18.01.2017 •

Aktiv. Attraktiv. Anders.

Aus dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel)

Der Sanitätsdienst ist Teil der Streitkräfte und verfügt darüber hinaus über zahlreiche Anknüpfpunkte und Strukturelemente in allen Organisationsbereichen der Bundeswehr, bis hin zum Bundesministerium der Verteidigung. Er unterliegt zunächst ähnlichen Einflüssen, wie sie für das gesamte Ressort zum Tragen kommen. Hinsichtlich der Zielsetzungen der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr, die ihren Zweck bestmöglich erfüllen können sollte, spielt das gesellschaftliche Umfeld, in dem Streitkräfte heute agieren, eine nicht zu unterschätzende Rolle.

In einer postheroischen, konflikt-aversen Gesellschaft west­licher Prägung wird der Einsatz von Streitkräften weiterhin kritisch hinterfragt. Ob die

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Abb. 1: Luftlanderettungszentrum der Bundeswehr im Einsatz EUTM Mali.
aktuellen Entwicklungen im Osten oder südlich unseres NATO-Beistandsgebietes diese Perzeption signifikant und tiefgreifend verändern, darf angesichts bisher eher zögerlicher Reaktionen durchaus bezweifelt werden. Hätte man vor wenigen Jahrzehnten auf das Eingreifen in die staatliche Souveränität eines Nachbarlandes der NATO womöglich noch mit einer allgemeinen Mobilmachung reagiert, stehen heute politische und diplomatische – aber auch wirtschaftliche – Bewältigungsstrategien an erster Stelle. Wenn sich auf der anderen Seite zeigt, dass der Einsatz von Streitkräften auch zukünftig zur Durchsetzung geopolitischer Interessen erfolgen wird – wie jüngst von Russland demonstriert –, heißt dies für Deutschland als integralem Teil des transatlantischen Verteidigungsbündnisses und zentralem europäischem Pfeiler der Allianz nichts anderes, als dass auch heute noch alle Dimensionen und Szenaren kriegerischer Auseinandersetzungen für die eigene „preparedness“ in Betracht gezogen werden müssen.

Erfahrungen, die auf dem Balkan und in Afghanistan gemacht wurden, müssen dabei mit Augenmaß für künftige Erfordernisse herangezogen werden. Sie können keinesfalls die maßgebliche Blaupause für herannahende Anforderungen an die Bundeswehr, und damit ihren Sanitätsdienst, sein. Die Schnittmuster, nach denen der Sanitätsdienst der Zukunft zu gestalten ist, sind unterschiedlich gefärbt und überlappen sich häufig. Es ist jedoch nicht die größte gemeinsame Teilmenge, sondern vielmehr das kleinste gemeinsame Vielfache der notwendigen Fähigkeiten, das als Richtschnur für eine aussichtsreiche Zukunftsentwicklung des Sanitätsdienstes gelten muss.

Sanitätsdienstliche Unterstützung bei „Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ oder gar „Humanitäre Hilfe“ erscheinen trotz der zuletzt auch kinetisch geprägten Operationen in Afghanistan auf den ersten Blick weniger risikoreich. Das Wort „Krieg“ wollen heute im Grunde viele Meinungsbildner weiterhin nur ungerne in den Mund nehmen. Ehrlicher wäre es, gerade diese schlimmste Form der Auseinandersetzung zur Planungsgrundlage zu machen. Der Ruf nach einem Bundeswehr-Design „to the ­thinkable“ statt „to the budget“ wäre womöglich die logische und kostspielige Folge. Diese Art von Ehrlichkeit legen wir andernorts an den Tag. Der Gesellschaft, und insbesondere den Familien, aus denen die heutigen und künftigen Angehörigen der Streitkräfte kommen, verdeutlichen wir, dass der Dienstherr jederzeit alles in seiner Macht stehende unternimmt, um die Gesundheitsversorgung seiner Mitarbeiter bestmöglich sicherzustellen. Wenn wir nicht eine sog. „Söldnerarmee“ im Blick haben, sondern weiter auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens bei einem möglichen Einsatz militärischer Gewalt setzen, sollten Analogieschlüsse nach dem Motto „die werden dafür ja bezahlt“ ausgeschlossen werden. Es sollte vielmehr gelten: Die Angehörigen der Bundeswehr setzen zur Not auch ihr eigenes Leben ein, riskieren bleibende Schäden bis hin zum Tod. Aber es wird seitens Politik und Bundeswehr alles dafür unternommen, dieses Risiko so klein wie möglich zu halten. Und man kann verlässlich darauf bauen, dass im Falle eines Falles der Sanitätsdienst optimal für die Verwundeten sorgen kann. Nur so wird es auch in Zukunft möglich sein, eine ausreichende Anzahl geeigneter Soldatinnen und Soldaten als Freiwillige zu gewinnen.

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Abb. 2: Multinationale Zusammenarbeit – Patientenübergabe während einer deutsch-niederländischen Sanitätsübung.

Der unveräußerliche, hohe Stellenwert von „Leib und Leben“ der Soldaten und die Möglichkeit diese zu schützen oder bei Verwundung bestmöglich wieder herzustellen sind maßgebliche Richtschnur und ein entscheidender Gradmesser für die Funktionsfähigkeit des Sanitätsdienstes. Schon seit den ersten Tagen der Bundeswehr, beginnend ab dem Jahr 1956, im Grunde aber schon seit den Schlachten auf den Feldern um Solférino, war und ist das Wohl des (Soldaten-)Patienten  d e r  bestimmende Faktor für die Weiterentwicklung des Sanitätsdienstes. Die Grundlagen eines humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten konnten erst gelegt werden, nachdem Henry Dunant (1828 - 1910) seine Eindrücke auf den Schlachtfeldern um Solférino 1862 veröffentlicht hatte („Eine Erinnerung an Solferino“, original „Un souvenir de Solférino“). 1863 kam es zur Gründung des „Komitees der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege“. Es trägt seit 1876 die Bezeichnung „Internationales Komitee vom Roten Kreuz“. Vor gut 150 Jahren, am 22. August 1864, wurde die erste Genfer Konvention (Geneva Convention) unterschrieben. Sie geht ebenfalls wesentlich auf Vorschläge von Dunant zurück und war der Versuch, dem Krieg ein geregeltes, humanitäres Antlitz zu verleihen. Eingang in Denkweisen der militärischen Planer fanden diese für den Sanitätsdienst wesensbestimmenden Paradigmen erst später.

Nicht nur hier unterscheidet sich also der Sanitätsdienst zumindest in Teilen von anderen militärischen Organisationsbereichen. Zeiten, in denen der moderne Soldat (noch) nicht Patient ist, oder nicht (mehr) voll einsatzfähiger Soldat ist, müssen bei der notwendigen, ganzheitlichen Betrachtung von Gesundheit, über die reine Abwesenheit von Krankheit hinaus, ebenso umfasst werden, wie die Erkenntnis, dass nicht nur der körperliche Schaden das notwendige Maß an Aufmerksamkeit verlangt, sondern ebenso das psychische Wohlbefinden.

Im Zuge der weiter voranschreitenden, gegenseitigen Integration und Kooperation zwischen den Streitkräften der NATO-Nationen dies- und jenseits des Atlantiks, aber auch darüber hinaus im Bereich von Partner-Nationen oder -Organisationen, kommt der übergreifenden Zusammenarbeit mehr und mehr Bedeutung zu. Während in vielen Bereichen der Einsatzkontingente und insbesondere bei den Kampftruppen der Integration bis in kleinste Entitäten mit Blick auf den Einsatzwert Grenzen gesetzt sind, ist dies für den Sanitätsdienst – wie die aktuellen Einsätze zeigen – in den wenigsten Fällen ein Problem. Als Herausforderung erweist sich indes die Tatsache, dass sich insbesondere kleine Partnernationen ein Gesamtsystem sanitätsdienstlicher Komponenten, wie es neben den USA insbesondere Deutschland mit seinem auf Breite und Tiefe angelegten sanitätsdienstlichen Fähigkeitsportfolio bereitstellen kann, schlichtweg kaum noch leisten können – oder wollen. Zudem sind die notwendigen Standardisierungs- und Interoperabilitätspotenziale noch nicht in Gänze ausgeschöpft. Auch die sich zunehmend vollziehenden Rollenspezialisierungen anderer Nationen lassen häufig kaum noch Spielraum für die durchhaltefähige Ausprägung aller sanitätsdienstlichen Elemente einer funktionierenden Rettungskette auf rein nationaler Basis.

Deutschland mit seinem beispielhaften, über alle politischen Denkrichtungen hinweg akzeptiertem Bundeswehr-Sanitätsdienst wird vor diesem Hintergrund von zahlreichen Nationen als hoch geschätzter Anlehnungspartner verstanden, mit dem man qualitativ wie quantitativ gemeinsam die erforderliche eigene Einsatzfähigkeit und den verlässlichen Beitrag zur Einsatzfähigkeit im Bündnis sicherstellen kann. Dies gilt in besonderer Weise für das sanitätsdienstliche Fähigkeitsspektrum, das zu Recht wiederholt als eine „critial shortfall area“ adressiert wurde, zuletzt als Erkenntnis des ausgelaufenen Zyklus der NATO-Verteidigungsplanung.

Es wird wohl auch diese Erkenntnis dazu beigetragen haben, dass sich Deutschland stärker als bisher um die Fähigkeitsentwicklung innerhalb der NATO sorgt. Das von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Nationen auf ihren Gipfeln in Wales und 2016 in Warschau mit der abschließenden Erklärung gebilligte „Framework Nations Concept“ beruht bekanntlich auf einer deutschen Initiative aus dem Jahr 2013. Der Sanitätsdienst hat sich als einer der ersten Bereiche in der Bundeswehr das darin veranschaulichte Prinzip der gemeinsamen Entwicklung mittel- bis langfristiger Fähigkeiten und einsatzfähiger multinationaler Sanitätskräfte zu Eigen gemacht. Die insgesamt zehn Nationen, die sich in einem gemeinschaftlichen Brief zu einem gemeinsamen Vorgehen in spezifischen Bereichen der Fähigkeitsentwicklung bekannt haben, sehen ausdrücklich auch den Bereich sanitätsdienstlicher Kapazitäten als ein dringliches und lohnenswertes Handlungsfeld an. So ist es nicht verwunderlich, dass im Bereich der militärstrategischen Führung dem gleich am Anfang ins Leben gerufenen Cluster „Medical Support“ mit großer Aufmerksamkeit begegnet wird. Dies zeigt sich beispielsweise in der Initiative des Generalinspekteurs der Bundeswehr zur Verbesserung der „Forward Air ­Medevac-Fähigkeit“ durch den NH90, mit der baldmöglichst eine signifikante und bisher unzureichend angegangene Lücke im Heeres- bzw. Sanitätsportfolio geschlossen werden soll.

Wie sich weitere Bereiche der Fähigkeitsentwicklung im Sanitätsdienst kurz- bis langfristig gestalten lassen können, sollen die folgenden – bewusst an
ausgewählten Bereichen der sog. DOTMLPFI[1]-Systematik des „Framework Nations Concept“ orientierten –, ausschnittsweisen Darlegungen verdeutlichen.

Doctrine

Eine gemeinsame Sprache, gemeinsame sanitätsdienstliche Einsatzgrundsätze oder etwa multinational abgestimmte „medical standard operating procedures“ sind wesentliche Voraussetzungen, um die sanitätsdienstliche Einsatzfähigkeit im multinationalen Umfeld und in nationenübergreifenden Koalitionen jederzeit erfolgreich und patientenzentriert gewährleisten zu können.

Die sanitätsdienstliche „NATO-Community“ verfügt mit ihrem Doktrin-Portfolio von derzeit zehn Joint Publications und insgesamt gut siebzig Standardisierungsübereinkommen über eines der aktuellsten, bestgepflegtesten und aussagekräftigsten Dokumentenwerke innerhalb der NATO, das seitens der NATO Standardization Organisation (NSO) als beispielgebend für andere Bereiche bezeichnet wird.      

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Abb. 3: Bundesministerin Dr. von der Leyen zum Truppenbesuch beim Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Selbst wenn die Sanitätsversorgung im Einsatz häufig noch als „national responsibility“ verstanden wird, darf man den Blick vor der Realität nicht verschließen. Die Verantwortung für die Medizin im Einsatz aber auch deren konkrete Durchführung werden längst schon geteilt oder Nationen übergreifend wahrgenommen. Gegenseitige Leistungsvereinbarungen, Technical Arrangement für die wechselseitige sanitätsdienstliche Unterstützung sind die Regel und nicht die Ausnahme. Klar ist also, dass es gemeinschaftlicher, aktueller Handlungsgrundlagen bedarf, um diesen Anspruch erfüllen zu können. Konsequenterweise konzentriert sich das auf das „Pooling and Sharing“ von sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtungen der Ebene 2 (Role 2) abzielende NATO Smart Defense Initiative (SD) Projekt „Tier 1.15“ zunächst auf die Entwicklung einer gemeinsamen Doktrin. Wenn am Ende für dieses Vorhaben – wie für alle SD-Vorhaben – materielle Lösungen angestrebt werden, die es der NATO ermöglichen, ihre Planungsziele für den vorgegebenen Level of Ambition besser zu erreichen, stellen Standardization Agreements in diesem Kernprojekt der multinationalen, sanitätsdienstlichen Fähigkeitsentwicklung einen wegweisenden Abholpunkt dar. Italien und Frankreich als Co-Kustoden entwickeln – zusammen mit über zehn weiteren Nationen, darunter auch Deutschland – bis September 2016 die Allied Medical Publication AMedP-9.1 „Modular Approach for Multinational Medical Treatment Facilities“. Diese wird Vorgaben für die Fähigkeiten von sanitätsdienstlichen Modulen beschreiben, aus denen sich die medizinischen Behandlungseinrichtungen zusammensetzen. Dies wird à la longue die gegenseitige Integra­tionsfähigkeit auch für kleine Truppensteller mit begrenzten sanitätsdienstlichen Fähigkeiten erhöhen. Diese können damit einen signifikanten sanitätsdienstlichen Beitrag zu einem Gesamtkräftedispositiv für die NATO-Planungsziele aber auch für konkrete Einsätze leisten. Damit steigern sie nicht nur indirekt den eigenen Einsatzwert. Bei verlässlicher eigener Durchhaltefähigkeit können sie zudem dazu beitragen, gemeinsam mit anderen Truppen- oder Fähigkeitsstellern den jeweiligen Level of Ambition leichter als bisher zu erreichen und zu halten.

Dazu wird ebenfalls die neu zu entwickelnde Dach-Doktrin der Joint-Medical-Ebene beitragen. Die neue AJMedP-9 „Multinational Health Support“ wird die operativen Vorgaben für die sanitätsdienstlichen Erfordernisse im multinationalen Einsatz-Umfeld beschreiben. Führungs- und Planungspersonal der Bundeswehr und der NATO werden dadurch mit einer ebenengerechten Handlungsvorgabe versorgt, die es ermöglichen wird, zusammen mit den weiteren „capstone / keystone doctrines“ besser als bisher die sanitätsdienstlichen Bedingungen für einen Nationen übergreifenden, operativen und taktischen Führungsprozess berücksichtigen zu können. Mit Blick auf die Rolle Deutschlands als Framework Nation und maßgebliche Gestaltungsgröße für das Cluster „Medical Support“ ist es konsequent, dass der deutsche Sanitätsdienst nicht nur die Custodianship für die neue AJMedP-9 übernommen hat, sondern sich darüber hinaus aktiver in den für den Sanitätsdienst der NATO maßgeblichen Working Groups und Panels des „Committee of the Chiefs of Military Medical Services in NATO (COMEDS)” engagiert.

Zur Doktrin-Entwicklung auf multinationaler Ebene gehören darüber hinaus konkrete Regelwerke für das Zusammenarbeiten auf taktischer Ebene. Mit aktuellen, umfassend abgestimmten „Standing Operating Procedures“ (SOP) für möglichst viele Bereiche der multinational entlang der Rettungskette eingesetzten Module kann sich die Integration anderer Nationen in das System des „continuum of care“ künftig einfacher und sicherer gestalten. Die Sprachbarriere einmal außeracht gelassen und gleiche Standards vorausgesetzt, spricht nichts dagegen, wenn ein niederländischer Rettungstrupp, eine tschechische OP-Gruppe oder z.B. ein kroatischer Truppenarzt unsere Soldaten auf Pa­trouille, im Einsatzlazarett oder im gemeinsamen, multinationalen Hauptquartier versorgen.

Die gegenseitige sanitätsdienstliche Versorgung auf der Basis international abgestimmter Vereinbarungen setzt voraus, dass der deutsche Sanitätsdienst seine eigenen Vorstellungen dazu angemessen artikuliert. Entscheidende Vorgaben für das konkrete militärische, auch sanitätsdienstliche, Handeln im internationalen Umfeld werden sich insbesondere aus der nationalen sanitätsdienstlichen Konzeptionslandschaft und dem Regelungsmanagement des Sanitätsdienstes ableiten. Mit Erlass der neuen Teilkonzeption „Gesundheitsversorgung der Bundeswehr“ wird ein wesentlicher Markstein gesetzt. Verantwortlichkeiten des Sanitätsdienstes und Anknüpfpunkte zu anderen Organisationsbereichen sind klar benannt. Für die neuen Strukturen und Verantwortungsträger innerhalb der Bundeswehr sind damit zudem Grundlagen für künftige Beschaffungen und – mehr noch – für die gesamte Fähigkeitsentwicklung mit Bezug zur Gesundheitsversorgung der Bundeswehr gelegt.

Nachdem die Überführung der sanitätsdienstlichen „Alt-Vorschriften“ bis Ende des vergangenen Jahres abgeschlossen werden konnte, gilt es nun, die notwendigen Anpassungen in den ­Regelungswerken zügig voranzubringen. Die FA InspSan „Fachdienstliche Anweisungen des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr“, Allgemeiner Umdruck 80, und die Schriftenreihe der „Führungs- und Einsatzgrundsätze des Sanitätsdienstes“ verdienen dabei besonderes Augenmerk.

Organisation

Die Weiterentwicklung des Sanitätsdienstes im Bereich der Organisation beschränkt sich keineswegs auf die Einnahme der neuen Strukturen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, d.h. seines zentralen Organisationsbereichs und der sanitätsdienstlichen Anteile in den anderen Organisationsbereichen. Dem Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr wird auch unter den veränderten Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle für die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr zuteil. Zum Wohle insbesondere der Soldaten, zum Teil aber auch für ziviles Personal der Bundeswehr, z.B. beim betrieblichen Gesundheitsmanagement, kann er – anders als andere Inspekteure – gemäß „Dresdner Erlass“ Vorgaben für alle Organisationsbereiche machen. In seiner Rolle als „Leistungsprozesseigner Gesundheitsversorgung sicherstellen“, in der er in ministerieller Funktion dem Abteilungsleiter Führung Streitkräfte zugeordnet ist, wirkt er sich ähnlich wie ein ministerieller Abteilungsleiter auch auf der strategisch-politischen Ebene aus.

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Abb. 4: Sanitätsdienstliche Elemente im Framework Nations Concept.

Nachdem der Zentrale Sanitätsdienst mit der weitest gehenden Zusammenführung von Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung und Ressourcen schon im Jahr 2001 begonnen hatte und sich dieses Prinzip auch in anderen funktionellen Aufgabenbereichen der neu zu gestalteten Bundeswehr entfaltet, werden in den nächsten Jahren prozessorientierte Herangehensweisen für die Aufgabenwahrnehmung vermehrt an Bedeutung gewinnen. Die sanitätsdienstliche Leistungserbringung wird sich – wo dies zweckmäßig und gewinnbringend erscheint – gut vorbereitet dieser Aufgabe stellen. Das Kommando Sanitätsdienst als höhere Kommandobehörde, Fachkommando für den gesamten Sanitätsdienst und Spezialstab für das BMVg, ist bereits heute in weiten Bereichen prozessorientiert ausgelegt. In ähnlicher Weise gilt dies für die beiden nachgeordneten (Fach-)Kommandobehörden und die Sanitätsakademie der Bundeswehr (SanAkBw). Sie haben ihre Schwerpunktaufgaben im Bereitstellen einsatzfähiger Sanitätskräfte (Kdo SanEinsUstg), dem Sicherstellen der Gesundheitsversorgung vor allem im regionalen Grundbetrieb und beim Durchführen/Unterstützen der Sanitätsausbildung (Kdo RegSanUstg) bzw. bei der Bildung/Ausbildung sanitätsdienstlicher Kräfte zur Einsatzfähigkeit und der sanitätsdienstlichen Forschung und Entwicklung (SanAkBw). Diese ersten, holzschnittartigen Zuordnungen können derzeit nur einen groben Ausblick auf die in den nächsten Jahren noch im Detail zu beschreibenden und zu modellierenden Prozesswege im Sanitätsdienst geben. Das Prozessmodell des Sanitätsdienstes mit dem Leistungsprozess „Gesundheitsversorgung sicherstellen“ befindet sich ebenso wie die anderen Leistungsprozesse gerade erst im Entstehen. Günstig wäre es, bei den für die kommenden Jahre vorgesehenen Arbeiten das Prozessmodell nicht losgelöst oder alleinstehend zu betrachten, sondern dessen Harmonisierung mit den Führungs- und Steuerungssystemen und den übergeordneten, konzeptionell verbürgten Aufgaben sicher zu stellen. Wenn am Ende der Arbeiten an den Leistungsprozessen die Integration der Hauptprozesse in ihrer mehr technischen Dimension näher rückt, aufbauorganisatorische Konsequenzen gezogen und entsprechende Ressourcenallokationen vorgenommen werden, sollte der Sanitätsdienst als bundeswehrgemeinsamer Fachdienst mit einheitlicher fachdienstlicher und truppendienstlicher Führung auch weiterhin seinen wertvollen Beitrag zum weiten Aufgabenspektrum der Bundeswehr im In- und Ausland leisten können – jederzeit verlässlich und mit der gebotenen hohen Qualität.

Eine weitere Dimension der organisatorischen Weiterentwicklung ergibt sich aus der zunehmenden Verflechtung des deutschen Sanitätsdienstes mit seinen internationalen Partnern im NATO-Bündnis, im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union (EU) und darüber hinaus. Warum sollten die aus den Einsätzen bestens bekannten und überaus leistungsfähigen Konzepte einer „Multinational Medical Taskforce“ nicht auch im „peacetime establishment“ ihr Gegenstück finden? Tatsächlich werden bereits Möglichkeiten untersucht, neben einer Integration, wie sie das Heer für die niederländische 11 Luchtmobiele Brigade derzeit vollzieht, auch Sanitätskräfte des Königreichs der Niederlande enger mit dem Deutschen Sanitätsdienst, vorzugsweise im Kommando Schnelle Einsatzkräfte des Sanitätsdienstes, zusammenzufügen. Mit Blick auf die deutsche Rolle im Framework Nations Concept und der Leitfunktion im Cluster „Medical Support“ können wir zudem stärker noch als bisher unsere eigenen Strukturen für mögliche internationale (personelle) Beiträge öffnen. Hier wäre zum einen an Verbindungs- und Austauschpersonal in Stäben oder Ausbildungseinrichtungen zu denken oder gar medizinisches Einsatzpersonal, so etwa für den sanitätsdienstlichen Anteil der ins Auge gefassten

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Abb. 5: Multinationale Zusammenarbeit – Deutsch-US-amerikanische Sanitätsübung.
„Multinational Helicopter Unit“ für den „Forward Air Medevac“. Zum anderen wird es sich nach wie vor lohnen, deutsches Sanitätspersonal in die NATO Command Structure (NCS) und NATO Force Structure (NFS), ausgewählte ­NATO-Nationen, insbesondere die USA, und internationale Organisationen (z. B. Vereinte Nationen, Europäische Union) zu entsenden; auch um in diesen Ebenen Überzeugungsarbeit für den hohen deutschen Qualitätsanspruch bei der sanitätsdienstlichen Versorgung der Streitkräfte zu leisten. Die kann natürlich besonders gut gelingen, wenn man sich selber als Motor der Entwicklung versteht und um die notwendige (militär-)politische Rückendeckung weiß. Denkbar wäre es zum Beispiel, wenn sich Deutschland mit Blick auf mögliche Wege hin zu europäischen Streitkräften zusammen mit anderen „willing nations“ der Idee verschreibt, die militärischen Sanitätsdienste der EU-Mitgliedstaaten über ein gemeinsames „European Medical Command“ enger zu koordinieren oder künftig gar zu integrieren.

 

Training

Der individuelle Kompetenzerwerb und seine Aufrechterhaltung sind über personenbezogene oder gemeinschaftliche Trainingsmaßnahmen eng mit der Vorbereitung auf mögliche Einsätze verbunden. Der Einsatz findet häufig schon tagtäglich im Grundbetrieb statt. Bereits hier erfolgt eine entsprechende Leistungserbringung. Für den Sanitätsdienst ist dies gar wesenshaft. Die zukünftige Ausbildungslandschaft wird daher auf mehreren Säulen ruhen und sich aus zentralen, überregionalen und lokalen Bausteinen zusammensetzen. So kann es sich als zweckmäßig erweisen, die streitkräftegemeinsame Basisausbildung zusammen mit den sanitätsspezifischen Anteilen der Basisausbildung sowie lehrgangsgebundene Anteile der Einsatzlandunspezifischen (ELUSA) und der Einsatzlandspezifischen Ausbildung (ELSA) am Sanitätslehrregiment (SanLehrRgt) und dessen ­Lehr- und Ausbildungszentrum Einsatz (LehrAusbZEins) in Feldkirchen, Niederbayern sowie an den Sanitätsregimentern 1, 2 und 3 durchzuführen. Während die theoretischen Grundlagenausbildungen und die Laufbahnausbildung – beide auch mit praktischen Anteilen – an der Sanitätsakademie der Bundeswehr (SanAkBw) zusammengefasst werden, soll der Erwerb von praxisnahen klinischen Fertigkeiten und Kompetenzen von medizinischem Personal und Assistenzpersonal an den Bundeswehrkrankenhäusern gebündelt werden. Im Bereich des „Taktischen Team-Trainings“ für die Verwundetenversorgung unter einsatznahen Bedingungen werden die Ausbildungs- und Simulationszentren bald eine zentrale Rolle einnehmen (s. u.). Die Ausbildung der Einsatzersthelfer A (EH-A) wird hingegen möglichst vor Ort in den Regionalen Sanitätseinrichtungen (RegSanEinr) oder durch die RegSanEinr am Dienstort der Bedarfsträger erfolgen. Die Ausbildung der Kraftfahrer, d.h. deren Fachaus- und -weiterbildung, soll bei ausreichenden Kraftfahrzeugbeständen ebenfalls regional an ausgewählten Regimentern und RegSanEinr ermöglicht werden. Diese Planungen und Maßnahmen haben das Ziel, die Ausbildung im Team und in der interdisziplinären

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Abb. 6: Verbundsystem Gesundheitsversorgung Bundeswehr.
Zusammenarbeit zu stärken, bestehende Ausbildungsgänge schrittweise fortzuentwickeln aber auch notwendige Ausbildungsgänge neu zu konzipieren. Die vermehrte Einführung von Simulatoren und Simulationssystemen dient dabei der möglichst realitätsnahen sanitätsdienstlichen Ausbildung und kann sich als Ressourcen schonend erweisen.

Weiteres Entwicklungspotenzial lässt sich aus der Umsetzung des Framework Nations Concept in dem durch Deutschland geführten Framework Grouping ableiten. Um Angehörigen der Sanitätsdienste anderen Nationen mehr noch als bisher mittel- bis langfristig bessere Möglichkeiten zu eröffnen, gemeinsam mit uns an Einsätzen teilzunehmen, müssen wir unsere Qualifizierungsmaßnahmen stärker auf englischsprachliche Lehrgänge ausrichten. Verlässliche und planbare Beiträge anderer Nationen werden einfacher zu leisten sein, wenn man über einen gemeinsamen Ausbildungshintergrund verfügt. Wenn Deutschland seine Rolle als Framework Nation mit dem Cluster „Medical Support“ ernst nimmt, was spräche eigentlich dagegen, die Sanitätsakademie der Bundeswehr zur NATO Medical Academy oder das Sanitätslehrregiment mit seinem Lehr- und Ausbildungszentrum zum NATO Medical Training Center auszubauen? Das Prinzip „Breite vor Tiefe“ müsste deshalb nicht verlassen werden. Schon jetzt werden dort erfolgreich Kurse in Englisch durchgeführt, und eine Schwerpunktbildung der Bundeswehr im Bereich des Sanitätsdienstes würde sicher sowohl von der NATO als auch in den politischen Kreisen Deutschlands mit Interesse aufgenommen werden.

Fehlt noch ein Blick auf den Anteil des „collective training and exercise“ als Teil des Gesamtprozesses „Education, Training, Exercise and Evaluation (ETEE)“, wie ihn die NATO kennt, und wie er sich auch in der Connected Forces Initiative (CFI) wiederfindet. Der Focus richtet sich für den Sanitätsdienst dabei weniger auf das Zusammenwirken in und zwischen der NATO Command Structure und der NATO Force Structure. Das Augenmerk sollte vielmehr auf dem Aspekt „from deployment to readiness“ liegen. Für weit mehr als eine Dekade stand auch für die Masse des Personals des Sanitätsdienstes die unmittelbare Vorbereitung auf Einsätze auf dem Balkan, im Kosovo oder in Afghanistan im Vordergrund. Ausbildungsvorhaben und Übungen – so sie denn nicht den sanitätsdienst­lichen Beitrag zu den NATO Response Forces oder EU Battle Groups betrafen – galten diesem konkreten Zweck. Langfristige Übungszyklen spielen nun aber wieder eine wichtige Rolle, wenn es gilt, den Readiness Action Plan (RAP) der NATO in konkrete Planungen und Strukturen umzusetzen, wie z. B. für die Very High Readiness Joint Task Force. Davon wird zunehmend auch der Sanitätsdienst betroffen sein, sei es auf Ebene der NATO oder auf nationaler Ebene. Das „Committee of the Chiefs of Military Medical Services in NATO (COMEDS)”, also die höchste fachliche Instanz der Sanitätsdienste der NATO-Mitgliedsstaaten, vertreten durch die Inspekteure oder Führungen der jeweiligen Sanitätsdienste, hat dieser Entwicklung bereits Rechnung getragen. Die jüngst von einem „Panel” zur „Working Group“ erkorene „Military Medical Training Working Group (MMT WG)“ wird künftig sanitätsdienstliche Trainingsprioritäten vorschlagen und als Forum für die Koordination und Synchronisation der Trainingsaktivitäten dienen. Dazu gehören – neben den Ausbildungen, Übungen und Zertifizierungen für die NRF und EUBG-Beiträge – in nächster Zeit insbesondere die Übungsserien Vigorous Warrior und Clean Care. Zudem stimmte COMEDS mit Blick auf die zunehmende Bedeutung des „collective trainings“ zu, Vigorous Warrior 2017 in das „NATO Military Training and Exercise Programme (MTEP)“ aufnehmen zu lassen. National wurde in diesem Herbst außerdem eine Übung mit dem

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Abb. 7: Leichtes geschütztes Sanitätskraftfahrzeuges EAGLE IV.
Sanitätsdienst der Armee der Volksrepublik ­China durchgeführt.

Welche weiteren Anforderungen sich aus der Umsetzung der NATO Planung in konkrete nationale Vorhaben ergeben, die eine Beteiligung des Sanitätsdienstes erfordern, bleibt abzuwarten. Dass der Sanitätsdienst einbezogen sein wird, steht außer Frage. Es wird für ihn somit darauf ankommen, sich – womöglich stärker als bisher – zu beteiligen und trotz begrenzter (personeller) Ressourcen auch in der Phase der Einnahme der neuen Strukturen der Sanitätstruppe mit möglichst gewinnbringenden Beiträgen für das gemeinschaftliche nationale und multinationale Ausbildungs- und Übungsgeschehen einzubringen.

Material

Die Hauptsysteme des Sanitätsdienstes im Einsatz und Grundbetrieb sind die sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtungen. Diese werden auch in Zukunft ihren auf das Wohl der Patienten ausgerichteten Auftrag nur erfüllen können, wenn das dafür notwendige Material zeitgerecht in erforderlichem Umfang und der verlangten Güte zur Verfügung steht. Dies gilt für alle Elemente im Behandlungskontinuum der Rettungskette bzw. der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung. Die Sanitätsausstattung der (erweiterten) Erst- und Kameradenhilfe setzt nach der Einführung neuer blutungsstillender Verbände, Agentien und weiteren Hilfs- oder Arzneimitteln mittlerweile Maßstäbe, auch im Vergleich mit unseren Verbündeten. Dies gilt in ähnlicher Weise für die Einsatz-Ausstattung der Rettungsassistenten (jetzt: Notfallsanitäter) oder Notärzte. Die Möglichkeiten, sich im Bereich der Einzelverbrauchgüter dynamisch an neue Entwicklungen anzupassen, sind jederzeit gegeben. So wird z. B. auch der Einsatz von lyophilisiertem Plasma für das Notfallpersonal bereits diskutiert, die Verfügbarkeit von kryokonservierten Thrombozytenkonzentraten ist rüstungsseitig bereits angegangen.

Erfahrungen aus den Spezialkräften und deren Bestreben nach einfachen, schnellen und hinsichtlich Bedienung und Gewicht „leichten“ Lösungen haben schon in der Vergangenheit zu hilfreichen Anpassungen bei „regulären Kräften“ geführt. Selbst wenn der technische Fortschritt bei Materialien (z. B. ultraleichte Werkstoffe) oder der Energieversorgung wohl nicht sofort in alle Bereiche Einzug nimmt, sollte man diesen Weg konsequent weitergehen. „Kleiner, leichter, leistungsstärker“ ist die Devise, an der sich die Folge- und Regenerationsbeschaffungen, insbesondere für einsatzrelevantes Sanitätsgerät, zu messen haben.

Bei den Einsatzsanitätseinrichtungen muss sich der Blick auf die Behandlungseinrichtungen der Ebenen 1 bis 3 (Role 1 bis Role 3 Medical Treatment Facilities [MTF]) richten. Mit den Role 1 MTF (Rettungsstationen ungeschützt und geschützt, Luftlande-Rettungsstationen) sind prinzipiell taugliche Systeme eingeführt, die eine truppenärztliche Versorgung im Felde unter geeigneten Rahmenbedingungen ermöglichen. Im Zuge der Regeneration der ungeschützten Systeme sollte Wert auf schnelle und komfortable Auf- und Abbaumöglichkeiten gelegt werden.

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Abb. 8: Verwundetenlufttransport.
Die unter die Kategorie Role 2LM (Role 2 Light Manouvre) fallenden Behandlungseinrichtungen umfassten früher neben den Luftlande-Rettungszentren auch Kombinationen aus Zelten und Containern. Diese Zusammenstellung der sog. Rettungszentren, leicht hat sich allerdings als nicht geeignet für Szenare mit schnellen Aufbau- und Verlegezeiten erwiesen. Ein dynamisches Gefecht muss jedoch auch von Seiten des Sanitätsdienstes „der Truppe folgend“ dynamisch unterstützt werden können. Dazu bedarf es geschützter, hochmobiler chirurgischer Behandlungseinrichtungen. Weder die Luftlande-­Rettungszentren noch die Rettungszentren, leicht können diese Anforderung erfüllen. Derzeit scheinen Überlegungen mit Behandlungskomponenten auf fahrbaren Trägersystemen (Fahrzeuge, Anhänger) den Weg zu weisen. Das Rüstungsvorhaben ghm Role 2 LM befindet sich im Integrierten Planungsprozess (IPP) im Status einer Initiative. Bis zur Einführung wird man sich mit Luftlande-Rettungszentren oder den Rettungszentren, leicht, letztlich nur statisch einsetzbaren Systemen arrangieren müssen, die nicht über das notwendige Maß an Mobilität und Schutz verfügen.

Eine weitere Herausforderung bei der chirurgischen Erstversorgung im Einsatz wurde ebenfalls erfolgreich angegangen und wird aller ­Voraussicht gleichermaßen zur Einführung geeigneter Behandlungseinrichtungen führen. Hier geht es um die Ebene 2-Versorgung bei militärischen Operationen von Spezial- und spezialisierten Kräften. Die prototypische Nachweisführung Ende November 2014 hat gezeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, die notwendigen Komponenten einer aufwuchsfähigen, chirurgischen Erstbefähigung in einer Behandlungseinrichtung zu konzeptionieren, deren Basismodul mit der Fähigkeit zur Damage Control Resuscitation & Surgery und einem Gesamtgewicht von 1,5 t mit den Planungs- und Einsatzgrundsätzen vereinbar ist, ohne dass deshalb im Ergebnis qualitative Einbußen für das Wohl der Patienten in Kauf zu nehmen wären. Die Einführung der vorgesehenen vier Luftlande-Rettungszentren Spezialeinsatz wird damit künftig diesen besonderen Teil der auf Zelte gestützten, hoch beweglichen Ebene-2-Versorgung ab­decken.

Role 2E und Role 3 MTF, die allgemeinhin als Rettungszentren bzw. Einsatzlazarette bezeichnet werden, lassen – anders als Role 2 LM Einrichtungen – auch eine definitive, chirurgische und erweiterte fachärztliche Versorgung zu. Ihr abstufbares Leistungsspektrum geht diagnostisch und kurativ weit über die Bewältigung lebensbedrohender Zustände durch schnelle, allein chirugische und/oder intensivmedizinische Intervention hinaus. Planbare Einsätze mit bis zu zwölf Monaten Dauer nach einer „Initial Entry Phase“ mit Zeltlösungen lassen es daher zu, weiterhin auf die im Grundsatz bewährten Modularen Sanitätseinrichtungen (MSE) in Container-Zelt-Kombinationen zurück zu greifen. Der Lebenszyklus dieser Systeme steht allerdings kurz vor seinem Laufzeitende. Deshalb bietet es sich an, zügig über geeignete – möglichst innovative – Nachbeschaffungen nachzudenken.

Keinen Sonderfall, aber eine spezielle Lösung für eine besondere Einsatzsituation wird künftig das „Rettungszentrum See“ bieten. Dieser Begriff ersetzt den als „Marine-Einsatzrettungszentrum“ (MERZ) bekannten Verbund aus medizinischem Fachpersonal, sanitätsdienstlichen Containern und Material in schiffsseitiger Infrastruktur der Einsatzgruppenversorger (EGV). Das „Rettungszentrum See“ ist damit der maritime Anteil der sanitätsdienstlichen Rettungskette und gewährleistet die prä- und akutklinische Patientenversorgung in See bis zur Ebene 2 Enhanced (Role 2 E). Die Bettenkapazität soll aus gut 20 Krankenhausbetten, 2 Schock- und 2 Intensivtherapieplätzen sowie knapp 20 Krankenkojen bestehen. Die Behandlungsebene des Containerverbundes wird über die Fähigkeiten zu Op-Vor- und Nachbereitung, OP, Zahnmedizin/Oralchirurgie sowie zur radiologischen Diagnostik verfügen; die sog. Versorgungsebene über weitere Fähigkeiten (z. B. klinisch-chemisches und mikrobiologisches Labor, Medizintechnik, Apotheke, Produktion von Sauerstoff, Entsorgung von infektiösem Abfall). Entscheidend für das Potenzial dieser schwimmenden Sanitätseinrichtung wird ein leistungsfähiger medizinischer Kommunikationsverbund sein, der Anwendungen wie „Tele-Mikrobiologie“ oder „Tele-Medizin/-Konsultationen“ ermöglicht. So wird Deutschland auch in diesem Bereich seinen Verpflichtungen im NATO-Planungsziel nachkommen.

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Abb. 9: Gliederung Committee of the Chiefs of Military Medical Services in NATO (COMEDS).

Mit der Konzeptionierung und Beschaffung der für die Einsätze im Ausland, aber auch hier in Deutschland geeigneten Verwundeten- und Krankentransportfahrzeuge sieht sich der Sanitätsdienst vor einer besonderen Herausforderung. Zum einen richten sich die Regenerations- oder Neubeschaffungsvolumina bekanntlich nicht nach dem strukturell gebotenen Umfang, sondern nach einpreisbaren Stückzahlobergrenzen und Mindestbeiträgen. Diese dürfen keinesfalls unterschritten werden. Um die Einsatzfähigkeit des Sanitätsdienstes und damit der Streitkräfte nicht aufs Spiel zu setzen, ist es andererseits mindestens genauso bedeutsam, qualitative Aspekte zu berücksichtigen. Für den Einsatz verfügt der Sanitätsdienst mit der Einführung des schweren geschützten Sanitätskraftfahrzeuges (sgSanKfz, GTK BOXER) und weiteren – zum Teil schon seit vielen Jahren genutzten – SanKfz (leichtes, geschütztes Sanitätskraftfahrzeuges [lgSanKfz] EAGLE IV sowie TPz Fuchs, YAK BAT) vor allem für die Randbereiche der Bedrohungs- und Intensitätsspektren möglicher Konflikte über einsatzbereite und neue Systeme. Es besteht jedoch eine signifikante Fähigkeitslücke im mittleren Leistungssegment. Kritische Forderungen, wie sie in der funktionalen Fähigkeitsforderung eindrücklich beschrieben sind, können von den eingeführten Fahrzeugen leider nicht erfüllt werden. Nur die zeitnahe Bereitstellung eines mittleren geschützten Sanitätskraftfahrzeuges (mgSanKfz) ist deshalb Erfolg versprechend. Zur Beschleunigung einer Beschaffung könnte im Grunde auf eingeführte und andernorts genutzte Plattformen zurückgegriffen werden, deren Qualifizierungsmaßnahmen sich bei entsprechendem Willen wohl auf ein Mindestmaß und kürzeste Zeitlinien beschränken ließen. Das Fortbestehen dieser Fähigkeitslücke ist nicht hinnehmbar, da sich dieses unmittelbar auf die Einsatzbereitschaft des Sanitätsdienstes auswirkt. Adhoc-­Aufträge (Stichwort: Ukraine) oder die Erfordernisse für eine Ausbildungsunterstützung im Irak, die mit den real zur Verfügung stehenden geschützten Sanitätskraftfahrzeugen sicherzustellen sind, verdeutlichen diese Fähigkeitslücke nachhaltig. Die schnellstmögliche Realisierung des mgSanKfz ist daher zur Gewährleistung des sanitätsdienstlichen Beitrags für die Einsätze, mithin also zum Erhalt militär-politischer Handlungsfähigkeit im Bereich des geschützten Verwundetentransports, unabdingbar.

Ähnlich stellt sich die Situation im Bereich des ungeschützten Verwundetentransports dar. Erhalt dieser Fähigkeit und Erneuerungen sind unverzichtbar. Das heutige „Arbeitstier“, der Krkw 2 t gl als Fahrzeug für den Rettungstrupp und den beweglichen Arzttrupp, erfährt aktuell eine Anpassung beim Patientenrückhaltesystem, um ihn auch außerhalb von „Notsituationen“ weiterhin gesetzeskonform einsetzen zu können. Die Einführung der neuen Generation an ungeschützten Fahrzeugen ist zudem auf gutem Wege. Hierbei geht es um einen intelligenten Mix an Fahrzeugen. Deren Einsatzspektren werden nämlich von der Sanitätsversorgung auf Truppenübungsplätzen und in den regionalen Sanitätseinrichtungen über die Flugunfallbereitschaften auf Flugplätzen bis hin zum Einsatz als Notfall- und Rettungsfahrzeuge an den Bundeswehrkrankenhäusern reichen. Dies umfasst desgleichen Auslandseinsätze in einem „permissive environment“ ohne besondere Schutzanforderungen. Benötigt werden somit zum einen Rettungsfahrzeuge, die ausreichend geländegängig und watfähig sind. Zum anderen gilt es, Rettungswagen bereit zu stellen, wie sie etwa auf den Straßen von Berlin oder Koblenz anzutreffen sind. Die Arbeit im integrierten Projektteam wird deshalb zu einem ausreichend diversifizierten Vorschlag führen müssen, der nicht nur die DIN EN 1789 Typ C (Rettungstransportwagen) mit ihren Vorgaben zum zivilen Standard der Ausstattung berücksichtigt, sondern auch die Möglichkeiten des BwFuhrparkService in Betracht zieht.

Klar abzugrenzen zu den bisherigen Verwundetentransportfahrzeugen ist das Rüstungsprojekt „Geschützter Verwundetentransportcontainer (gVTC)“ mit dem fest zugeordneten Trägerfahrzeug MULTI Wechsellader Sys A4 FSA 15t mil gl. Hiermit wird der Verwundetentransport von primär versorgten, transportfähigen Patienten aus einer Einsatz-Sanitätseinrichtung in eine weiterführende Einrichtung im Sinne eines Sekundärtransports oder entlastenden Verwundetentransport ermöglicht. Bis zu acht sitzende/liegende Patienten finden darin Platz. Dies kann kein anderes der Sanitätseinsatzfahrzeuge bieten. Für diesen Zweck waren dereinst Kraftomnibusse vorgesehen, die den heutigen Anforderungen, z. B. an den ballistischen und den Minenschutz, allerdings nicht entsprechen.

Nicht in aller Tiefe diskutiert, mit Blick auf die Zukunftsentwicklung aber zumindest angesprochen werden müssen an dieser Stelle Überlegungen zu denkbaren künftigen Verbringungsmethoden. Autonome oder teil-autonome Systeme werden vermutlich mehr und mehr Einzug halten in Transport und Logistik. Was läge daher näherliegend als auch über einen (teil-)autonomen Verwundetentransport nachzudenken, sei es zu Lande oder in der Luft? Die NATO hat sich dem bereits Ende 2012 in einer Studie der NATO Science and Technology Organization mit dem Titel „Safe Ride Standards for Casualty Evacuation Using Unmanned Aerial Vehicles“ angenommen. Während andere Nationen (z.B. Israel mit seiner besonderen geographischen Situation) schon an Prototypen von „Unmanned Aerial Vehicles (UAV)“ für einen nicht-qualifizierten, unbegleiteten Verwundetentransport arbeiten, stecken bei uns derartige Denkübungen noch in den Kinderschuhen. Entscheidend für den Sanitätsdienst wird es sein, Antworten zu Fragen nach der fachlichen Qualität oder etwa der ethischen Verantwortbarkeit zu geben, da ja keine unmittelbare fachliche Begleitung des Verwundeten erfolgt.

Regionale Sanitätseinrichtungen, Bundeswehrkrankenhäuser und die Institute des Sanitätsdienstes sind aus dem Blickwinkel der Weiterentwicklung vornehmlich als „Systeme in Nutzung“ zu betrachten. Sie unterliegen insofern – nicht anders als vergleichbare zivile Einrichtungen oder Institutionen – schnellen Innovationszyklen im Bereich der Medizintechnik und einem erheblichem „Modernitätsanspruch“. Die Verfahren und Ressourcen im Bereich der Beschaffungen von Sanitätsgerät sind auch ohne ein wünschenswertes Globalbudget im Grunde hinlänglich, um den Erfordernissen in der deutschen Krankenhauslandschaft auf der einen Seite oder dem Anspruch des Patienten an seine Haus- oder Facharztpraxis oder sein Krankenhaus in materieller Hinsicht genügen zu können. Anders verhält es sich mit der informationstechnischen Unterstützung. Ohne die Erfordernisse anderer Bereiche kleinreden zu wollen, muss derzeit ein besonderes Augenmerk auf die Unterstützung der Regionalen Sanitätseinrichtungen (RegSanEinr) gelegt werden.

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Abb. 10: Gelebte deutsch-niederländische Partnerschaft.

Die Bundeswehr ist mit ihren Sanitätsunterstützungszentren, Sanitätsversorgungszentren und deren Außenstellen oder Übergangselementen einer der wenigen Bereiche, in denen die ärztliche Dokumentation und die „Praxisunterstützung“ ausschließlich – bildlich gesprochen – mit Papier und Bleistift erfolgen. Hier sind durch entsprechende Prioritätensetzung auf Seiten des Sanitätsdienstes wichtige Weichen gestellt worden. Dabei geht es weniger um die Bereitstellung einer wie auch immer gearteten „Elektronischen Gesundheitskarte Soldat“. Diese könnte es zwar einer zivilen Praxis erleichtern, die Identitäts-Daten und den Kostenträger Bundeswehr bei einem überwiesenen Soldaten-Patienten medienbruchfrei in die eigene Praxis-IT zu übernehmen. Im Grunde könnte man dies wahrscheinlich sogar mit einem aktualisierten elektronischen Truppenausweis bewerkstelligen. Ein positiver Kosten-Nutzen-Effekt müsste sich allerdings noch erweisen. Doch dies ist nicht die eigentliche Herausforderung. Im Projekt IT-Unterstützung Regionale Sanitätseinrichtungen (IT-U RegSanEinr) geht es vielmehr darum, den administrativen Aufwand bei Führung, Betrieb und insbesondere medizinischer Leistungserbringung mit Hilfe von IT-Unterstützung zu verringern. In diesem Zusammenhang muss nochmals betont werden, dass die Kernaufgabe der Sanitätsversorgungszentren die medizinische – auch zahnmedizinische – Leistungserbringung als „Praxis“ des Soldaten sein wird. Damit werden zahlreiche nicht sanitätsdienstliche Unterstützungsleistungen künftig ausschließlich in deren „Mutterhäusern“, den Sanitätsunterstützungszentren, wahrzunehmen sein. Für die medizinische Kommunikation mit Patienten an Standorten ohne eigene Sanitätseinrichtung vor Ort wird sich ein derartiges System als überaus hilfreich erweisen können. Ganz zu schweigen von den gesetzlichen Auflagen für die Dokumentation, die Archivierung oder das Qualitätsmanagement, die sich unter Nutzung moderner Informationstechnik wesentlich anwenderfreundlicher gestalten lassen als die bisherige Papier-Basis. Die Leistungselemente, die nun stufenweise realisiert werden, sind: Medizinische Dokumentation, Patientenmanagement, Truppenärztliches Meldewesen, Auswertungen, Statistiken, Archivierung, und Materialwirtschaft. Warum sollte es also nicht möglich sein, in absehbarer Zeit über ein geeignetes IT-System die „Elektronische G-Kartei“ flächendeckend einzuführen oder gar Anwendungen wie ein „Elektronisches Rezept“ oder „Tele-Konsultation“ zum Nutzen aller zu verwirklichen? Auch für die wenigen Patienten, die künftig nicht unmittelbar eine Regionale Sanitätseinrichtung vor Ort besuchen können oder auf Dienstreise sind, wäre sich dies vermutlich ein echter Gewinn.

Angesichts der deutschen Antwort auf die Ebola-Epidemie in Westafrika ist wieder einmal eine weitere, wichtige und zukunftsträchtige Fähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt: Die Befähigung des Sanitätsdienstes auf Bedrohungen und den Einsatz von radiologischen, biologischen und chemischen Agentien mit medizinischen Bewältigungsmöglichkeiten – sprich: Frühwarnung, Verifizierung, Diagnostik, medizinische Dekontamination, Therapie und Nachsorge – reagieren zu können. Diese Fähigkeiten im Bereich Medizinischer ABC-Schutz sind größtenteils organisatorisch angelegt: Die Institute des Medizinischen ABC-Schutzes (Institute für Radiobiologie, Mikrobiologie sowie Pharmakologie und Toxikologie), die Abteilung F, Medizinischer ABC-Schutz, der Sanitätsakademie der Bundeswehr sowie die Deployment Health Surveillance Capability als der gleichermaßen in München stationierte Teil des NATO Centers of Excellence for Military Medicine (Budapest, Ungarn). Sie bedürfen allerdings in materieller Hinsicht zum Teil noch der Verbesserung, um die Leistungsfähigkeit in diesem Profil zu schärfen. Die Ablösung der Dekontaminations-Schleusen der Rettungszentren und Einsatzlazarette ist in vollem Gange. Zudem wird gerade die Materialausstattung der Task Force MedABC-Schutz mit ihren Medizinischen A-, B- und C-Aufklärungs- und Diagnostikgruppen über die Forschungsgerätschaften hinaus in den Verfahren des integrierten Planungsprozesses (IPP) und des novellierten Customer Product Management (CPM nov.) aktualisiert. Die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen ABC-Aufklärungsmöglichkeiten des Sanitätsdienstes wird jetzt durch das neue NATO Smart Defense Project Tier 1,45 „Responsiveness to Biological Outbreaks“ flankiert. Die Übernahme von Verantwortung in diesem Bereich macht deutlich, dass Deutschland und sein Bundeswehr-Sanitätsdienst ihren Beitrag zum NATO-Planungsziel der Deployable Outbreak Investigation Teams verlässlich erfüllen können und wollen.

Leadership

 „Leadership“ ist auch für den Sanitätsdienst ein Thema. Dies mag auf den ersten Blick eigentümlich erscheinen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar: Auch der Sanitätsdienst funktioniert nur, wenn „Leute vom Fach“ die Ge­schicke ihrer Mitarbeiter lenken und steuern. Dies sind – nicht anders als in anderen militärischen Organisationsbereichen und um hier nur einige Wenige zu nennen – insbesondere die Zugführer, Kompaniechefs und Kommandeure der Regimenter, die Inspektionschefs und Lehrgruppenkommandeure, die Sachgebiets-, Dezernats-, Referatsleiter/Innen, die (Unter-)Abteilungsleiter/Innen und Kommandeure der Kommandobehörden, in den Bundeswehrkrankenhäusern, Instituten und den Regionalen Sanitätseinrichtungen. Ärztinnen und Ärzte in Führungspositionen, leitende Pflegende und Verantwortungsträger der anderen genannten Bereiche des militärischen Gesundheitswesens benötigen Führungskompetenz in ihrem medizinischen Kerngeschäft. Ohne entsprechende Fähigkeiten ist erfolgreiches Management in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung mittlerweile schlichtweg undenkbar. Funktionierendes Leadership und Zusammenarbeit über Bereichsgrenzen hinweg sind Erfolgskriterien einer leistungsfähigen, qualitativ hochstehenden und ökonomischen Gesundheitsversorgung der Bundeswehr.

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Abb. 11: Basismodul des Luftlanderettungszentrums Spezialeinsatz.

Doch Selbstkenntnis und -management, geeignete Kommunikations- und Informationsfähigkeiten oder angemessenes Konfliktverhalten und vieles andere mehr fallen auch für Sanitätsstabsoffiziere und andere Vorgesetzte in Führungsfunktionen des Sanitätsdienstes nicht einfach vom Himmel. Sicher, viele dieser Fähigkeiten können bereits während der Berufsausbildung erworben werden. Der Beruf, insbesondere der des Arztes, lebt schließlich von der Arzt-Patienten-Beziehung, an die man über das Stu­dium im zivilen Bereich Schritt für Schritt herangeführt wird. Das universitäre Umfeld tut sein Übriges dazu. Ähnliches gilt für die nicht-akademischen Bildungsgänge, die ebenfalls zu großen Teilen an zivilen Ausbildungseinrichtungen durchgeführt werden. Vielleicht sind es ja gerade diese Sozialisation und die zivil erworbenen Fähigkeiten, die nach Abschluss der Ausbildung im militärischen Umfeld ihre Anwendung finden müssen, die den Sanitätsdienst als „etwas anderen Organisationsbereich“ kennzeichnen. Vielleicht fühlen sich deshalb auch viele Nicht-Sanitäter gerade im ZSanDstBw besonders wohl.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Entwicklung und Ausprägung von „Leadership“ ist nach wie vor das Erleben der eigenen Vorgesetzten. Dies gilt auch und besonders im Sanitätsdienst. „A boss says: Go! - A leader says: Let‘s go!” (Harry Gordon Selfridge, Sr., 1858 –1947).

Personnel

Personal ist eine, wenn nicht gar d i e entscheidende Größe für die Gestaltung eines zukunftsfähigen Sanitätsdienstes. Dies nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern insbesondere mit Blick auf qualitative Erfordernisse. Es wird künftig nicht mehr ausreichen, allein über eine hinreichende Anzahl an Personal – oder organisatorisch gesprochen: Dienstposten – zu verfügen, selbst wenn die Decke im Sanitätsdienst bekanntlich seit Jahren weniger behaglich wärmt als in dem einen oder anderen Organisationsbereich. Das verfügbare Personal muss vor allem sach- und aufgabengerecht qualifiziert werden. Dazu bedarf es geeigneter Instrumente. Eines ist die Ausbildung für den General- und Admiralstabsdienst. Selbst wenn im Sanitätsdienst aus unterschiedlichen Gründen kein nennenswertes, eigenes Dienstpostengefüge zu realisieren ist, bedeutet dies nicht, dass er grundsätzlich auf dementsprechend ausgebildetes Personal verzichten kann. Der Lehrgang vermittelt im Schwerpunkt das Rüstzeug für Führungsgehilfen. Als solche sind die überwiegend nicht-medizinischen Absolventen für den ZSanDstBw ebenso gewinnbringend wie die Offiziere des Sanitätsdienstes, die selber an der nationalen General-/ Admiralstabsausbildung teilnehmen. Das Bewerten von sicherheits-, gesellschafts- und militärpolitischen, ökonomischen sowie militärstrategischen Zusammenhängen, das Wahrnehmung komplexer Planungsaufgaben aller Ebene und mit anderen Ressortbereichen, Nationen oder Bündniskoalitionen wie auch das Vorbereiten von Entscheidungen oder deren Umsetzung, bis hin zur Koordinierung der Durchführung sind Aufgaben, die regelhaft von Sanitätspersonal wahrgenommen werden müssen, auch wenn sie nicht über diese Hochwertausbildung verfügen. Um dies leisten zu können, bedarf es eines zweckmäßigen Verwendungsaufbaus. Dieser muss über die unterschiedlichsten Führungsebenen führen, sollte fachlich geprägte Verwendungen möglich machen, aber auf alle Fälle die Systemkenntnisse und -zusammenhänge selber erleben lassen, in denen die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr stattfindet. Ob die Festlegung von allzu starren oder zu vielen „Pflichttoren“ dabei hilfreich sein kann, darf bezweifelt werden. Karrieren in ein Korsett zu zwängen, erscheint nicht gerade attraktiv. Die Durchgängigkeit zwischen eher medizinisch geprägten Führungsverwendungen und eher generalistisch geprägten Leitungs(assistenz)funktionen sollte eher über die individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten realisiert werden. Zusätzlich notwendige Fähigkeiten können z. B. über berufsbegleitende Studiengänge im Bereich Gesundheitsökonomie/-wis­senschaften, Health Care Management oder Humanitarian Assistance erworben werden oder in Ausbildungsgängen und Modulen vermittelt werden, wie sie die Führungsakademie der Bundeswehr oder etwa die Bundesakademie für Sicherheitspolitik anbieten.

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Abb. 12: Sanitätsdienstliches Doctrine Portfolio NATO.

Die sach- und aufgabengerechte Qualifizierung des in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr eingesetzten Personals muss darüber hinaus den fachlichen Anforderungen entsprechen. Geringere Qualifikationsansprüche als im europäischen Umfeld und der deutschen Bildungslandschaft sind dabei nicht akzeptabel. Der Anspruch der Patienten, die Verflechtung mit dem zivilen Gesundheits- und Ausbildungssystem und deren – auch für die Bundeswehr – normierenden Vorgaben bis hin zur Frage nach der Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr verlangen umfangreiche Qualifizierungsmaßnahmen des Personals nach zivilen deutschen Standards als Mindestanforderungen. Im Bereich der Sanitätsstabsoffiziere hält die Subspezialisierung in den Gesundheitsberufen aller Approbationsrichtungen, der Zusatzqualifikationen und Zusatzweiterbildungen nach wie vor an. Bei den medizinischen Assistenzberufen ist die Tendenz zur Akademisierung ungebrochen, auch wenn wiederholt Stimmen zu hören sind, die den praktischen Nutzen in Frage stellen. Die Diversifizierung der Aus- und Weiterbildungsgänge geht Hand in Hand mit der technischen Spezialisierung und trägt somit den Erkenntnissen aus Forschung wie auch der Evaluierung der Leistungserbringung von Behandlungseinrichtungen Rechnung.

Der Trend zur „Zentrenbildung“ im Bereich der Krankenhäuser und deren Abteilungen wird sich fortsetzen. Um eine größere Anzahl an speziellen Patienten besser und effektiver behandeln zu können, damit auch „konkurrenzfähig“ im zivilen Gesundheitsmarkt zu sein und zudem die Vorgaben von Kostenträgern und zivilen Fachgesellschaften zu erfüllen, wird z.B. der „Allgemeinchirurg“ im sog. Grundbetrieb in den Krankenhäusern künftig nicht mehr das Maß aller Dinge sein. Für den Einsatz wird man gleichwohl mindestens über diese Qualifikation bzw. weitere Subspezialitäten verfügen müssen (z. B. Thorax- oder Gefäßchirurg) und durch weitere spezielle wehrmedizinische Qualifizierungswege sicher stellen müssen, dass bei begrenzten Personalvorhalten dennoch alle möglichen chirurgischen Fälle in einem Einsatz so behandelt werden können, dass sie im Sinne der „best medical practice“ die Ergebnisqualität einer Behandlung in Deutschland erreichen.

Ähnliches gilt für zahlreiche weitere Fachrichtungen. Wehrmedizinische Erfordernisse der Einsatz- und Katastrophenmedizin werden dabei nicht nur beim akademischen Personal, sondern insbesondere bei den nicht-akademischen Gesundheitsberufen zusätzliche Qualifizierungserfordernisse oder gar neue Laufbahnen generieren. So wird die Qualifizierung zum Notfallsanitäter (früher: Rettungsassistent) künftig ein Jahr länger dauern und mindestens vier Jahre benötigen. Mit der neuen Laufbahn für Truppenoffiziere im Sanitätsdienst sollen künftig OffzTrD im ZSanDstBw Aufgaben übernehmen, für die nicht zwingend eine Approbation als Arzt, Zahnarzt, Veterinär oder Apotheker zu fordern ist.

Erwartete positive Binneneffekte für die Personalwerbung-/bindung und Attraktivitätssteigerung für die Laufbahn sind nur zwei der Gründe, warum in einem über mehrere Jahre angelegten Pilotprojekt an den Standorten Koblenz und Ulm der Nutzen eigener Krankenpflegeschulen an den Bundeswehrkrankenhäusern erprobt werden soll. Die mögliche Wiedereinführung von Krankenpflegeschulen an den Bundeswehrkrankenhäusern ist eng mit den Thematiken Demographie, Attraktivität und Personalbindung assoziiert. In Trägerschaft des BMVg sollen an den Häusern in Koblenz und Ulm im Rahmen einer auf wenige Jahre befristeten Erprobungsphase Ausbildungsstätten in der Gesundheits- und Krankenpflege für zivile und militärische Auszubildende eingerichtet werden. Es wird angestrebt, mit zivilen Partnern zu kooperieren und so auch die Bereitstellung des jeweils benötigten akademisierten Lehrkörpers zu realisieren. Der Sanitätsdienst erhofft sich aus der Evaluierung der Erprobungsphase signifikante Aussagen zur Wirksamkeit und Verbesserung der Personalgewinnung und -bindung in diesem kritischen Personalsegment als Grundlage für eine spätere Entscheidung für oder gegen einen dauerhaften Betrieb.

Sanitätseinrichtungen und sanitätsdienstliche Rettungsmittel werden insbesondere im Einsatz zunehmend multinational besetzt. Zur Basisqualifizierung gehört daher für alle Dienstgradgruppen heute schon die Fähigkeit, sich in Sprache und Wort im internationalen Umfeld ausreichend sicher bewegen zu können. Der Qualifizierungsaufwand für die Sprachaus- und Sprachfortbildung betrifft daher alle Laufbahnen des Sanitätsdienstes und muss sachgerecht abgebildet werden.

Facilities

Die sich abzeichnenden Entwicklungen im Bereich der Personalqualifizierung, der Trainingserfordernisse aber auch der Forschung und Entwicklung oder „lediglich“ der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber werden weitere Erfordernisse und Entwicklungschancen im Bereich der Struktur und Infrastruktur des Sanitätsdienstes mit sich bringen.

Über die Anpassungen der Ausbildungsinfrastruktur für Kompetenzerwerb und -erhalt im Bereich der präklinischen Einsatzversorgung wurde bereits oben ausführlich referiert. Dass die Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten bei Diagnose und Therapie in Bundeswehrkrankenhäusern und Regionalen Sanitätseinrichtungen Forderungen an die Infrastruktur zeitigt, ist ebenfalls nachvollziehbar. Dies gilt in ähnlicher Weise für laufende Anpassungen und Planungen für die Ausweitung der Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zum Umgang mit hochinfektiösen Erregern und toxischen Agentien, für deren Notwendigkeit nicht nur die Ebola-Epidemie in Westafrika ein eindrückliches Zeugnis ablegt.

Herauszuheben sind an dieser Stelle zunächst die Überlegungen zu den künftigen Ausbildungs- und Simulationseinrichtungen des Sanitätsdienstes. Die bisherige Planung sieht vor, die einsatzbezogene, interdisziplinäre, fachliche Aus- und Weiterbildung des Sanitätspersonals an den gerade neu konzipierten Ausbildungs- und Simulationszentren (Ausb/SimZ ) durchzuführen. Dies soll in enger Kooperation mit den Bundeswehrkrankenhäusern erfolgen. Medizinisch-fachliche Anteile sollen mit militärischen Ausbildungsteilen verzahnt werden, um die Teamausbildung unter Nutzung von Simulatoren und Simulationssystemen in realitätsnahen Szenarien stärken zu können. In regionaler Nähe zu den Bedarfsträgern können die vier künftigen Ausb/SimZ zudem „Auffrischungsausbildungen“ für Einsätze übernehmen oder etwa besondere militärische Ausbildungsaufgaben, wie die Schießausbildung nach dem neuen Schießausbildungskonzept, durchführen. Die den Regimentern zugeordneten Zentren sind damit nicht nur Dienstleister für die Krankenhäuser oder Institute, die selber nicht über diese Fähigkeiten verfügen, sie müssen auch infrastrukturell und materialseitig auf die neuen Aufgaben hin angepasst werden. Dies gilt im Übrigen in ähnlicher Weise für die Bundeswehrkrankenhäuser. Der dort stattfinden Erwerb der klinischen Fertigkeiten und Kompetenzen für die taktische Verwundetenversorgung im Team, gelegentlich auch „Skill-Training“ genannt, wird ebenfalls nur mit Unterstützung von moderner Simulationstechnik und womöglich in eigens dafür hergerichteter Infrastruktur zu bewerkstelligen sein.

Interoperability

Der Interoperabilität als einsatzbezogener Zielvorgabe für das gemeinsame Erreichen der NATO Planungsziele und das gemeinsame Bereitstellen einsatzbereiter bi-/multinationaler Truppenteile kommt heute schon eine besondere Bedeutung zu, und sie wird künftig noch zunehmen.

In dem Verständnis, dass es für die NATO darauf ankommt, in der Mittel- oder Langfristperspektive den eigenen Level of Ambition bestmöglich zu erfüllen und möglichst kurzfristig über den dazu erforderlichen „coherent set of forces“ zu verfügen, ist und bleibt der „medical support“ ein Schlüsselfaktor der Einsatzfähigkeit deutscher Streitkräfte und darüber hinaus des Bündnisses. Sanitätsdienstliche Unterstützung ist ein wesentlicher „Force Enabler“ in NATO-Einsätzen, aber einsatzkritische Forderungen und Mindestfähigkeitsanforderungen (MCR) sind gegenwärtig nicht in jedem Bereich gewährleistet. Auch im Sanitätsdienst werden Einsatzwert und Durchhaltefähigkeit mehr und mehr davon abhängen, wie es gelingt, multinationale Beiträge in die eigenen nationalen Kontingente zu integrieren, sprich einen „coherent set of medical forces“ zu generieren. Selbst wenn der gegenseitigen Integrationsfähigkeit zum Beispiel technisch, sprachlich oder etwa kulturell heute noch Grenzen gesetzt sind, wird Interoperabilität unter den Rahmenbedingungen zunehmender Internationalisierung, weiter voranschreitender Europäisierung der Verteidigungsanstrengungen und eher begrenzten als aufwachsenden Ressourcen der Schlüssel zum Erfolg werden. Deutschland kann und sollte hier mit seinem Bundeswehr-Sanitätsdienst eine Vorreiterrolle spielen, z. B. auch mit der Beteiligung an Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen im Sinne der VN-Leitlinien (BMVg). Getreu dem Leitspruch des Sanitätslehrregimentes „Niederbayern“, der da lautet: „Humanitas suprema lex“, sollten dann aber auch dem Organisationsbereich, der diesen Leitgedanken verkörpert, die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden, um die traditionell gewachsene, gerade noch ausreichende Unteralimentierung des Sanitätsdienstes zu überwinden.

Fazit

Die Weiterentwicklung im Sanitätsdienst der Bundeswehr vollzieht sich in zahlreichen Dimensionen. Patientenerfordernisse, Einsatzgegebenheiten, technische Möglichkeiten und Perspektiven aber auch Entwicklungen im zivilen Bereich der Gesundheitsversorgung in Deutschland oder gar im europäischen Gesundheitsmarkt nehmen ebenso Einfluss wie Entwicklungen der Demographie, zunehmende Internationalisierung und begrenzte finanzielle Spielräume. Egal in welche Richtung man blickt, auf die sanitätsdienstlichen Führungskomponenten und Kommandobehörden, die Sanitätstruppe, die regionalen Sanitätseinrichtungen oder die Bundeswehrkrankenhäuser und die Institute des Sanitätsdienstes: Das Wünschenswerte wird vielleicht in Zukunft nicht immer das Machbare sein. Dies sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, wie auch immer geartete Vermutungen zum Anlass zu nehmen, die Zielsetzung für die bestmögliche Gesundheitsversorgung der Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr hinsichtlich Qualität und Umfang geringer anzusetzen, als sie objektiv erforderlich ist.

 

Anschrift des Verfassers:
Oberstarzt Dr. Eike Dybilasz
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Unterabteilungsleiter I
Falckenstein Kaserne
56070 Koblenz

E-Mail: eikedybilasz@bundeswehr.org

 

[1]
Doctrine, Organization, Training, Materiel, Leader­ship, Personnel, Facilities, Interoperability

 

Datum: 18.01.2017

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/4

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