betrachtet wird. Im pharmazeutischen Bereich ist es so: wir haben ja zur Erfüllung der rechtlichen Vorgaben Kapazitäten für lebensmittelchemische und pharmazeutische Untersuchungen in unseren MSE – Containern vor Ort. Nicht selten werden wir von anderen Nationen um die Durchführung von Untersuchungen in Amtshilfe gebeten. Manchmal ist hier auch erhöhte Flexibilität gefordert, um besondere Fragestellungen bearbeiten zu können wie z.B. nicht identifizierte Chemikalienbehälter im Kosovo. WM: Die Multinationalität in Einsätzen nimmt zu, auch in der personellen Besetzung der pharmazeutischen Bereiche?

Inspizient Wehrpharmazie: Nein, bis jetzt noch nicht. Für die in den Einsatzkontingenten zu besetzenden Dienstposten SanOffzAp ist die Durchhaltefähigkeit mit deutschem Personal gewährleistet. Für den Leitenden Apotheker i.E. wie für den Laborleiter lebensmittelchemisches Labor wird darüber hinaus grundsätzlich die Qualifikation als stattlich geprüfter Lebensmittelchemiker gefordert. Eine Mitarbeit ist aber nach Bedarf und Eignung denkbar.

WM: Was wäre denn Ihr Wunsch an multinationalen Verbindungen und Kooperationen in der Wehrpharmazie?

Inspizient Wehrpharmazie: Weiterhin eine enge Zusammenarbeit auf den verschiedenen Arbeitsgebieten, z.B. Entwicklung und Herstellung von Antidoten, Aufbau eines bi- bis multinationalen Bluttransfusionswesens auf Grundlage des diesbezüglichen europäischen Rechtes. Da gilt es, noch einiges an Hausaufgaben zu machen, auch um den Arzt vor Ort auf eine rechtlich sichere Seite im Transfusionswesen zu stellen, wenn er nicht auf deutsche Blut- und Blutprodukte zurückgreift.

WM: Europäische Autarkie verlangt Kompatibilität. Und da gab es in der Vergangenheit Grenzen durch unterschiedliche wirtschaftliche Interessen. Man ist offenbar auf dem Weg gegenseitiger Kompatibilität?

Inspizient Wehrpharmazie: Sie haben Recht. Kompatibilität hat ihre Grenzen, und zwar nicht nur technische Grenzen, sondern auch Grenzen, die geschaffen werden durch wirtschaftliche Interessen der Nationen. Aber es gibt sehr positive Beispiele, z.B. die Arbeit in der COMEDS-Arbeitsgruppe MMMP (Medical Material and Military Pharmacy), wo man sehr um diese Kompatibilitäten bemüht ist oder auch hinsichtlich des französischen Mehrkammer-Autoinjektorsystems, das wir gemeinsam für eine Neuentwicklung nutzen wollen. Die steigenden Entwicklungskosten und die allgemeine Haushaltsmittelknappheit fördern grenzüberschreitend auch die Vernunft und die Bereitschaft zu Kompatibilität und Vereinheitlichung.

WM: Womit wir beim Thema Rüstung wären.

Inspizient Wehrpharmazie: Der Rüstungsbereich der Wehrpharmazie wurde im Sinne der Neuordnung des Sanitätsdienstes umgegliedert. War er früher in der Abt. III des alten Sanitätsamtes angesiedelt, gehört er heute zur Abteilung II und arbeitet - so weit erforderlich - eng mit der Fachabteilung VIII, dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB), der Streitkräftebasis (SKB) und anderen Bereichen zusammen. Der Rüstungsbedarf des Sanitätsdienstes hat durch das neue Aufgabenspektrum natürlich eine ganz andere Größenordnung eingenommen und es wurde auf diesem Gebiet bereits Beispielhaftes geleistet. Ich erwähne das gepanzerte Verwundetentransportfahrzeug YAK (früher DURO), das mit der Vorserie im Einsatz erprobt wird - eines der schnellsten „Rüstungsvorhaben“ seiner Art, aus dem auch das Heer und die SKB ihre Vorteile ziehen wollen. Mit den Luftlande-Sanitätseinrichtungen und luftbeweglichen Sanitätseinrichtungen wird dieser Trend fortgesetzt. Die gute Zusammenarbeit mit der SKB, dem BWB und der Industrie hat sich bisher und auch bei anderen „Vorhaben“ bewährt.

WM: Das von Ihnen beschriebene Aufgabenprofil ist ja sehr breit. Hat ein junger Apotheker, der sich bewirbt, einen anderen Aus-, Fort- und Weiterbildungsbedarf gegenüber früher?

Inspizient Wehrpharmazie: Die Ausbildung der Sanitätsoffiziere Apotheker richtet sich nach der jeweils gültigen Approbationsordnung für Apotheker und der aktuellen Prüfungsordnung für staatlich geprüfte Lebensmittelchemiker. Natürlich hat sich da seit meiner Studienzeit - damals galt noch die Approbationsordnung von 1934 - an den Studieninhalten vieles verändert, denken wir nur an die Pharmakologie oder die heutigen analytischen Möglichkeiten. Durch die Vielseitigkeit der Wehrpharmazie, welche die wissenschaftliche und praktische Pharmazie, die Lebensmittelchemie und die Sanitätsmaterialwirtschaft umfasst, ergibt sich natürlich auch ein hoher Anspruch an den jungen Sanitätsoffizier Apotheker beiderlei Geschlechts. Er /Sie muss sich zusätzlich zur fachlichen Qualifikation gründliche Kenntnisse auf militärischem Gebiet und im Bereich der Logistik sowie der Medizintechnik aneignen. So lassen wir SanOffzAp zum „Praktischen Betriebswirt für die Pharmazie“ an der Universität Bayreuth und Gesundheitsökonomen an der European Business School in Oestrich-Winkel ausbilden, um den heute unabdingbaren betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweisen in der Materialwirtschaft voll Rechnung tragen zu können. Einige Apotheker haben das Zusatzstudium - übrigens ein Master-Studiengang - „Drug Regulatory Affairs“ an der Universität Bonn absolviert. An der Fachhochschule in Remagen erwirbt wehrpharmazeutisches Führungspersonal spezielle Kenntnisse in der Medizingerätetechnik. Auch die Weiterbildung im Fachgebiet wird unterstützt: So sind z.B. die wehrpharmazeutischen Fachabteilungen in den ZInstSanBw und fast alle BwKrhs-Apotheken als Weiterbildungsstätten von den zuständigen Landesapothekerkammern anerkannt, auch werden hierfür Seminare in Zusammenarbeit mit den Kammern durchgeführt. Einige SanOffzAp sind bei den Kammern selbst als Prüfer oder in der Ausbildung tätig, Apotheker/-innen ziviler Behörden nehmen an Lehrgängen der Bw (z.B. Kampfstoffanalytik) teil, die so in zivilen Einrichtungen nicht angeboten werden. Unsere SanOffzAp sind in Eigeninitiative häufig Mitglied in den verschiedenen Fachgesellschaften, haben einen regen Austausch mit den Universitäten und beteiligen sich intensiv an den Fortbildungsmaßnahmen der Apothekerkammern und der Fachgesellschaften.

WM: Aus Ihren Ausführungen entnehmen wir, dass es in der Approbationsrichtung einen engen übergreifenden Zusammenhalt gibt?

Inspizient Wehrpharmazie: Es ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, dass man zusammen hält - nicht nur innerhalb der eigenen Approbation, sondern im gesamten Sanitätsdienst -, mit Freude bei der Arbeit ist und sich mit seinem Dienst in den Streitkräften voll identifiziert, ohne den Blick auf den zivilen Bereich zu verlieren. Ich finde, durch die Auslandseinsätze ist dies alles sehr gefördert worden – besonders auch im Hinblick auf das approbationsübergreifende Verständnis. Die handelnden Personen müssen nicht nur auf sich selbst gestellt arbeiten und sich gut in ihrem eigenen Aufgabengebiet auskennen, sondern sich mit allen anderen Beteiligten abstimmen, um so wirklich tragfähige Entscheidungen treffen zu können. Aber sie wissen auch, dass hinter ihnen ihre Kameradinnen und Kameraden in den Kommandobehörden und im Fachamt, aber auch in den ZInstSanBw, den BwKrhs-Apotheken und den Sanitätsmaterialkompanien stehen und sie unterstützen.

Hier möchte ich aber eines ganz deutlich betonen: Das weite Feld der Wehrpharmazie ist nicht alleine das Werk der SanOffzAp, sondern es ist immer eine Gemeinschaftsleistung mit unserem Assistenz- und Hilfspersonal. Jeder muss an seinem Platz sein Wissen und Können, seine Initiative und Arbeitsfreude einbringen. Ohne diese harmonische Zusammenarbeit läuft nichts. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in der gesamten Wehrpharmazie herzlich bedanken.

WM: Kommen wir zu den öffentlich-rechtlichen Aufgaben. Es gibt auf verschiedenen Ebenen Verantwortung und eigene Kompetenz: Führungsstab, Sanitätsamt und die Abteilung I der Sanitätskommandos. Wo sind die Schnittpunkte und Abgrenzungen, wo ergeben sich daraus Schwierigkeiten?

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Inspizient Wehrpharmazie: Das läuft doch sehr zufriedenstellend. Die Aufgabenaufteilung ist eindeutig geregelt und es gibt eigentlich keine Überschneidungen. In meiner Abteilung sind die Zentralstelle für öffentlich-rechtliche Angelegenheiten auf dem pharmazeutischen Sektor und die Koordination der öffentlich-rechtlichen Überwachung auf dem Sektor der Lebensmittelchemie angesiedelt. Während sich der Arzneimittelüberwachungsbeauftragte um die öffentlich-rechtliche Überwachung der Bundeswehrapotheken kümmert, überwachen die Sachverständigen der Sanitätskommandos die regionalen Sanitätseinrichtungen und darüber hinaus die Verpflegungseinrichtungen in ihrem Kommandobereich. Die Untersuchung und Begutachtung amtlicher Proben obliegt den ZInstSanBw. Das ist klar abgegrenzt, jeder weiß, was er zu tun hat.

WM: Die Frage am Schluß: Was liegt dem Inspizienten Wehrpharmazie besonders am Herzen?

Inspizient Wehrpharmazie: Für mich ist es wichtig, dass alle erkennen, dass man nur gemeinsam stark ist und dass man die gestellten Aufgaben miteinander erfüllen muss. Wir sehen uns Pharmazeuten als ein nicht ganz unbedeutendes Zahnrad im Getriebe des Sanitätsdienstes. Ich bin der Meinung, dass nur dann, wenn alle Angehörigen des Sanitätsdienstes sich unabhängig von der jeweiligen Approbationsrichtung gegenseitig achten und die Arbeit des anderen schätzen, der Sanitätsdienst optimal funktionieren kann - zum Wohle unserer Soldaten und des Sanitätsdienstes.

WM: Wir bedanken uns für das Interview und wünschen Ihnen persönlich und dem gesamten Bereich der Wehrpharmazie weiterhin Erfolg.

Datum: 10.01.2006

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2006/1

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