05.07.2017 •

    Die NATO School Oberammergau - Eine unbekannte Ausbildungseinrichtung?

    Aus der NATO School Oberammergau (Commandant: Colonel Timothy E. Dreiske, US Airforce)

    1. Einleitung

    Fast in Sichtweite der Zugspitze liegt die NATO School Oberammergau (NSO). Auch wenn deutsche Soldaten und Soldatinnen regelmäßig einen beträchtlichen Anteil an den verschiedenen Lehrgängen und Kursen der NATO Schule Oberammergau stellen, verleitet die erkennbare Zahl der deutschen Soldaten des Sanitätsdienstes zu der Annahme, dass es sich um eine ziemlich unbekannte Ausbildungseinrichtung zu handeln scheint.

    2. Geschichte

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    Der Bau der Kaserne begann 1935 und wurde innerhalb von zwei Jahren für die Gebirgs-Nachrichten-Abteilung 54 der 1. Gebirgsdivision der Wehrmacht weitestgehend fertiggestellt. 1938 erhielten Sie den Namen des früheren Chefs des Generalstabs der k.u.k.-Armee Conrad von Hötzendorf. Ab 1943 wurden in der Kaserne und den angrenzenden Stollen des Laber Projekt-, Entwicklungs- und Konstruktionsbüros der Messerschmitt-Werke untergebracht. In diesen Stollenanlagen der „Oberbayerischen Forschungsanstalt“ wurden Düsenflugzeuge (Me 262) und Raketen entwickelt und produziert.

    Nach Kriegsende 1945 wurde die unterirdische Fabrik demontiert und amerikanische Einheiten übernahmen die Kaserne, um diese als „Hawkins Barracks“ für verschiedene Schulen zu nutzen (z.B. U.S. Army Special Weapons School, Ausbildung für Militärpolizei und Intelligence). Unter der Ägide von SACEUR setzte ab 1972 die NATO Weapons Systems School die Ausbildung fort und erweiterte ihr Programm. Bereits zu diesem Zeitpunkt war dies als eigenständige, „joint and combined“ Ausbildungseinrichtung geplant.

    1974 wurde die Liegenschaft wieder an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben und beheimatet seither unter ihrem alten Namen sowohl die NATO Schule wie auch das Bildungszentrum der Bundeswehr / Lehrbereich Oberammergau.

    1975 wurde die NATO School (SHAPE) aufgrund eines deutsch-amerikanischen Vertrages als bilaterale Ausbildungseinrichtung eingerichtet. 2003 erhielt die Schule, im Rahmen der Unterstellung zum Supreme Allied Commander Transformation, ihren heutigen Namen „NATO School Oberammergau“.

    3. Lehrgänge an der NATO School Oberammergau

    Zwischen 1970 und 1990 entwickelte sich die Schule rasch und erweiterte ihr Lehrgangsprogramm von sechs auf dreiundzwanzig Kurse. Standen zunächst die Anforderungen des Kalten Krieges im Mittelpunkt der verschiedenen Abteilungen, so veränderten Mitte der 90er Jahre die Balkankonflikte das Portfolio. Seit 1997 bestimmen auch Kurse zu den Themen Civil Emergency Planning und Civil-Military Cooperation die Ausbildungsinhalte.

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    Inzwischen werden in über 80 verschiedenen Lehrgängen insbesondere gemeinsame Führung von Streitkräften sowie Operationsführung und -planung unterrichtet. Dieses geschieht sowohl im Offizier- wie auch im Unteroffizierbereich und soll den Lehrgangsteilnehmern die Inhalte auf operativer und strategischer Ebene vermitteln.

    Die meisten Lehrgänge an der NATO School Oberammergau dauern eine Woche. Neben den eigentlichen Kursinhalten gelten multinationale Gespräche und das Knüpfen persönlicher Bekanntschaften und Netzwerke als weitere Vorteile der Anwesenheitslehrgänge. Ebenso wird die Sprachkompetenz bei vielen Teilnehmern gefördert, da die Lehrgänge auf Englisch stattfinden.

    Die Bedeutung und Anerkennung, die NATO-, PfP-Partnerstaaten und Drittstaaten der NATO School Oberammergau beigemessen, lässt sich sowohl an der Beteiligung mit längerfristig, freiwillig abgestelltem Stabs- und Lehrpersonal wie auch an über 10.000 „Students“/Lehrgangs­teilnehmern pro Jahr erkennen.

    4. Sanitätsdienstliche Lehrgänge

    In den sanitätsdienstlichen Lehrgängen an der NATO School Oberammergau, für die derzeit ein deutscher Sanitätsstabsoffizier zuständig ist, sollen die Lehrgangsteilnehmer aus ihrem meist bekannten „taktischen Umfeld“ auf die nächste Stufe des „operativen bzw. strategischen Planens“ vorbereitet werden. Dazu sind folgende Lehrgänge etabliert, die immer Vorträge und Kleingruppenarbeit beinhalten:

    - NATO Joint Medical Planner Course (JMPC; M4-85)

    “Course aim: The aim of this course is to provide fundamental medical support planning knowledge for medical support planners appointed to NATO-Multinational Headquarters or as national medical support planners that interact with the NATO Command structure.”

    Junge Sanitätsoffiziere, aber auch erfahrene Portepeeunteroffiziere, besitzen häufig klare Vorstellungen und Kenntnisse über ihren unmittelbaren Arbeitsbereich. Bei Aufgaben im Rahmen von Planungen und Vorbereitungen auf Ebene von höheren Stäben (z.B. JFC, SHAPE, Component Commands) fällt jedoch die Tendenz auf, in bekannte, gewohnte Verfahren und Verhaltensweisen zurückzufallen. Hier soll der Lehrgang das notwendige Handwerkszeug bereitstellen, sicher und effizient zu arbeiten sowie die Ergebnisse dann vor Kommandeuren zu vertreten. Dabei gehören Vorträge zur Wissensvermittlung und das gemeinsame Arbeiten in einer Übungslage zum Konzept.

    - NATO Maritime Medical Staff Course ­(MARMEDS; M-89)

    “Course aim: The aim of this course is to prepare students within all areas of Medical Support planning and specific command functions within or with connections to a Maritime Environment which will enable Maritime Medical Staff Officers and Medical Advisors of Naval Task group / task force (TG / TF) formations, and the operational Maritime Component (MC) level in their functions.”

    Während der Joint Medical Planner Course aus seiner Entwicklung und aus Erfahrungen heraus „heereslastig“ ist, stellen die besonderen Anforderungen der See und der küstennahen sanitätsdienstlichen Versorgung besondere Herausforderungen. Um diese angemessen, im Zusammenhang und auf hohem Niveau zu unterrichten, wurde dieser separate Lehrgang durch die NATO-Staaten gefordert und eingeführt. Inzwischen nehmen auch vermehrt Heeressanitätsoffiziere teil, da dieses gemeinsame Wissen Planungslücken und Redundanzen vermeiden hilft.

    - NATO Senior Medical Staff Officer Course (SMSOC; M4-86)

    “Course aim: The aim of this course is to provide fundamental medical support planning knowledge for senior medical officers appointed to NATO/multinational headquarters or as national medical support planners that interact with NATO command structures.”

    Während die beiden eben dargestellten Lehrgänge jüngere Offiziere als Zielgruppen haben, steht in diesem Lehrgang der Austausch einsatz­erfahrener Medical Advisor und CJ Med im Vordergrund. Dabei geht es einerseits um „best practice“–Erfahrungen, aber auch um Randthemen und besondere Herausforderungen. So wurden 2016 z.B. die besonderen Anforderungen und Gegebenheiten von Frauen im Einsatz thematisiert und ebenso -in Zusammenarbeit mit dem CIMIC-Lehrgang der NSO- eine erfolgversprechende Diskussion mit Vertretern des International Commitee of the Red Cross und von Médecins Sans Frontières begonnen.

    Um aber auch den Erfahrungshorizont ministeriell eingesetzter Sanitätsoffiziere anderer NATO-Staaten zu erweitern, werden gegebenfalls auch jüngere (Stabs-) Offiziere zugelassen, da hier die Ebene „Senior Medical Staff“ anders geordnet ist.

    - NATO Medical Intelligence Course (MEDINTEL; M4-87)

    “Course aim: The aim of this course is to provide fundamental knowledge of NATO medical intelligence procedures. This includes concepts, precepts, terminology, general program management and procedures.”

    Da Medical Intelligence ein eher kleines, aber besonders sensibles Spezialgebiet ist, das auf verschiedene andere Felder ausstrahlt und dort Planungsvoraussetzungen schafft, werden in diesem Lehrgang die Grundlagen dazu gelegt. In einführenden Vorträgen und der Kleingruppenarbeit eines Übungsszenarios werden wesentliche fachliche Verfahren erarbeitet.

    In den meisten Ländern, ob NATO-Mitglied oder nicht (z.B. auch Neuseeland), werden allerdings nur wenige dieser Spezialisten benötigt, sodass eine Konzentration der Ausbildung an einer Einrichtung auch weite Anreisen kosteneffektiv macht.

    Zusätzlich zu den bisher erwähnten Lehrgängen wird durch den SanStOffz Arzt noch ein weiterer Lehrgang betreut und durchgeführt, der scheinbar nur mittelbar etwas mit dem Sanitätsdienst zu tun hat:

    - NATO & Partner Chaplain Operations Course (M4-37)

    “Course aim: The aim of this course is to educate NATO and Partner military chaplains on issues affecting their ability to perform cooperative ministry and religious advisory duties in a combined joint theatre of operations. This will include an examination of ethics and reconciliatory techniques to enable chaplains to support the commander and the mission.”

    Nimmt man die Genfer Konventionen und andere Verbindungen als Begründung, so erscheint diese Kombination von Militärgeistlichkeit und Sanitätsdienst im Rahmen der Betreuung für Soldaten in Einsatzgebieten und zuhause sehr sinnvoll.

    Militärgeistliche in den Einsätzen sind häufig national hervorragend ausgebildet, die Schule soll allerdings Defizite in den Kenntnissen anderer Religionen, Konfessionen und Religionsgemeinschaften der verschiedenen Länder in der Zusammenarbeit schließen. Die höchst unterschiedlichen Strukturen, Organisationsformen, Befugnisse und Vorgehensweisen können so in die gemeinsame Arbeit am Einzelnen eingebettet werden.

    -„Andere Lehrgänge“

    Zusätzlich zu den eigenen sanitätsdienstlichen Lehrgängen werden sanitätsdienstliche Inhalte und Informationen auch in andere Lehrgänge integriert, um so auf Zusammenhänge und Verzahnungen hinzuweisen. Hierbei sind insbesondere Force Protection-, Logistik-, Combined Joint Operations Center, CBRN- und weitere Kurse zu nennen, bei denen die Bedeutung des sanitätsdienstlichen Aspekts für viele Lehrgangsteilnehmer teilweise neu und unerwartet zu sein scheint.

    Schon bei meinen Vorgängern hat sich gerade dieser Bereich in den letzten Jahren deutlich erweitert.

    - Blick in die Zukunft

    In Hinblick auf die im Joint Medical Planner Course wie auch im Maritime Medical Staff Course zur Verfügung stehende Zeit hat sich gezeigt, dass wichtige Themen nicht ausreichend intensiv angesprochen und bearbeitet werden können. Hierzu gehören insbesondere noch die Themen aus dem Bereich der Luftwaffe / Lufttransport, der Special Forces, CBRN, Force Generation und andere.

    Um dies erkannte Defizit zu decken, hat die Annual Discipline Conference Medical Support schon Ende 2015 einen zusätzlichen Lehrgang gefordert. Dieser soll möglichst umgehend als Pilotlehrgang an der NATO School Oberammergau durchgeführt werden.

    Darüber hinaus bahnt sich jetzt auch eine Zusammenarbeit mit der Sanitätsakademie in München an. Dabei ist vorgesehen, vorhandene Ressourcen und Möglichkeiten zum Vorteil beider Ausbildungseinrichtungen besser zu nutzen.

    5. Zusammenfassung

    Auch wenn in den letzten Jahren nur jeweils ein einzelner Sanitätsstabsoffizier an der NATO School Oberammergau tätig war, greift seine Arbeit doch deutlich über die eigenen dargestellten Lehrgänge hinaus. So wird einerseits Personal im Sanitätsdienst für die spezifischen Planungsaufgaben ausgebildet, andrerseits wird aber auch Personal anderer TSK und Organisationsbereiche auf unsere fachlichen Besonderheiten aufmerksam gemacht.

    Darüber hinaus sollte nicht unterschätzt werden, dass mit der derzeitigen deutschen Besetzung des Dienstpostens auch deutsche sanitätsdienstliche Erfahrungen und Werte an Angehörige anderer NATO-Staaten, an NATO-Partnerstaaten und an Drittstaaten weitergegeben werden können. z

     

    Verfasser:
    Flottenarzt
    Dr. Frank Bertling
    NATO School Oberammergau
    Am Rainenbichl 54
    82487 Oberammergau
    Bertling.frank@natoschool.nato.int

    Datum: 05.07.2017

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2017/2

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