FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IM SANITÄTSDIENST DER BUNDESWEHR

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) muss seine Fähigkeit zur sanitätsdienstlichen Versorgung der Streitkräfte in der SanBasis Inland bzw. aller Angehörigen der Bundeswehr im Einsatz kontinuierlich weiterentwickeln.

Dies gilt gleichermaßen für die gesamte Spanne der Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation, die wehrveterinärmedizinischen Aspekte der Ausbildung und Versorgung von Diensttieren, wie darüber hinaus für die Beratung der militärischen und politischen Entscheidungsträger. Der Dienst in den Streitkräften bringt körperliche und psychische Belastungen sowie damit verbundene gesundheitliche Risiken mit sich, die im zivilen Bereich oft nicht in vergleichbarer Form oder Intensität zu beobachten sind. Hinzu kommen im Einsatz mögliche gesundheitliche Schäden durch vor Ort typische Arbeits-, Einsatz- bzw. Gefechtsbedingungen, Umwelteinflüsse und Infektionen, Waffenwirkung und/oder mögliche ABC-Exposition. Erkenntnisse und Erfahrungen der Medizin und verwandter Disziplinen müssen daher an die Anforderungen und Besonderheiten des militärischen Dienstes und der entsprechenden sanitätsdienstlichen Versorgung angepasst werden. Um den Auftrag des SanDstBw auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu leisten und den Besonderheiten der militärischen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, bedarf es der Durchführung eigener Forschungs- und Entwicklungsprojekte des SanDstBw. Hierzu führt der SanDstBw im Rahmen eines eigenen Forschungsprogramms in sechs Ressortforschungseinrichtungen sowie in den Bundeswehrkrankenhäusern und Zentralinstituten Forschung und Entwicklungsprojekte durch.

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Abb. 1: Stationierungen der sechs Ressortforschungseinrichtungen des SanDstBw ab dem Jahr 2016 mit der Neuaufstellung des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr in Koblenz

Die wehrmedizinische Forschung und Entwicklung ist ein aus dem Auftrag des SanDstBw abgeleiteter Teilbereich der Ressortforschungsaktivitäten des BMVg. Sie dient dazu, frühzeitig Fähigkeitslücken zu erkennen und zu schließen, die sich im Rahmen der Erfüllung des Auftrages des SanDstBw zur gesundheitlichen Prävention und zur sanitätsdienstlichen Versorgung der Soldatinnen und Soldaten bzw. aller Angehörigen der Bundeswehr ergeben. Sie beachtet hierbei die Vorgaben des Konzeptes einer modernen Ressortforschung der Bundesregierung. Ressortforschung beginnt immer dort, wo Hochschulen oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen fachlich, zeitlich, qualitativ und quantitativ nicht die notwendigen Ergebnisse zur Verfügung stellen können. Sie stützt sich als angewandte Forschung im Allgemeinen auf bereits vorhandene wissenschaftliche Grundlagen, ist aber, wenn die im zivilen Bereich verfügbaren Erkenntnisse zur Beantwortung der wehrmedizinisch relevanten Fragestellungen nicht ausreichen oder nicht vorhanden sind, darauf angewiesen, eigene Grundlagen im Sinne der Vorlaufforschung zu erarbeiten (z. B. im Rahmen der Untersuchung von Pathomechanismen bei ABC-Exposition).
Neben den Ressortforschungseinrichtungen führt hierzu der SanDstBw auch Forschungsvorhaben in allen anderen Sanitätseinrichtungen, insbesondere den Bundeswehrkrankenhäusern und den Zentralen Instituten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr durch (sog. Sonderforschung). Sollten Vorhaben zur Schließung von wehrmedizinisch relevanten Fähigkeitslücken im eigenen Bereich nicht oder nur unter unwirtschaftlichem Einsatz von Kräften und Mitteln durchführbar sein, können geeignete zivile Einrichtungen (z. B. Universitätsinstitut oder -klinik, Industrieunternehmen, Auftragsforschungsinstitut) diese Vorhaben im Rahmen als Auftrag erhalten. Darüber hinaus beteiligen sich Sanitätseinrichtungen u.a. in Multicenterstudien an auch für die Bundeswehr interessierten Forschungsvorhaben im Rahmen von Drittmittelprojekten.

Forschungskonferenz des Sanitätsdienstes

Zentrales Steuerelement der Priorisierung von wehrmedizinischen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben ist die Forschungskonferenz des Sanitätsdienstes, in dem jährlich die eingereichten Projekte von den Projektbeauftragten vorgestellt werden und von einem interdisziplinären, MilOrgBereich übergreifenden Gremium aus stimmberechtigten Sanitätsoffizieren hinsichtlich der wehrmedizinischen Relevanz priorisiert werden. Durch zuvor initiierten fachlichen, wissenschaftlichen und statistischen Stellungnahmen wird eine hohe Qualität der priorisierten Forschungsvorhaben sichergestellt.

Ressortforschungseinrichtungen

Der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr unterhält vier Einrichtungen, die im Schwerpunkt forschend tätig sind. Neben dem Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw), dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr (InstMikroBioBw) und dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw, alle mit Dienstort München), ist dies die Abteilung IV - Wehrmedizinische Ergonomie und Leistungsphysiologie des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz (ZInstSanBw KOB). Letztere Abteilung wird mit Neuaufstellung des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr ab 2016 in den Kompetenzbereichen Leistungsphysiologie/Leistungsmedizin und dem Kompetenzbereich Arbeitsmedizin aufgehen. Darüber hinaus betreibt der Sanitätsdienst der Luftwaffe und der Marine zwei Ressortforschungseinrichtungen, die jeweils neben der spezifischen medizinischen Begutachtung, Behandlung, Beratung und Ausbildung in Teilen der Einrichtung auch forschend tätig sind. Dies sind das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentLuRMedLw) und das Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine (SchiffMedInstM) (s. Abb. 1).

Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadioBioBw)

Das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr ist das wissenschaftliche Kompetenzzentrum der Bundeswehr auf dem Gebiet des medizinischen A-Schutzes. Hierzu führt das Institut wehrmedizinische Forschung und Entwicklung zum Schutz vor radioaktiven Stoffen sowie ionisierender und nicht-ionisierender Strahlung durch, um im Fall einer Strahlenexposition die bestmögliche sanitätsdienstliche Versorgung sicherzustellen. Als einziges strahlenmedizinisches/strahlenbiologisches Institut in Deutschland verfügt das Institut zudem über eine mobile medizinische Task Force zur Unterstützung bei und zum Management von Strahlenunfällen. Die mögliche Strahlenexposition im militärischen Alltag und bei Einsätzen war ein ständiges Thema in den letzten Jahren.

Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr (InstMikroBioBw)

Auftrag des Institutes für Mikrobiologie der Bundeswehr ist es, Verfahren und Maßnahmen zu entwickeln, um Bundeswehrangehörige vor Erkrankungen durch biologische Kampfstoffe zu schützen oder ihre Gesundheit im Falle einer Erkrankung wiederherzustellen. Infektionserreger und Biogifte, die in der Natur meist selten vorkommen, aber schwere, auch tödliche, leicht übertragbare und/oder schwierig zu behandelnde Erkrankungen auslösen können, zweifelsfrei diagnostizieren zu können, ist eines der Forschungsziele. Die Testverfahren sollen auch unklare Krankheitsausbrüche im Hinblick auf den möglichen Einsatz solcher B-Agenzien aufklären. Die diagnostischen Fähigkeiten können auch zur Diagnostik natürlicher Infektionen und Ausbrüche eingesetzt werden, die durch die gleichen Erreger hervorgerufen werden können.

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Abb. 2: Die Kompetenzbereiche des Instituts für Präventivmedizin mit entsprechenden Hinweisen, aus welchen Dienststellen Kernfähigkeiten übertragen werden

Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw)

Das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr ist das wissenschaftliche Kompetenzzentrum in allen Fragen des medizinischen Schutzes vor chemischen Kampfstoffen. Es ist die einzige Institution in Deutschland, die die Genehmigung hat, mit diesen Giften zum Zweck der medizinischen Forschung umzugehen. Ziel ist es, Therapieschemata zu optimieren und neue Behandlungsoptionen zu entwickeln. Ferner werden zum sicheren Nachweis der Giftinkorporation analytische Methoden entwickelt und verfügbar gehalten (Verifikationsanalytik). Dies ermöglicht die effiziente Behandlung von Vergifteten sowie die zielorientierte Beratung militärischer und politischer Entscheidungsträger. Die sanitätsdienstliche Weiterbildung und akademische Lehre werden so auf dem Stand von Wissenschaft und Technik gehalten.

Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw)

In diesem Zentrum werden angewandte Forschungsprojekte sowie Aufgaben zur flugmedizinischen Gewährleistung eines sicheren Flugbetriebes der Bundeswehr durchgeführt. Akademikerinnen und Akademiker/Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind u. a. in der Humanmedizin, Psychologie, Chemie, Physik und Ingenieurwesen repräsentiert. Es gliedert sich in drei Abteilungen an den Standorten Köln, Fürstenfeldbruck, Königsbrück, Manching und Bückeburg. Ab 2015 werden wesentliche Teile in Köln zusammengeführt. Besonderheiten sind Großgeräte wie eine der weltgrößten Humanzentrifugen (10m-Arm, g-onset >10g /sec), eine Höhenklimasimulationskammer (45.000‘), Desorientierungssimulatoren und ein Nachtsichtlabor.

Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine (SMIM)

Das Schifffahrtmedizinische Institut der Marine stellt als die zentrale medizinische Einrichtung der Marine seine Kompetenz in der Schifffahrtmedizin der Flotte und der Marine insgesamt zur Verfügung. In der Tauchmedizin werden darüber hinaus Leistungen für die gesamte Bundeswehr erbracht. In intensiver Zusammenarbeit mit zivilen und militärischen Einrichtungen im In- und Ausland setzt das Institut Akzente in der maritimen Medizin sowie der Tauch- und Überdruckmedizin. Auf diesen Gebieten liegen gleichzeitig die Forschungs- und Ausbildungsschwerpunkte in Kooperation mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz – Abteilung IV Wehrergonomie/Leistungsphysiologie (ZInstSanBw KOB)

Die Abteilung IV – Wehrmedizinische Ergonomie und Leistungsphysiologie – im Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz bearbeitet präventivorientierte Forschungs- und Entwicklungsaufgaben zum Erhalt und zur Verbesserung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Analyse physischer und psychischer Belastungen und Beanspruchungen bei der Wahrnehmung militärischer Arbeitsaufgaben sowie auf der Konzipierung/Evaluierung von gesundheits- und leistungsfördernden Maßnahmen. Zur Umsetzung des Ressortforschungsauftrages werden Tätigkeitsanalysen, Feldstudien, Laboruntersuchungen und Surveys durchgeführt sowie bundeswehrweit erhobene Daten epidemiologisch analysiert und bewertet.

Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw)

Mit der Neuaufstellung des InstPrävMedBw in Koblenz im Jahre 2016 werden Aufgaben und Fähigkeiten der aktuellen Dienststellen des ZInstSanBw KOB, des Wehrmedizinischen Statistischen Institut der Bundeswehr in Andernach (WehrMedStatInstBw) und des Institut für Arbeits- und Umweltmedizin der Bundeswehr (IMAUSBw) aus Berlin zusammengeführt, neu konzipiert und ggf. um neue Aufgaben erweitert. Das neu aufgestellte Institut wird hierbei vier Kompetenzbereiche aufweisen (Abb. 2).

Forschung in den Bundeswehrkrankenhäusern

Neben den Ressortforschungseinrichtungen stellen die Bundeswehrkrankenhäuser (BwKhrs) an den Standorten Koblenz, Ulm, Berlin, Hamburg und Westerstede mit ihren Abteilungen neben ihrem Auftrag in der stationären und ambulanten Behandlung und Therapie eine wesentliche Säule der Ausbildung des Nachwuchs des Sanitätsdiensts dar. So sind mit Ausnahme des BwKrhs Westerstede alle Bundeswehrkrankenhäuser als Lehrkrankenhäuser in der universitären Ausbildung eingebunden. Darüber hinaus werden im Rahmen von Sonderforschungs- und Drittmittelforschungsvorhaben wehrmedizinische Fragestellungen beantwortet.

Die Zentralinstitute des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

Neben den Ressortforschungseinrichtungen und dem Bundeswehrkrankenhäuser führen die Zentralinstitute auch außerhalb der Abteilung IV des ZInstSanBw KOB Forschungvorhaben im Rahmen ihrer jeweiligen Approbationsgebundenen Schwerpunkt (Kiel: Veterinärwesen, München: Wehrpharmazie, Koblenz: Humanmedizin) durch. Mit der Neustrukturierung der Sanitätsdienst werden in Zukunft nur noch die Zentralen Institute in München und Kiel mit den jeweiligen approbationsgebundenen Schwerpunkten verbleiben, wesentliche Teile des ZInstSanBw KOB wird entweder im InstPrävMedBw bzw. am BwZKrhs Koblenz (z. B. Blutspendedienst) aufgehen.

Prozessorientierung

Die Leistungserbringung der Bundeswehr wird im Prozessmodell des BMVg beschrieben. Auch der Unterprozess "Forschung und Entwicklung durchführen" (FuE) taucht in diesem Modell auf und unterstützt wesentlich den Prozess "Gesundheitsversorgung sicherstellen" (GVS). Dieser FuE-Prozess ist hochdynamisch und muss es sein. Medizinischer Fortschritt hat eine immer höhere Geschwindigkeit. Wissen veraltet rascher. Darüber hinaus ist die Schaffung eigener wissenschaftlicher Grundlagen in wehrmedizinischen Fragestellungen unumgänglich.
Mit Beginn 2012 wurde begonnen, die Verfahrenswege (und damit auch die Prozesse) der wehrmedizinischen FuE neu zu sortieren. Als erster Schritt wurden Forschungskorridore und der Ressortforschungsplan angepasst, um eine strategische Prozesssteuerung zu gewährleisten. 2013 wurde ein eigenes Forschungsvorhaben initiiert, welches den gesamten FuE-Prozess analysieren und Optimierungspotentiale aufzeigen soll. Aufgrund der Heterogenität der Akteure im "Wissenschaftsnetzwerk des Sanitätsdienstes" und der sehr unterschiedlichen Fragestellungen, ist eine systematische Herangehensweise notwendig, um die unterschiedlichen Hierarchie- und Arbeitsebenen in einer "virtuellen Wissenschaftsorganisation" zu erfassen. Die zugrundeliegende Vorgehensweise der Prozesserfassung und -modellierung greift auf ein Methodenportfolio zurück, welches sich bei der Etablierung eines Qualitätsmanagementsystems im Zuständigkeitsbereich der Militärischen Flugsicherung bewährt hat (3).

Datum: 23.10.2014

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2014/3

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